"Verantwortung der Regierenden und Regierten" - Zum Auftrag der Kirche im Raum der Politik
Festvortrag beim Rittertag der Rheinischen Genossenschaft des Johanniterordens in Wuppertal
Anrede,
Sie werden das Zitat, das meinem Vortrag voran steht, erkannt haben. Von der „Verantwortung der Regierenden und Regierten“ spricht die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Und natürlich: Wie sollte ich auch über den Auftrag der Kirche im Raum der Politik sprechen können, ohne mich auf diese These zu beziehen! Sie ist zentral für unser Thema, weil sie Staat und Kirche in bis heute gültiger Weise einander zuordnet und sie zugleich klar voneinander unterscheidet. Sie beschreibt die Aufgaben und die Grenzen der Macht der politischen Verantwortungsträger, und sie weist auch der Kirche als einer Teilmenge der „Regierten“ ihre Rolle zu.
Ich werde die fünfte Barmer These ihrer zentralen Bedeutung wegen gleich noch einmal vorlesen und uns allen in Erinnerung rufen. Von diesem Text ausgehend möchte ich darlegen, wie das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland theologisch gedacht ist. Im Anschluss werde ich die rechtliche Ordnung dieses Verhältnisses skizzieren. Schließlich möchte ich darlegen, welche konkreten Konsequenzen das für die Rolle der Kirche im Raum der Politik hat und davon berichten, wie die evangelische Kirche in der Tätigkeit des Bevollmächtigten der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union ihre Aufgaben im Raum der Politik wahrnimmt.
Theologische und rechtliche Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland
Die fünfte Barmer These steht unter dem biblischen Leitwort „Fürchtet Gott, ehrt den König.“ (1. Petr 2, 17) Im Anschluss daran heißt es: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt. - Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“
Zweierlei ist mir daran besonders wichtig. Die fünfte Barmer These beschreibt präzise die Aufgabe des Staates: Er hat nach göttlicher Anordnung für Recht und Frieden zu sorgen. Wie wichtig es ist, dass der Staat diese Aufgabe erfüllt, muss angesichts von Unrecht und Gewalt in vielen Staaten der Erde kaum weiter entfaltet werden – denken Sie an Syrien, den Sudan den Süd-Sudan, Nigeria oder den Irak und die in diesen Ländern stattfindende unsägliche Gewalt, die uns heute in Europa mit neuer Dringlichkeit in die Verantwortung für die Opfer zwingt. Funktionierende Rechtsstaaten hingegen wie etwa die Bundesrepublik Deutschland und ihre europäischen Nachbarn sind ein nicht zu unterschätzender Beitrag für den Frieden im jeweiligen Land und in der ganzen Welt.
Weil sie in der Anordnung Gottes eine Wohltat erkennt, unterstützt die Kirche den Staat bei seiner Aufgabe, für Recht und Frieden zu sorgen. Sie tut dies nicht von oben herab, denn - so macht die fünfte Barmer These zu Recht deutlich – auch die Kirche steht in der noch nicht erlösten Welt, hat also keine „höheren“ Einsichten in das politisch Gebotene. Die Kirche unterstützt den Staat zunächst dadurch, dass sie die Politikerinnen und Politiker, die Lebenszeit und Lebenskraft in die Gestaltung des Gemeinwesens investieren, solidarisch begleitet. Diese Begleitung geschieht zuerst durch das Gebet: Seit jeher ist das Gebet „für die Obrigkeit“ Bestandteil des allgemeinen Kirchengebets im sonntäglichen Gottesdienst.
Die Solidarität mit und das Gebet für die politisch Verantwortlichen – und das ist der zweite Punkt - bedeuten nun aber nicht, dass die Kirche ihnen nach dem Mund zu reden hätte. Sie darf es nicht, denn für den Staat gilt wie für alle anderen Bereiche unseres Lebens, was die zweite Barmer These so formuliert: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben.“ Für den politischen Bereich folgert Barmen V: „Sie (die Kirche) erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Die Solidarität der Kirche mit den politisch Verantwortlichen ist also eine kritische. Dabei kommt es darauf an, mögliche Kritik stets als theologisch begründete Kritik laut werden zu lassen. Bei jeder politischen Einlassung der Kirche muss erkennbar sein, warum sie sich durch das Zeugnis der Schrift verpflichtet sieht, gerade hier und gerade jetzt und gerade so Stellung zu nehmen.
Es hat lange gedauert, bis die evangelische Kirche sich zu einer offiziellen Anerkennung und Unterstützung der Demokratie durchringen konnte. Heute leitet sich die Motivation der christlichen Kirchen, Politik kritisch zu begleiten und das Gemeinwesen mit zu gestalten aber auch aus dieser grundsätzlichen Zustimmung zu unserem Rechtsstaat ab. In der Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ veröffentlichte die EKD 1985 erstmals die Überzeugung, dass eine demokratische Verfassung auf der Grundlage einer klaren Unterscheidung von Staat und Religion am ehesten in der Lage ist, der Menschenwürde zu entsprechen. . Tatsächlich gibt es eine deutliche Entsprechung zwischen Art. 1 des Grundgesetzes, der die unantastbare Würde des Menschen feststellt, und dem biblischen Menschenbild, wie es etwa im ersten Schöpfungsbericht oder in Psalm 8 zum Ausdruck kommt. Ganz im Sinne von Barmen V haben es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Ratsvorsitzende der EKD in dem Sozialwort der Kirchen von 1997 als zentrales Anliegen der Kirchen bezeichnet, „zu einer Verständigung über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Staat und Gesellschaft beizutragen“ .
Die christlichen Kirchen in Deutschland sind fern davon, „sich über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde anzueignen und damit selbst zu einem Organ des Staates zu werden“. Es kann auch nicht unser Ziel sein, „Staatskirche“ werden zu wollen. Ein wie auch immer religiös gebundener Staat muss mindestens dazu neigen, eine Religion gegenüber anderen in seinem Staatsgebiet zu bevorzugen. Die Diskriminierung oder Unterdrückung von Menschen aufgrund ihres Glaubens gehört heute mehr denn je in vielen Regionen der Welt zur politischen – und oft kaum noch erträglichen – Realität. Nach christlicher Auffassung kann nur der religiös neutrale Staat die volle Religionsfreiheit verfassungsrechtlich garantieren.
Damit bin ich bei den rechtlichen Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche, die m. E. die theologische Verhältnisbestimmung aus Barmen V sachgemäß abbilden. Mit den Religionsbestimmungen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 entstand ein Regelwerk, das drei Grundsätzen folgte: Religionsfreiheit, weltanschauliche Neutralität des Staates, Selbstbestimmung aller Religionsgemein-schaften. Dieses Regelwerk sollte die Freiheit und Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber dem säkularen Staat garantieren. Es schrieb eine Trennung von Kirche und Staat fest, allerdings nicht in der Weise des Laizismus, der alles Religiöse im Privatbereich verortet sehen will. Die Weimarer Reichsverfassung und ihr folgend das Grundgesetz beschreiben vielmehr – so der Staatsrechtler Hans Michael Heinig - eine „freiheitsdienende Offenheit des Staates für die Religionen seiner Bürger“ . Das Bundesverfassungsgericht nennt die Neutralität des Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften eine „fördernde“; ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Es besteht ein souveränes partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Kirche.
Die Rechte, die die beiden großen Kirchen in Anspruch nehmen, sind keine Privilegien, die anderen nicht zustünden. Sie leiten sich aus dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ab, der unter bestimmten Voraussetzungen allen Religionsgemeinschaften sowie nicht-religiösen Weltanschauungsgemeinschaften zuerkannt werden kann. Das ergibt sich aus Artikel 137 der Weimarer Reichsver-fassung in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes. Schon heute sind beispielsweise die Zeugen Jehovas und die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Am klarsten spiegelt sich unser auf Kooperation ausgerichtetes Staatskirchenrecht in den Verträgen zwischen staatlichen Körper-schaften des Bundes und der Länder mit den Kirchen wider. Sie bringen schon durch ihre Form zum Ausdruck, dass Staat und Kirche getrennt und doch aufeinander bezogen sind. Der heute in Nordrhein-Westfalen gültige Vertrag mit der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche gilt seit dem 1. Januar 1985. Die in den Länderverträgen ausgestalteten Regeln orientieren sich vielfach am Grundgesetz, gehen aber auch darüber hinaus: Sie erstrecken sich zum Beispiel auf den Bereich der Hochschulen, der Friedhöfe, der Denkmalpflege und des Rundfunks - oft ist die ganze Bandbreite des staatlich-kirchlichen Zusammenwirkens daran abzulesen.
Die grundlegenden „Schnittstellen“, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat charakterisieren, finden sich indes im Grundgesetz. Die meisten von Ihnen werden mit diesen „Schnittstellen“ – oft werden sie auch „gemeinsame Angelegenheiten“ oder „res mixtae“ genannt - auf die eine oder andere Weise in Berührung gekommen sein. Darunter fallen beispielsweise der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, die Kirchensteuer, die Seelsorge in der Bundeswehr, in Krankenhäusern und Gefängnissen.
Ich beginne mit dem Religionsunterricht. Er ist eine Konsequenz der durch das Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit und auf partnerschaftliche Zusammenarbeit ausgerichtet. Art. 7 GG schreibt fest, dass der Staat das Aufsichtsrecht wahrnimmt, während die Religionsgemeinschaften den Unterricht in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Grundsätzen inhaltlich verantworten. Der Religionsunterricht soll der freien religiösen und ethischen Orientierung von Kindern und Jugendlichen dienen. Das gilt auch für muslimischen Religionsunterricht, dessen Einrichtung die EKD bejaht.
Häufig in der Kritik ist ein weiterer grundgesetzlich festgeschriebener „Berührungspunkt“ zwischen Kirche und Staat: die Kirchen-steuer. Der Begriff „Steuer“ steht zwar im Grundgesetz, ist aber missverständlich. Bei der Kirchensteuer geht es nämlich nicht um eine staatliche Steuer, sondern im Kern um einen Mitgliedsbeitrag der Kirchen. Der oder die Kirchensteuerpflichtige kann sich durch Kirchenaustritt der Steuerpflicht entledigen, was gegenüber dem Staat undenkbar wäre. Die Kirchen können aber – ebenso wie alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts haben – den Kirchensteuereinzug auf den Staat übertragen. Was die wenigsten Kritiker dieser Kooperation wissen, ist, dass davon beide Seiten in erheblichem Maße profitieren: Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sparen sich den Aufbau einer diesbezüglichen Finanz-Verwaltungsstruktur. Der Staat wiederum lässt sich seine Hilfe mehr als kostendeckend bezahlen, denn er behält 2 bis 4 Prozent der Kirchensteuer ein.
Wenn im Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat von Finanzen die Rede ist, fällt auch schnell der Begriff der „Staatsleistungen“. Dabei handelt es sich, wie Sie vermutlich wissen, um Schadenersatzleistungen des Staates an die Kirchen. Der Grund dafür liegt über zweihundert Jahre zurück: Damals wurden kirchliche Güter, deren Erträge die Kirchen zur Erfüllung ihres Auftrages benötigten, vom Staat entschädigungslos enteignet. Diesen Schaden ersetzt der Staat bis zum heutigen Tag, indem er die entgangenen Erträge regelmäßig erstattet. Die Weimarer Reichsverfassung sah und das Grundgesetz sieht die Ablösung der Staatsleistungen vor. Unsere Juristen gehen davon aus, dass in Artikel 138 WRV (also 140 GG) mit „Ablösen“ nicht „entschädigungsloses Enteignen“ gemeint ist. Daraus folgt der Anspruch, dass eine Ablösung – der sich die EKD grundsätzlich keinesfalls versperrt! – zu rechtsstaatlichen, fairen Bedingungen erfolgen sollte. „Fair“ heißt in diesem Zusammenhang, dass die Kirchen, die die laufenden Staatsleistungen in ihren Haushalten eingeplant haben, einen Ersatz erhalten, aus dem sie langfristig wirtschaftlichen Nutzen ziehen können.
Innerhalb der Kirche immer wieder umstritten war und ist die enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche in der Militärseelsorge. Nachdem ich in diesem Bereich fast sechs Jahre lang gearbeitet habe – bis Juli 2014 war ich im Nebenamt Militärbischof – bin ich davon überzeugt, dass die Kooperation zweckmäßig und theologisch verantwortet gestaltet ist. Rechtsgrundlage für die Seelsorge in der Bundeswehr ist der Militärseelsorgevertrag von 1957. Darin vereinbaren die Bundesrepublik Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland, dass die Militärseelsorge im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche geschieht, der Staat aber für den organisatorischen Aufbau sorgt und die Kosten trägt. Letzteres geschieht, weil der Staat jedem Bürger und jeder Bürgerin die grundgesetzlich garantierte freie Religionsausübung ermöglichen muss. Da der Staat diese Möglichkeit einschränkt, indem er Soldatinnen und Soldaten kaserniert, ins Manöver schickt oder zu monatelangen Auslandseinsätzen verpflichtet, muss er für Ersatz sorgen. Das muss er übrigens nicht nur bei Soldaten sondern auch, wenn er Menschen zu Haftstrafen verurteilt. Deshalb werden auch die Kosten für Gefängnispfarrstellen vom Staat refinanziert. Da Militärpfarrerinnen und –pfarrer in einem hoch sensiblen Sicherheitsbereich arbeiten, werden sie von ihren Landeskirchen beurlaubt und in das Dienstverhältnis von Bundesbeamten auf Zeit berufen. Diese starke Beteiligung des Staates an einem kirchlichen Dienst hat in den Kirchen immer wieder Kritik hervorgerufen. Die letzte größere Diskussion gab es, als die östlichen Gliedkirchen der EKD entscheiden mussten, ob sie den Militärseelsorgevertrag übernehmen. Die Kritiker befürchten, dass es in der Rechtskonstruktion des Militärseelsorgevertrages Pfarrerinnen und Pfarrern nur schwer möglich sei, frei das Evangelium zu verkündigen und dabei, wenn erforderlich, auch kritische Töne anzuschlagen. Ich halte diese Befürchtung für unbegründet. Zum einen sind deutsche Militärpfarrer anders als fast alle anderen Militärpfarrer auf der Welt Zivilisten. Sie sind nicht in die militärische Hierarchie eingebunden, haben keinen Dienstgrad und haben folglich gleichen Abstand zu allen Soldaten vom Schützen bis zum Generalinspekteur. Diese Sonderrolle in den Streitkräften wird von den Verantwortlichen der Bundeswehr nicht nur respektiert sondern ausdrücklich gewünscht. Zum andern ist es die Kirche, die Ziele und Inhalte der Militärseelsorge vorgibt; verantwortlich dafür ist der Militärbischof, der in keinerlei Dienstverhältnis zum Staat steht und allein dem Rat der EKD verantwortlich ist. Der Militärbischof trägt außerdem die letzte Verantwortung für die Personalauswahl, und ohne seine Zustimmung kann kein Militärpfarrer befördert, versetzt oder vorzeitig aus dem Dienst entlassen werden. Und schließlich: Alle Ämter in der Militärseelsorge einschließlich der Leitungsämter werden auf Zeit vergeben, um durch permanenten Wechsel die Haltung der kritischen Solidarität der Kirche zur Bundeswehr zu bewahren. Es versteht sich von selbst, dass der gesetzliche Rahmen immer neu mit Leben gefüllt und das Verhältnis von Kirche und Staat auch in diesem Bereich immer neu austariert werden muss. Meine Erfahrung sagt, dass das gut gelingt.
Zu den im Grundgesetz genannten gemeinsamen Angelegenheiten, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ausmachen, gehört nicht zuletzt der verfassungsmäßige Schutz christlicher Feiertage. Wie Sie wissen, haben wir evangelischerseits intensiv für einen Feiertag geworben, der nicht grundsätzlich unter diesen Schutz fällt: Der Reformationstag, bisher nur in den östlichen Bundesländern, nicht aber in Berlin und im alten Bundesgebiet gesetzlich geschützt, wird angesichts seines 500. Jubiläums im kommenden Jahr einmalig ein bundesweiter Feiertag werden. Die große Bereitschaft vieler politischer Akteure in Bund und Ländern, dem Wunsch unserer Kirche nachzukommen, ist ein deutliches Indiz dafür, dass das Miteinander von Kirche und Staat auch von Seiten der Politik als ein gutes geschätzt und unterstützt wird.
Die Rolle der Kirche im politischen Raum
Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass das Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik von seinen gesetzlichen Grundlagen her auf eine Trennung und zugleich auf ein partnerschaftliches Miteinander ausgelegt ist, das dem Geist der Barmer Theologischen Erklärung entspricht. Dieses souveräne Miteinander fußt auf der „fördernden“ Neutralität des Staates, die allen Religionsgemein-schaften gilt, und somit jegliche Tendenzen der Implementierung einer „Staatskirche“ ausschließt. Gleichzeitig ist die gute Kooperation von Staat und Kirche im Politischen und Gesellschaftlichen nur möglich, weil auch das umgekehrte Extrem, der Laizismus etwa französischer Prägung, in unserem Land glücklicherweise nicht Platz greift.
Wie kann und soll die Kirche auf dieser Grundlage ihre Aufgabe im politischen Raum erfüllen? Dass sie dort eine Aufgabe hat, ist klar. In der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber hat einmal sehr treffend formuliert: „Mit jeder Religion verbindet sich ein umfassender Anspruch. Es gibt keine Religion, die ohne Konsequenzen für die Lebensführung bleibt. Insofern hat jede Religion auch eine politische Dimension. Sie betrifft nicht nur das private, sondern auch das öffentliche Leben.“ Religion ist also zwar eine höchst persönliche Angelegenheit, aber keine Privatsache.
Die Kirchen melden sich dementsprechend zu Wort, in vielen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Sie tun dies ungefragt, werden aber auch nicht selten gebeten, sich mit ihrer Expertise in gesellschaftliche und politische Prozesse einzubringen. So haben Vertreter der EKD ihren Platz beispielsweise im Rundfunkrat öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten oder im Deutschen Ethikrat; der Vorsitzende des Rates der EKD wurde als Mitglied des Beirats für die Beratungen über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) geladen, der hannoversche Landesbischof Ralf Meister ist in die Expertenkommission, die die Suche nach einem Atommüll-Endlager vorbereitet, berufen und einer meiner Mitarbeiter arbeitet in einer Untergruppe der Islamkonferenz beim Bundesminister des Innern mit. Die Liste der Beispiele lässt sich mühelos verlängern.
Solche ausdrücklich gewünschten Kooperationen zeigen, wie selbstverständlich die Beteiligung der Kirchen an politischen Prozessen für den Staat ist. Neben diesen strukturell oder punktuell erwünschten Beteiligungsformen äußert sich die EKD in aktuellen Debatten natürlich auch immer wieder anlassbezogen. Auch diese Stellungnahmen werden gehört, mögen sie auch nicht in allen Fällen willkommen sein. Insgesamt ist die Vielfalt der protestantischen Meinungsäußerungen bekanntermaßen ausgeprägter als bei unseren katholischen Geschwistern. Im Blick auf den offiziellen Kontakt der EKD zu den politischen Akteuren in Berlin und in Brüssel bemühen wir uns nach Kräften, diese Vielfalt zu bündeln und mit einer Stimme zu sprechen. Hier kommt meine Rolle als Bevollmächtigter des Rates ins Spiel.
Der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
Das Amt des Bevollmächtigten ist eine unmittelbare Konsequenz aus der in der Barmer Theologischen Erklärung kritisierten Nähe der Kirche zu den Mächtigen der NS-Zeit und deren Ideologie. Wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland beschloss der Rat der EKD im November 1949, ein entsprechendes Amt am Sitz der Bundesregierung – das war damals noch Bonn - zu schaffen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen im NS-Staat und im Bewusstsein der Fehler und Abgründe der eigenen Geschichte ging es den Verantwortlichen in der EKD auch darum, die kirchliche Mitverantwortung für die öffentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens intensiver wahrzunehmen.
Eine ähnliche Verbindungsstelle für den Kontakt zu den Organen der Deutschen Demokratischen Republik wurde zunächst auch in Ostberlin eingerichtet. Die zunehmenden Spannungen zwischen SED-Regierung und Kirchen und die Tatsache, dass die Führung der DDR eine Abtrennung der evangelischen Landeskirchen auf ihrem Gebiet von der EKD anstrebte, führten dazu, dass dem dortigen Bevollmächtigten, Propst D. Heinrich Grüber, im Jahr 1958 staatlicherseits das Agreement entzogen wurde. Damit endete die Tätigkeit eines Bevollmächtigten in der DDR.
Angesichts des immer größer werdenden Einflusses der legislativen und administrativen Tätigkeit von Institutionen auf europäischer Ebene auf die deutsche Gesetzgebung entschloss sich der Rat der EKD, eine Vertretung auch in Brüssel einzurichten. So wurde im Jahr 1990 das EKD-Büro Brüssel als Außenstelle des Bevollmächtigten des Rates eingerichtet.Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin im Jahr 1999 verlegte auch der Bevollmächtigte seinen Dienstsitz in die Bundeshauptstadt.
Die Dienststelle des Bevollmächtigten ist heute eine etablierte Scharnierstelle zwischen Kirche und Bundes- bzw. Europapolitik. Der Bevollmächtigte ist zuständig für die politische Information des Rates und die politische Kommunikation der EKD; damit ist er an einer Vielzahl gesellschaftlicher Diskussionen beteiligt.
Seit Oktober 2013 habe ich dieses Amt inne. Mein Dienstsitz in Berlin befindet sich im Bezirk Mitte am Gendarmenmarkt, in Brüssel hat die Dienststelle ein Büro in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Europäischen Kommission. Die mir gestellte Kommunikations-aufgabe erfülle ich gemeinsam mit einem kleinen Stab aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die meisten Theologen oder Juristen.
Sehr eng und vertrauensvoll arbeiten wir mit unseren katholischen Kollegen des Kommissariats der Deutschen Bischöfe in Berlin unter Leitung von Prälat Dr. Karl Jüsten zusammen. Die Erfahrung hat gezeigt: Je enger der ökumenische Schulterschluss im politischen Raum, desto größer unsere Aussichten auf Erfolg.
Die Tätigkeit der Dienststelle des Bevollmächtigten lässt sich in drei Felder gliedern
1. Kirche in Berlin und Brüssel
Zuerst und vor allem ist es unsere Aufgabe, Kirche für die in Berlin tätigen Politikerinnen und Politiker zu sein. Dazu gehört die Feier von Gottesdiensten. In den Sitzungswochen des Bundestages werden zweimal wöchentlich Andachten angeboten. Sie finden im Andachtsraum des Reichstagsgebäudes statt und werden im Wechsel von Prälat Jüsten, Mitarbeitenden meiner Dienststelle – natürlich auch von mir – und von Abgeordneten gestaltet. Nicht wenige Abgeordnete sind Diakone oder Prädikantinnen.
Von den politischen Büros der Kirchen werden ferner die ökumenischen Gottesdienste verantwortet, die vor dem Beginn offizieller Staatsakte wie zum Beispiel bei der Konstituierung des Bundestages oder bei der Wahl des Bundespräsidenten gefeiert werden. Diese Angebote sind lebendige Berührungspunkte im Staat-Kirche-Verhältnis, und sie zeigen, dass den Kirchen und ihrem Auftrag, das Evangelium zu verkünden, (noch immer) auch im politischen Raum eine besondere Bedeutung eingeräumt wird. Wichtig ist dabei: Dieser Auftrag kommt den Kirchen ganz im Sinne von Barmen V als vom Staat unabhängige, Politik und Staat stützende Kraft zu. Das gilt auch für die Dank- und Segensgottesdienste, die seit 2009 zum Abschluss einer Legislaturperiode im Bundestag gefeiert werden oder den jährlichen Sendungsgottesdienst für die ausreisenden Diplomaten.
Zur Präsenz von Kirche im politischen Berlin gehört sodann die Gemeinschaft. Regelmäßig laden wir die evangelischen, aber auch die nicht konfessionell gebundenen Parlamentarier zum Frühstück in unsere Dienststelle ein, und zu Beginn der Legislaturperiode kamen nicht wenige neue Abgeordnete zum Abendessen in unser Haus am Gendarmenmarkt. Immer gibt es zu Beginn eine Andacht, im Verlauf der Veranstaltung einen thematischen Impuls und im Übrigen viel Zeit zum Gespräch und zum persönlichen Austausch. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang der jährliche Johannesempfang für Repräsentanten aus Gesellschaft, Kirche und Staat, den der Bevollmächtigte ausrichtet.
Zu den Aufgabenfeldern von Kirche im politischen Berlin gehört selbstverständlich auch die Seelsorge. Sie geschieht wie in jeder Kirchengemeinde manchmal geplant zu einem verabredeten Termin, sehr häufig aber ungeplant bei Begegnungen aus einem anderen Anlass.
2. Engagement für die Schwachen
„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ (Sprüche 31,8). Dieser Bibelvers steht über meinem Dienst und dem meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn die Kirche sich an politischen und gesellschaftlichen Debatten beteiligt, dann geht es dabei überwiegend um jene Menschen, deren Stimme im politischen Raum gar nicht oder nur schwach zu vernehmen ist. Wir erinnern dabei – auf ganz säkularen Wegen – „an Gottes Gebot und Gerechtigkeit (und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten)“, so wie es uns die Väter der Bekennenden Kirche aufgetragen haben.
Von Journalisten werde ich oft gefragt, wie meine Mitarbeiter und ich „unsere“ Themen in die politischen Diskurse einbringen. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein weites Feld. Es reicht von persönlichen Gesprächen mit politischen Akteuren auf allen Ebenen, von Briefen und schriftlichen Stellungnahmen, von der Teilnahme an Anhörungen und Fachgesprächen im Bundestag und in den Fraktionen bis hin zur Veranstaltung des „Treffpunkt Gendarmenmarkt“, eines Diskussionsforums in unserer Dienststelle. Mit Vertretern welcher Parteien wir Kontakt aufnehmen, wen wir unterstützen und wen wir kritisieren, hängt natürlich vom jeweiligen Thema ab. Grundsätzlich hält der Bevollmächtigte Kontakt mit allen im Bundestag vertretenen Parteien.
Soweit die Theorie - nun aber zu einigen konkreten inhaltlichen Beispielen: Sie ahnen sicher, welches Thema unsere Dienststellen in Berlin und auch in Brüssel gerade am nachdrücklichsten in Atem hält. Zwar hat die Zahl der in Deutschland einreisenden Menschen in den letzten Wochen stark abgenommen , dennoch kommt dem Thema Flüchtlings- und Migrationspolitik im Augenblick und auch perspektivisch eine besondere Dringlichkeit zu. Ich komme gerade von der Sitzung des Rates aus Brüssel, bei der wir uns nicht nur, aber auch mit der europäischen Flüchtlingspolitik befasst haben. Mit großer Sorge nehmen wir wahr, dass die Frage des fairen und solidarischen Umgangs mit Schutzsuchenden eine solche Sprengkraft entfaltet, dass der Zusammenhalt der Europäischen Union gefährdet scheint. Das Thema hat selbstverständlich aber auch eine nationale Dimension. Lassen Sie mich Ihnen kurz darstellen, was wir von den letzten Entwicklungen auf europäischer und deutscher Ebene halten:
Zunächst zu Europa: die EU hat am 18. März - als sie sich mit der Türkei auf ein Abkommen zu Flüchtlingen einigte - eine einschneidende Entscheidung getroffen. Das Abkommen soll die illegale Migration aus der Türkei in die EU beenden.
Der EU-Türkei-Pakt trat am 4. April 2016 in Kraft und sieht vor, dass jeder ab dem 20. März 2016 aus der Türkei auf den griechischen Inseln ankommende Migrant, der entweder keinen Asylantrag stellt oder dessen Antrag auf Asyl abgelehnt worden ist, in die Türkei zurückgebracht wird. Befinden sich unter den zurückgeführten Personen Syrer, wird für diese Personen anderen Syrern die Einreise aus der Türkei in die EU erlaubt. Allerdings gilt diese Verpflichtung nur bis zu einer Anzahl von 72.000 Personen.
Bislang wurden rund 202 Migranten per Schiff in die Türkei abgeschoben, darunter befanden sich zwei Syrer. Im Gegenzug durften
32 Syrer nach Deutschland und elf Syrer nach Finnland einreisen. Auch wenn also noch eine sehr geringe Zahl von Personen betroffen sind: Die Abmachung ist dennoch eine historische Entscheidung, die die Gefahr in sich birgt, das individuelle Recht auf Asyl auszuhebeln. Bisher hatten Menschen, die europäischen Boden betraten, das Recht, hier auch ein Asylverfahren zu erhalten. Nun können Personen zurückgewiesen werden, wenn ihr Asylantrag unzulässig ist – das bedeutet: ohne dass man materiell geprüft hat, ob Asylgründe vorliegen. Das Abkommen bezieht sich dabei auf zwei mögliche Fälle: Unzulässig ist ein Antrag, wenn die Person aus einem „sicheren Drittstaat“ oder aber aus einem „ersten Asylland“ kommt. Zu beidem scheint Griechenland die Türkei erklären zu wollen.
Dies lehnt die EKD entschieden ab: Ein sicherer Drittstaat ist ein Land nur dann, wenn dem Zurückgeführten dort keine Verfolgung und vor allem keine Rückführung in sein Herkunftsland drohen. Menschenrechtsorganisationen haben jedoch schon Fälle von Syrern und Irakern dokumentiert, die aus der Türkei in ihr Herkunftsland abgeschoben wurden.
Auch ein „erstes Asylland“ ist die Türkei für die meisten Schutzsuchenden nicht. Denn in der Türkei werden wegen eines so genannten geographischen Vorbehalts gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention nur europäische Flüchtlinge anerkannt. Für alle anderen ist der UNHCR zuständig – sie werden dann im Wege von Neuansiedelungsprogrammen an aufnahmewillige Staaten weitervermittelt.
Ganz abgesehen von diesen rechtlichen Bedenken sind wir auch sehr skeptisch, was die Durchführung von Asylverfahren in Griechenland anbelangt. Seit vielen Jahren haben die Verfahren dort einen so schlechten Standard und die Unterbringungssituation für Asylbewerber ist so katastrophal, dass andere Staaten von Rücküberstellungen dorthin nach der so genannten Dublin Regelung – also der innereuropäischen Zuständigkeitsregelung für die Durchführung von Asylverfahren –abgesehen haben.
Sie sehen: Auch wenn viele Menschen wegen der rückläufigen Zahl von ankommenden Asylbewerbern erleichtert sein mögen: Wir sind in Sorge, dass die nun getroffene Vereinbarung Menschen in Not lebenswichtige Hilfe versagt und sie der Gefahr aussetzt, wieder in das Kriegsgebiet, aus dem sie kommen, zurückkehren zu müssen. Wir werden die Verfahren in Griechenland und die Situation in der Türkei in den nächsten Wochen und Monaten genau beobachten.
Lassen Sie mich zur Situation in Deutschland kommen:
Angesichts der großen Zahl an Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, und der damit verbundenen Überlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat die Bundesregierung verständlicherweise nach Wegen gesucht, die Dauer von Asylverfahren relevant zu senken. Eine Beschleunigung von Verfahren begrüßt die Evangelische Kirche ausdrücklich. Es ist ohne Zweifel gut und notwendig, das Bundesamt, die Länder und Kommunen zu entlasten.
Wir verschweigen aber nicht, dass wir mit einigen Maßnahmen, die im Zuge des „Gesetzes zur Einführung beschleunigter Verfahren“ – dem so genannten Asylpaket II - getroffen wurden, nicht einverstanden sind. Das haben meine Mitarbeiter und ich in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des Innenministeriums, mit Abgeordneten und Pressevertretern deutlich gemacht; wir tun dies im Übrigen in Kooperation und völliger Übereinstimmung mit unseren katholischen Kollegen.
Die Kritik der Kirchen galt beispielsweise der Einführung von Verfahren in gesonderten Einrichtungen für Personen, denen man Missbrauch unterstellte. Dazu gehören auch alleAsylbewerber, die einen Folgeantrag stellen – also auch Personen, die zum christlichen Glauben übergetreten sind. Wir haben uns auch gegen die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten gewandt. Wir bemühen uns seit Jahren gegenüber dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt, dass die rechtlichen und tatsächlichen Hürden für Familien behoben werden. Familie ist aus christlicher Sicht der Raum, in dem Vertrauen wächst und Verantwortung füreinander übernommen wird. Ein Mensch, der in Sorge um seine Angehörigen leben muss, wird sich hier nicht integrieren können.
Diese und andere Bedenken haben wir in einer ökumenischen Stellungnahme Ende Februar zum damaligen Entwurf des Gesetzes deutlich gemacht.
Wie Sie wissen, ist das Asylpaket II inzwischen beschlossen. Die Liste der Aufgaben, die wir im Blick auf das Flüchtlingsthema haben, wird trotzdem nicht kürzer. Unmittelbar bevor steht die Einstufung dreier weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten: Tunesien, Algerien und Marokko. Dagegen haben sich die Kirchen mit Verweis der Situation von Minderheiten, gerade auch der christlichen Minderheit in den genannten Ländern, gewandt.
Außerdem wird die Bundesregierung noch vor der Sommerpause ein Integrationsgesetz einbringen.
Ein weiteres aktuelles Thema, in dem wir uns anwaltschaftlich zu Wort melden, ist das eben schon erwähnte transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. In Vertretung des Ratsvorsitzenden und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz nehmen Prälat Karl Jüsten und ich an den Sitzungen des von Wirtschaftsminister Gabriel berufenen Beirats teil. Dort sind wir natürlich nicht die einzigen Berater – aber wir sind die einzigen, die auf die möglichen problematischen Auswirkungen des Abkommens auf den Handel mit dem globalen Süden hingewiesen haben. Durch TTIP wird es zu Handelsumlenkungseffekten kommen. Das bedeutet, dass Entwicklungs- und Schwellenländer bestimmte Produkte nicht mehr wie bisher in die USA bzw. die EU einführen dürfen. TTIP-Befürworter sehen diese Verluste dadurch kompensiert, dass der Wohlstandsgewinn im Geltungsbereich von TTIP zu einer erhöhten Nachfrage auch nach Produkten aus Entwicklungs- und Schwellenländern führen wird. Die Kirchen sind da sehr skeptisch. Auch haben wir kritisiert, dass die TTIP-Verhandlungen unter Ausschluss der Entwicklungs- und Schwellenländer stattfinden, obwohl diese von dem Freihandelsabkommen massiv betroffen sein werden. Im Unterschied etwa zu „Brot für die Welt“ fordert die EKD jedoch nicht den sofortigen Abbruch der Verhandlungen sondern deutliche Modifikationen.
Ein weiterer Gegenstand der aktuellen gesellschaftlichen Debatte war in den vergangenen Monaten die Beihilfe zur Selbsttötung. Hier tritt der Rat der EKD schon seit längerem unmissverständlich dafür ein, jede Form der organisierten Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Darüber hinaus sollte der Gesetzgeber keine gesetzlichen Regelungen treffen. Wir haben es begrüßt, dass bei der Abstimmung der Gesetzesentwürfe im Bundestag der Fraktionszwang aufgehoben war, und wir haben es ebenfalls begrüßt, dass diese Abstimmung erst nach einer langen Phase der Beratung erfolgt ist. Mit dem Abstimmungsergebnis vom November letzten Jahres sind wir sehr zufrieden. Allerdings sollten wir nicht meinen, dass die gesellschaftliche Debatte damit zu Ende wäre. Wichtig bleibt nun, den Ausbau der palliativen Versorgung Sterbender weiter zu betreiben. Außerdem hat die Debatte gezeigt, dass es notwendig ist, die Bevölkerung umfassend darüber zu informieren, was in Deutschland schon jetzt am Lebensende medizinisch, rechtlich und ethisch möglich ist. Das ist nämlich nicht wenig.
Als letztes Beispiel für unser Engagement zugunsten der Schwachen nenne ich die kurz vor dem Abschluss stehenden Beratungen über ein Hilfesystem für Menschen, die Leid und Unrecht in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der stationären Psychiatrie erlitten haben. Wie Sie vielleicht wissen, haben Bund, Länder und Kirchen vor einigen Jahren auf Empfehlungen des sogenannten „Runden Tisches Heimerziehung“ ein Hilfesystem für Opfer von Gewalt und Missbrauch in Kinder- und Jugendheimen in den fünfziger und sechziger Jahren errichtet.
Ausgenommen von diesen Hilfsleistungen sind jedoch Menschen, die nicht in Kinder- und Jugendheimen, sondern in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie gelebt haben. Beide großen Kirchen haben dies von Anfang an kritisiert, weil nicht nachvoll-ziehbar ist, dass eine Gruppe besonders hilfs- und schutzbedürftiger Menschen nicht von den Leistungen zugunsten der Opfer profitieren soll. Wir haben immer wieder gefordert, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
Über mehrere Jahre haben wir damit bei den staatlichen Stellen kein Gehör gefunden, ehe es im vergangenen Frühjahr ganz plötzlich zu einer Wende kam und die Chefs des Bundeskanzleramts und der Staatskanzleien der Länder die Arbeits- und Sozialministerien von Bund und Ländern anwiesen, kurzfristig ein Hilfssystem für die bisher ausgeschlossenen Opfer zu entwickeln. Die Verhandlungen hierzu erwiesen sich als nicht leicht, weil auf einmal extremer Zeitdruck erzeugt wurde und die Kosten für die Träger des Hilfesystems beträchtlich sein werden. Wir Kirchen halten uns aber zugute, dass man ohne unser beharrliches Drängen gar nicht erst so weit gekommen wäre.
Ich komme jetzt zum dritten Aufgabenbereich unserer Dienstelle, der
3. Vertretung kirchlicher Interessen
Schließlich vertritt die Dienststelle des Bevollmächtigten die Interessen der Institution Kirche, doch ist dies der geringste Teil
unserer Arbeit.
Ein „Dauerbrenner“ unserer Lobbyarbeit sind, Sie ahnen es, die kirchlichen Finanzen. Immer wieder wird Kritik an den vermeintlichen Privilegien und Reichtümern der Kirche laut. Um den gängigen und immer wieder auch im politischen Raum geäußerten Vorurteilen etwas entgegen zu setzen, habe ich gemeinsam mit dem Kirchenamt der EKD den Flyer „Die evangelische Kirche und das Geld“ erstellt. Darin werden auf - wie ich finde - sehr anschauliche und prägnante Weise Antworten auf die prominentesten Irrtümer hinsichtlich der kirchlichen Finanzen gegeben. Aus gegebenem Anlass hat das Kirchenamt der EKD wenig später eine ähnliche Broschüre zum Thema „Kapitalerträge und Kirchensteuer“ veröffentlicht. Sie macht deutlich, dass mit dem neuen Verfahren des Einzugs der Kirchensteuer auf Kapitalerträge keine neuen oder zusätzlichen Abgaben verbunden sind. Beide Flyer haben wir allen Abgeordneten des Bundestages zukommen lassen, und auch Sie sind herzlich eingeladen, sich nachher hier zu bedienen.
Ich komme zum Schluss: Was die Verfasser der Barmer Theologischen Erklärung in These V so präzise in Worte gefasst haben, ist bis heute gültig. Die Rolle der Kirchen im politischen Raum ist dort klar beschrieben. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich versuchen täglich neu, diese Rolle gut auszufüllen
.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.