Predigt zum 2. Advent in der Friedenskirche zu Duisburg-Hamborn (Lukas 21, 25-28)
08. Dezember 2002
Liebe Zuschauer zu Hause,
liebe Gemeinde in Duisburg,
verehrte Gäste!
Das ist eindrücklich! - Bei der Feier unseres evangelischen Gottesdienstes sind Menschen anwesend, die unseren Glauben nicht teilen, aber dennoch Gäste sein können, wenn wir unseren Glauben bekennen, wenn wir beten und Jesus Christus preisen.
Es sind Gäste, denen ihr eigener Glaube wichtig ist, und die wissen, dass wir evangelische Christen ihren Glauben nicht teilen. Dabei gibt es auch zwischen unseren Gästen – den Juden und den Muslimen– keine Gemeinschaft des Glaubens. Auch unser Verhältnis gegenüber diesen beiden Religionen ist unterschiedlich. Das jüdische Bekenntnis haben wir gehört: "Höre, Israel, dein Gott ist einer". - Es steht in dem Teil der Heiligen Schrift, der Christen und Juden gemeinsam ist. Jesus selber hat dieses Bekenntnis gelernt und gesprochen.
Das muslimische Glaubenszeugnis ist uns fremd, weil wir glauben, dass nach der Offenbarung Jesu keine andere neue noch hinzukommen muss.
Trotzdem bekunden wir Achtung gegenüber denen, die in anderer Tradition aufgewachsen sind und unter uns leben.
Nichts wird hier vermischt miteinander, aber wir wollen einander kennen lernen, um uns der Wahrheit des eigenen Glaubens umso ernster versichern zu können.
Wir Christen sind überzeugt, dass Jesus Christus die Wirklichkeit Gottes und seine Liebe zu allen Menschen ist. Deshalb können wir auch die achten, die einer anderen Religion angehören.
Radikale und fanatische Kräfte spitzen die Unterschiede zwischen den Religionen zu, sie missbrauchen die Religion zur Rechtfertigung für gewaltsame Übergriffe.
Denen gegenüber müssen wir eine Achse des Friedens bilden. Wir müssen zeigen, dass unsere Unterschiede im Glauben uns nicht am Frieden hindern.
Das Evangelium für diesen Sonntag hilft uns dabei. Denn es will uns zeigen, dass unser Glaube, so fest wir auch an ihm hängen, offen ist für die Zukunft des Frieden und der Gerechtigkeit. Wir warten auf die Ankunft des göttlichen Retters.
So lasst uns hören auf das Evangelium für diesen 2. Adventssonntag. Es sagt uns an, was noch aussteht, damit wir uns angemessen auf Gottes Ankunft in Jesus Christus vorbereiten:
25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Die Verse aus dem 21. Kapitel des Lukasevangeliums beschreiben das Ende der Welt in erschütternden Bildern.
Apokalyptik nennt man die Weltanschauung, die solche Visionen vom Ende hervorbringt. Zur Zeit Jesu waren viele davon geprägt, Jesus selbst auch.
Die ersten Christengemeinden haben im Wirkungsfeld dieser Anschauung gelebt. Sie haben in den schlimmen Erscheinungen ihrer Zeit die sicheren Anzeichen dafür gesehen, dass der Anfang vom Ende bevorsteht.
Sie selber mussten unter Ungerechtigkeit und Verfolgungen leiden und sahen darin die Anzeichen eines Zusammenbruchs der Welt mit kosmischen Ausmaßen. Aber inmitten des Elends lebten sie in der Gewissheit, am Ende sei ihnen und der ganzen Welt Erlösung versprochen.
Auch heutige Welterfahrung spiegelt sich in den Sprachbildern der Apokalypse - sowohl die geschichtliche Erfahrung unserer Zeit, als auch manche persönlichen Krisenerlebnisse. Also: Ökologische Krisen, nationalistische Kriege, fundamentalistischer Terror, das Anwachsen von Hunger, Flucht und Vertreibung - und entsprechend die Katastrophen im persönlichen Leben: lebensbedrohliche Krankheiten, die Angst vorm Altern, Einsamkeit und die zahllosen Depressionen hinter all den glitzernden Fassaden.
Wie geht es weiter mit unserer Welt? Was wird aus mir und den Meinen? So fragen viele Menschen, und kommen mit solchen Gedanken und Sorgen auch in diese Kirche. Sie breiten alles, was sie bewegt und belastet, im Gebet vor Gott aus. Sie lassen sich tragen mit ihren Lasten von den Gebeten und Gesängen der Gemeinschaft, von dem Zuspruch Gottes, den sie in der Feier des Heiligen Mahles empfangen. Es ist ein großes Geschenk, wenn es solche Orte gibt. Ein größeres aber ist die Gewissheit, dass Gott diese Sorgen ernst nimmt, dass er sich um unsere Seelen sorgt.
Die befreiende Botschaft Jesu will bewahren vor dem Fieber des Fundamentalismus. Wer die Wahrheit als eine zeitlose Rechthaberei vertritt, neigt zur Verfolgung Andersdenkender. Wer alle zu Feinden der Wahrheit erklärt, die einer anderen Tradition verpflichtet sind, bereitet unbeugsamen Richtern und gewissenlosen Mördern den Weg.
Seelsorge war es, die den Evangelisten Lukas an die apokalyptischen Trostworte Jesu erinnern lässt. Ihn hat die Sorge umgetrieben, dass Menschen sich von der Angst überwältigen lassen, die durch Katastrophen, durch Verfolgungen und durch tiefgreifende Erschütterungen des Lebens ausgelöst werden. Lukas war auch besorgt, Menschen könnten immer wieder dem Fanatismus verfallen und Glaubensgewissheit mit Unduldsamkeit verwechseln. Jesus sagt: Fürchtet euch nicht, Gott ist der Eine und Einzige Herr der Welt. Lasst euch nicht von anderen Herren niederdrücken. Er regiert, darum lasst den Kopf nicht hängen!
Das Evangelium fasst das in einem Satz zusammen:
"Sehet auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht."
Seht auf und erhebt eure Häupter, lasst euch nicht beugen in eurer Hoffnung. Übt den aufrechten Gang! Schon Mose hatte sein Volk aufgerufen, an einen anderen Morgen zu glauben und an eine befreite Welt. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung in Ägypten sollten sie das Haupt erheben und der Zukunft entgegengehen, die Gott ihnen eröffnet hat.
Diese Botschaft hat Jesus ausgeweitet auf alle Völker. Die Ketten und Fesseln der Schuld, die Qualen der Ungerechtigkeit und der Tyrannei werden ein Ende haben.
Diese Botschaft tragen wir weiter – aufrecht, ohne Gefühle der Minderwertigkeit. So geht aufrecht! Ihr braucht den Spott der Welt nicht zu fürchten!
„Weil sich Eure Erlösung naht.“
Hinter der Wirklichkeit dieser Welt steht die Wirklichkeit Gottes.
Ich wünsche uns allen die Augen der Propheten, die mehr sehen können als den äußeren Anschein.
Ich wünsche uns die Augen des Glaubens, die in dem Gekreuzigten die unverwechselbare Liebe Gottes erkennen.
Ich wünsche uns Gottes Geist, sensibel zu werden für das, was hinter den Fassaden ist und hinter den Gesichtern der Menschen; Augen und Gespür für die Leiden der Menschen. Wir sind aufgerufen, ihnen zu helfen, ihre Würde und ihr Recht zu verteidigen.
Darüber hinaus aber dürfen wir - von Gottes Geist beraten - hinter den Leiden und Sorgen der Menschen die größeren Möglichkeiten Gottes sehen: "Die Erlösung naht".
Gottes Reich naht. Das Leiden dieser Welt ist nicht eine ewige Qual. Der erste Schrei des Kindes und der letzte Atemzug des Sterbenden ist umschlossen von dem Einen, dem Ewigen, dem Barmherzigen.
Das ist die frohe Botschaft für unsere gemeinsame Zukunft. Wir können daran arbeiten. Dabei gilt – auch das entlastet uns:
Wir errichten Gottes Reich nicht - auch nicht durch eine gelungene Gemeindearbeit. Erst recht nicht durch vorgeblich göttliche Reiche auf Erden. Aber wir dürfen Gottes Reich erwarten und darum beten. Wir dürfen die Maßstäbe Gottes als Richtung unseres Handelns erkennen. Und unbeirrt dürfen wir hoffen: Die Erlösung
naht.
Amen.