Mut zu Vertrauen, Gerechtigkeit und Solidarität
Weihnachtsbotschaft der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann
Alles ist gut. Es ist Weihnachten. Spätestens am Heiligen Abend, so wünschen sich viele Menschen, sollen die Mühen unserer Welt aufgehoben sein.
Aber leider ist nicht alles gut. Erinnern wir uns an das vergangene Wochenende. Das kann nicht schöngeredet werden: Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Gescheitert an mangelndem Mut, an mangelnder Entschlossenheit und am Egoismus vieler. Das ist nicht nur blamabel, sondern dramatisch. Denn nur durch eine internationale gemeinsame Strategie zur Eindämmung des CO2-Ausstoßes kann die Klimaerwärmung gestoppt werden. Und nur so können wir den Planeten Erde bewahren für nachwachsende Generationen.
Nichts ist gut in Sachen Klima, wenn weiter die Gesinnung vorherrscht: Nach uns die Sintflut!
Aber auch im sozialen Bereich sehen wir in Deutschland besorgniserregende Entwicklungen, vor allem bei der Kinderarmut. Das Armutsriko von Kindern unter 15 Jahren ist in den vergangenen Jahren überproportional angestiegen. Diese Kinderarmut äußert sich zuweilen auf subtile Weise. Kürzlich erzählte mir eine Mutter, dass die Klasse ihres 15-jährigen Sohnes einen Ausflug ins Ausland gemacht habe. Sie konnte das erforderliche Geld nicht aufbringen. Die Klasse wollte ihn unbedingt dabeihaben und alle haben sich bemüht, das notwendige Geld aufzutreiben. Aber der Sohn wollte nicht mitfahren, weil er sich zu sehr geschämt hat, dass andere für ihn bezahlen. Selbst als der Lehrer anrief, ließ sich ihr Sohn nicht umstimmen. Er blieb als Einziger zuhause.
Nichts ist gut, wenn es in einer Gemeinschaft so schwer, so beschämend ist, Hilfe anzunehmen.
Ganz anders als dieser Fall, aber auf verschlungene Weise damit verwandt ist der einsame Suizid von Nationaltorwart Robert Enke. Es ist traurig, dass er Angst hatte, seine Depression offiziell behandeln zu lassen. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn seine Krankheit öffentlich bekannt geworden wäre, hätte er kaum weiter Nationaltorwart bleiben können. Dass sein Tod so viele Menschen berührt hat liegt wohl auch daran, dass Robert Enke stellvertretend für die Ängste vieler steht. Sie wurden an die Abgründe der eigenen Angst erinnert. Der Angst nämlich, nicht mehr mitzuhalten und nicht mehr eine Fassade von Größe, Schönheit und Stärke aufrechtzuerhalten.
Nichts ist gut, wenn bei uns durchgängig eine Atmosphäre der Gnadenlosigkeit herrscht und alle immer stark sein müssen – wie unmenschlich!
Dürfen wir uns in einer solchen Welt auf Weihnachten freuen? Aber ja! Denn die Weihnachtsfreude blendet Leid und Kummer in der Welt nicht aus. Im Stall von Bethlehem, von dem Lukas berichtet, war wahrhaftig nicht alles gut. Jesus wurde in Armut geboren. Der Vater ahnt, dass eine Flucht bevor steht, die junge Mutter ist allein in der Fremde. Den Hirten, wohl Tagelöhner, sagt der Engel: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch eine große Freude.“ Und dann singen die Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe und den Menschen ein Wohlgefallen und Friede auf Erden.“ Das ist ein Kontrastprogramm – hier die Verzagtheit, der Kummer, da die Verheißung.
Christinnen und Christen glauben, dass in dem Kind in der Krippe Gott selbst Mensch wurde - mit Haut und Haaren, mit Freud und Leid. Weihnachten sagt: Gott ist kein einsamer Himmelsherrscher, sondern mitten unter uns wie ein Freund oder eine Schwester, wie ein Mensch, der etwas weiß von den Höhen und Tiefen des Lebens, von Glück, aber auch von Ängsten und Sorgen. Dieser Glauben macht uns so froh, dass wir davon „singen und sagen“ wollen, wie es Martin Luther in seinem bekannten Weihnachtslied ausdrückt. Dieser Glaube führt gewiss nicht dazu, dass alle Mühen und Ängste und Fragen unserer Welt aufgehoben sind. Aber die Weihnachtsbotschaft kann diese Welt mit ihren vielen Sorgen verwandeln. Sie kann uns Mut machen, dass wir auf die Märkte und Straßen dieser Welt gehen, um dort für Vertrauen, Gerechtigkeit und Solidarität zu streiten.
Ja, es ist längst nicht alles gut auf unserer Welt. Aber wenn wir die Weihnachtsbotschaft ernst nehmen, dass Gott zu uns kommt, können wir mit gutem Grund hoffen. Gegen alle Widrigkeiten und allen Pragmatismus können wir uns unerschrocken und unverzagt dafür einsetzen, dass unsere Welt sich verändert zu mehr Gerechtigkeit und Frieden.
Bis eines Tages Gottes zukünftige Welt kommt, in der alle Tränen abgewischt sind. Dazu macht uns die Weihnachtsbotschaft der Engel vom Frieden auf Erden Mut.
Hannover, 23. Dezember 2009
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick / Silke Römhild