Weihnachten ist Herzenssache
20. Dezember 2002
Weihnachtsbotschaft 2002 von Landesbischof Dr. Ulrich Fischer
Karlsruhe. Von der Kraft für die Gestaltung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens durch die weihnachtliche Botschaft spricht Landesbischof Dr. Ulrich Fischer in seiner Weihnachtsbotschaft 2002, die wir Ihnen anbei im Wortlaut übermitteln:
„Weihnachten ist Herzenssache. Wir alle kennen dies, wie sich in der Advents- und Weihnachtszeit die Befindlichkeit unseres Herzens verändert. Wir sind sensibler in diesen Tagen. Wir sind leichter bewegt oder angerührt. Unser Gemüt erfährt eigenartige Schwingungen. Wir suchen die Gemütlichkeit unserer Zimmer, vielleicht auch an unserem Arbeitsplatz. Ich jedenfalls zünde mir gern in diesen Wochen auf meinem Schreibtisch eine Kerze an, und irgendwie tut ihr Licht mir gut. In den Tagen vor Weihnachten werden unsere Gefühle, wird unser Herz in ganz besonderer Weise angesprochen.
Früher habe ich dieser Gefühlslage nicht getraut. Herzenserwärmung in der Adventszeit, das habe ich oft als den Versuch gedeutet, die harte Realität des Lebens zu verdrängen; über unsere Lebenswirklichkeit eine süße Gefühlssoße zu gießen, um all das nicht wahrnehmen zu müssen, was Menschen das Leben schwer macht. Und in der Tat gibt es in der Adventszeit Auswüchse der Gefühlsduselei, die eher das Ziel haben, weihnachtlichen Konsum anzuheizen, als die Botschaft der Weihnacht in unsere Herzen hineinzusenken. Aber dennoch: Auch wenn manches an vorweihnachtlicher Gefühlserregung unecht ist, es ändert nichts an der Erkenntnis, dass Weihnachten in aller erster Linie eine Herzenssache ist.
Denn nur was in unseren Herzen ankommt, hat verändernde Kraft, schenkt einen anderen Umgang miteinander in unseren Familien, in unseren Freundes- und Kollegenkreisen. Es ist gewiss kein Zufall, dass am Schluss der weihnachtlichen Geburtsgeschichte des Lukas die Worte stehen: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Nicht in ihrem Kopf. Nicht in ihrem klugen Verstand. Nein: Sie bewegte die Worte der Weihnachtsbotschaft ganz drinnen bei sich. Dort, wo menschliche Gefühle entstehen und sich verdichten. Dort, wo aus diesen Gefühlen Motive zu einem veränderten Tun entspringen. Hören, sehen, mit allen Sinnen aufnehmen – das ist es, worum es an Weihnachten zunächst einmal geht.
Nichts wird die Weihnachtsbotschaft bewirken, wenn sie nicht unser Herz erreicht. Alles kann sie bewirken, wenn wir ihre Worte in unseren Herzen bewegen. Alles, wirklich alles. Da können wir Kraft gewinnen, für den Frieden auf Erden einzutreten, den Gott an Weihnachten uns Menschen zugesagt hat. Da können wir Kraft gewinnen, jener dumpfen Kriegsrhetorik deutlich zu widersprechen, die derzeit aus den USA so furchterregend über die Welt hallt. Da können wir die Kraft gewinnen, der Vergiftung des politischen Klimas in unserem Land entgegenzuwirken. Da können wir Kraft gewinnen, gegen die kollektive Depressivität unserer Gesellschaft von der Zukunft zu reden, die Gott uns eröffnet hat. Da können wir Kraft gewinnen, bedingungslos einzutreten für ein friedliches Zusammenleben mit Fremden und ja zu sagen zu einer kontrollierten Zuwanderung in unserem Land. Meine Hoffnung ist, dass in den jetzt anstehenden Vermittlungen zur gesetzlichen Regelung der Zuwanderung sich das wärmende, friedensstiftende Licht von Weihnachten widerspiegelt und alle zu einem Ergebnis ermutigt, das den Betroffenen Sicherheit und Verlässlichkeit schenkt.
Was in unseren Herzen ankommt, das hat Kraft, in heilendem Tun an und in dieser Welt seinen Ausdruck zu finden. Was wir in unseren Herzen bewegen, das kann nicht darin eingesperrt bleiben, das will in alle Welt hinaus, um heilend und heilbringend in ihr zu wirken. Darum ist Weihnachten nur in erster Linie eine Herzenssache. In zweiter Linie ist es eine Sache von öffentlichem Interesse, von weltweiter Bedeutung. Ich wünsche uns allen, dass die Botschaft der Weihnacht in diesem Jahr unser Herz erreicht. Dass wir diese Botschaft in unserem Herzen bewegen - um unserer selbst und um unserer Welt willen.“
Landesbischof Dr. Ulrich Fischer