Predigt im Gottesdienst zum 1. Advent

Wolfgang Huber

Spreenhagener Kirche

Es gilt das gesprochene Wort!

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
 
I.
Liebe Festgemeinde, sehr herzlich bedanke ich mich für die Einladung nach Spreenhagen. Der erste Advent, der Anfang des neuen Kirchenjahres, ist in diesem Jahr für Ihren Ort in besonderer Weise mit einem Neuanfang verbunden. Mit unserem Festgottesdienst bringen wir unsere Freude und Dankbarkeit über die neuen Gemeinderäume vor Gott. Wir feiern die geglückte Kooperation zwischen Kommune und Kirchengemeinde. Ich beglückwünsche Sie dazu von Herzen. Ihr Beispiel wird hoffentlich Schule machen.

Dieser Tag stellt einen mehrfachen Neubeginn für die Gemeinde dar. Nun gibt es in ihrer fast 150 Jahre alten Kirche neben der Winterkirche auch einen Probenraum für Chor und Bläser, für Senioren- und Kinderkreise. Die Sakristei wurde erweitert und kann nun für Gespräche genutzt werden. Toiletten und Teeküche ermöglichen Feste und Feiern in der Kirche. Es ist anders geworden in Spreehagen. Finanziert wurde der Umbau aus dem Verkaufserlös des alten Pfarrhauses.

Änderungen prägen unser Leben. Manchmal fällt es schwer, sich umzustellen. Die Spreehagener Kirche ist ein Beispiel für eine gelungene Umgestaltung zugunsten der Gemeinde. Im April 2002 zog Ihre Pfarrerin Friederike Winter mit ihrem Sohn Niklas nach Neu Zittau in den Pfarrsprengel. Heute Vormittag wurde sie von Ihrem neuen Superintendenten Frank Schürer-Behrmann feierlich in die Pfarrstelle eingeführt. Dies geschah – so muss man sich vor Augen führen – in der nach dreijähriger Sanierungsarbeit fertig gestellten Kirche in Wernsdorf. Zwei derartige Feste an einem einzigen Tag! Ihre Pfarrerin ist längst angekommen. Die Gemeindekirchenräte wissen, mit wem sie für die Zukunft der Gemeinden planen und arbeiten können. Es freut mich, dass Sie miteinander so viel Mut zur Zukunft bewiesen haben.

Lassen Sie uns in dieser Freude innehalten und auf Gottes Wort hören. Der Predigttext steht beim Propheten Jeremia im 23. Kapitel:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der Herr unsere Gerechtigkeit“. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!“ sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.“ Und sie sollen in ihrem Lande wohnen. [Jeremia 23,5-8]

II.
Der Prophet deutet seine Zeit. Er versucht, die Zeichen der Zeit zu lesen. Dabei verfängt sich sein Blick nicht in Alltäglichkeiten. Er hält sich an Gott, der ihm seine Worte in den Mund legt und ihm die Zeichen der Zeit vor Augen führt. Dem folgt Jeremia nicht nur mit Worten, sondern auch seinerseits mit drastischen Zeichen. Damit sein Wort Nachdruck erhält, nimmt er ein Joch auf sich. Erst ein hölzernes, dann eines aus Eisen. Mit Hilfe eines zerschmetterten Kruges führt er den Menschen in Jerusalem vor, was auf sie wartet. Sie wollen es nicht hören. Deshalb werfen sie ihn in eine Zisterne und lachen ihn aus. Als ob er Recht behalten wollte. Welcher Unheilsprophet will das schon?

Die Katastrophe bricht über Jerusalem herein und nimmt ihren Lauf. Die Menschen sehen ihre Zukunft irgendwo, aber bestimmt nicht in Jerusalem. Wieder setzt Jeremia ein deutliches Zeichen und kauft einen Acker. Gott legt ihm seine Worte in den Mund: Ich will ihr Geschick wenden, spricht der Herr [32,44].

Liebe Gemeinde, wir leben nicht im belagerten Jerusalem. Keiner von uns, auch Ihre Pfarrerin nicht, muss befürchten, in einer Zisterne zu landen. Weder in eine Klärgrube noch in einen Swimmingpool wird uns jemand werfen. Und doch sehen wir am drastischen Beispiel des Propheten Jeremia, wohin es führen kann, wenn Menschen das Zutrauen in die Zukunft verlieren und das Vertrauen zueinander einbüßen. An seinem Beispiel lässt sich lernen, wohin es führen kann, wenn Menschen, die Gott aus dem Blick verlieren, auch für ihr Leben keine klare Orientierung mehr haben. Exemplarisch lässt sich an ihm sehen, was geschieht, wenn die Erosion des Vertrauens um sich greift und Kreise zieht. Die Wurzeln finden keinen Halt mehr in der Erde. Wie ein über Jahrhunderte gewachsener Baum stürzt das Gemeinwesen in sich zusammen und reißt alles mit sich.  Der Umbruch hinterlässt eine Lücke. Über Jahre bleibt nicht mehr als ein Baumstumpf zurück. Der gefällte Riese wird nach und nach mit Laub zugedeckt. Er sinkt hinunter in die Vergangenheit. Langsam und unmerklich vernarbt die Schnittfläche des Stumpfes. Allein die Jahresringe lassen die alte Größe und Schönheit erahnen. Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Seitlich aus dem Baumstumpf wächst ein kleiner Spross hervor. Er entfaltet seine grünen Blätter und streckt sie zum Himmel. Ein Spross ist kein neuer Baum. Ein Spross ist klein und gefährdet. Und doch gilt: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der dich beschützt und der dir hilft zu leben. Vertrauen wächst langsam. Jeder Spross ist anfänglich klein. Doch aus ihm wird später ein Baum werden, dessen Stamm eine ausladende Krone trägt, die Schatten spendet.  Vertrauen wächst langsam, aber es wächst.

An diesem besonderen Tag, an dem Ihre Pfarrerin in der neu gestalteten Kirche von Wernsdorf in die Pfarrstelle eingeführt wurde und an dem wir nun nachmittags dieses Fest in Spreenhagen feiern, mögen manche von Ihnen das Prophetenwort so abwandeln. Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich der Gemeinde eine neue Pfarrerin geben will. Die Pfarrerin, so will ich gern bestätigen, ist Gott sei Dank da. Ich möchte jedoch hinzufügen: Eine Pfarrerin tut bei ihnen Dienst und lebt mit den Gemeinden; eine messianische Retterin ist sie nicht. Pfarrerinnen und Pfarrer sind Boten dieses Retters, sie sind es nicht selbst.

Aber wir feiern diesen festlichen Gottesdienst im Advent, an diesem besonderen und, wie ich empfinde, im Kirchenjahr einzigartigen Sonntag des Ersten Advent. Wir verbinden das Erleben dieses Tages mit der Zuversicht, die den Advent präght. Die Erwartungen für unser eigenes Leben wie für das Leben in der Gemeinde richten wir aus an Jesus Christus, dem Herrn der Kirche. Auf sein Kommen, auf seine Wiederkunft stellen wir uns ein. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der Herr unsere Gerechtigkeit“. So heißt die prophetische Verheißung.

III.
Vor 165 Jahren, genau am 1. Advent 1839, wurde die erste Kerze zum Advent in einem Waisenhaus entzündet. Von der Decke herab hing ein wagenradgroßer Holzkranz mit 24 Kerzen. Für jeden Tag bis Heiligabend eine: vier dicke weiße Kerzen für die Sonntage und zwanzig dünne rote für die Werktage. Darunter versammelten sich die Schützlinge von Johann Hinrich Wichern.

Wichern hatte sich als junger Theologe anrühren lassen vom Schicksal der elternlosen Kinder, die kein Zuhause hatten und Hunger litten. Deshalb hatte er, schon als Fünfundzwanzigjähriger, das „Rauhe Haus“ gegründet. Die Kinder wurden in einer alten Bauernkate unterrichtet und betreut. „Auf dem Kronleuchter des Betsaals mehrt sich täglich die Zahl der Lichter, bis am Schluss des Advents die ganze Lichterkrone strahlt und immer heller widerstrahlt in den Herzen der Kinder“, so beschreibt es Wichern selbst in seinem Tagebuch. Der Holzkranz wurde ab 1860 mit Tannenzweigen geschmückt. Die immergrüne Tanne gilt bis heute als Symbol des Lebens. Später schmolz die Anzahl der Kerzen auf vier für die Adventssonntage.

Im Licht dieser Adventskerzen höre ich die prophetische Botschaft so: Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: So wahr der Herr lebt, der Israel aus Ägypten führt und die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Freiheit ermöglicht hat, sondern: So wahr der Herr lebt, der die Kinder der Freiheit aus Stagnation und Mutlosigkeit  herausgeführt und ihren Mut zur Zukunft gestärkt hat.   So wahr der Herr lebt, der deinen Weg geleitet und dich nicht allein lässt in der Stunde der Gefahr: Dir soll nichts mangeln. Gott bereitet dir einen Tisch im Angesicht deiner Feinde. Er salbet dein Haupt mit Öl und schenket dir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen dein Leben lang und du wirst bleiben im Hause des Herrn immerdar. Amen