Votum zur Vorstellung der Reihe „Protestantismus und Kultur“ und ihres ersten Bandes „Protestantismus und europäische Kultur“ in Berlin
Wolfgang Huber
I.
„Was sind mögliche Leitlinien für christliche Orientierung und kirchliches Handeln in einer Welt kultureller Pluralität?“ So fragte der Rat der EKD in seiner Denkschrift „Räume der Begegnung“ aus dem Jahr 2002. Wir gaben damals eine dreifache Antwort: Es geht zuerst darum, „das eigene Erbe ernst zu nehmen“ und auf dieser Grundlage die „Beheimatung im Eigenen mit dem Respekt vor dem Fremden zu verbinden“. Sodann ist es nötig, sich in der Auseinandersetzung mit den kulturellen Formen und Inhalten der eigenen Gegenwart um eine erneute Inkulturation des christlichen Glaubens zu bemühen. Die dritte Leitlinie beschreibt schließlich die Kirchen als „Räume der Begegnung“ mit den Künsten. Es gehört, so heißt es in diesem Zusammenhang, zu den Aufgaben der Kirche, „den Künsten eine Muse zu sein.“
Diese Denkschrift stand am Ende eines Konsultationsprozesses zum Thema „Protestantismus und Kultur“, den die EKD zusammen mit der Vereinigung Evangelischer Freikirchen initiiert hatte. Doch wir sind mit dieser Denkschrift nicht am Ende, sondern am Beginn eines Prozesses. Sein Ziel ist es, das Verhältnis von Kirche und Kultur zu vertiefen. Wir haben dieses erneuerte und verstärkte Interesse insbesondere durch die Berufung einer eigenen Kulturbeauftragten des Rates der EKD zum Ausdruck gebracht. Dem korrespondieren neue Initiativen in vielen Gliedkirchen der EKD. Exemplarisch nenne ich hier in Berlin die Aktivitäten der Stiftung St. Matthäus, der Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
Mit der Kulturbeauftragten der EKD Dr. Petra Bahr und der Einrichtung des Kulturbüros der EKD in Berlin hat die EKD ein deutliches Signal für die Bedeutung dieses Themas gesetzt. Kultur ist Lebensmittel, nicht Luxus; sich hier zu engagieren, steht unserer Kirche gut an.
II.
Vor genau einem Monat veröffentlichte der Deutsche Kulturrat ein Buch unter dem Titel „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“. In dessen Vorwort beschreibt Olaf Zimmermann, dass die Kirchen in Deutschland bisher in ihrer kulturpolitischen Bedeutung nicht zureichend wahrgenommen werden. Im Gegenzug beschreibt er die Kirche als einen „der bedeutendsten Orte der Kultur“. Er hebt dafür vier Gesichtspunkte hervor:
1. Gesellschaft und Kirche.
„Die Wirkungen der beiden großen christlichen Kirchen auf das kulturelle Leben in Deutschland […] beschränken sich nicht auf die Mitglieder der Kirchen, sondern haben ein universelles gesellschaftliches Gepräge.“
2. Kulturförderung und Kirche.
Die beiden großen Kirchen wenden ca. 4,4 Milliarden Euro jährlich für die Kulturförderung auf und liegen damit auf einer Ebene mit den Bundesländern (3,4 Milliarden Euro) und den Kommunen (3,5 Milliarden Euro).
3. Künstler und Kirche.
„Die Kirchen haben die Künste über viele Jahrhunderte geprägt, befördert und behindert. Sie waren und sind, heute in erheblich kleinerem Auftrag als früher, Auftraggeber für Maler, Bildhauer und Komponisten. Viele dieser Auftragswerke sind heute der Kanon unserer Kunst.“
4. Sichtbarkeit der Kirche.
45.000 Kirchen, davon etwa die Hälfte evangelisch, prägen das Gesicht des Landes, etwa 100.000 Glocken legen ein oft unüberhörbares akustisches Zeugnis davon ab. „Ein Dorf ohne Kirche ist kein richtiges Dorf.“
III.
Die mit dem heute vorgestellten Band begonnene Buchreihe „Protestantismus und Kultur“ nimmt mit ihrem Konzept auf diese Punkte in indirekter Weise Bezug. Wenn Sie den ersten Band lesen, in dem acht Autorinnen und Autoren den Beitrag der Kirchen zur europäischen Kultur erörtern, wird deutlich, wie „Gesellschaft und Kirche“ (Punkt 1) zusammengehören und wie die „Sichtbarkeit der Kirche“ die Kultur in Europa prägt (Punkt 4).
Mit der Reihe „Protestantismus und Kultur“ wollen wir den Dialog zwischen Protestantismus und Kultur weiterführen. Diese Reihe dokumentiert das fortbestehende Interesse der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Kultur in unserer Zeit wahrzunehmen und mitzugestalten. Dass dies in einer ökumenischen Perspektive geschieht, macht gleich der erste Band eindrücklich deutlich. In dieser Weite ist die neue Reihe ein weiterer „Raum der Begegnung“ zwischen Protestantismus und Kultur. Ich freue mich darüber, dass neben der Kulturbeauftragen der EKD und mir selbst Aleida Assmann und Bernhard Schlink als Mitherausgeber dazu beitragen, dass der Dialog von Religion und Kultur kein Selbstgespräch, sondern ein wirkliches Gespräch wird, das alle Beteiligten bereichert.