Rede bei der Kundgebung der Klima-Allianz in Berlin
Margot Käßmann
Es ist Zeit, endlich zu handeln! 1974 erschien der Bericht des Club of Rome, der die Grenzen des Wachstums zum Thema machte. Damals wurde klar: nur durch sofortige Maßnahmen zum Umweltschutz könnte die Erde die Weltbevölkerung tragen. 30 Jahre später wurde deutlich: Wir haben die Wachstumsgrenzen längst überschritten. Der Planet Erde steht vor dem Kollaps. Wenn nicht Umweltschutzmaßnahmen energisch umgesetzt werden, steuern wir auf eine Katastrophe zu. Aber es ist noch nicht zu spät für eine Antwort auf den Klimawandel. Es geht jetzt darum, den Konsum in den reichen Nationen einschränken, das Bevölkerungswachstum reduzieren, den Schadstoffausstoß zurückdrängen. Nur ein nachhaltiger Lebensstil kann knapp acht Milliarden Menschen das Überleben sichern.
Ich weiß, viele versuchen zu beschwichtigen. Es würde schon alles nicht so schlimm werden. Irgendwie hätte die Menschheit immer überlebt. Aber die Zeichen sind unübersehbar: die Pole schmelzen, der Meeresspiegel steigt, andernorts breitet sich Dürre aus. Abwiegeln hilft nicht. Aber Angst ist keine gute Ratgeberin. Deshalb geht es darum, Menschen zum Handeln zu ermutigen und Wege zu zeigen, wie wir die Klimakatastrophe verhindern können. Wir können etwas tun, jeder und jede einzeln, aber vor allem auch alle gemeinsam.
Wir müssen endlich Abschied nehmen von der Ideologie des Wachstums. Es gibt auch eine Ethik der Grenze, des Genug. Die Erde hat genügend Ressourcen, um die elementaren Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen. Aber sie hat nicht genügend Ressourcen, um Gier, Macht, Bereicherung und Egomanie zu befriedigen.
Es ist Zeit zu handeln, damit kommende Generationen leben können.
Die langfristige Wirkung unseres Lebensstils haben wir noch vor uns. 1978 beispielsweise wurde auf öffentlichen Druck hin FCKW als Treibmittel in Sprühdosen in den USA verboten. 1990 einigten sich 92 Länder darauf, die Produktion bis zum Jahr 2000 einzustellen. 1991 machten Satellitenbeobachtungen klar, dass das Ozonloch sich noch schneller vergrößert, als angenommen. Erst Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Belastung das Niveau von 1980 erreichen! Je länger konsequentes Handeln verzögert wird, desto schneller schreitet die Zerstörung voran. Die Folgen werden erst die Generationen nach uns mit voller Wucht treffen. Ob deshalb so oft gezögert wird, energisch Veränderungen zu gestalten? Wir haben eine Verantwortung für nachfolgende Generationen. Die Zeit ist reif für einen gesellschaftlichen Aufbruch!
Es ist Zeit zu handeln, denn Fragen des Klimas sind Fragen der Gerechtigkeit
Die Menschen in den armen Ländern leiden unter der Klimakatastrophe am meisten. In Ostafrika beispielsweise ist der durchschnittliche Niederschlag in den letzten dreißig Jahren um 25% zurück gegangen, die verheerenden Dürren dauern immer länger an. Tuvalu ist eine der Pazifikinseln, die nur drei Meter aus dem Meer herausragen. Der steigende Meeresspiegel droht die Insel zu überspülen. Die 11.000 Bewohner haben Asyl in Neuseeland beantragt und die Auswanderung hat bereits begonnen. Und: der Klimawandel verursacht eine Ausbreitung der Malaria. Durch höhere Temperaturen und stärkere Niederschläge hat sich allein in Südafrika der Lebensraum der Mücke verdoppelt, sie dringt in immer weitere Gebiete vor. Jährlich infizieren sich schon heute 500 Millionen Menschen, mehr als zwei Millionen sterben, die meisten in Afrika und 90 Prozent sind jünger als fünf Jahre.
Die reichen Nationen belasten durch ihren enormen Energieverbrauch die Umwelt am stärksten. Die Industrieländer sind die Hauptverantwortlichen für den Klimawandel. Nach dem Verursacherprinzip müssen sie zusammen mit den verantwortlichen Unternehmen auch für die Klimaschäden aufkommen. Auch wir als Konsumentinnen und Konsumenten in den reichen Nationen sind gefragt. Zudem sollten die reichen Nationen die besonders betroffenen Entwicklungsländern beim Aufbau einer klimaverträglichen Energieversorgung unterstützen. Nur wenn Klima- und Energiepolitik Bestandteil von Entwicklungspolitik ist, kann Armut überwunden werden, können die Milleniumsziele erreicht werden
Es ist Zeit zu handeln, denn wir müssen Verantwortung übernehmen
Es geht um ganz klare Maßnahmen, wenn wir Verantwortlich handeln wollen, die zu klaren Zielen führen:
Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur muss auf unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden.
Die Trendwende bei den Weltweiten Emissionen von Treibhausgasen muss energisch betrieben werden, damit sie bis 2050 halbiert werden.
Es muss ein Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll geben und bis 2009 verabschiedet werden.
Es ist Zeit für einen Wandel
Wir sind es alle miteinander leid, dass es Appelle, Konferenzen und beschwörende Worte gibt. Es muss jetzt endlich gehandelt werden! Und es müssen Entscheidungen fallen! Wie soll Energiegewinnung in Zukunft aussehen?
Wenn Menschen in China oder Indien leben würden wie wir, wäre der Kollaps längst erfolgt. Ein Amerikaner verbraucht pro Jahr rund 90 000 Kilowattstunden Energie, ein Deutscher 48.000, ein Chinese 13.000 und ein Inder 6000. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu einem Energieverbrauch von ca. 9000 kWh pro Kopf pro Jahr die Lebensqualität vom Energieverbrauch abhängt. Oberhalb dieses Grenzwertes gibt es praktisch keinen Zusammenhang mehr zwischen Lebensqualität und Energieverbrauch, sprich: es ist reine Verschwendung.
Wir können aber anderen nicht sagen, sie dürften nicht leben wie wir! Wie sollte das denn gerechtfertigt werden. Also muss ein Wandel hier bei uns erfolgen in den reichen Industrienationen. Und das könnte doch auch ein Ansporn sein. Wir waren in Deutschland immer wieder technologisch Vorreiter. Warum nicht in der Produktion von Ein-Liter Autos, von erneuerbaren Energien, in einer dramatischen Senkung der Emissionen?
Ich persönlich stehe hier als Christin. Wir können nicht Gott die Verantwortung in die Schuhe schieben. Gott hat, so glauben wir, zugesagt, dass von seiner Seite ein Bund besteht und die Erde nicht mehr zerstört wird. Wir sind es, die diesen Bund aufkündigen, die Menschen zerstören, was als Schöpfung gut ist. Ich sehe uns in einer Verantwortung vor Gott, weil uns die Erde anvertraut ist als Haushalterinnen und Haushalter. Dass wir hierzu heute die Kräfte bündeln, ist ein wichtiger Schritt, deshalb beteiligen sich Kirchen und kirchliche Organisationen. Die Kräfte der unterschiedlichsten Gruppen in unserer Gesellschaft, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil engagieren. Die Kräfte der Menschen im Norden und im Süden der Welt, in den reichen wie in den armen Ländern, damit das himmelschreiende Unrecht endlich ein Ende nimmt. Und so verbinden wir uns heute in Berlin auch mit der Kampagne „Licht aus“, die Menschen im ganzen Land aufgefordert hat, um 20 Uhr für fünf Minuten die Lichter auszuschalten. und viele machen mit: darunter auch Kirchengemeinden, auch Landeskirchen, auch Städte, die die Außenbeleuchtung ihrer Kirchen ausschalten. „Licht aus!“ – das ist nicht der Versuch für fünf Minuten Energie zu sparen. Es geht nicht nur darum, heute Abend die Schalter zu bewegen, sondern im Kopf umzuschalten. Wie kann ich Strom sparen, bei welchem Stromanbieter lasse ich mich versorgen, was bedeutet Klimapolitik für meinen Lebensstil?
Klimaschutz jetzt – das ist auch der Appell, dass sich auf Bali bei der Klimakonferenz etwas bewegt. Eine nachhaltige Politik heißt, dass Deutschland den Ausstoß der Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent reduziert. Dazu braucht es klare und verbindliche politische Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Es ist eine Mahnung an die Politik: Wir wollen, dass ihr handelt! Ja, erste Schritte sind getan mit dem Klimaschutzprogramm und dem Acht-Punkte-Plan. Aber die Bundesregierung nimmt noch zu oft Rücksicht auf wenige große Unternehmen, die die nötigen Weichenstellungen verhindern wollen. Mehr und schnelleres Handeln ist notwendig. Es geht um
- Vorfahrt für Energieeinsparung
- Vorrang für erneuerbare Energien statt Investitionen in Kohlekraftwerke. Wenn die 25 zurzeit geplanten Kohlekraftwerke tatsächlich gebaut werden und dann 40 Jahre lang ungehemmt CO2 ausstoßen, können Deutschlands Klimaziele durch noch so große Anstrengungen bei den erneuerbaren Energien oder der Wärmedämmung nie mehr erreicht werden.
- Eindämmen der Emissionen im Verkehr auch durch Verhaltensänderungen. Wir müssen nicht stolz darauf sein, dass man auf unseren Autobahnen schneller fahren darf als irgendwo anders auf der Welt. Wir sollten stolz darauf sein, wenn es gelingt, ein Tempolimit durchzusetzen. 73 % der Bürgerinnen und Bürger haben sich kürzlich in einer Umfrage dafür ausgesprochen.
- Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern. Die von der Bundesregierung diese Woche zugesagten 120 Millionen Euro sind ein guter Anfang. Durch die Versteigerung der Emissionsrechte an die Energiekonzerne muss dieser Betrag schnell erhöht werden.
Und wenn ihr Politikerinnen und Politiker befürchtet, Klimaschutz sei unpopulär, dann schaut hierher nach Berlin. Hier stehen Menschen aus dem ganzen Land und es beteiligen sich viele im ganzen Land, die bereit sind zur Veränderung. Die bereit sind, weniger Strom zu verbrauchen und zu einem Ökostromanbieter umsteigen. Die bereits sind, zu teilen, was es an Gütern auf dieser Erde gibt. Klimawandel ist kein Schicksal, hier geht es um verantwortliches Handeln. Wir treten ein für Gerechtigkeit. Wir wollen die Erde als Lebensraum erhalten . Wir sind entschlossen, nachhaltig zu leben. Es ist höchste Zeit!