Statement zum Thema: Suizidbeihilfe / Palliativ- und Hospizversorgung bei der fraktionsoffenen Sitzung der CDU/CSU Fraktion des Deutschen Bundestages
Sehr geehrte Damen und Herren,
jede organisierte bzw. geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung muss unterbunden werden. Dafür setzt die Evangelische Kirche in Deutschland sich mit Nachdruck ein. Wenn ich sage „jede geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung“, dann meine ich damit nicht nur die von Organisationen wie „Dignitas“ sondern auch die von Einzelpersonen geleistete Assistenz beim Suizid, sofern sie regelmäßig geschieht. Das gilt auch für Ärztinnen und Ärzte. Diese Position hat der Rat der EKD bereits 2008 in seiner Orientierungshilfe „Wenn Menschen sterben wollen“ vertreten. Die im Juli dieses Jahres in der ZEIT und dem STERN abgedruckten Interviews des Ratsvorsitzenden und seiner an Krebs erkrankten Ehefrau stellen diese Position nicht in Frage noch heben sie sie gar auf. Das hat der Rat der EKD in seiner Sitzung am vorvergangenen Wochenende noch einmal bekräftigt und der Ratsvorsitzende hat es jüngst selbst in einem Gespräch mit BECKMANN bestätigt.
Für das besondere Engagement des Bundesgesundheitsministers und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU in dieser Sache ist der Rat dankbar.
Ein wesentliches Argument gegen die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid wurde bereits 2008 genannt: Wenn der Suizid zu einer ‚normalen‘ Option am Lebensende wird, wirkt sich das auf die Gesellschaft als ganze und damit auch auf das Sterben jedes einzelnen Menschen aus. Die Befürworter des assistierten Suizids argumentieren mit dem Recht aller Menschen auf Selbstbestimmung. Wenn jedoch der Suizid gleichsam „gesellschaftsfähig“ wird, werden nicht wenige Sterbende sich unter Druck gesetzt fühlen. Viele werden sich mit Gedanken wie diesen quälen: „Meine Schwiegertochter kann die Last der Pflege nicht mehr tragen, und außerdem kostet jeder Tag, den ich noch lebe, viel Geld. Ist es da nicht besser, ich mache meinem Leben ein Ende? Die Kinder werden entlastet und den Rest meiner Ersparnisse können sie auch gut gebrauchen.“ Das, meine Damen und Herren, ist das Gegenteil von Selbstbestimmung am Lebensende! Insofern geht es nicht um die Alternative von Selbstbestimmung und Lebensschutz, sondern um unterschiedliche Konzeptionen von Selbstbestimmung. In diesem Sinne votiert der evangelische Ethiker und stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, Peter Dabrock, für einen am Schutz der Schwachen orientierten Selbstbestimmungsbegriff. Wenn wir uns gemeinsam auf dieses Verständnis von Selbstbestimmung verständigen könnten, wäre für die weitere Debatte schon viel gewonnen.
Weitere Argumente gegen die organisierte Suizidbeihilfe müssen hier nicht wiederholt werden.
Die organisierte bzw. geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verdient also um der einzelnen Menschen und um unserer ganzen Gesellschaft willen das klare „Nein!“ des Deutschen Bundestages. Dabei aber dürfen wir nicht stehen bleiben. Dem klaren „Nein!“ ist ein ebenso kraftvolles „Ja!“ zu einer Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung hinzuzufügen. Beihilfe zur Selbsttötung und Palliativ- sowie Hospizversorgung können nur gemeinsam betrachtet werden. Thomas Sitte hat es so formuliert. „Menschen, die nach dem schnellen Tod rufen, wollen nicht sterben, sie wollen nur nicht leiden.“ Das entspricht voll und ganz auch meiner seelsorglichen Erfahrung. Die Angst ist groß: die Angst vor einer unwürdigen Pflegesituation, die Angst vor Einsamkeit und Hilflosigkeit, die Angst vor einer Hochleistungsmedizin, die den Menschen nicht sterben lässt, obwohl es an der Zeit ist. Der wirksamste Beitrag gegen diese Angst und damit gegen den Wunsch schwer kranker Menschen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, ist deshalb eine flächendeckende Palliativversorgung und Hospizarbeit. Als Träger diakonischer Einrichtungen werden wir uns daran nach Kräften beteiligen. Den Gesetzgeber bitten wir, die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Palliativversorgung und Hospizarbeit zu verbessern. Zudem ist es vonnöten, die Bürgerinnen und Bürger umfassend darüber zu informieren, was bereits jetzt medizinisch und rechtlich möglich ist, damit Menschen in Würde sterben können. Ich bin sicher: Wäre beides – Versorgung und Information - bereits hinreichend realisiert, würden wir heute anders über die Frage des Sterbens in Würde diskutieren.
Und doch – auch das lehrt mich die seelsorgliche Erfahrung – werden alle palliativmedizinischen und seelsorgerlichen Bemühungen nicht verhindern können, dass in tragischen Einzelfällen schwer erkrankte Menschen nicht weiter leben können und wollen. Das hat der Rat der EKD bereits 2008 in den Blick genommen: „Wenn … das Evangelium den Menschen in der Freiheit des eigenen Gewissens anspricht, dann schließt das Respekt gegenüber der Sicht anderer auf ihr Leben ein, noch dazu, wenn diese in Verbindung steht mit einer schweren, leidvollen Krankheit. Man wird dann aber auch zu respektieren haben, wenn ein anderer Mensch in solcher Lage zu der Entscheidung gelangt, sein Leben zu beenden, und wenn Dritte ihm dabei helfen, auch wenn man selbst dies nicht bejahen kann oder tun könnte. Wer Situationen schweren Leids erlebt hat, der wird sich hier jedes Urteils enthalten. Und vielleicht weiß er auch um den schweren Gewissenkonflikt, der in solchen Situationen aus der eindringlichen Bitte um Beistand bei der Beendigung des eigenen Lebens erwachsen kann. Ja, es mag Grenzfälle geben, in denen sich Menschen um eines anderen willen genötigt sehen können, etwas zu tun, das ihrer eigenen Überzeugung und Lebensauffassung entgegensteht.“
Unlängst wurde von vier Medizinethikern bzw. Medizinrechtlern der Vorschlag gemacht, für solche Grenzfälle die Möglichkeit des ärztlich assistierten Suizids rechtlich genau zu regeln. Dieser Vorschlag birgt zwei Gefahren. Zum einen würde die Beihilfe zum Suizid, wenn auch nur in Ausnahmefällen, zur ärztlichen Aufgabe. Damit würde das Berufsbild der Ärztinnen und Ärzte, die dem Leben verpflichtet sind, verunklart, wenn nicht beschädigt. Zum zweiten wäre eine Rückwirkung auf die Einstellung zum Suizid in unserer Gesellschaft wahrscheinlich. Der Suizid und die Beihilfe zum Suizid würden vermutlich bald nicht mehr als tragischer Einzelfall sondern als eine „normale“ Möglichkeit empfunden, mit ärztlicher Hilfe aus dem Leben zu gehen. Von den zu erwartenden Auswirkungen eines solchen Bewusstseinswandels auf den einzelnen sterbenden Menschen war bereits die Rede. Zudem würden Hemmschwellen zur Legalisierung der heute in Deutschland verbotenen Tötung auf Verlangen fallen. Es gibt namhafte Ethiker, die bereits heute dafür plädieren.
Bedeutet diese restriktive Haltung, Menschen in der beschriebenen Grenzsituation allein zu lassen? Gewiss nicht. Das Gebot der Nächstenliebe verpflichtet dazu, niemanden allein zu lassen, der in Not ist und Begleitung braucht. Aber die Begleitung von Menschen, die nur noch den Suizid als Ausweg aus ihrer Not sehen, kann ausschließlich in Form persönlicher Verantwortungsübernahme in einer Extremsituation erfolgen und sollte rechtlich nicht reguliert werden. Das gilt auch für die Begleitung durch Ärztinnen und Ärzte.
Fazit:
1. Die Verbesserung der palliativen und hospizlichen Versorgung darf kein Lippenbekenntnis bleiben. Hier ist auch der Gesetzgeber gefragt.
2. Die organisierte bzw. geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid sollte mit geeigneten rechtlichen Mitteln unterbunden werden. Darüber hinaus bedarf es nach Meinung der Evangelischen Kirche in Deutschland im Blick auf die Beihilfe zum Suizid keiner Maßnahmen des Gesetzgebers.