Evangelische Gedanken zum ökumenischen Fest der Kreuzerhöhung
Thies Gundlach
1.
Der 14. September 335 ist das Datum des lokalen Kirchweihfestes der Grabeskirche zu Jerusalem; wie im AT vielfältig ist es eine „Kult-Ätiologie“, also die Herleitung eines besonderen heiligen Ortes. Und wie in der Bibel lagern sich alsbald Erzählungen an diesen Ort:
Seit Mitte des 4. Jh. wird das Kirchweihfest der Grabeskirche mit der Legende der Kreuzauffindung verknüpft; Helena, die Mutter Konstantins des Großen, soll das Kreuz Jesu gefunden haben. Seit dieser Zeit wird in Jerusalem eine Kreuzreliquie verehrt. Allerdings offenbar nicht immer sehr aufmerksam, denn Anfang des 7. Jahrhunderts ging die Kreuzreliquie „verloren“; das war zugleich aber der Beginn der Kreuzauffindungsfestes in der Ostkirche, die Reliquie wurde in der Hagia Sophia gezeigt – der liebe Gott hat offenbar viele Wege zur Ökumene.
Kaiser Heraklius (628/631) konnte nach einem militärischen Sieg über die Perser die Kreuzreliquie zurückbringen nach Jerusalem. Diese Rückführung des Kreuzes wurde an einem eigenen Termin gefeiert, nämlich am 3. Mai; in manchen Regionen der Ökumene wuchsen die beiden Traditionen zusammen und wurden gemeinsam am 14. September gefeiert. Martin Luther hatte solch einen zusammengewachsene Tradition vor sich und polemisierte in einer Predigt kraftvoll-sprachmächtig gegen diesen militärischen Jubelgottesdienst.
Seither blieb die Unterschiedlichkeit der beiden Traditionen Kreuzauffindung und Kreuzeroberung immer bewusst und wurde spätestens seit Johannes XXIII. 1960 durch Streichung des Maifesttages offiziell besiegelt.
Das Fest der Kreuzerhöhung ist seither in der Ökumene immer verbunden mit der Kreuzauffindungslegende und der Grabeskirche in Jerusalem. Aber natürlich ist es auch so ein Fest der werdenden Groß- und Machtkirche, in der Orthodoxie gehört das Fest der Kreuzerhöhung zu den 14 großen Herrenfesten, wird also wie Weihnachten und Pfingsten gefeiert.
2.
Das Kreuz als Reliquie ist uns Protestanten komplett fremd, ebenso wie das Turiner Grabtuch oder der Heilige Rock in Trier. Aber bevor wir richten, sollen wir verstehen: Für frühere Jahrhunderte standen die Reliquien für die Materialität des Heils!
Die Anschaulichkeit und Fassbarkeit des Heils wurde sichtbar dargestellt, es ist Faktizität der Inkarnation des Gottessohnes, die diese Reliquie geistlich wertvoll machte. Dass man damit auch viel Geld verdienen konnte und dass es alsbald auch die absurdesten Reliquien gab („Jesu Windeln“), ist zweifellos richtig. Der reformatorische Protest gegen diesen ausufernden Reliquienkult war berechtigt.
Aber der Missbrauch sollte uns nicht blind machen für den geistigen Kern der Reliquienverehrung: Der Menschensohn ist an einem wirklichen Folterinstrument gestorben, er hat seine Gott-Verlassenheit nicht irgendwie zwischen Himmel und Erde erlitten, sondern hier an diesem Holz, an diesen Querbalken, auf diesen Fußstützen. Alle Rede der Gnosis vom leidensfreien Erlöser, alle spätere Rede von scheintoten Jesus, alle kluge Rede vom Prinzip Kreuzigung usw. wurden damit ausgeschlossen. Gottes Sohn ist wahrhaftig Mensch geworden und von uns Menschen zum Sünder gemacht und für uns Sünder gestorben, dafür steht die Materialität des aufgefundenen Kreuzes.
3.
Eine Spiritualisierung dieser Kreuzauffindungslegende und damit des 14. Septembers hat früh eingesetzt, zuerst bei den Pietisten, für die die Kreuzaufrichtung zu einer inneren Hinordnung auf das Erlösungswerk Jesu Christi wird. Nun geht es um die geistliche Aufrichtung des Kreuzes in mir. Nicht mehr das Holz des Kreuzes, sondern das Geschehen am Holz wird zur theologischen Mitte des Kreuzerhöhungsfestes. Diese Bewegung wird zunehmend eine ökumenische:
Die orthodoxen Kirchen erinnern das ganze Erlösungswerk, die römisch-katholische Kirche und die anglikanischen Kirchen feiern das stellvertretende Leiden des Gottessohnes. D.h. aber theologisch im Kern: Aus der Reliquie ist ein Erinnerungsort geworden.
Erinnerungsort im qualifizierten Sinne, also ein symbolischer „Raum“, an dem bestimmte Deutungen, Legenden und Erzählungen angewachsen sind (vgl. Wittenberger Schlosskirchentür). Das Fest der Kreuzerhöhung – verstanden als Erinnerungsort für das erlösende Kreuzesgeschehen – das können auch wir Protestanten als Christusfest feiern, als Gedenkraum für das Geheimnis der Inkarnation und der Barmherzigkeit Gottes.
4.
Welcher biblische Text gehört zu diesem Gedanken? Der biblische Kerntext zu diesem Fest ist überall gleich: der Christushymnus Phil 2, 6 -11:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
5.
Ein großer Text, uralt – Paulus hat ihn schon als fest etablierten Hymnus vorgefunden –, und der Grundgedanke ist imposant:
Weil Jesus sich erniedrigte im Gehorsam, darum erhöhte ihn Gott und gab ihm einen Namen über alle Namen, oben, unten, sichtbar, unsichtbar, gut und böse, hell und dunkel. Welcher Name ist es?
Aus Jesus von Nazareth wird Jesus Christus, Jesus der Messias, der Gottessohn, der Name also, dem alle Kräfte zu gehorchen haben, nicht nur die Engel und Erzengel, auch nicht nur die dunklen Geister der Tiefe und des Bösen, sondern auch die Namen der Welt, die uns heute so bedeutend und gewichtig vorkommen:
Sei es der Name Erfolg oder Leistung, sei es der Name Selbstrechtfertigung oder Anerkennung, sei es der Name Freiheit oder Gesundheit oder welcher hohe Name auch immer unser geheimstes Ideal ist. Sein Name bleibt stärker, auch wenn Not oder Flucht oder Krankheit alles Leben zu dominieren scheint.
So viel Bosheit, so viel Unglück, so viel Leid kann es gar nicht geben in dieser Welt, dass sein Name nicht heller zu leuchten vermag über allen Namen, die uns so oft bedrängen und sich breit machen wollen in unserem Herzen.
Und weil das so ist, wüsste ich wirklich keinen Grund, warum wir Protestanten diesen Kern des Kreuzauffindungsfestes nicht auch feiern können sollten.
Dieser Text wurde am 14. September 2015 erstmals auf ekd.de veröffentlicht.