Gesetzentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe


Die Kirchen danken dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Übersendung des Referentenentwurfs und die Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme. Gern machen sie von dieser Möglichkeit Gebrauch, wenngleich sie den Entwurf angesichts der in die Bearbeitungszeit fallenden Weihnachts- und Neujahrsfeiertage nicht abschließend kommentieren können. Insofern behalten die Kirchen sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Erwägungen vorzutragen. Sie sind dankbar dafür, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Kirchen und Verbände auch zu einer mündlichen Erörterung des Gesetzesvorhabens eingeladen hat.

Beide Kirchen haben sich seit 1992 stets deutlich gegen ein gesondertes Leistungsregime für Asylbewerber und andere Personen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus gewandt und dies vor allem mit der gleichen Würde aller Menschen begründet. Diese Haltung bekräftigen sie ausdrücklich. Die Kirchen haben, auch im Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, immer wieder detailliert Stellung genommen. Auf diese Äußerungen darf an dieser Stelle verwiesen werden. Die Kirchen sehen sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012,  das die uneingeschränkte Geltung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle Menschen unterstrichen hat, in ihrer Haltung bestätigt. Sie begrüßen es sehr, dass nun die lange überfällige Reform der Regelungen zur Gewährung existenzsichernder Leistungen an Asylbewerber und ihnen gleichgestellte Personen auf den Weg gebracht wird. Die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis bereits vollzogene und nun von dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Leistungssätze ist verfassungsrechtlich zwingend geboten. Sie führt zu einer Annäherung des Niveaus der Grundleistungen an das der Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB II/XII. Sehr zu begrüßen ist es auch, dass nun auch das AsylbLG Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen einräumen wird. Zudem wird eine jährliche Anpassung der Leistungssätze normiert und dadurch der unerträgliche Zustand beendet, dass die Leistungshöhe trotz signifikant gestiegener Lebenshaltungskosten fast zwanzig Jahre lang stagnierte. Das Bundesverfassungsgericht hat schon aus diesem Umstand hergeleitet, dass die Leistungen nach § 3 AsylbLG zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums evident unzureichend waren.  

Die in Aussicht gestellten gesetzlichen Verbesserungen entbinden jedoch nicht von der Notwendigkeit, die Frage nach der grundsätzlichen Rechtfertigung einer leistungsrechtlichen Sonderbehandlung von Asylbewerbern und ihnen gleichgestellten Ausländern zu beantworten. Praktisch macht sich diese Ungleichbehandlung nicht zuletzt in einer eingeschränkten Gesundheitsversorgung bemerkbar, die nach Überzeugung der Kirchen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt.

Bemessung von Leistungen aufgrund des Bedarfs der Leistungsbezieher
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 – wie auch schon in vorangegangenen Entscheidungen – ein eigenständiges Leistungsrecht für Asylbewerber und ggf. weitere Gruppen von Ausländern zwar nicht grundsätzlich verworfen. Es hat ein solches Sonderregime im Bereich der Gewährung existenzsichernder Leistungen aber an die Bedingung geknüpft, dass der Bedarf der davon betroffenen Personen „von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann“.  Leistungsabweichungen für bestimmte Personengruppen können also nur mit Bedarfsabweichungen in derselben Höhe verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

Der Gesetzentwurf nimmt auf diese Grundaussage des Bundesverfassungsgerichts Bezug und stellt fest, dass für die Leistungsberechtigten nach AsylbLG mindestens für die ersten 24 Monate ihres Aufenthalts in Deutschland ein abweichender Bedarf bestehe. In dieser Zeit hätten sie noch keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt, sondern müssten von einem nur vorläufigen Aufenthalt ausgehen. Die fehlende Bleibeperspektive wird sodann mit empirischen Langzeitbetrachtungen begründet (S.9), die allerdings in erster Linie Asylbewerber betreffen und auf die sonstigen Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG nicht ohne weiteres übertragbar sind.
Vor allem aber fehlen Ausführungen dazu, inwiefern diese fehlende Aussicht auf einen Daueraufenthalt den existentiellen Bedarf der Betroffenen beeinflussen soll. Auf die Darlegung dieses Zusammenhangs käme es jedoch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entscheidend an.

Die Entwurfsbegründung setzt sich mit den Bedarfen der Bezieher von Leistungen nach AsylbLG auseinander und wendet sich, was grundsätzlich zu begrüßen ist, neben Minderbedarfen auch etwaigen Mehrbedarfen zu. Es bedürfte allerdings näherer Prüfung, ob hierbei sämtliche Mehrbedarfe angemessen berücksichtigt wurden, so etwa im Bereich der Telekommunikation (denkbare Mehrkosten durch das Verwiesensein auf ein Mobiltelefon) oder der Auslagen für die Erfüllung ausländerrechtlicher Mitwirkungspflichten.

In erster Linie jedoch geht die Begründung nicht auf die grundsätzliche Frage ein, welche abweichenden Bedarfe den Ausschluss dieser Personen von den Sozialleistungen des SGB überhaupt rechtfertigen. Vielmehr geht sie bereits davon aus, dass die in § 1 AsylbLG genannten Personen einem leistungsrechtlichen Sonderregime unterstellt werden, und zeigt dann lediglich systemimmanente Zusammenhänge auf. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden, nämlich den Ausführungen zur Ausstattung mit Hausrat und Kleidung einerseits und zu den Gesundheitsleistungen andererseits.
Hausrat und Kleidung

Der Gesetzentwurf führt aus, dass die vom AsylbLG erfassten Personen typischerweise ohne Hab und Gut, insbesondere ohne Hausrat und Kleidung, nach Deutschland einreisen, so dass sie auf eine vollständige Erstausstattung mit diesen Gegenständen angewiesen sind. Dies stelle einen gegenüber Leistungsbeziehern nach SGB II/XII zusätzlichen Bedarf dar, dem durch eine Grundausstattung in Form von Sachleistungen Rechnung getragen werde. Dies rechtfertige es, diese Positionen bei der Berechnung der Geldleistungen nicht in Ansatz zu bringen (S. 9/10).

Diese Begründung erscheint innerhalb des Systems des AsylbLG plausibel, gibt aber keine Antwort auf die Frage, warum für die Erstausstattung mit Hausrat und Kleidung nicht die einschlägigen Regelungen des SGB II/XII zur Anwendung kommen. Anders als die Entwurfsbegründung dies nahelegt, kann ein Bedarf nach vollständiger Erstausstattung mit Hausrat und Kleidung nämlich keineswegs nur bei Leistungsbeziehern nach AsylbLG entstehen. Vielmehr können auch andere bedürftige Personen – etwa im Fall der Trennung und Scheidung, des Zuzuges aus dem Ausland, des Wohnungsbrandes oder der Haftentlassung  – in diese Lage geraten. Dieser Tatsache hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er in § 31 SGB XII und § 24 Abs. 3 SGB II Anspruchsgrundlagen für die Erstausstattung mit Hausrat und Kleidung geschaffen hat. Anders als nach dem Konzept des AsylbLG hat die Gewährung dieser Leistungen, die nach dem Gesetzeswortlaut „gesondert erbracht“ werden, keine Kürzung der Leistungen zum Lebensunterhalt zur Folge.  Der Gesetzentwurf bleibt bei allem Bemühen um adäquate Würdigung der Gegebenheiten letztlich die Begründung dafür schuldig, warum es angesichts dieser sozialrechtlichen Regelungen überhaupt eines im Ergebnis nachteiligen Sonderregimes für Asylbewerber und andere ihnen gleichgestellte Ausländer bedarf.

Gesundheitsleistungen
Bezieher von Leistungen nach § 3 AsylbLG haben nach § 4 lediglich Anspruch auf Leistungen zur Behandlung von Schmerzzuständen und akuten Erkrankungen. Grundsätzlich nicht gewährt werden dagegen Leistungen zur ursächlichen Behandlung chronischer Erkrankungen, die vom Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung selbstverständlich umfasst sind. § 6 AsylbLG sieht darüber hinaus Ermessensleistungen vor, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Immer wieder ist argumentiert worden, dass eine Unterversorgung von Leistungsbeziehern mit medizinischen Leistungen durch eine extensive Auslegung von § 6 AsylbLG verhindert werden könne. Nicht nur die Praxis widerspricht allerdings dieser Annahme; so sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Leistungsbeziehern (lebens-)notwendige Behandlungen verweigert wurden.  Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 festgestellt: „Schon der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zeigt, dass es nicht um die Grundsicherung geht, sondern um Leistungen, die ‚im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich‘ … sind. Der erkennbare Gesetzeszweck rechtfertigt die Überlegung nicht, die Ermessensvorschrift des § 6 AsylbLG könne sich bei verfassungskonformer Auslegung zu einem von der Verfassung für die Existenzsicherung geforderten Anspruch wandeln.“ 

Festzuhalten bleibt also, dass das Niveau der Gesundheitsleistungen für Empfänger von Leistungen nach § 3 AsylbLG signifikant niedriger ist als für solche Personen, die als Versicherte oder nach § 264 Abs. 2 SGB V Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten.

Da nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts geringere Leistungen im Bereich der Existenzsicherung nur durch entsprechend geringere Bedarfe gerechtfertigt werden können, wirft dies die Frage auf, inwiefern der medizinische Bedarf von Asylbewerbern und den ihnen gleichgestellten Ausländern sich von dem Bedarf anderer Menschen unterscheidet.

Auf die Problematik der grundsätzlich auf die Behandlung von Schmerzzuständen und akuten Erkrankungen beschränkten Leistungen nach § 4 AsylbLG geht die Entwurfsbegründung nicht ein. Sie legt dar, dass bestimmte Ausgaben (Rezeptgebühren und Eigenanteile) bei Leistungsberechtigten nach AsylbLG nicht anfallen können, da diese Personen keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung haben, sondern stattdessen Gesundheitsleistungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG erhalten. Daher seien diese Beträge in der Abteilung 6 (Gesundheitspflege) nicht zu berücksichtigen (S. 14).

Lediglich am Rande sei angemerkt, dass die in der Entwurfsbegründung als abzugsfähig angeführte Position „Praxisgebühr“ mit dem 1.1.2013 für jedermann entfallen ist. Sie begründet also, anders als im Entwurf vorgesehen, keinen im AsylbLG zu berücksichtigenden Minderbedarf mehr.

In erster Linie ist den Ausführungen des Gesetzentwurfs jedoch entgegenzuhalten, dass sie, ähnlich wie oben zum Hausrat ausgeführt, lediglich eine Binnenbegründung liefern. Sie setzen den Ausschluss von den Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung bereits voraus, anstatt ihn zu rechtfertigen. Die hierfür erforderliche bedarfsbezogene Begründung ist auch nicht ersichtlich: Personen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus genießen dasselbe Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und benötigen im Krankheitsfall dieselbe medizinische Behandlung wie alle anderen Menschen. Eine auf die Vorläufigkeit des Aufenthalts und die kurze Dauer der Einschränkungen bezogene Begründung scheidet ebenfalls aus: Auch die nun vorgesehenen 24 Monate Bezugsdauer sind offensichtlich ein zu langer Zeitraum, um einem Kranken unter Verweis auf spätere Behandlungsmöglichkeiten die notwendige Therapie zu verweigern. Die Kirchen halten angesichts dessen an ihrer Forderung fest, auch den Leistungsbeziehern nach § 3 AsylbLG bedarfsdeckende medizinische Leistungen, insbesondere auch zur Behandlung chronischer Erkrankungen, zu gewähren.

Diese Notwendigkeit ergibt sich auch aus der Richtlinie 2003/9/EG über Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, deren verbindliche Vorgaben nach wie vor nicht umgesetzt worden sind. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie verlangt von den Mitgliedsstaaten der EU, die erforderliche medizinische Behandlung sicherzustellen, was auch die ursächliche Therapie chronischer Erkrankungen umfasst.  Diese Verpflichtung verletzt die Bundesrepublik Deutschland mit dem eingeschränkten Leistungsanspruch des § 4 AsylbLG.

Auch noch in anderer Hinsicht bleibt das AsylbLG hinter den verpflichtenden Vorgaben der Richtlinie 2003/9/EG zurück: Das AsylbLG sieht entgegen Art. 20 der Richtlinie 2003/9/EG, künftig Art. 25 der Richtlinie, nach wie vor keinen Anspruch auf Behandlung für Asylantragsteller vor, die Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen schweren Gewalttaten geworden sind. § 6 Abs. 2 AsylbLG räumt bisher lediglich Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG einen entsprechenden Anspruch ein. Artikel 22 der neuen Fassung der Richtlinie sieht nun vor, dass der Hilfebedarf besonders schutzbedürftiger Personen in einer Einzelprüfung ihrer Situation bei der Aufnahme festgestellt werden muss. Dies ergab sich aus Sicht der Kirchen bisher bereits aus Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie in der noch gültigen Fassung.

Fehlende Berücksichtigung von Mehrbedarfen
Im SGB II/XII sind neben den Leistungen für den Regelbedarf und für Sonderbedarfe auch Leistungen für regelmäßig anfallende Mehrbedarfe vorgesehen. Dies betrifft u.a. Schwangere, Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung (vgl. § 21 SGB II bzw. § 30 SGB XII). Der gesetzlich geregelte Mehrbedarf gründet auf einer außergewöhnlichen, überdurchschnittlichen Bedarfssituation, welche typischerweise bei gewissen persönlichen Merkmalen oder Lebenssituationen auftritt.  Mehrbedarfe sind von Sonderbedarfen (§ 24 Abs. 3 SGB II bzw. §§ 31, 37 SGB XII) dadurch abzugrenzen, dass sie einen laufenden, wiederkehrenden Bedarf in Bezug nehmen. 
Diese Bedarfsgruppe wird im AsylbLG nicht abgebildet. Dieses sieht lediglich Grundleistungen (§ 3) sowie sonstige Leistungen vor, soweit diese im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind (§ 6). Eine Heranziehung von § 6 zur Deckung wiederkehrender Mehrbedarfe scheidet aus. Das Bundesverfassungsgericht hat zu § 6 festgestellt: „Diese Vorschrift ist als Ausnahmebestimmung für den atypischen Bedarfsfall konzipiert und daher von vornherein nicht geeignet, strukturelle Leistungsdefizite im Regelbereich des § 3 AsylbLG zu kompensieren.“ 

Für die sich demnach ergebende Schlechterstellung von Leistungsbeziehern nach § 3 AsylbLG ist kein Grund ersichtlich. Schwangere, Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende haben unabhängig vom Aufenthaltsstatus jeweils denselben erhöhten Regelbedarf, dem durch entsprechend erhöhte Regelleistungen und nicht durch Ermessensleistungen im Ausnahmefall zu entsprechen ist.

Anknüpfungspunkt für den Bezug von Grundleistungen: Voraufenthalt statt Vorbezug von Grundleistungen

Sehr zu begrüßen ist es, dass die Frist für die Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nach dem Entwurf nicht mehr an den Vorbezug dieser Leistungen, sondern, wie das Gesetz dies auch bis zum 31.5.1997 vorsah, an den Voraufenthalt der Betroffenen in Deutschland anknüpfen soll. Durch die nunmehr vorgesehene Bezugnahme auf die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet wird der unhaltbare Zustand beendet, dass Personen trotz langjährigen Aufenthalts in Deutschland (u.U. erneut) auf das Niveau der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG verwiesen werden. Es war nie verständlich, inwiefern der Vorbezug abgesenkter sozialer Leistungen den existentiellen Bedarf der Leistungsbezieher hätte beeinflussen können. Die Beseitigung dieser sinnwidrigen Regelung bedeutet für viele Personen eine erhebliche Besserstellung.

Gleichwohl entbindet sie den Gesetzgeber nicht von der Verpflichtung darzutun, in welcher Hinsicht ein nur vorübergehender Aufenthalt im Bundesgebiet einen geringeren existentiellen Bedarf begründet. Die Kirchen halten es für mehr als zweifelhaft, dass ein solcher Zusammenhang besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bemerkt: „Ohne hinreichend verlässliche Grundlage bleibt auch die dem Gesetz ersichtlich zugrunde liegende Annahme, dass eine kurze Aufenthaltsdauer die begrenzte Leistungshöhe rechtfertigt. Weder dem Asylbewerberleistungsgesetz noch den Gesetzesmaterialien oder den Stellungnahmen zu diesem Verfahren lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich die Aufenthaltsdauer konkret auf existenzsichernde Bedarfe auswirkt und inwiefern dies die gesetzlich festgestellte Höhe der Geldleistungen tragen könnte.“ 

Bestimmung des kurzfristigen Aufenthalts - Frist für den Übergang zu den Analogleistungen nach § 2 AsylblG
Bestünde – wovon die Kirchen nicht ausgehen – ein Zusammenhang zwischen Aufenthaltsperspektive und Bedarf nach existenzsichernden Leistungen, hätte der Gesetzgeber zu bestimmen, welche Zeitspanne als kurzfristiger Aufenthalt anzusehen ist. Die Kirchen sind mit dem Bundesverfassungsgericht der Ansicht, dass ein nur vorübergehender Aufenthalt jedenfalls bei einer Aufenthaltsdauer von 48 Monaten überschritten ist.  Unter dem eingangs geäußerten Vorbehalt der grundsätzlichen Fragwürdigkeit zeitweilig abgesenkter existenzsichernder Leistungen halten die Kirchen daher eine Kürzung dieser Zeitspanne für zwingend.

Der Entwurf schlägt dafür einen Zeitraum von 24 Monaten vor und begründet diese Frist mit der durchschnittlichen Dauer der Asylverfahren zuzüglich der Zeitspanne von vier Monaten für sich anschließende aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Nach diesem Zeitraum steige die Perspektive auf einen Daueraufenthalt signifikant.  Zur Gruppe der Leistungsberechtigten zählen jedoch – anders als bei Inkrafttreten des AsylbLG – keineswegs nur Asylbewerber. Es ist also schon fraglich, ob die durchschnittliche Dauer des Asylverfahrens überhaupt als sinnvolles Kriterium für die Bemessung der Frist herangezogen werden kann. Bei Inkrafttreten des Gesetzes 1993, das damals tatsächlich nur Asylbewerber betraf, nahm der Gesetzgeber bereits nach einer Dauer von zwölf Monaten einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt der Betroffenen an.  Die Kirchen sahen – bei grundsätzlicher Ablehnung des AsylbLG – die Absenkung der Leistungen hingegen allenfalls für den Zeitraum, in dem für die Betroffenen nach § 47 Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtung zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung bestand, als hinnehmbar an.
Es ist ohnehin zweifelhaft, ob auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine starre Frist zum Übergang in die Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG angezeigt ist. Zumindest müssen Ausnahmen für Einzelfälle möglich sein, wenn sich vor Ablauf der vom Gesetzgeber festgelegten Frist abzeichnet, dass der Aufenthalt der betreffenden Person diese Zeitspanne überschreiten wird und ihr Aufenthalt damit erkennbar nicht mehr als kurzfristig angesehen werden kann. Denn auch wenn sich der Gesetzgeber zur Bestimmung der Personengruppe, die sich voraussichtlich kurzfristig in Deutschland aufhalten wird, einer Prognose anhand bestimmter Kriterien, unter anderem anhand des Aufenthaltsstatus, bedienen darf, ist dennoch stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. 

§ 2 AsylbLG räumt auch in der vorgelegten Neufassung nur denjenigen Leistungsberechtigten einen Anspruch auf Analogleistungen nach SGB XII ein, die die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Ist dies hingegen der Fall, beziehen sie weiterhin abgesenkte Leistungen nach § 3 AsylbLG. § 2 Abs. 1 a.E. AsylbLG stellt somit eine migrationspolitisch motivierte Sanktionsregelung dar. Insoweit gilt das unten unter „Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG“ Ausgeführte. Die Kirchen plädieren deshalb für die Streichung der in § 2 Abs. 1 a.E. vorgesehenen Einschränkung.

Gruppen von Leistungsbeziehern nach § 1 AsylbLG
Keine Abhilfe schafft der Entwurf für ein weiteres Problem: § 1 AsylbLG unterstellt auch Personen mit bestimmten humanitären Aufenthaltserlaubnissen dem eingeschränkten Leistungsregime des AsylbLG. Dieses fußt jedoch ausweislich der Gesetzesmaterialien entscheidend auf der Annahme, dass die von ihm betroffenen Personen sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten und daher keinen Integrationsbedarf aufweisen.  Diese Hypothese begegnet nicht nur den bereits dargelegten Bedenken; sie geht darüber hinaus erkennbar fehl bei Personen, deren Aufenthalt durch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen rechtlich abgesichert wurde. Dies gilt insbesondere – aber nicht ausschließlich – für Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Erteilung dieser Titel setzt nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich voraus, dass mit dem Wegfall von Ausreisehindernissen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Aufenthaltserlaubnisse können nach § 26 Abs. 4 AufenthG außerdem zur Niederlassungserlaubnis erstarken. Der Gesetzgeber geht im Aufenthaltsrecht also durchaus von einem längerfristigen Aufenthalt der Betroffenen aus, und er schafft selbst die Grundlage dafür. Im Leistungsrecht jedoch behandelt er dieselben Personen so, als stünde ihre Ausreise kurz bevor. Der Gesetzgeber sollte die anstehende Novellierung des AsylbLG dazu nutzen, diesen offenkundigen Widerspruch zu beseitigen.
 
Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG
Die Regelung zur Absenkung des Leistungsniveaus nach § 1a AsylbLG erfährt durch den Gesetzentwurf keine Änderung. Sie begegnet aus Sicht der Kirchen jedoch erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
§ 1a AsylbLG eröffnet den Behörden die Möglichkeit, das Leistungsniveau von Inhabern von Duldungen und vollziehbar Ausreisepflichtigen sowie deren Familienangehörigen dann auf das im Einzelfall „unabweisbar Gebotene“ zu reduzieren, wenn sie lediglich nach Deutschland eingereist sind, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen (§ 1a Nr. 1 AsylbLG) bzw. wenn bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (§ 1a Nr. 2 AsylbLG). § 1a AsylbLG wurde mit der 2. Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 1.9.1998 eingeführt, um Schlepperbanden den finanziellen Anreiz zu nehmen und um die Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer in ihre Herkunftsländer zu befördern.  Damit verfolgt die Regelung migrationspolitische Steuerungsziele. Eine Absenkung von Leistungen unter das Niveau des menschenwürdigen Existenzminimums aus migrationspolitischen Erwägungen verbietet das Bundesverfassungsgericht jedoch – wie auch der Gesetzesentwurf betont  - ausdrücklich. 

Maßgeblich für die Bestimmung der Höhe der Leistung für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist lediglich der konkrete Bedarf der Hilfebedürftigen. Es ist nicht ersichtlich, wie das menschenwürdige Existenzminimum der Hilfebezieher nach Reduktion der Leistung auf das „unabweisbar Gebotene“ unterhalb der nun durch den Gesetzentwurf festgesetzten Beträge noch gedeckt werden soll. Viele Behörden ordnen in Umsetzung der Anspruchseinschränkung beispielsweise den Abzug des Barbetrags nach § 3 Abs. 1 S. 4 AsylbLG von der Grundleistung an,  was den Leistungsberechtigten die Wahrnehmung ihres soziokulturellen Existenzminimums nur unter Inkaufnahme von Einbußen im Rahmen des physischen Existenzminimums ermöglicht. Dies kommt jedoch kaum in Betracht, da auch die Leistungen zur Deckung des physischen Existenzminimums keine derartigen Reserven enthalten. Von vornherein ausgeschlossen ist eine solche „Querfinanzierung“ soziokultureller Teilhabe in Bundesländern, in denen die AsylbLG-Leistungen als Sachleistungen ausgezahlt werden; dort führt die Einbehaltung des so genannten Taschengeldes dazu, dass die Leistungsberechtigten jegliche Barmittel und damit die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Leben und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen verlieren. Dies verletzt jedoch das einheitliche Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das neben der Aufrechterhaltung der physischen Existenz auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst.  Folgerichtig haben bereits einige Sozialgerichte die Absenkung des Leistungsniveaus gem. § 1a AsylbLG nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 18.7.2012 als verfassungswidrig abgelehnt.

Die Beibehaltung der Anspruchseinschränkung im AsylbLG kann auch nicht mit Verweis auf die bestehenden Sanktionsmaßnahmen in § 34 SGB II und § 26 SGB XII gerechtfertigt werden. Denn unabhängig von der Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Sanktionsregelungen im allgemeinen Fürsorgerecht  wird zumindest die Regelung des § 1a AsylbLG den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die nach der Literatur an Sanktionen im Fürsorgerecht zu stellen sind, nicht gerecht. Um zulässig zu sein, müssen diese 1. an ein steuerbares Verhalten des Leistungsberechtigten anknüpfen und 2. dem Betroffenen etwas abverlangen, was grundsätzlich geeignet ist, zur Überwindung seiner Hilfebedürftigkeit beizutragen oder aber diese zu beenden.  Im Fall des § 1a 1. Alt AsylbLG liegt die in Frage stehende sanktionsbewehrte Handlung des Leistungsberechtigten in der Vergangenheit  und kann nicht mehr revidiert werden. Ein steuerbares Verhalten liegt insofern nicht vor. Den ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten, deren Verletzung § 1a Alt. 2 AsylbLG ahndet, können die Betroffenen zwar noch nachkommen. Eine etwaige Mitwirkung ist allerdings nicht geeignet, zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit der Betroffenen beizutragen. Die Erfüllung von Mitwirkungspflichten im Ausländerrecht – wie die Beschaffung des Passes o.ä. – ändert an der Hilfebedürftigkeit des Betroffenen nichts; sie ist ohne Einfluss auf den lebensnotwendigen Bedarf der Betroffenen und ausschließlich auf die Erfüllung der Ausreiseverpflichtung gerichtet.
Darüber hinaus sieht § 1a AsylbLG – anders als die Sanktionsregelungen in SGB II und XII – keine abgestufte Leistungsreduktion vor; auch ist im AsylbLG keine Rechtsfolgenbelehrung durch die Behörden vorgesehen. Familienangehörige, unabhängig von einem etwaigen eigenen Fehlverhalten, sind in die Leistungsreduktion explizit miteinbezogen. Allein aus diesen Gründen sind Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Regelung angebracht.
Die Kirchen plädieren deshalb für die Streichung von § 1a AsylbLG. 

Sachleistungen
Zwar stellt das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich anheim, auf welche Weise – ob in Form von Geld-, Sach- oder Dienstleistungen – der Gesetzgeber das Existenzminimum der Hilfebedürftigen sichert.  Es hat deshalb bei der Formulierung der Übergangsregelung die Entscheidung des Gesetzgebers für eine vorrangige Gewährung von Sachleistungen nicht angetastet – allerdings  „unter der Voraussetzung und in der Annahme, dass Sachleistungen aktuell das menschenwürdige Existenzminimum tatsächlich decken“.  Ob davon jedoch flächendeckend ausgegangen werden kann, ist aus Sicht der Kirchen höchst zweifelhaft. Seit geraumer Zeit liegen Praxisberichte zur Versorgungssituation von Asylbewerbern vor, die veranschaulichen, dass das Sachleistungsprinzip immer wieder zu einer Unterversorgung der Hilfebedürftigen führt.  So sei festzustellen, dass der Warenwert von Essenspaketen in der Praxis regelmäßig unter den Werten nach § 3 Abs. 2 AsylbLG liege und spezielle Bedürfnisse der Betroffenen, beispielsweise im Falle einer Schwangerschaft, wenn kleine Kinder zu versorgen sind oder bestimmte Essensvorschriften eingehalten werden müssen, bei der Zusammenstellung der Essenspakete keine Berücksichtigung fänden. Diese Berichte mögen auch die Bundesregierung bewogen haben, im Koalitionsvertrag die Evaluierung des Sachleistungsprinzips zu vereinbaren.  Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände haben gemeinsam mit den anderen in der BAG FW zusammengeschlossenen Verbänden eine Stellungnahme dazu erarbeitet. Ihrer Auffassung nach reichen die in den Ländern gewährten Sachleistungen zur Bedarfsdeckung häufig nicht aus, sind von minderer Qualität und nicht auf die Bedürfnisse der Bezieher abgestimmt. Diese Einschätzung wird von anderen Organisationen, wie dem Flüchtlingsrat Berlin, geteilt.  In den letzten Monaten haben immer wieder auch Asylsuchende mit Protesten auf ihre Lebenssituation aufmerksam gemacht und vor allem die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften beklagt.

Im Rahmen des allgemeinen Fürsorgerechts wurde 2005 der grundsätzliche Vorrang von Geldleistungen vor einer Gewährung von Sachleistungen oder Gutscheinen postuliert, um dem in § 1 SGB XII normierten Rechtsgedanken gerecht zu werden, dass Sozialhilfe die Führung eines Lebens ermöglichen solle, das der Würde des Menschen entspricht.  Dazu gehört auch die so genannte wirtschaftliche Dispositionsfreiheit, die dem erwachsenen Menschen ein eigenverantwortliches Wirtschaften im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel eröffnen soll.  Leistungen im allgemeinen Fürsorgerecht können ausnahmsweise dann in Form von Sachleistungen erbracht werden, wenn diese das Ziel der Sozialhilfe erheblich besser und wirtschaftlicher erfüllen. 

Diese Wertungen vollzieht das AsylbLG in seiner bisherigen Fassung nicht nach. Sachleistungen können aber die Bedarfe von Leistungsberechtigten weder besser noch wirtschaftlicher decken als dies durch eine Gewährung in Form von Geldleistungen der Fall sein könnte. Erfahrungsberichten von Mitarbeitern in caritativen und diakonischen Beratungsstellen zufolge leiden Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG unter dem Primat der Sachleistungen. Betroffene erleben den Verweis auf Essenspakete, den Einkauf mit Gutscheinen und die Verpflichtung, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen, als diskriminierend.  Sachleistungen wirken darüber hinaus einer Integration der Betroffenen in die Gesellschaft entgegen.

Außerdem gehen Sachleistungen mit erheblichem administrativen Aufwand und höheren Kosten einher.  Dies stellt auch der Gesetzentwurf fest. 
Die Kirchen treten deshalb dafür ein, die Novellierung des AsylbLG dafür zu nutzen, die vorrangige Gewährung von Sachleistungen aufzugeben.