Gemeinsame Stellungnahme zu den Entwürfen der Europäischen Kommission vom 16. September 2011 zur Reform der EU-Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
(EKD-Büro Brüssel / Kommissariat der Deutschen Bischöfe)
Wir begrüßen die Ziele der Kommission mit der Überarbeitung der EU-Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, Beihilfen für kleine Dienstleistungserbringer einfacher zu gestalten und durch klarere Regeln in diesem Bereich generell mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Diese Ziele werden allerdings durch die veröffentlichen Entwürfe nicht durchgehend erreicht. Das EKD-Büro Brüssel und das Kommissariat der Deutschen Bischöfe erlauben sich daher, auf einige ausgewählte Aspekte dieser Vorschläge einzugehen
I. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
In Randnummer 43 der Mitteilung wird ausgeführt, dass nicht von einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) ausgegangen wird, wenn die Dienstleistung von einem im Einklang mit den Marktregeln funktionierenden Unternehmen zufriedenstellend erbracht werden kann oder könnte.
Ein solches Verständnis einer DAWI ist mit Blick auf praktische Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit von Dienstleistungen im sozialen Bereich problematisch. Diese zeichnen sich nämlich häufig durch ihre persönlich-individuelle Ausrichtung auf den einzelnen Menschen hin aus, aber sind auch in ihrer Prägung vom Charakter des Dienstleistungserbringers abhängig. Der gleiche Typ Dienstleistung kann so sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Dies macht nicht nur einen Vergleich der Erbringung solcher Dienstleistungen zwischen bestehenden Unternehmen extrem schwierig. Erst recht kann ein solcher Vergleich nicht glaubwürdig zwischen einem bestehenden und einem fiktiven Unternehmen angestellt werden. Darüber hinaus würde die Tatsache, dass, wie von der Kommission erwogen, kein Unternehmen in diesem Bereich unter Marktbedingungen die betreffende Dienstleistung erbringt, gerade dafür sprechen, dass dort auch kein Markt existiert.
Schließlich verletzt die Kommission mit ihrem in Randnummer 43 geäußerten Verständnis von DAWI den im Protokoll 26 zum AEUV hervorgehobenen Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten. Diese haben selber festzulegen, welche Dienstleistungen auf ihren Märkten als DAWI zu qualifizieren sind, nicht die Kommission. Letztere muss sich, worauf die Kommission selbst in Randnummer 41 hinweist, in ihrer Kontrolle darauf beschränken, ob den Mitgliedstaaten bei dieser Festlegung kein offenkundiger Fehler unterlaufen ist.
II. Entwurf eines Beschlusses über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind
1. Die Kommission hat in Art. 1 a) des Beschlussentwurfs eine Festlegung des Schwellenwerts für Ausgleichsleistungen an Unternehmen, die nicht unter dessen Art. 1 b) oder c) fallen, auf 15 Millionen Euro pro Jahr vorgeschlagen. Diese Anwendungsschwelle, unterhalb welcher die Ausgleichszahlungen nach dem Beschlussentwurf von der Notifizierungspflicht befreit sein können, ist unzureichend. Es ist unverständlich, warum die Kommission die sich bisher aus der Monti- Entscheidung vom 28.11.2005 ergebende Anwendungsschwelle von 30 Millionen Euro verändert hat. Diese sollte vielmehr beibehalten werden.
2. Die Formulierung des Art. 1 Abs. 1 c) Satz 1 des Beschlussentwurfs überzeugt nicht. Die jedenfalls teilweise Beschränkung dieses Freistellungstatbestands auf Dienstleistungen gegenüber „schwächeren Bevölkerungsgruppen“ verfehlt den Kern der Dienstleistungen im sozialen Bereich. Bedarf an sozialen Dienstleistungen besteht in allen Bevölkerungsschichten, er richtet sich nach der Hilfsbedürftigkeit der betroffenen Menschen.
3. Der Vorschlag der Kommission, die Anwendung des Freistellungstatbestands des Art. 1 Abs. 1 c) des Beschlussentwurfs über dessen Satz 2 auf Unternehmen zu begrenzen, „deren Tätigkeit auf eine oder mehrere der in diesem Absatz oder in Absatz b genannten Dienstleistungen beschränkt ist“, kann so nicht unterstützt werden. Zum einen besteht mit dieser Formulierung die Gefahr, dass eine Reihe sozialer Einrichtungen, die zusätzlich etwa eine sozialförderliche, kleine Gastronomie, etwa ein Café, kommerziell betreiben, nicht mehr von Art. 1 Abs. 1 c) des Beschlussentwurfs erfasst wären. Darüber hinaus dürfen Unternehmen, die sich diversifizieren und bei entsprechend strenger (u.a. finanzieller, struktureller) Trennung zumindest auch im sozialen Bereich tätig sind, nicht allein wegen ihrer kommerziellen Tätigkeit benachteiligt werden. Folgende Formulierung erscheint angemessener:
„Dieser Absatz gilt nur, wenn die Ausgleichsleistungen an Unternehmen gezahlt werden, deren Tätigkeiten im Wesentlichen auf eine oder mehrere der in diesem Absatz oder in Absatz b genannten Dienstleistungen beschränkt ist.“
Diese Einschränkung spiegelt zudem die Formulierung in Erwägungsgrund 10 Satz 3 des Beschlussentwurfs wieder.
4. Verständlich erscheint die Regelung in Art. 3 f) des Beschlussentwurfs, die im Betrauungsakt einen obligatorischen Verweis auf den Beschluss vorsieht, denn dadurch soll gewährleistet werden, dass die von der Anmeldepflicht befreite Betrauung in Kenntnis und im Einklang mit dem Beschluss erfolgt. Jedoch darf bei materiell rechtmäßiger Beihilfe das Unterlassen eines solchen Verweises nicht als Nichtigkeitsgrund des Betrauungsaktes zu werten sein. So kann auch übermäßig formaler, bürokratischer Verwaltungsaufwand vermieden werden.
Die vorgeschlagene Beschränkung des Anwendungsbereiches der Verordnung auf Behörden, die eine Bevölkerung von weniger als 10.000 Einwohner vertreten (Art. 1 Abs. 2 des Verordnungsentwurfes), ist für den hiermit verfolgten Zweck nicht geeignet. Der Anwendungsbereich der Verordnung soll auf lokale Dienstleistungen beschränkt werden, da solche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten in der Regel nicht beeinträchtigen. Allerdings ist es für eine potentielle Auswirkung auf den grenzüberschreitenden Handel unerheblich, wie viele Bürger die Behörde vertritt, die die Beihilfe gewährt. Es kommt hierfür ausschließlich auf die Auswirkungen der Dienstleistung auf den Binnenmarkt an.
Warum die Schwelle des Art. 2 Abs. 2 des Verordnungsentwurfes in Höhe von 150.000 Euro lediglich auf ein Jahr bezogen ist und nicht wie die Verordnung (EG) Nr. 1998/2008 für die freigestellten Ausgleichszahlungen einen Bezugszeitraum von drei Jahren vorsieht, ist nicht nachvollziehbar. Wünschenswert wäre ein Schwellenwert in Höhe von 500.000 Euro in einem Referenzrahmen von drei Jahren, wie ihn die BAGfW und die kommunalen Spitzenverbänden in ihrer Stellungnahme vom Juni 2010 vorgeschlagen haben. Eine solche Kombination entspricht auch dem Erfahrungswert, dass größere, zeitlich auf mehrere Jahre ausgelegte Projekte im DAWI-Bereich nicht selten zu Anfang eines größeren Finanzierungsanschubs bedürfen. Ein Schwellenwert der neuen de minimis-Verordnung speziell für DAWI von 500.000 Euro in drei Jahren würde Raum für flexiblere Ausgleichs-/Investitionskostenunterstützung lassen. Darüber hinaus führt die vorliegende Regelung zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass eine lokale Dienstleistung, die lediglich ein Jahr gewährt wird und über 150.000, jedoch unter 200.000 Euro liegt, nicht von der speziellen De-minimis-Verordnung für lokale Dienstleistungen, sondern von der Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 erfasst wird. Der lokalen Natur der Dienstleistung würde so nicht mehr Rechnung getragen, was aber gerade Ratio der vorliegenden Verordnung ist.
Darüber hinaus ist die Begrenzung des Maximalumsatzes des Begünstigten auf 5 Millionen Euro in Art. 2 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs als zu niedrig zu bewerten. Auch soziale Dienstleister erreichen teilweise Umsätze, die über 5 Millionen Euro liegen, was aber weder gegen eine Lokalität der Dienstleistung noch für eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes spricht.