Gemeinsame Stellungnahme zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 15. September 2010

Einleitung

Die Kirchen danken dem Bundesministerium des Innern für die Übersendung des Entwurfes eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex und nutzen gerne die ihnen eingeräumte Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf ausgewählte Vorschriften; die Kirchen behalten sich jedoch vor, gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt ergänzende Anmerkungen zu machen.

Die nun anstehende Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger  sowie der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen  bietet Anlass zu Verbesserungen in aus kirchlicher Sicht wichtigen Bereichen. In Teilen sieht der Entwurf, auch in Umsetzung anderer europäischer Richtlinien, zufrieden stellende Lösungen vor. So wird der Unterscheidung zwischen europarechtlichem und nationalem subsidiären Schutz nun besser als bisher – wenn auch noch nicht umfassend – Rechnung getragen. Einige Vorgaben der Rückführungs- und der Sanktionsrichtlinie werden dagegen nicht oder nicht vollständig umgesetzt. So verpflichtet die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten beispielsweise, ein wirksames System zur Überwachung von Rückführungen einzurichten. Hierzu enthält der Gesetzentwurf keinen Regelungsvorschlag. Die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Verbesserungen der Bedingungen der Abschiebungshaft, gerade auch für besonders Schutzbedürftige, Minderjährige und Familien, werden nur teilweise übernommen. Auch die in der Sanktionsrichtlinie angelegten Möglichkeiten der Verbesserung der Rechtsstellung statusloser Beschäftigter werden leider nicht vollständig ausgeschöpft. In diesem Zusammenhang sollte insbesondere erwogen werden, die in § 87 Abs. 2 AufenthG normierte Übermittlungspflicht von Arbeitsgerichten gegenüber den Ausländerbehörden aufzuheben. Denn erfahrungsgemäß steht diese Mitteilungspflicht in der Praxis der Geltendmachung berechtigter Lohnforderungen vielfach entgegen.

Die Kirchen halten es ferner für notwendig, weitere aufenthaltsrechtliche Vorhaben der Koalition aufzugreifen. Dies betrifft etwa die Entbindung öffentlicher Stellen im Schulbereich von der Übermittlungspflicht des § 87 AufenthG, die Schaffung einer angemessenen Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete und die längst überfällige Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Kirchen gehen davon aus, dass diese ausstehenden Vorhaben Gegenstand späterer Gesetzesinitiativen sein werden.

Zu den einzelnen Regelungen:

Artikel 1: Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Nr. 4: § 5

Es soll klargestellt werden, dass ein Anspruch im Sinne des Aufenthaltsgesetzes, der ein Abweichen von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründen erlaubt, immer nur ein gesetzlicher Anspruch ist. Dagegen sollen keine Ausnahmen gelten, wenn sich ein Anspruch erst aus einer Ermessensreduzierung auf Null ergibt. Die Entwurfsbegründung verweist hierzu auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2008.  Das Gericht stellt darin maßgeblich darauf ab, dass der Gesetzgeber nur im Fall gesetzlicher Ansprüche bereits eine grundsätzliche, die Verwaltung bindende Entscheidung über den Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet getroffen habe. Nur für diese Fälle habe er zum Ausdruck gebracht, dass er Versagungsgründe als nachrangig ansehe. Der Verwaltung verbleibe dementsprechend kein eigener Entscheidungsspielraum, vielmehr habe sie nur das Vorliegen der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen nachzuprüfen. Die Frage, ob Sollvorschriften Ansprüche im Sinne des Aufenthaltsgesetzes begründen können, hat das Bundesverwaltungsgericht dagegen offen gelassen.

Es mag dahinstehen, ob diese Auslegung des geltenden Rechts dem ursprünglichen gesetzgeberischen Willen entspricht. Jedenfalls steht es dem Gesetzgeber frei, de lege ferenda die Möglichkeit des Dispenses von Erteilungs- und Versagungsvorschriften auf Fälle der Ermessensreduzierung auf Null und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften zu erstrecken. Dies ist sachlich geboten. Denn bei einer – etwa durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vorgegebenen – Ermessensreduzierung auf Null ist die Verwaltung in gleicher Weise gebunden wie bei einem gesetzlichen Anspruch. Kommt danach nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung in Betracht, kann diese auch dem Willen des Gesetzgebers nicht zuwiderlaufen. Es ist daher nicht erkennbar, welche berechtigten Interessen verletzt werden sollen, wenn auch bei Ermessensreduzierung auf Null von Erteilungs- und Versagungsnormen abgewichen würde.

Umso mehr gilt dies für Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften. Mit dem Erlass solcher Normen hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Entscheidung für ein Aufenthaltsrecht getroffen, von der lediglich in atypischen Fällen abgewichen werden kann. Liegt ein solcher atypischer Fall vor, sind die Voraussetzungen des Regelanspruchs nicht erfüllt, so dass den Betroffenen auch die grundsätzlich eröffnete Möglichkeit des Abweichens von Erteilungs- und Versagungsvorschriften nicht zugute käme. Es wäre also keine der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufende Begünstigung von Ausländern zu befürchten.

Nr. 6: § 8 Abs. 3

Der neu eingefügte § 8 Abs. 3 S. 1 AufenthG-E verpflichtet die Ausländerbehörde, vor der Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob der Ausländer einer etwaigen Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs nachgekommen ist. Hierzu ist die Behörde auch nach geltendem Recht verpflichtet. Der Begründungstext (S. 69) legt jedoch den Schluss nahe, dass von der Sanktionsmöglichkeit des § 8 Abs. 3 AufenthG bisher nicht im erwünschten Maße Gebrauch gemacht worden ist. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass bei der Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis auch die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen eine Rolle spielt. Um ungerechtfertigte aufenthaltsrechtliche Sanktionen zu vermeiden, muss hierbei jedoch berücksichtigt werden, ob etwaige praktische Probleme wie fehlende Kinderbetreuung oder weite Anfahrtswege einer regelmäßigen Teilnahme entgegenstanden. Die Kirchen möchten in diesem Zusammenhang außerdem darauf hinweisen, dass die Integrationsbereitschaft von Zuwanderern Erhebungen zufolge als hoch einzustufen ist . Diese ohnehin ausgeprägte Bereitschaft kann durch die Aufnahme weiterer aufenthaltsrechtlicher Anreize wirkungsvoll weiter gesteigert werden. Ein gutes Beispiel für einen aufenthaltsrechtlichen Anreiz stellt die Verkürzung der Frist für die Einbürgerung nach § 10 Abs. 3 StAG dar.

Nr. 7: § 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG-E

Nach dieser Vorschrift soll die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Person ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nach Kapitel 5 (mit Ausnahme eines Titels nach § 23 Abs. 2 AufenthG) erteilt wurde, sondern auch dann, wenn sie einen solchen humanitären Aufenthaltstitel beantragt hat. Damit soll laut Entwurfsbegründung u.a. Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a bis c der Hochqualifiziertenrichtlinie  umgesetzt werden. Dieses Ziel verfehlt der Regelungs-vorschlag jedoch. Denn er erfasst gerade nicht die in Art. 3 der Hochqualifiziertenrichtlinie genannten Ausländer mit rein humanitärem Aufenthaltsrecht oder ungeklärtem Status, sondern ausschließlich solche Ausländer, die bereits seit mindestens fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen als humanitären Zweck innehaben. Andernfalls wäre bereits die Anspruchsvoraussetzung des § 9a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt, so dass die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG von vornherein nicht in Frage und die Ausschlusstatbestände des § 9a Abs. 3 AufenthG nicht zum Tragen kämen. Von § 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG-E könnten also nur solche Ausländer betroffen sein, die zwar schon seit mindestens fünf Jahren andere als humanitäre Aufenthaltserlaubnisse innehaben, dann jedoch eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis beantragen. Wie relevant diese Fallgestaltung in der Praxis ist, mag hier dahinstehen. Denn es ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum diese Personen den Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG, der ihnen aus ihrem rechtmäßigen und nicht humanitär begründeten Voraufenthalt erwachsen ist, nun einbüßen sollten. Insbesondere sieht auch § 51 AufenthG keinen entsprechenden Erlöschenstatbestand vor.

Bislang erfassen die Ausschlusstatbestände des § 9a Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG solche Personen, denen ausschließlich ein humanitäres Aufenthaltsrecht zusteht oder deren aufenthaltsrechtlicher Status noch ungeklärt ist. Beides trifft auf die von der geplanten Änderung des § 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG betroffene Gruppe nicht zu. Insofern liegt auch kein Wertungswiderspruch vor, wenn die Antragstellung durch anderweitig Aufenthaltsberechtigte, anders als der Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, noch nicht zum Ausschluss von der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG führt.

Nr. 9: § 10 Abs. 3 AufenthG-E

Vgl. die Ausführungen zu Nr. 4.

Nr. 10: § 11 AufenthG-E

a) § 11 Abs. 1 AufenthG-E

Nach Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Es erscheint ratsam, diese Formulierung in § 11 Abs. 1 S. 4 AufenthG-E aufzunehmen. Hierdurch käme deutlicher zum Ausdruck, dass die Regelhöchstfrist von fünf Jahren je nach den Umständen des Einzelfalls – ggf. deutlich – zu unterschreiten ist.

Die regelmäßige Höchstfrist von fünf Jahren kann nach dem Entwurf neben den in Art. 11 Abs. 2 S. 2 der Rückführungsrichtlinie genannten Gründen – bei Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung sowie für die öffentliche Sicherheit – auch überschritten werden, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist. Grundlage für die letztgenannte Mög-lichkeit zur Überschreitung der Dauer der regelmäßigen Höchstfrist ist laut Begründung (S. 72) Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Rückführungsrichtlinie, der es den Mitgliedstaaten freistellt, die Richtlinie nicht auf Straftäter anzuwenden, die aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer solchen rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Da die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch zu machen, regen die Kirchen an, eine Höchstfristüberschreitung nur für diejenigen Straftäter zuzulassen, die zum Zeitpunkt der Fristbemessung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Jedenfalls sprechen sich die Kirchen dafür aus, eine Überschreitung der Höchstfrist nicht bei jeder Ausweisung aufgrund einer Straftat zuzulassen, sondern dies auf Ausweisungen aufgrund schwerwiegender Straftaten zu beschränken. Dies sieht die Begründung auch vor (S. 72). Die Kirchen regen an, diese Voraussetzung zur Klarstellung in den Gesetzeswortlaut zu übernehmen.

Nr. 15: § 23 a AufenthG-E

Es soll klargestellt werden, dass Aufenthaltserlaubnisse nach der Härtefallregelung auch abweichend von den Erteilungsverboten der §§ 10 und 11 AufenthG gewährt werden können. Dies ist vorbehaltlos zu begrüßen, da über diese Frage in der Praxis Unsicherheit bestand und zudem unnötige Erteilungshindernisse dem humanitären Zweck der Härtefallregelung zuwiderlaufen.

Nr. 16: § 25 AufenthG-E

b) § 25 Abs. 3 AufenthG-E

§ 25 Abs. 3 AufenthG-E sieht vor, künftig zwischen europarechtlichem (S. 1) und nationalem (S. 2) subsidiären Schutz zu unterscheiden. Der so genannten Qualifikationsrichtlinie entsprechend besteht auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Fällen europarechtlich gebotenen subsidiären Schutzes nunmehr ein Anspruch. Die Kirchen hatten in früheren Stellungnahmen beanstandet, dass die Soll-Regelung des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG hinter den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie zurückblieb. Die Änderung ist daher notwendig und zu begrüßen. Konsequent ist es ferner, dass § 25 Abs. 3 S. 4 AufenthG-E auch die Möglichkeit, die Erteilung des Aufenthaltstitels zu verweigern, wenn dem Ausländer eine Ausreise ins Herkunftsland möglich und zumutbar ist oder er wiederholt und gröblich gegen Mitwirkungspflichten verstoßen hat, nur bei den Regelungen zum nationalen subsidiären Schutz eröffnet (§ 25 Abs. 3 S. 4 AufenthG-E), da die Qualifikationsrichtlinie derartige Ausschlussgründe nicht vorsieht.

Wie von den Kirchen bereits mehrfach angemahnt , muss die Unterscheidung zwischen nationalem und europarechtlichem subsidiären Schutz jedoch auch im Rahmen der so genannten Sperrklausel des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG vollzogen werden. Diese Vorschrift schließt individuellen Abschiebungsschutz bei Vorliegen allgemeiner Gefahren aus und verweist stattdessen auf eine Anordnung nach § 60a AufenthG. Diese Sperrklausel darf mangels Entsprechung in der Qualifikationsrichtlinie jedoch nur für die nationale Regelung des subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG gelten. Das Bundesverwaltungsgericht stellte deshalb in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 fest, dass die in § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG getroffene Regelung richtlinienkonform dahingehend auszulegen sei, „dass sie nicht die Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt sind.“  Diese Auslegung wurde in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz übernommen . Die Kirchen halten es für geboten, diese längst überfällige Änderung nun zu vollziehen.

Darüber hinaus möchten die Kirchen darauf hinweisen, dass die Erteilung einer Duldung nach § 60a  AufenthG auch für den so genannten nationalen subsidiären Schutz – also bei Vorliegen von Gefahren durch etwaige Verletzungen der Rechte aus der EMRK oder aber bei Gefahren für Leib und Leben nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG – nach Ansicht der Kirchen keine befriedigende Lösung ist. Die Duldung stellt gerade keinen sicheren Status dar, der für Menschen, die aus humanitären Gründen in Deutschland verbleiben können, angesichts der Bedrohung im Herkunftsland von besonderer Bedeutung ist.

c) § 25 Abs. 4b AufenthG-E

§ 25 Abs. 4b AufenthG-E setzt Art. 13 Abs. 4 der Sanktionsrichtlinie korrekt um. Allerdings fällt auf, dass § 25 Abs. 4b lediglich Ausländern zugute kommen soll, die Opfer einer Straftat nach §§ 10 und 11 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG sind; auf 10a SchwarzArbG wird dagegen nicht Bezug genommen. Soweit der Verstoß gegen § 10a SchwarzArbG zugleich auch nach §§ 10 oder 11 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG mit Strafe bedroht ist, ist dies praktisch nicht relevant. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen Ausländer unter  Verstoß gegen § 10a SchwarzArbG beschäftigt werden, ohne dass zugleich auch §§ 10 oder 11  SchwarzArbG verletzt würden. Es wäre nicht sachgerecht, unerlaubt beschäftigte Opfer von Menschenhandel generell auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 4a AufenthG zu verweisen. Denn diese setzt, anders als nach § 25 Abs. 4b AufenthG-E, voraus, dass der Betroffene jede Verbindung zu den der Straftat Beschuldigten abgebrochen hat. Hierauf verzichtet § 25 Abs. 4b AufenthG-E zu Recht, da es den Betroffenen ansonsten unmöglich wäre, ausstehende Lohnzahlungen einzufordern. Dies widerspräche den berechtigten Interessen der Betroffenen und zugleich der Intention der Sanktionsrichtlinie, der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern gerade auch durch die Stärkung ihrer Rechtsstellung entgegenzuwirken.

Dieser insbesondere auch in Art. 6 und 13 der Sanktionsrichtlinie zum Ausdruck kommenden Zielsetzung entspräche es ferner, unerlaubt beschäftigten statuslosen Ausländern auch dann einen befristeten Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn sie sich lediglich zur Durchsetzung ihrer Lohnansprüche, nicht jedoch zur Aussage in einem Strafverfahren entschließen.

Als nicht sachgerecht und von der Sanktionsrichtlinie auch nicht zwingend geboten erachten es die Kirchen außerdem, dass laut Begründung (S. 79) das Ermessen bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4b restriktiv ausgeübt werden soll.

Nr. 35: § 58 AufenthG-E

a) bb) § 58 Abs. 1 S. 2 AufenthG-E

Vgl. die Ausführungen zu Nr. 36 a).

b) § 58 Abs. 1a AufenthG-E

§ 58 Abs. 1a AufenthG-E setzt die Vorgaben von Art. 10 der Rückführungsrichtlinie nicht vollständig um, Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass vor Ausstellung einer Rückkehrentscheidung für unbegleitete Minderjährige Unterstützung durch geeignete Stellen gewährt wird, bei denen es sich nicht um die für die Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zuständigen Behörden handeln darf. Diese zwingende Vorgabe der Richtlinie findet im Gesetzentwurf, anders als die Regelung des § 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie, bislang keinen Niederschlag.

Darüber hinaus ist Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie nicht umgesetzt. Dieser verpflichtet die Mit-gliedstaaten, ein wirksames System zur Überwachung von Rückführungen zu schaffen. Diese Verpflichtung findet sich in Bezug auf die Sammelrückführungen auch im Erwägungsgrund 13. Die Umsetzung von Art. 8 Abs. 6 könnte in einem neuen Absatz 4 des § 58 AufenthG erfolgen: „Der Vollzug von Abschiebungsmaßnahmen ist wirksam zu überwachen.“

In der Begründung des Gesetzes könnte auf das bereits erprobte Modell der Abschiebungsbeobachtung verwiesen werden. Einzelheiten der Ausgestaltung der Abschiebungsbeobachtung ließen sich in den Bestimmungen über die Rückführungen ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg (Best Rück Luft) regeln. Die bisher existierenden Abschiebungsbeobachtungsstellen (Flughafen Düsseldorf seit 2001, Flughafen Frankfurt a. M. seit 2006 und Flughafen Hamburg seit Anfang 2010) beruhen auf Vereinbarungen zwischen den Trägern der jeweiligen Abschiebungsbeobachtungsstellen und den Bundespolizeiinspektionen der Flughäfen sowie auf Geschäftsordnungen der jeweiligen Gesprächsforen. Die Umsetzung des Artikels 8 Abs. 6 der Richtlinie würde einer rechtlichen Absicherung der bisherigen Abschiebungsbeobachtungsstellen dienen. Darüber hinaus könnte auf dieser Grundlage der Prozess der Einrichtung von Abschiebungsbeobachtungsstellen auf den weiteren vier Flughäfen, von denen aus Ab-schiebungen erfolgen (Berlin, München, Karlsruhe/Baden-Baden und Stuttgart), beschleunigt werden.

Das in Deutschland praktizierte Modell der Beobachtung besteht aus zwei Bausteinen ; Neben dem Abschiebungsbeobachter, der bei Luftabschiebungen an den genannten Flughäfen anwesend ist, wurden begleitende Gesprächsforen eingerichtet, in deren Auftrag die Beobachtung stattfindet und denen die Beobachtungsstellen berichtspflichtig sind. Der Abschiebungsbeobachter begleitet den Prozess der Abschiebung; er hat keine Befugnis zu intervenieren. Wenn er einwirken möchte, erfolgt eine Intervention ausschließlich über den Vorgesetzten des handelnden Beamten, der dann wiederum abwägt, ob er eine Unterbrechung der in Frage stehenden Maßnahme anordnet. Im Übrigen dient die Anwesenheit des Beobachters der Ermöglichung eines nachträglichen Austausches über Verbesserungsmöglichkeiten im Rahmen des Forums.

Die Gesprächsforen setzen sich aus Vertretern von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen sowie der Kirchen zusammen. Sie haben den Auftrag, den Bericht der Abschiebungsbeobachtung entgegen zu nehmen und eventuelle Vorkommnisse oder Missstände zu diskutieren. Dabei haben die Foren keine dienst- oder fachaufsichtsrechtlichen Kompetenzen. Sie verstehen sich als Gesprächsforen, in denen problematische Sachverhalte erklärt und geklärt werden können. Weiterhin können die Foren Verbesserungsvorschläge für den zukünftigen Vollzug von Abschiebungen machen. Dabei geht es grundsätzlich nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ einer Vollzugsmaßnahme. Die Arbeit der Foren beruht auf Vertraulichkeit.

Aus Sicht beider Kirchen, der beteiligten Bundespolizeidienststellen und Nichtregierungsorganisationen haben sich die Abschiebungsbeobachtungsstellen bewährt.

Nr. 36: § 59 AufenthG-E

a) § 59 Abs. 1 AufenthG-E

§ 59 Abs. 1 S. 3 AufenthG-E zählt vier Fallkonstellationen auf, in denen bei einer Abschiebungsandrohung von der Bestimmung  einer Ausreisefrist abgesehen werden soll.  Nach § 59 Abs.  1  S.  3 Nr. 3 AufenthG-E ist dies der Fall, wenn der Ausländer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt hat, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Eine solche Bescheidungsform kennt das Aufenthaltsgesetz jedoch nicht. Als offensichtlich unbegründet können nur Asylanträge nach § 30 AsylVfG abgelehnt werden. Die in der Begründung (S. 90) genannten Anhaltspunkte für die Bescheidung eines Antrages als offensichtlich unbegründet orientieren sich an den Kriterien des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Diese können jedoch angesichts der spezifischen Konstellation im Asylverfahren auf die Bescheidung jedweden Antrages auf einen Aufenthaltstitel nicht übertragen werden. Es bedürfte stattdessen einer der Systematik des AufenthG entsprechenden Norm zur Einführung einer solchen ausländerrechtlichen Bescheidung. Die Rückführungsrichtlinie stellt die Umsetzung der Ausnahmen von der Fristsetzung in das Ermessen der Mitgliedstaaten. Die Kirchen empfehlen, § 59 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AufenthG-E zu streichen.

Nach Art. 7 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten gehalten, bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalles erforderlichenfalls die Frist zur freiwilligen Ausreise zu verlängern. Dafür wer-den in Art. 7 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie Kriterien wie die Dauer des Aufenthalts, das Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen genannt. § 59 Abs. 1 S. 5 und 7 AufenthG-E spricht lediglich von „besonderen Umständen des Einzelfalls“ bzw. von „besonderen Härtefällen“. Die Kirchen regen an, diese unbestimmten Rechtsbegriffe nicht nur in der Be-gründung (vgl. S. 91), sondern auch im Gesetzeswortlaut selbst durch die in Art. 7 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie genannten Kriterien zu konkretisieren. Die durch S. 7 eröffnete Möglichkeit, in Härtefällen die Frist über den nach § 59 Abs. 1 S. 5 AufenthG-E möglichen Zeitraum von 6 Monaten hinaus verlängern zu können, ist zu begrüßen.

b) § 59 Abs. 6 und 7 AufenthG-E

§ 59 Abs. 6 AufenthG-E

Art. 14 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, betroffenen Personen gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften eine schriftliche Bestätigung über die Verlängerung der Ausreise-frist auszustellen. Die in § 59 Abs. 6 AufenthG-E vorgesehene Bescheinigung über die Verlängerung der Ausreisefrist stellt nach Ansicht der Kirchen keine sachgerechte Umsetzung der Richtlinienbestimmung dar. Da die Richtlinie ausdrücklich auf das jeweilige innerstaatliche Recht Bezug nimmt, sollte in den genannten Fällen – besondere Dauer des Aufenthalts, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder, Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – vorrangig das nach deutschem Recht dafür vorgesehene Instrument der Duldung, ggf. auch eines humanitären Aufenthaltstitels, zur Anwendung gelangen. Der Einführung einer bislang nicht vorgesehenen „Bescheinigung über die Verlängerung der Ausreisefrist“ bedarf es nicht. Keinesfalls dürfen hierdurch neue prekäre Aufenthaltssituationen geschaffen werden. Angesichts des bislang nur in Ansätzen gelösten Problems der so genannten Kettenduldungen kann es nicht im Interesse des Gesetzgebers liegen, einen neuen „Aufenthaltsstatus“ noch unterhalb der Duldung einzuführen.

§ 59 Abs. 7 AufenthG-E

Nach dieser Vorschrift sollen Opfer einer in § 25 Abs. 4a AufenthG genannten Straftat durch eine mindes-tens einmonatige Ausreisefrist Bedenkzeit erhalten, um über eine Aussage vor Gericht entscheiden zu können. Diese sinnvolle Regelung sollte auch auf die in § 25 Abs. 4b AufenthG genannten Personen erstreckt werden. Überlegenswert erscheint es ferner, die Ausreisefrist derjenigen Ausländer zu verlängern, die gemäß § 70a AufenthG noch Lohnansprüche gegen Arbeitgeber oder sonstige haftende Unter-nehmer geltend machen möchten. Dies stünde im Einklang mit der Zielsetzung der Sanktionsrichtlinie, Anreize für unerlaubte Beschäftigung nicht zuletzt durch eine Stärkung der Rechtsstellung der Beschäftigten zu verringern.

Nr. 37: § 62 Abs. 5 AufenthG-E

Art. 17 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie lässt die Verhängung von Haft bei unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen nur im äußersten Fall und nur für die kürzestmögliche angemessene Dauer zu. § 62 Abs. 5 S. 1 AufenthG-E setzt diese Vorgaben für die Inhaftierung von Minderjährigen zwar vollständig um. Damit bleibt die Norm jedoch hinter den Bestimmungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz zurück, denen zufolge Minderjährige bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, Schwangere und Mütter innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft genommen werden (vgl. AVV 62.0.5). Einige deutsche Bundesländer verfahren nach dieser Maßgabe, einige andere scheinen jedoch regelmäßig Ausnahmen von diesem Grundsatz zu machen und schutzbedürftige Personen zu inhaftieren. Auch vor dem Hintergrund des im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vorhabens, Anpassungen im praktischen Vollzug der Abschiebungshaftrege-lungen vor dem Hintergrund der Rückführungsrichtlinie zu prüfen, wäre nach Ansicht der Kirchen nun der Zeitpunkt gekommen, eine umfassende Verbesserung der Situation dieses Personenkreises zu erwirken und eine Inhaftierung generell und nicht nur grundsätzlich auszuschließen.

Zudem begegnet die Regelung des § 62 Abs. 5 S. 2 AufenthG-E Bedenken. Danach soll bei Familien mit minderjährigen Kindern nur für einen Elternteil Haft beantragt werden. Dieser Regelungsvorschlag spiegelt zwar das Bemühen wider, die haftbedingten Belastungen für Familien möglichst gering zu halten. Diese Absicht ist zu begrüßen. Es muss jedoch bezweifelt werden, dass dieses Ziel durch die Inhaftnahme eines Elternteils und die dadurch bewirkte Trennung von Familien erreicht werden kann. Eine solche Maßnahme widerspricht einerseits Art. 5 b) der Rückführungsrichtlinie, dem zufolge die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie die familiären Bindungen besonders zu berücksichtigen haben. Ferner sind sowohl die Trennung von Familien als auch die Inhaftnahme ganzer Familien dem Kindeswohl abträglich, auf dessen Beachtung die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten in Erwägungsgrund 22, Art. 5 a) und Art. 17 Abs. 5 besonders verpflichtet. Familien mit minderjährigen Kindern sollten daher überhaupt nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Zur Frage der Abschiebungshaft, insbesondere auch zu den praktischen Erfahrungen von Abschie-bungshaftseelsorgern, möchten die Kirchen auch auf die Stellungnahme des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes zum vorliegenden Gesetzentwurf verweisen.

Nr. 38: § 62a AufenthG-E

§ 62a Abs. 1 AufenthG-E

Nach Art. 16 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie sind Abschiebungshäftlinge grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen und lediglich, wenn diese Art der Einrichtung in einem Mitgliedstaat nicht vorhanden ist, in gewöhnlichen Hafteinrichtungen gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen. Der Richtliniengeber spricht sich also eindeutig für die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in ge-sonderten Einrichtungen als Regelfall aus und lässt die Unterbringung in Strafhaftanstalten lediglich im Ausnahmefall zu. Wird also letztlich nur die Unterbringung in gesonderten Einrichtungen als angemessen erachtet, liegt hierin auch die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen dafür nötigenfalls zu schaffen. Dies muss sich auch im deutschen Recht deutlich niederschlagen. Dieser Anforderung wird § 62 a Abs. 1 AufenthG-E nach Auffassung der Kirchen nicht vollständig gerecht. Die Kirchen haben stets geltend gemacht, dass Abschiebungshaft keine Strafsanktion darstellt. Dies sollte selbstverständlich schon in der getrennten Unterbringung von Strafhäftlingen und Abschiebungshäftlingen zum Ausdruck kommen. Aller Erfahrung nach können ferner die spezifischen Bedürfnisse von Abschiebungshäftlingen in Strafvollzugsanstalten nicht angemessen berücksichtigt werden. Abschiebungshäftlinge leiden vor allem unter der Einschränkung der Möglichkeit zur Kommunikation mit der Außenwelt und ihrer unsicheren rechtlichen Situation. Die Kirchen votieren daher – für die Fälle, in denen Abschiebungshaft als ultima ratio zulässig ist – seit langem für die Einrichtung und Unterhaltung von gesonderten Abschiebungshaftanstalten. Der ratio der Rückführungsrichtlinie folgend sollte dieser Vorrang schon im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommen. Die Bundesländer, die noch keine eigenen Abschiebungshaftanstalten unterhalten, sollten sich dazu angehalten sehen, solche Anstalten einzurichten.

Ferner muss Art. 16 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie umgesetzt werden, der bei Inhaftierung von Abschiebungs-häftlingen in Strafvollzugsanstalten verpflichtend eine von den Strafgefangenen gesonderte Unterbrin-gung vorsieht. Die in Artikel 7 des Gesetzentwurfs vorgesehene Änderung von § 422 Abs. 4 FamFG bleibt hinter dieser Vorgabe zurück. Nach diesem Regelungsvorschlag soll künftig durch entsprechende Anwendung von § 172 StrafVollzG die gemeinsame Unterbringung von Straf- und Abschiebungs-häftlingen von einer Einwilligung des Abschiebungshäftlings abhängig gemacht werden. Die gemeinsame Unterbringung wird also gerade nicht, wie von der Richtlinie verpflichtend vorgegeben, kategorisch ausgeschlossen. Es steht zu befürchten, dass das Einwilligungserfordernis in der Praxis die Rechte von Abschiebungshäftlingen nicht gleichermaßen wirksam schützt. So werden viele Betroffene aus Unkenntnis, Angst oder Überforderung die ihnen zustehende getrennte Unterbringung nicht einfordern. Der Gesetzgeber hat daher sicherzustellen, dass eine gemeinsame Unterbringung von vornherein ausscheidet.

Wünschenswert wäre es außerdem, in § 62a Abs. 2 S. 2 AufenthG-E noch die Maßgabe des Art. 17 Abs. 2 aufzunehmen, dass die gesonderte Unterbringung von Familien ein angemessenes Maß an Privatsphäre gewährleisten muss.

§ 62a Abs. 3 AufenthG-E

§ 62a Abs. 3 AufenthG-E bestimmt zwar, dass die Bedürfnisse minderjähriger Inhaftierter zu berücksichtigen sind. Anders als Art. 17 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie führt das AufenthG diese allerdings nicht aus: Nach Art. 17 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie ist Minderjährigen neben der Gelegenheit zu Freizeit-beschäftigung einschließlich altersgemäßer Spiel- und Erholungsmöglichkeiten je nach Dauer ihres Aufenthaltes auch der Zugang zu Bildung zu gewähren. § 62a Abs. 3 S. 1 AufenthG-E macht dazu keine Angaben; die Begründung des Gesetzestextes expliziert lediglich,  dass Minderjährigen Gelegenheit zu altersgerechten Spielen und Erholung geboten werden soll. Um dem Ziel einer europarechtskonformen Umsetzung zu entsprechen und eine möglichst einheitliche Handhabung in den Bundesländern zu gewährleisten, sollten diese Vorgaben – einschließlich des Zugangs zu Bildung – in den Gesetzestext übernommen werden.

§ 62a Abs. 4 AufenthG-E

Nach Art. 16 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie wird einschlägig tätigen Organisationen der Besuch von Hafteinrichtungen ermöglicht, soweit diese für den Vollzug von Abschiebungshaft genutzt werden. Solche Besuche können zwar von einer Genehmigung abhängig gemacht werden; den Mitgliedstaaten kommt hierbei jedoch kein Ermessen zu. Die in § 62a Abs. 4 AufenthG-E vorgesehene Ermessensregelung steht mit der Richtlinie daher nicht in Einklang.  Die Vorschrift ist also dahingehend zu ändern, dass Mitarbeitern von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen der Besuch von Vollzugsanstalten auf Antrag zu gestatten ist.

§ 62a Abs. 5 AufenthG-E

Art. 16 Abs. 5 der Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, in Haft genommene Drittstaatsangehörige systematisch über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Dies schließt nach Art. 16 Abs. 5 S. 2 der Richtlinie die Unterrichtung über ihren Anspruch auf Kontaktaufnahme mit den in Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie genannten Organisationen ein. Dies sind auch einschlägig tätige nichtstaatliche Organisationen wie etwa die kirchlichen Wohlfahrtsverbände. § 62a Abs. 5 AufenthG-E schreibt den Hinweis auf das Recht zur Kontaktaufnahme mit solchen Organisationen nicht ausdrücklich vor. Wie Art. 16 Abs. 5 S. 2 der Rückführungsrichtlinie zeigt, hat der Richtliniengeber diesem Recht jedoch besonderes Gewicht beigemessen. Es ist zu befürchten, dass Abschiebungshäftlinge ohne expliziten Hinweis nicht von allen Unterstützungsmöglichkeiten Kenntnis erlangen. Da eine optimale Betreuung und rechtliche Unterstützung der in Haft genommenen Personen im allgemeinen Interesse liegen muss, sollte der Gesetzestext entsprechend ergänzt werden.

Nr. 43: § 70a AufenthG-E

§ 70a AufenthG-E regelt in Umsetzung von Art. 6 der Sanktionsrichtlinie den Vergütungsanspruch von unerlaubt beschäftigten Ausländern. Dabei wird nach § 70a Abs. 1 S. 2 AufenthG-E vermutet, dass der Arbeitgeber den Ausländer drei Monate beschäftigt hat. Damit legt der Entwurf die in Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Mindest-beschäftigungsdauer zugrunde. In vielen Fällen wird das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich länger bestanden haben, so dass dem Ausländer ein höherer Lohnanspruch zusteht. Es sollte daher im Gesetzeswortlaut – und nicht lediglich in der Begründung (vgl. S. 95) – zum Ausdruck kommen, dass es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt. Dies ist auch von Art. 6 Abs. 3 der Sanktionsrichtlinie so vorgegeben.

Nr. 54: § 88a Abs. 2 AufenthG-E

Künftig soll eine pseudonymisierte Datenübermittlung zwischen Trägern der migrationsspezifischen Beratung nach § 45 S. 1 AufenthG und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zulässig sein. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die einzelfallbezogenen Beratungsleistungen den Vorgaben der Förderrichtlinien des Bundesministeriums des Innern entsprechend durchgeführt und die darin vorgegebenen Förderziele erreicht werden können.

Diese Bestimmung steht mit den Vereinbarungen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit den Wohlfahrtsverbänden als Trägern der Migrationsberatung getroffen hat, nicht in Einklang. Im Zuge der Erarbeitung der „Machbarkeitsstudie für eine projektbegleitende Erfolgskontrolle in der MBE“ waren Bundesamt und Verbände übereingekommen, dass Einzelfalldaten lediglich in aggregierter Form dem BAMF zur Verfügung gestellt werden sollten . Zutreffend waren offenbar BAMF und Verbände davon ausgegangen, dass diese Form der Datenübermittlung und -auswertung zur Verwendungskontrolle ausreicht. Die Träger der Migrationsberatung haben ein berechtigtes Interesse daran, dass das Vertrauen ihrer Klienten in die Wahrung des Beratungsgeheimnisses und den Schutz ihrer Daten erhalten bleibt. Schließlich hat eine nicht erforderliche Datenverwendung auch nach allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätzen zu unterbleiben. § 88a Abs. 2 AufenthG-E darf daher die Übermittlung von Daten nur in dem zwischen BAMF und Verbänden vereinbarten Ausmaß erlauben.

Artikel 3: Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Nr. 1: § 6 II AsylbLG-E

Inhaber von Aufenthaltstiteln nach § 24 Abs. 1 AufenthG sollen künftig einen gebundenen Anspruch auf die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe besitzen. Dies ist durch Art. 20 der so genannten Aufnahmerichtlinie  vorgegeben. Mit der Ersetzung der bisherigen Soll-Regelung durch einen gebundenen Anspruch korrigiert der Gesetzgeber ausweislich der Entwurfsbegründung ein Redaktionsversehen (vgl. S. 107 f.). Auch in der nun vorgeschlagenen Fassung ist die Regelung jedoch noch nicht europarechtskonform. Denn Art. 20 der Aufnahmerichtlinie räumt allen Asylbewerbern, die Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen schweren Gewalttaten geworden sind, einen Anspruch auf die erforderliche Behandlung ein. Bereits in ihrer Stellungnahme zur Umsetzung des Gesetzes aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien haben die Kirchen daher darauf hingewiesen, dass die Beschränkung dieses Anspruchs auf Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG mit der Aufnahmerichtlinie nicht in Einklang steht. Der einschränkende Relativsatz in § 6 Abs. 2 AsylbLG-E „die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen“ ist daher zu streichen.


Artikel 13: Änderung von Verordnungen

Abs. 5: Änderung der Beschäftigungsverfahrensverordnung

Die vorgesehene Einfügung von § 3b – Verzicht auf das Zustimmungserfordernis bei Vorbeschäftigungszeiten oder längerem Voraufenthalt – dient, wie in der Begründung ausgeführt, der Verwaltungsvereinfachung und kommt damit auch den betroffenen Ausländern zugute. Sie ist zu begrüßen.

Die Kirchen vermissen jedoch eine § 6a BeschVerfV entsprechende Regelung. Nach dieser Vorschrift kann Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Vorrangprüfung erteilt werden. Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4b AufenthG-E besitzen, befinden sich in einer durchaus vergleichbaren Situation und sollten daher auch hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt den Inhabern von Titeln nach § 25 Abs. 4a AufenthG gleichgestellt werden. Möglicherweise handelt es sich hier um ein Versehen, das im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens korrigiert werden kann.

Prälat Dr. Bernhard Felmberg       Prälat Dr. Karl Jüsten