Die Taufe
Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche. Vorgelegt vom Rat der EKD, 2008, hg. vom Kirchenamt der EKD. ISBN 978-3-579-05904-4
4. Theologische Schlüsselfragen
Das evangelische Taufverständnis ist dadurch gekennzeichnet, dass die Taufe in einen Zusammenhang von Verheißung Gottes (promissio) und Glaube des Menschen (fides) eingezeichnet ist. Der Glaube stellt kein Werk dar, das der Täufling als Voraussetzung der Taufe zu erbringen hat, sondern ist ein göttliches Geschenk. Erst unter dieser Voraussetzung gilt: "Aber die Sakramente werden nicht erfüllt, indem sie geschehen, sondern indem sie geglaubt werden. So ist es auch nicht wahr, dass den Sakramenten eine Wirkkraft zur Rechtfertigung einwohnt oder dass sie wirksame Zeichen der Gnade sind" (M. Luther, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, Bonner Ausgabe I, 467). Wenn Luther von Verheißung spricht, hat er ein starkes Verständnis von der Macht und der Kraft des göttlichen Verheißungswortes, das sich von der Erfahrung zahlloser kraftloser Wörter unterscheidet. Nach Luther ist das Wort Gottes Schöpferwort, ein wirksames Wort, ein Wort, das Glauben weckt. Wenn Gott Glauben weckt, so ist er auch frei, als Glauben das anzuerkennen, was den spezifischen Kräften und dem Vermögen eines jeden Menschen entspricht beispielsweise auch die spezifischen Formen von innigem Vertrauen, die behinderte Menschen aufbringen; es kann vor dem Hintergrund solcher Überlegungen also überhaupt keine Frage sein, ob behinderte Menschen getauft werden sollten oder nicht.
Die Taufe ist kurz gesagt eine Gnadengabe, die von der Macht der Sünde befreit, an Christi Kreuz und Auferstehung teilhaben lässt, mit dem Heiligen Geist begabt und in die Gemeinschaft der Glaubenden aufnimmt; dies ist nun ausführlich zu entfalten (4.1, 4.5) und in den Horizont des ökumenischen Gesprächs zu stellen (4.6). Der Mensch wird zwar durch die Taufe von der Macht der Sünde befreit und von Gott gerecht gesprochen (4.2), erfährt aber trotzdem in diesem Leben noch die Realität von Sünde und Tod die Reformatoren nannten den Getauften daher zugleich einen Gerechten und Sünder. Die Wirkung der Taufe wäre also falsch beschrieben, wenn man sie gleichsam als magisches Mittel darstellen würde, das Menschen in einer unwiderleglich sichtbaren Weise gegen eine Welt von Sünde und Tod immunisiert. Natürlich verleiht eine Taufe keinen wirksamen medizinischen Schutz vor Krankheiten und bewahrt auch nicht automatisch vor sonstigem irdischen Leid. Dass die getauften Menschen trotzdem unwiderleglich in den Bereich Gottes gehören, muss auf dieser Erde gelegentlich gegen allen Augenschein geglaubt werden, ist aber auch dann als eine Verheißung gegenwärtig, die Glauben weckt und Trost schenkt.
4.1 Die Taufe als Gnadengabe
Wenn man verstehen will, was "Gnadengabe" heißt, muss man sich klarmachen, dass menschliches Leben gefährdetes Leben ist und daher einer Gnadengabe bedarf. Es ist bedroht durch Krankheit und Not, durch Gewalt und Sterblichkeit. Wird die Taufe nur als "Geschenk eines neugeborenen Kindes" oder die "gute Gabe eines neuen irdischen Lebens" gefeiert, so wird der Reichtum der göttlichen Gnadengabe verkürzt. Die Gnadengabe der Taufe besteht darin, dass Gott die Getauften öffentlich sichtbar und zugleich in einem Zeichen erfahrbar in eine Lebensgemeinschaft hineinnimmt, die das irdische, endliche und vielfältig gefährdete Leben übersteigt. Durch diese Gemeinschaft wird es zu einer besonderen Würde erhoben und inmitten von Gefährdungen rettend bewahrt. In der Taufe feiern die Getauften und mit ihnen die ganze Kirche Jesu Christi die Zusage dieser Lebensgemeinschaft mit Gott.
Damit die Zusage der Lebensgemeinschaft nicht banal wird, müssen die einschlägigen biblischen, heute teilweise schwer verständlichen Worte ausgesprochen und erklärt werden, mit denen die biblischen Texte das in der Taufe geschenkte neue Leben beschreiben: Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes, Bewahrung zum ewigen Leben, Gemeinschaft mit Christus, Begabung mit der Kraft des Heiligen Geistes. Diese Dimensionen und Gaben des neuen Lebens werden im Glauben dankbar angenommen, aber im Glauben auch erschlossen. Getaufte Menschen machen nämlich befreiende Erfahrungen, die mit den entsprechenden biblischen Begriffen verbunden und so in einem lebenslangen Prozess besser verstanden werden können. Die Lebensgemeinschaft ist aber kein rein intellektueller Vorgang, sondern ein von Gott begründetes tiefes und reiches Vertrauensverhältnis, das mit der Bibel eine Freundschaft zwischen Gott und Mensch genannt werden kann.
4.2 Die Taufe als Befreiung von der Macht der Sünde
Die Taufe wie das Abendmahl befreien nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes von der Macht der Sünde, der Macht der bewussten oder unbewussten Abwendung von Gott mit ihren vielen verheerenden Folgen. Das Wort und das Phänomen "Sünde" waren zu allen Zeiten schwer zu verstehen und sind heute vielleicht besonders schwer verständlich. "Macht der Sünde" meint dabei nicht zuerst unmoralische Handlungen, die bei einem Säugling oder Kleinkind nicht ernsthaft unterstellt werden können, sondern die prinzipielle Neigung eines jeden Menschen, ein Leben ausschließlich in eigener Regie und also ohne Gott führen zu wollen. Die Folgen dieser Neigung zur Sünde, die die Tradition anschaulich als "Macht" qualifiziert, werden erst später im Leben konkret in Vereinsamung und Egoismus, in Angst und Enge, in Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst, anderen Menschen und der geschöpflichen Mitwelt. Insofern folgen aus der Macht der Sünde auch konkrete amoralische Handlungen.
Weil seit ältester Zeit die christliche Taufe an der Taufe Jesu orientiert ist, können wir erkennen, wie sie ganz konkret von der Macht der Sünde befreit, wenn wir fragen, was bei der Taufe Jesu geschah. Die Teilhabe Jesu, der ein einzigartiges Verhältnis zum Schöpfer hat, an dessen göttlicher Macht wird proklamiert. Die neutestamentlichen Texte verwenden dazu das Bild, dass sich die Himmel über dem getauften Jesus öffnen und der Geist Gottes auf ihn herabkommt. Aus den Himmeln, dem Machtbereich Gottes, kommen nach biblischem Verständnis nicht nur Naturkräfte, sondern auch Mächte, die den Menschen unverfügbar sind. Auf Jesus kommen während seiner Taufe aber nicht irgendwelche Mächte und Kräfte herab, sondern die schlechthin gute, schöpferische, lebensförderliche, rettende Kraft Gottes: der Heilige Geist. Nach biblischem Zeugnis gewinnen die, die mit dem Geist Gottes begabt sind, im ganz handgreiflichen Sinne Anteil an einer Kraft, sich gegen die verderblichen Mächte und insbesondere gegen die Macht der Sünde zu behaupten (Epheser 6,17). Diesen Geist Gottes, der nach der Taufe auf Jesus ruhte, behält der lebendige Jesus Christus nicht für sich. Er gibt denen Anteil an jenem Geist, die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft werden. Mit diesen alten Bildern können wir die Erfahrung zur Sprache bringen, dass die Glaubenden im Vollzug ihres christlichen Lebens die Kraft finden, ihre Hoffnung nicht allein auf sich selbst zu setzen, sich auch anderen Menschen zuzuwenden und Lebensmut wie Hoffnung auch in schwierigen Situationen zu bewahren. Daraus erwächst dann auch eine Kraft zu ethisch verantwortlichem Handeln.
Der Blick auf die Taufe Jesu macht aber auch deutlich, dass die Befreiung von der Macht der Sünde eine über das Individuum hinausweisende Dimension hat. Denn bei Jesu Taufe geht es ja nicht um die Reinigung von persönlicher Schuld und Verfehlung, sondern um die Proklamation seiner Herrschaft über alle Welt: "Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Matthäus 3,17). Entsprechend wird unser Leben in der Taufe auf einen neuen Herrn, auf Gott selbst, ausgerichtet. Die neutestamentlichen Texte beschreiben die Taufe als Herrschaftswechsel: Nicht irgendeine Weltmacht zur Zeit Jesu das globalisierte römische Weltreich , aber auch nicht irgendeine Ideologie soll uns beherrschen, indem sie unser Denken und Handeln prägt. Diese Form der Distanzierung vom Sichtbaren und Vorfindlichen war nicht nur in der antiken Welt ein revolutionärer Akt und ein Herrschaftswechsel. Sie ist es auch heute, indem sie einen Gegenentwurf zu einem Leben in den Abhängigkeiten und Gefangenschaften dieser Welt eröffnet, der Freiheit im Glauben bedeutet. In dieser Freiheit können wir auch erkennen, was wahre Gerechtigkeit bedeutet und ethisch verantwortliches Handeln ausmacht, wenn wir auf Christus, das lebendige Wort Gottes, hören.
4.3 Die Taufe als Teilhabe an Christi Kreuz und Auferstehung
Die neutestamentlichen Texte können die Befreiung von der Macht der Sünde nicht nur als Herrschaftswechsel, sondern auch als Teilhabe an Christi Kreuz und Auferstehung beschreiben. Paulus drückt das so aus: "Wir wurden mit Christus begraben durch die Taufe auf den Tod. Und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so werden auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein. Wir wissen doch, unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben" (Römer 6,4-6; vgl. Kolosser 2,12).
Das Bild, dass wir in der Taufe mit Jesus Christus gekreuzigt werden und mit ihm sterben, wirkt ungeheuer radikal, widerspricht scheinbar aller Erfahrung und ist insbesondere bei einer Taufe von gerade in das Leben getretenen Kindern kaum nachvollziehbar. Wenn wir aber in der Taufe radikal erneuert und den Mächten dieser Welt entrissen werden und wenn wir ein neues, ewiges Leben geschenkt bekommen sollen, dann ist die Rede von Sterben und Tod eines alten Lebens tatsächlich eine Möglichkeit, solche Dimensionen der Gnadengabe des neuen Lebens zur Sprache zu bringen. Die Dramatik des Herrschaftswechsels wird dadurch besonders zum Ausdruck gebracht, dass es in dem paulinischen Bild nicht um irgendein Sterben, sondern um ein Sterben am Kreuz geht, um die brutalste Form der Hinrichtung in der Antike und um eine Situation der völligen Hilflosigkeit und Verlorenheit.
Mit den radikalen Bildern des gegenwärtigen Mitsterbens und künftigen Mitauferstehens sollen eine radikale Wende unseres eigenen Lebens und die Unzerstörbarkeit der neuen Lebensgemeinschaft mit Gott zum Ausdruck gebracht werden. Durch die Taufe lassen wir uns von den rettenden Kräften Gottes erfüllen, die aus Tod und Chaos heraus neues Leben schaffen. Diese radikale Wende wollten auch diejenigen altkirchlichen und mittelalterlichen Taufformeln zum Ausdruck bringen, die eine wiederholte Absage an den Teufel formulieren, um so den Herrschaftswechsel, der in der Taufe stattfindet, und damit die Befreiung von der Macht der Sünde Gestalt werden zu lassen. Natürlich kann man auch ohne diese radikalen Formulierungen der Tradition und ihre dunklen Kontraste von Licht und Finsternis verdeutlichen, dass die christliche Taufe "eine frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt" (Barmer Theologische Erklärung, 2. These) ist und uns in der neuen Lebensgemeinschaft der Freundschaft von Gott und Mensch ein freier dankbarer Dienst an unseren Nächsten möglich wird.
4.4 Die Taufe als Begabung mit dem Heiligen Geist
Nach biblischem Zeugnis ist die Taufe mit der Gabe des Heiligen Geistes verbunden. In den neutestamentlichen Berichten über die Taufe Jesu ist zu lesen, dass sich der Himmel auftat und "der Geist Gottes wie eine Taube" auf ihn herabkam (Markus 1,10; vgl. Matthäus 3,16). Dieser Geist schenkt Kraft zu Glaube, Liebe und Hoffnung und konkretisiert sich in einer Vielzahl von Geistesgaben. Die Taufe mit dem Heiligen Geist, die dadurch verliehene Kraft und der dadurch geschenkte Trost sind keine magische Angelegenheit, vielmehr ist der Heilige Geist "der intimste Freund des gesunden Menschenverstandes" (Karl Barth). Er ist der Tröster, den Jesus den Seinen nach seiner Auferstehung sendet (vgl. Johannes 16,14). Menschen werden so durch die Taufe fähig, ihr eigenes Leben in der Gewissheit der Gegenwart Gottes und im Gehorsam gegenüber Gottes Wort verantwortlich zu gestalten und in den Dienst ihrer Nächsten zu stellen. Anders formuliert: Der Heilige Geist gibt den Getauften die Kraft, ein Leben als Zeugen Jesu Christi zu führen. So formuliert auch der Heidelberger Katechismus (Frage 70): "Auch werden wir durch den Heiligen Geist erneuert und zu Gliedern Christi geheiligt, um je länger je mehr der Sünde abzusterben und ein Gott wohlgefälliges, unsträfliches Leben zu führen". Allerdings lassen sich solche "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" (Dietrich Bonhoeffer) nur selten für alle Welt eindeutig machen. Ein Christenmensch bleibt immer auch ein Zweifelnder, ein Suchender, ein Fragender; er ist "Gerechter und Sünder zugleich". Der Heilige Geist macht die Getauften auf diese Weise aber lebenstüchtiger und gemeinschaftstauglicher, weil sie sich so weder übern- och unterschätzen. Die Kraft des Geistes richtet Denken und Handeln von Menschen auf Jesu Wort, Werk und Person aus. Deshalb nennen sie sich Christinnen und Christen. Diese Kraft wirkt gegen die Sünde und die verderblichen Mächte dieser Welt, nicht, indem sie vor allen Gefahren und Anfechtungen bewahrt - das wäre ein magisches Missverständnis -, wohl aber, indem sie in allen Gefahren und Anfechtungen bewahrt. Getaufte Menschen werden so von Jesu Leben, seinem Tod und seiner Auferweckung geprägt, sie sind "gerettet, aber auf Hoffnung" (Römer 8,24). Obwohl diese Prägung uns geschenkt wird, führt sie nicht in eine passive Grundhaltung. Im Gegenteil: Menschen, die nicht nur mit Wasser, sondern auch mit dem Heiligen Geist getauft sind, werden an Christi Macht und Herrschaft beteiligt. Sie werden zu einer missionarischen Existenz als Zeuginnen und Zeugen gesendet. Diese missionarische Existenz findet Ausdruck im gemeinschaftlichen Gespräch über den Glauben, helfenden Handeln und gegebenenfalls in der Einladung zur Taufe; sie muss immer wieder neu an Jesu Wort, Werk und Person ausgerichtet werden.
4.5 Die Taufe als Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden
Biblische Texte verwenden höchst anschauliche Metaphern, um zu beschreiben, dass Menschen durch die Taufe in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen werden: "Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angezogen" (Gal 3,27). Mit der Metapher eines einheitlichen Gewandes aller Getauften illustriert Paulus die revolutionäre Ansicht, dass alle Christen durch die Taufe radikal gleichgestellt werden: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Galater 3,28; vgl. 1 Korinther 12,13). Man kann also durchaus sagen, dass durch die Taufe Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit unter den Menschen ausgebreitet werden.
Indem alle Getauften Christus wie ein Gewand anziehen, werden sie aber nicht uniformiert, sondern sie erhalten unterschiedliche Gaben und Kräfte des Geistes; ihre Gewänder leuchten in den mancherlei Farben der bunten Gnade Gottes verschieden (1 Petrus 4,10). Sie werden - mit einem anderen neutestamentlichen Bildwort formuliert - zu unterschiedlichen Gliedern am Leib Christi. Frei nach Bonhoeffer: Jeder Mensch wird als Einzelner getauft, bleibt in der Taufe aber nicht allein. Die in biologischen und sonstigen Differenzen angelegten Ungleichheiten und Herrschaftsverhältnisse werden relativiert und in die Einheit einer Gemeinschaft aufgehoben, in der die Verschiedenheiten der Geistesgaben schöpferisch zur Entfaltung gebracht werden können. Jesus Christus beruft die Menschen, wie es in der Leuenberger Konkordie heißt, "in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge" (14).
Diese einmalige Berufung in die "Wolke der Zeugen" (Hebräer 12,1) ist von Seiten Gottes unverlierbar und unzerstörbar, insofern der Ruf Jesu Christi beständig an jeden Menschen gerichtet bleibt. Er ruft auch den, der sich von ihm abgewendet hat und auf die Zugehörigkeit zur Kirche verzichtet. Der unverlierbare Charakter der Taufe gründet nicht in einem Vermögen oder einer Verfassung des Menschen (wie dies die mittelalterliche Vorstellung von einem "character indelebilis", d. h. einem unverlierbaren Merkmal, intendiert, der den Menschen durch die Sakramente verliehen wird), sondern in der Treue Gottes. Weil Gott zu seiner Verheißung steht, bleibt nach evangelischem Verständnis die Gemeinschaft der Christen auch den Getauften, die ausgetreten sind, verpflichtet und steht vor der Aufgabe, sie weiterhin einzuladen, auf den Ruf Jesu Christi zu hören und ihrer Taufe gemäß zu leben.
4.6 Die Taufe ökumenisch gesehen
Die Taufe ist ein "sakramentales Band der Einheit", denn die meisten christlichen Kirchen dokumentieren durch die wechselseitige Anerkennung der Taufe ihre Überzeugung, dass die Taufe Christen unterschiedlicher Konfessionen in Christus verbindet. Mit der Taufe werden wir nicht auf Paulus, nicht auf Martin Luther, nicht auf den Papst und so auch nicht auf eine bestimmte Konfession getauft, sondern auf den Namen des dreieinigen Gottes. Paulus fragt daher die Korinther, die sich zu bestimmten Parteiungen rechnen: "Wie? Ist Christus etwa zerteilt? Ist denn Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft?" (1 Korinther 1,13) Die Taufe ist der Ort, an dem von allen Kirchen anerkannt wird, dass die Zugehörigkeit zu Christus umfassender ist als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfessionskirche. Ein bewegendes ökumenisches Zeichen dafür ist die wechselseitige Taufanerkennung, die am 29. April 2007 im Magdeburger Dom von elf christlichen Kirchen feierlich erklärt wurde. Im Gespräch mit der weltweiten Ökumene wird das evangelische Taufverständnis immer in strikter Bindung an den biblischen Befund entfaltet werden müssen. Von biblizistischen Engführungen unterscheidet sich dieses Bemühen um Schrifttreue, weil es sich an der ganzen Bibel orientiert (sola scriptura), weil die Schrift von Christus her gelesen wird (solus Christus) und durch die Kraft des Heiligen Geistes (sola gratia) im Horizont des christlichen Glaubens verstanden wird (sola fide). Alle christlichen Kirchen betonen, dass die Taufe grundlegende und lebenslang gültige Zusage der Vergebung und der Liebe Gottes ist, deren Wirkung ein festes Vertrauen des Menschen ist, das sein ganzes Leben trägt. Während für bestimmte römisch-katholische und orthodoxe Traditionen das Taufwasser als Träger einer verändernden Kraft der Taufgnade verstanden wird, identifizieren die reformatorischen Kirchen diese Taufgnade mit der Kraft des Glauben weckenden und so das Leben verändernden Wortes.
Die Orientierung an der ganzen Bibel hat sich in den innerevangelischen Lehrgesprächen zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten bewährt, die in der Leuenberger Konkordie von 1973 ein gemeinsames Taufverständnis formulieren konnten. Eine solche Orientierung an der ganzen Bibel kann sich auch in Zusammenhängen bewähren, die im ökumenischen Gespräch hoch umstritten sind, etwa in der Frage der Säuglings- oder Mündigentaufe. Zunächst einmal muss man nämlich zugeben, dass sich das baptistische Taufverständnis und die teilweise schroffe Kritik an der Kindertaufe auf Grundlage einzelner biblischer Texte entwickeln konnten. So heißt es beispielsweise im Taufauftrag des auferstandenen Jesus am Schluss des Markusevangeliums: "Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden" (Markus 16,16); vor dem Hintergrund solcher Stellen kann die Taufe als Beglaubigungszeichen des Glaubens interpretiert werden.
Verstehen wir den Glauben ausschließlich als subjektiven Glauben, als eine persönliche Entscheidung für Gott und als einen bewussten Akt des Vertrauens auf Gott, so muss die Kindertaufe in der Tat problematisch werden. Verstehen wir dagegen wie die allermeisten biblischen Texte Glauben vorrangig als ein Geschenk und als ein Kraftfeld, in dem wir leben, so können Säuglinge und kleine Kinder guten Gewissens getauft werden. Da Glauben aber immer beides ist sowohl Gabe als auch persönliche Aneignung und Entscheidung , praktizieren die allermeisten christlichen Kirchen sowohl die Säuglings- als auch die Mündigentaufe und treten so einseitigen Verständnissen von Glauben entgegen. Im Gespräch mit baptistischen Mitchristen sollte dafür geworben werden, dass vor dem Hintergrund des gesamtbiblischen Zeugnisses über den christlichen Glauben die Gültigkeit einer Säuglingstaufe mindestens respektiert wird, wie umgekehrt die evangelischen Kirchen so neu auf Chancen und Möglichkeiten der Erwachsenentaufe aufmerksam werden können.