Beschluss: Antisemitismus ist Gotteslästerung
13. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 4. Tagung 2023
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Wir verabscheuen den Terror der Hamas und trauern um seine Opfer
Wir sind tief erschrocken und verstört über die terroristischen Anschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023, bei denen mehr als 1.200 Jüdinnen und Juden gefoltert, vergewaltigt, verbrannt und erschossen wurden. Die Orte und die Art und Weise des grausamen Tötens vor den Augen der Angehörigen und in Form von Social-Media-Bildern und Videos vor den Augen der Weltöffentlichkeit waren bewusst gewählt. Wir bangen um zahlreiche Menschen, die verschleppt wurden und die sich immer noch in Geiselhaft befinden. An dem namenlosen Leid vieler Menschen in Israel und auf der ganzen Welt, das durch die Terroraktionen verursacht wurde, nehmen wir Anteil – im Bewusstsein, dass unsere Worte des Mitgefühls und der Solidarität nicht ausreichen, um das Grauen und die äußeren und inneren Verletzungen und Traumata unzähliger Menschen zu benennen.
Unsere Abscheu gilt dem gottlosen Terror der Hamas und der menschenverachtenden Ideologie, die ihn befeuert. Wir halten ohne Wenn und Aber fest: Antisemitismus ist Gotteslästerung. Es gibt keine Rechtfertigung für Judenhass und die Leugnung des Existenzrechts Israels. Die Hamas ist keine befreiende Widerstandsorganisation und kein Partner im Friedensprozess, und die anhaltende Besatzung palästinensischer Gebiete sowie die von uns kritisierte Siedlungspolitik kann in keinem Falle der Rechtfertigung dieses auf Vernichtung zielenden Terroraktes dienen.
Für diese Position treten wir mit Nachdruck in unserem Land und in der weltweiten Ökumene ein.
- Wir verurteilen jede Form von Antisemitismus und sorgen uns um den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Mit großer Sorge nehmen wir wahr, dass im Gefolge der Terroraktion der Hamas durch unser Land und weltweit eine Woge des Antisemitismus geht. Relativierung der geschehenen Verbrechen, TäterOpfer-Umkehrungen, fehlende Empathie, ja sogar Häme und Schadenfreude über die zivilen Opfer häufen sich in unerträglicher Weise und öffentlich wahrnehmbar inmitten unserer Gesellschaft.
Der grassierende Antisemitismus hat mehrere unheilvolle Wurzeln. Selbstkritisch blicken wir auf eine unrühmliche Verflechtung von christlicher Glaubenstradition und antijüdischen Einstellungen, die Jahrhunderte lang auch die Evangelische Kirche geprägt haben. Kirchliche Verkündigung hat in der Vergangenheit strukturell dem Antisemitismus Vorschub geleistet. Antisemitismus, latent oder in ganz offensichtlichen Formen, gibt es auch unter unseren Kirchenmitgliedern. Wir haben die Abgründe verfestigter Judenfeindschaft auch in den eigenen Reihen oft nicht ernst genug genommen. Wir werden weiter mit ganzer Kraft und unbedingt dagegen arbeiten. Das bedeutet, dass wir der Arbeit am Dialog, zunehmend auch in breiter interreligiöser und selbstreflexiver Perspektive, noch mehr Gewicht als bisher schon geben werden. Unser Ziel ist, im Bereich der Evangelischen Kirche und darüber hinaus Akzeptanz und Empathie für jüdisches Leben und jüdischen Glauben zu fördern, Vorurteile und Stereotypen abzubauen und zum besseren Verständnis der komplexen politischen und religiösen Situation in Israel und in den palästinensischen Gebieten beizutragen – der Region, die für uns Christinnen und Christen der historische Bezugspunkt unserer Glaubensüberlieferung ist. Unser entschiedener Einsatz für eine tolerante Gesellschaft und gegen jeden Rechtsextremismus gilt in besonderer Weise der Bekämpfung des damit verbundenen Antisemitismus.
Wir sehen zugleich, dass es in unserer Gesellschaft neue und auch bedrohliche Sichtweisen auf Israel und jüdisches Leben gibt, die in ihrer Folge eine Gefahr für jüdisches Leben in unserem Land darstellen. Mit Sorge sehen wir, dass von islamistischen und dschihadistischen Kräften Religion als Ideologie zynisch und manipulativ benutzt wird, um Menschen in unserer Gesellschaft gegeneinander aufzubringen. Dem Antisemitismus ist in jeder politischen und religiösen Gestalt entschlossen entgegenzutreten. Dazu gehört es, juden- und israelfeindliche Prägungen unter Musliminnen und Muslimen ernster zu nehmen und im interreligiösen Gespräch zur Sprache zu bringen. Zugleich wenden wir uns entschieden gegen islamfeindliche Ressentiments, die allen Muslimen Israelfeindlichkeit und Antisemitismus vorwerfen.
Wir halten es auch für völlig inakzeptabel, wenn sich Juden- und Israelfeindlichkeit immer vernehmbarer auch im linksextremen Spektrum zeigt. Grundsätzlich gilt: Antisemitismus ist Sünde und brandgefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit für uns alle. Er dient denjenigen, deren Ziel es ist, die Demokratie zu unterminieren und unsere Gesellschaft zu spalten.
- Unsere uneingeschränkte Solidarität gilt den Jüdinnen und Juden und der Bevölkerung des Staates Israel
Aus gutem Grund wird derzeit der Aufruf: „Nie wieder ist jetzt!“ stark gemacht und von vielen zivilgesellschaftlichen Kräften gegengezeichnet. „Nie wieder ist jetzt!“ Diesem Aufruf schließen wir uns in dieser Stunde einer genozidalen Bedrohung von Jüdinnen und Juden an und erklären ihnen als evangelische Christinnen und Christen unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir stehen nachdrücklich zu dem politischen Grundsatz, dass die Sicherheit des Staates Israel Staatsraison der Bundesrepublik Deutschland ist.
Es ist ein Gebot der Nächstenliebe wie der Vernunft und des Völkerrechts, dass bei jeder Diskussion zur politischen Lage in Israel und in den palästinensischen Gebieten die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung auf allen Seiten im Blick sind. Das gilt, ohne auch nur in irgendeiner Weise von der Verurteilung des menschenverachtenden Terrorregimes der Hamas abzuweichen, das das Leben palästinensischer Zivilisten bewusst als menschliche Schutzschilde riskiert und jegliche Friedensoption bewusst zerstört. Die Hamas kämpft gegen die Menschen, von denen sie behauptet, sie zu befreien.
Diesen Menschen beizustehen, ist dringend nötig, denn die humanitäre Lage im Gazastreifen ist verheerend. Zahlreiche Tote sind zu beklagen und eine Versorgung der Menschen wird von Tag zu Tag schwieriger. Gerade jetzt ist es wichtig, dass humanitäre Hilfe allein nach dem Maß der Not und dem menschlichen Leid geleistet wird. Wenn humanitäre Hilfe in Israel, der Westbank, in Gaza oder Nachbarländern nötig ist, muss sie dort geleistet werden können. Menschlichkeit steht im Mittelpunkt des humanitären Handelns. Doch dafür braucht es Bedingungen, die Helfende nicht gefährden und Zivilisten den Zugang zu Hilfe erlauben. Geschützte und respektierte humanitäre Zonen müssen etabliert werden, um weitere Tote in der Zivilbevölkerung und unter Helfenden zu vermeiden. Humanitäre Korridore müssen eingerichtet werden, um Hilfsgüter in ausreichendem Maß in die betroffenen Gebiete zu bringen. Von allen Akteuren geachtete Feuerpausen können das gewährleisten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt mit Projektpartnern in Israel und in den palästinensischen Gebieten die Arbeit in den Bereichen Mutter-Kind-Gesundheit, psychologische und therapeutische Unterstützung, gewaltfreie Konfliktbearbeitung und berufliche sowie außerschulische Bildung. Unsere Partner setzen sich für Frieden, Menschenrechte und gegen Gewalt ein. Sie verstehen ihre Arbeit als Beitrag zum Aufbau und zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Als Christinnen und Christen tragen wir in uns den tiefen Wunsch nach einer Friedenslösung in Israel und Palästina und nach dem Ende der Gewalt im Nahen Osten. Wir halten an dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung fest. Kirchen und Kirchliche Hilfswerke legen Wert darauf, dass ihre Partner Gewalt als Mittel der Politik ablehnen und das Existenzrecht Israels nicht bestreiten. Kirchen und kirchliche Werke müssen dahingehend stetig die Auswahl ihrer Partner überprüfen. Wir werden mit Partnerorganisationen und in der weltweiten Ökumene das Gespräch über Israelfeindschaft im Umfeld unseres Handelns suchen.
Der solidarische Blick auf Israel ist das eine. Das andere ist unsere Aufgabe, vor Ort in Deutschland für ein ungefährdetes jüdisches Leben einzustehen. Den gegenwärtigen Anfeindungen und Bedrohungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger stellen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegen. Wer immer Menschen wegen ihres jüdischen Glaubens angreift, ist auch ein Gegner der christlichen Kirchen.
Wir geben unser Wort und versichern unseren jüdischen Geschwistern: Unser Platz ist an Eurer Seite. Das bedeutet: Wir werden im vertrauensvollen und engen Austausch mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland Wege suchen, wie wir als Evangelische Kirche zur Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland beitragen können. Wir werden in der evangelischen Bildungsarbeit, besonders im Religionsunterricht, einen besonderen Akzent auf die gemeinsamen Wurzeln und die historischen Beziehungen von Judentum und Christentum sowie auf die Gefahr des Antisemitismus setzen. Wir werden politische Initiativen unterstützen, die im Sinne unserer hier dargelegten Grundüberzeugungen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden und mit der Bevölkerung des Staates Israel Ausdruck verleihen. Vor allem werden wir uns auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass ein lebhaftes Interesse und ein reger Austausch zwischen christlichem und jüdischem Gemeindeleben, wo immer er von jüdischer Seite auch gewollt wird, zur alltäglich gelebten Selbstverständlichkeit wird.
Hannover, den 5. Dezember 2023
Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Anna-Nicole Heinrich