Grußwort am zweiten Tag des 24. Berliner Symposiums zum Flüchtlingsschutz

Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

Dienstag, 25. Juni 2024, in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin

Verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, meine Damen und Herren,

herzlich willkommen in der Französischen Friedrichstadtkirche zum zweiten Tag unseres nun schon 24. Berliner Flüchtlingsschutzsymposiums. Wir sind versammelt in einer Flüchtlingskirche, Friederike Krippner hat es gestern gesagt. Gebaut vor über 300 Jahren für Glaubensflüchtlinge aus Frankreich. Deshalb heißt sie Französische Friedrichstadtkirche und ihr Turm, der später hinzugefügt wurde, Französischer Dom. 

Noch heute finden in dieser Kirche französischsprachige Gottesdienste statt. Auch deutschsprachige, aber immer noch Gottesdienste auch in französischer Sprache. Warum erzähle ich das? 

Gerade in diesen Zeiten braucht es das: Erinnerung an Gelingen. Gelingen von einem guten Neben- und Miteinander in unterschiedlichen Sprachen. Das ist möglich. Diese Kirche steht dafür: für gelebte Toleranz, für Verständigung über Sprachgrenzen hinweg. 

Es gibt hier bis heute eine französische Gemeinde. Glaube hat auch etwas mit Muttersprache zu tun. Mit einem Stück 

Heimat, das man bei aller Bereitschaft zur Integration nicht so schnell aufgibt. Und auch nicht so schnell aufgeben sollte. Die Französische Friedrichstadtkirche steht für die Erkenntnis, dass Integration nicht Assimilation bedeutet. Die Mehrheitsgesellschaft im Berlin des frühen 18. Jahrhunderts bestand aus deutschsprachigen Lutheranern. In der Französischen Friedrichstadtkirche versammelten sich Menschen, die nicht nur fremdsprachig, sondern auch Calvinisten waren, also einer anderen Konfession angehörten. 

Ich betone das noch einmal ausdrücklich: Es ist keine Nebensächlichkeit, dass unser Flüchtlingsschutzsymposium gerade hier stattfindet. Ich sehe drei Botschaften, die von dem Ort ausgehen, an dem wir uns gerade befinden: 

Erstens die Botschaft der guten Vielfalt – ich habe es schon gesagt. Frei und gleich – in vielen Formen im Glauben, im Leben, im Lieben. („Frei und gleich“ heißt die Kampagne der EKD für mehr Vielfalt und Grundrechte für alle.) 

Zweitens die Botschaft: Kirche und Flüchtlingsschutz haben viel miteinander zu tun. Damals und heute. Sie hier alle wissen das – Kirchen setzen sich auf jeder Ebene für Geflüchtete ein, in Gemeinden, in Beratungsstellen, in der Seenotrettung. Für Menschen – weil sie Menschen sind. Ohne zu fragen, ob sie Christinnen und Christen sind. Manche werden es in dieser Zeit. Anderen ist ein anderer Glaube Halt für unterwegs. 

Die Bibel ist voller Fluchtgeschichten – auch deshalb ist uns Kirchen Flüchtlingsschutz so wichtig. Moses flieht mit seinem Volk vor dem Pharao aus Ägypten. Der Herrscher Herodes lässt das kleine Kind Jesus verfolgen. Frühe Christinnen und Christen waren verfolgt und sind es an vielen Orten heute – auch dazu gibt es hier in dieser Kirche immer wieder Gespräche. 

Flüchtlingsschutz muss sich im Konkreten zeigen. Deshalb vertreten wir als evangelische Kirche auch ganz konkrete Positionen zur Flüchtlingspolitik. Wir tun dies sehr oft gemeinsam mit der katholischen Kirche und auch mit vielen anderen Partnern, von den etliche hier vertreten sind. 

Zu diesen konkreten Positionen gehört unsere Forderung: Das individuelle Recht auf Asyl muss erhalten bleiben! Darum ist für uns der Titel des diesjährigen Symposiums – Wie verteidigen wir das Recht auf Asyl? – eine so wichtige Frage. 

Weil sich Flüchtlingsschutz im Konkreten bewährt, sind wir als Kirche auch in der Abschiebebeobachtung aktiv. Wir treten dafür ein, dass die Abschiebebeobachtung gesetzlich verankert wird. Deutschland ist hierzu nach EU-Recht verpflichtet. Wer in diesen Zeiten immer wieder mit Abschiebungen als Mittel der Wahl kommt – auch mit Abschiebungen in Bürgerkriegsländer –  weckt, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Peter Müller es letzte Woche geschrieben hat „nicht erfüllbare Erwartungen“. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gilt! Ein Ausspielen der inneren Sicherheitsinteressen gegenüber dem Schutzinteresse von Menschen zielt ins Leere. Das bedeutet ja gerade nicht, auch das hat Peter Müller betont, dass deutsches Strafrecht nicht angewendet werden kann und muss.

Auch auf europäischer Ebene ist es wichtig, dass die Kirchen und andere humanitäre Organisationen ein wachsames Auge darauf richten, was die EU und die Mitgliedstaaten tun. Der Monitoring-Mechanismus, den der EU-Migrationspakt vorsieht, muss finanziell, strukturell und personell gut ausgestattet sein. 

Meine Damen und Herren, neben der Vielfalt und dem kirchlichen Engagement beim Flüchtlingsschutz sendet der Ort, an dem wir uns befinden, noch eine dritte Botschaft aus: 
Kirche soll immer ein Ort sein, an dem Versöhnung, ruhige, sachliche Gespräch und ein Ausgleich über Trennendes hinweg möglich sind. Auch dazu soll unser Symposium dienen. Natürlich soll hier leidenschaftlich und engagiert diskutiert und gestritten werden, denn Flüchtlingsschutz verlangt Leidenschaft und Engagement! 

Aber Populismus und Extremismus gehören hier nicht hin. Wir setzen uns dafür ein, dass die Themen Migration und Asyl unsere Gesellschaft nicht weiter spalten. Mit der neuen Initiative #VerständigungsOrte setzen sich Kirche und Diakonie für gute Ort ein, Tische, an denen gestritten, und Streit ausgehalten wird. 

Bei aller Leidenschaft und allem Engagement dürfen wir aber nicht vergessen, dass unser Austausch dazu dient, auch Positionen näher kennenzulernen, die man nicht spontan teilt. 

In diesem Sinne danke ich Ihnen allen, die Sie hier – hoffentlich mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich – freundlich-bohrende Fragen stellen und freundlich-bohrend antworten. Ich danke allen, die vom Podium aus die Diskussion befördern, Impulse geben und Foren gestaltet haben. Und natürlich all denen, die durch monatelange Organisation im Vorfeld unser Symposium auf die Beine gestellt haben. 

In diesem Sinne: Wir sind in dieser Kirche radikal und tief überzeugt „Team Hoffnung“. Hinter jeder Zahl ein Mensch. Von Gott geliebt. Mit radikaler Würde und Einzigartigkeit ausgestattet. Frei und gleich. Wir und Sie hier alle auch und alle, für die wir uns einsetzen. 

Ich wünsche Ihnen also einen klärenden, diskursfreudigen, streitbaren, erkenntnisreichen zweiten Symposiumstag – und zugleich Stärkung und Ermutigung für die eigene Arbeit. 
 

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