Von Alstertaufe bis Kiezhochzeit

Die Hamburger Kasualagentur „st. moment“

Älteres Paar küsst sich vor dem Altar

Events wie die Elb- und Alstertaufen oder die Kiezhochzeiten gingen bundesweit durch die Medien und haben die Arbeit der Kasualagentur „st. moment“ in Hamburg über die Region hinaus bekannt gemacht. Im Januar 2022 begann das Team mit seiner Arbeit. Die Kirchenkreise Hamburg-Ost und Hamburg-West/Südholstein - mit zusammen rund 550.000 Mitgliedern − haben sich als Träger nicht lumpen lassen: Mit vier Pfarrer:innen, einem Kirchenmusiker, zwei Expertinnen für Kommunikation und Medien und drei Bürokräften ist das Projekt personell gut ausgestattet.

„Die Idee waberte schon eine Weile herum“, erinnert sich Pastorin Meike Barnahl, die Leiterin der Agentur. Sie keimt und wächst in einem Kreis jüngerer Pfarrer:innen. „Wir sahen, es gibt so viele Leerstellen in unserer Kirche, Menschen kommen nicht an.“ Sie entwickeln ein Konzept und tragen es in die Synoden, die das Projekt schließlich auf den Weg bringen. Wichtig sind auch die Erfahrungen aus dem großen Tauffest „Moin Welt“, das zu Pfingsten 2019 rund 5000 Menschen anlockt. Das habe Kritiker in den Gemeinden und Hürden beseitigt, so Barnahl. „Durch die große Resonanz in der Öffentlichkeit war das für viele eine positive Erfahrung.“

Die Mitarbeitenden von „st. moment“ bieten individuelle Begleitung an. „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“, betont Barnahl. „Wir respektieren die Wünsche und helfen, sie zu erfüllen.“ Die Nachfrage ist sehr hoch. Um die etwas zu bündeln und leichter erfüllen zu können, gibt es Paketangebote: Die Taufen unter freiem Himmel, an Alster, Elbe oder im Stadtpark, die Trauungen in der Kiezkneipe oder auf dem CSD haben sich zu Dauerbrennern entwickelt und sind fester Bestandteil des Jahresprogramms von „st. moment“. Das gilt auch für den „Goldmoment“, eine Möglichkeit zur Spontantaufe in der Innenstadtkirche St. Jacobi. „Dafür kommen Leute bis aus dem Rheinland hierher“, berichtet Barnahl.

Bei Trauerfällen wird die Agentur meistens von den Bestattern kontaktiert. „Wir werden meist ganz bewusst in bestimmten Fällen gefragt“, so Barnahl. Bei Familien mit multireligiösem Hintergrund etwa, bei Suiziden – aber auch bei Sozialbestattungen. „Da gäbe es sonst überhaupt kein Ritual und wir füllen somit eine Lücke.“

Generell gehe es darum, mit den Angeboten „zu zeigen, was möglich ist – auch ohne großen Geldbeutel“. Die Agentur arbeitet eigenständig, holt aber die Gemeinden als Kooperationspartner mit ins Boot. „Es geht auch darum, dass wir voneinander lernen“, sagt Barnahl. Dem Konkurrenzdenken – „nach dem Motto: ihr macht die coolen Sachen, wir das Schwarzbrot“ – versucht die Agentur entgegenzutreten: „Indem wir vieles teilen, was wir ausprobieren.“ Oft seien Gemeinden inzwischen auch dankbar, wenn ihnen manche Dinge abgenommen würden, etwa eine komplizierte Seebestattung.

Gute Dinge nicht nur tun, sondern auch darüber reden – daher ist Kommunikation ein wichtiger Teil der Arbeit bei „st. moment“. Die Präsenz auf Instagram und anderen sozialen Medien sowie ein gutes Google-Ranking sind sehr wichtig, um wahrgenommen zu werden. „Wir schauen aber auch auf eine breite Presseresonanz“, sagt Barnahl. Der Auftritt in Podcasts soll Multiplikatoren ansprechen und für Wissenstransfer sorgen. Ganz entscheidend sind auch Hochzeits-, Bestattungs- und Babymessen. Und selbst U-Bahn-Werbung habe man schon mehrfach geschaltet. „Die ist zwar sehr teuer, aber auch enorm hilfreich, etwa bei der Spontantaufe“, so Barnahl.

Wen erreichen die Angebote? „Das geht durch alle Altersschichten“, sagt Meike Barnahl. Besonders zeige sich das bei den Taufangeboten. Auch die Milieus, aus denen die Leute kommen, seien sehr verschieden. „Daher versuchen wir auch, möglichst viele unterschiedliche Angebote zu machen.“ Zwei Gruppen unter den Nutzern der Angebote hat die Pastorin aber dennoch ausgemacht: Da seien zu einen Menschen, „die der Kirche sehr verbunden sind, aber irgendwie unzufrieden mit der Institution oder ihrer Gemeinde“. Zum anderen erreiche man „auf der Straße“ aber auch „Leute, die mit der Kirche gar nichts am Hut haben“.

Die Mitarbeitenden von „st. moment“ bieten auch Rituale zu weiteren Lebensstationen an - zu Ruhestand, Elternzeit, Transition oder Trennung etwa. Zur Zeit ist aber eine Kapazitätsgrenze erreicht: „Wir sind mit unseren ,Klassikern‘ schon von Anfang an so ausgelastet, dass wir für andere Rituale noch gar nicht richtig werben können“, berichtet Barnahl. Die Pastorin wird inzwischen als Beraterin von Projekten aus dem ganzen deutschsprachigen Raum angefragt – eine Nachfrage, die sie kaum bedienen kann. Es entstehen digitale Vorträge und Youtube-Videos, die unkompliziert weitergegeben werden können. Mit den Agenturen in Berlin, Bayern und Lübeck hat sich „st. moment“  von Anfang an zu einem Netzwerk verbunden und Aktionen wie die Ausgabe von Citycards oder den gemeinsamen Auftritt beim Kirchentag in Nürnberg realisiert. Inzwischen sind viele weitere Agenturen und Initiativen dazugekommen.

Kasualagenturen boomen gerade. Trotzdem sieht sich „st. moment“ nicht als Konkurrenz zu den Gemeinden noch gar als deren Ersatz. „Mein Wunsch ist es, nicht alles wieder einzuhegen in vertraute Formen, sondern offen zu bleiben“, sagt Meike Barnahl. Das Bindungsverhalten der Menschen sei sehr unterschiedlich, die Gemeinde vor Ort spiele gerade in Städten nicht mehr die Hauptrolle. Nicht wenige seien in verschiedenen Gemeinden und Einrichtungen aktiv. Andere binden sich nicht fest an eine organisierte Form von Kirche – auch das sei vollkommen ok. „Kirche muss in Zukunft deutlich diverser, aber auch wieder erkennbar sein.“

Jörg Echtler