Predigt an Christi Himmelfahrt 2019
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Predigttext: 1. Kön 8,22-24, 26-28
Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Gemeinde,
der Himmel über Mupperg – das ist für mich die große Überschrift über den heutigen Tag.
Diese Überschrift ist zwar noch kein Filmtitel wie bei dem berühmten Film von Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“, aber so wie die Engel in diesem Film voller Liebe auf ihre Stadt und ihre Menschen schauen, so spüre ich auch heute hier in Mupperg solche Engel, die voller Liebe auf Ihr Dorf schauen und mitten unter uns sind. Und das schon seit 950 Jahren. In den guten Zeiten und in den schweren Zeiten.
Und im 30. Jahr nach dem Mauerfall ist das auch für mich persönlich sehr berührend. Meine gesamte Schulzeit habe ich nur rund 20 km von Ihnen in Coburg verbracht. Immer wieder sind wir auf unseren Sonntagsausflügen als Familie an die deutsch-deutsche Grenze gefahren und an ihr entlanggewandert. Zu meinen tiefsten Kindheitserinnerungen gehört das Grauen, das ich empfunden habe, wenn ich an der Grenze stand und auf den Todesstreifen schaute und mir vorstellte, dass jemand über diesen wie ein Acker aussehenden Streifen laufen und von einer explodierenden Tretmine in Stücke gerissen würde. Mehrfach bin ich im kleinen Grenzverkehr zu Ihnen auf die andere Seite gefahren. Noch heute rieche ich den Braunkohlengeruch in den Dörfern. Wie oft habe ich auf der anderen Seite der Grenze gestanden, etwa an der Gebrannten Brücke, und habe rübergeschaut, von Neustadt nach Sonneberg, habe nach Menschen auf der anderen Seite gesucht und ein tiefes Gefühl der Fassungslosigkeit gespürt, dass wir durch diese menschenverachtende Grenze voneinander getrennt waren. Nie hätte ich gedacht, dass diese Grenze in meiner Lebenszeit fallen würde.
Und nun stehe ich heute hier, schaue auf fast 30 Jahre vereintes Deutschland zurück und habe wirklich so ein Gefühl des Himmels über Mupperg. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ – so hat der Chansonsänger Reinhard May einmal in seinem berühmten Lied gesungen. Und vielleicht haben Sie in der Zeit der DDR manchmal sehnsuchtsvoll mit solchen Gedanken in den Himmel geschaut und sich nach Freiheit gesehnt. Heute gibt es keine Grenze mehr. Und wir können hier gemeinsam 950 Jahre Mupperg feiern. Weil viele hier in der Region Sonneberg ebenso wie die Menschen in Leipzig und Dresden und anderswo in der DDR, gebetet haben, weil sie aus der Kraft des Gebets auf die Straße gegangen sind und mit Kerzen und Gesängen in einer friedlichen Revolution zum Einsturz gebracht haben, was unverrückbar schien.
Der Himmel ist vom Sehnsuchtsort irgendwo da draußen zu einem Ort geworden, wo Gott mitten in der Welt wirkt. Das verbindet uns heutige Menschen mit den Menschen in biblischen Zeiten wie etwa dem sagenumwobenen König Salomo, von dem in unserem heutigen Predigtwort die Rede ist.
Es ist eine höchst feierliche Szene, die da beschrieben wird. König Salomo hat – so wie es verheißen war – den Tempel gebaut, hat Gott ein Haus gebaut, in dem die Bundeslademit den Gebotstafeln vom Berg Sinai nun eine feste Wohnung finden soll. Der Gott, der sonst immer aus den Wolken gesprochen hat oder aus dem Feuer des Dornbusches, immer so, dass er da war, aber dann auch immer gleich wieder weg, dieser Gott würde jetzt einen Ort haben, an dem er unter den Menschen wohnt. Jetzt wird der Tempel feierlich eingeweiht. Und Salomo spricht nun zu seinem Volk und sagt:
„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.“
Bis heute bewegt uns die Frage, die Salomo damals stellt: Kann es sein, dass wir den großen Gott, den Schöpfer des Kosmos, wirklich hier auf Erden erfahren können, dass wir ihm hier begegnen können? Hört er uns wirklich, ist er wirklich bei uns? In dieser schönen Kirche in Mupperg fragen wir: Gott ist doch so unfassbar groß, durchwirkt den gesamten Kosmos – wie sollte er dann in unserem Haus, in unserer Kirche wohnen?
Die Antwort ist gerade hier richtiggehend eingeschrieben in diese Kirche. Denn sie heißt ja „Heilig-Geist-Kirche“. Vor knapp 300 Jahren haben die Menschen hier in Mupperg ihrer Kirche diesen Namen gegeben. Weil sie das erfahren haben, was wir heute auch erfahren dürfen:
Wir spüren Gottes Gegenwart. In der Musik der Orgel, der Posaunen und der Singstimmen, die das Herz öffnet und die tatsächlich – so geht es mir jedenfalls immer wieder – so ein Gefühl entstehen lässt, dass der Himmel sich öffnet.
Wir spüren sie in dem gemeinsamen Gesang unserer Kirchenlieder, in dem die Worte des Lobens und Dankens in diesen Liedern aus den Tiefen der Seele kommen. Wir spüren sie in dem Worten aus der Bibel, die wir hören und die uns dann immer wieder plötzlich treffen, weil wir merken: Ja, ich bin gemeint! Wir spüren sie in den Gebeten, in denen wir das vor Gott bringen, was uns bewegt und Gott vor uns wissen, merken, dass wir nicht nur ein Selbstgespräch führen, sondern dass da jemand ist, der uns zuhört. Wir spüren sie in der Schönheit dieser Kirche, in der soviele Künstler uns Hinweise auf Gott, auf Christus, auf den Heiligen Geist geben, die unsere Sinne erfreuen und ansprechen. Und schließlich spüren wir sie in der Gemeinschaft untereinander, die wir hier erfahren und die gleich, wenn wir miteinander das Abendmahl feiern, eine besonders dichte Gestalt bekommt. Wir kommen alle aus so unterschiedlichen Kontexten, wir bringen ganz unterschiedliche Lebensgeschichten mit - aber in Christus sind wir eins. Alle miteinander sind wir Glieder des einen Leibes Christi.
Das sind die Erfahrungen, die wir machen dürfen. Die wir in dieser Kirche machen dürfen, die den wunderbaren Namen Heiliggeist-Kirche trägt. Und am Himmelfahrtstag steht eine Geschichte im Zentrum, die auf den ersten Blick schwer zu verstehen ist, die aber die Grundlage dafür ist, dass wir all diese Erfahrungen überhaupt erfassen können.
In der Kunstgeschichte ist Christi Himmelfahrt in den Kirchen oder auf Gemälden in der Regel so dargestellt worden, dass Jesus auf einer Wolke in den Himmel entschwindet. Und wir sprechen davon fast in jedem Gottesdienst, dann nämlich, wenn wir im Glaubensbekenntnis beten: „aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur rechten Gottes, des allmächtigen Vaters...“ Aber was das nun eigentlich bedeutet, davon haben wir vielleicht ein intuitives Gespür, aber es ist schwer auszudrücken. Mit einem Fahrstuhl nach oben hat die Himmelfahrtsgeschichte jedenfalls nichts zu tun. Mit der Vergewisserung dass Christus da ist, auch wenn er nicht mehr wie bei den Jüngern in Fleisch und Blut unter uns ist, damit hat die Geschichte aber viel zu tun.
Wenn wir von Himmelfahrt sprechen, dann sprechen wir nicht von einer Reise in einen anderen Raum, irgendwo in den Wolken oder über den Wolken, sondern wir sprechen von einer Dimension der Wirklichkeit, die auch ohne Fahrstuhl nach oben erfahrbar ist. Manchmal helfen die Worte einer anderen Sprache, was gemeint ist. Die englische Sprache hat zwei Worte für „Himmel“: sky und heaven. „Sky“ – das ist der Himmel über uns, an dem wir die Flugzeuge fliegen sehen, der mal grau oder mal blau ist und aus dem es regnet oder auch mal schneit. Heaven dagegen ist nicht ein bestimmter Ort, sondern heaven ist eine Dimension der Wirklichkeit, die man nicht mit den Augen, sondern nur mit dem Herzen sehen, die man tief im Gemüt spüren kann.
Es gibt eine Redewendung auch in der deutschen Sprache, die davon spricht. Wenn Sie sich einmal ganz wohl fühlen, wenn alle Last von Ihnen abfällt, wenn Sie wunschlos glücklich sind, dann sagen Sie vielleicht: „Ich bin im siebten Himmel“. Und dieser siebte Himmel ist dann etwas, was Sie hier auf Erden erfahren. Mit der Erfahrung, die wir mit Christus machen, ist es genauso: Der Frieden der Seele, der aus dieser Erfahrung mit Christus kommt, der ist wirklich wie der siebte Himmel. Das Gefühl, so angenommen zu sein, wie ich bin, das Gefühl, nichts dafür leisten zu müssen, die Erfahrung, eine Basis im Leben zu haben, die mich in guten und in schlechten Tagen trägt, ein Gegenüber zu haben, dem ich auch den Dank für all das Gute in meinem Leben zum Ausdruck bringen kann, das alles ist ein Stück Himmel auf Erden.
Himmelfahrt Jesu – das heißt, dass Jesus den Himmel öffnet, dass Jesus die Erfahrung des Himmels für uns öffnet. Jesus war in Fleisch und Blut unter den Menschen. Nun – das sagt die Himmelfahrtsgeschichte - ist sein Leib nicht mehr sichtbar vor unseren Augen, aber Jesus ist da, und wir können ihn mit unsren Herzen sehen, wir können sehen, wie er den Himmel öffnet.
Kann Gott auf der Erde wohnen? Fragt Salomo und ist sich unsicher. Wir wissen jetzt, dass die Antwort ein klares Ja ist. In Christus ist er sogar Mensch geworden. Hat das Leben der Menschen geteilt. Hat eine Liebe ausgestrahlt, die alle verwandelt hat, die sich ihm geöffnet haben und die uns bis heute verwandelt. Hat seinen Jüngern und uns allen eine wunderbare Zusage gegeben, bevor er sie körperlich verließ: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Dass diese Zusage gilt, das haben die Menschen in Mupperg 950 Jahre lang, manchmal auch in schweren Zeiten, gespürt. Und es hat ihnen Kraft gegeben. Und so dürfen wir voller Zuversicht in die Zukunft schauen. In Gottes Hand legen, was uns beschwert. Und Gott loben und preisen für alles, was er uns jeden Tag schenkt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen