Was ist Seelsorge?
Anderen beistehen, sich in sie einfühlen, ihre Freuden und Nöte mittragen
„Zoff im Job, Knatsch in der Beziehung, isoliert, allein, Mist gebaut? Wir helfen. Erfahrene Seelsorgerinnen und Seelsorger kümmern sich um Menschen in schwierigen Situationen und bieten ihnen sinnstiftende Beratung.“ So beschreiben die Reformierte und die Katholische Kirche in der Schweiz ihr Seelsorgeangebot im Internet. Und das trifft gut, welcher Sinn mit den Worten „Sorge für die Seele“ gemeint ist.
Ursprünglich kümmerten sich in der Seelsorge Geistliche um das Seelenheil der Gläubigen, die von Angst vor dem Fegefeuer geplagt waren, und sprachen sie nach Reue und Buße frei von ihren Sünden. Bis heute ist Seelsorge in der Regel ein Gespräch im kirchlichen Zusammenhang. Wobei sich die Fragen, Ängste und Nöte von Menschen wandeln und heute andere sind als im Mittelalter. Meist handelt es sich um ein persönliches Gespräch unter vier Augen, in dem Menschen ihre Sorgen und Nöte vortragen und Lebens- oder Glaubenshilfe erfahren.
Seelsorge kann nicht nur von Gläubigen, sondern von jedem Menschen in Anspruch genommen werden. Sie geschieht jedoch auf der Basis des christlichen Menschenbildes. Der Mensch wird als von Gott geliebtes Geschöpf gesehen, das in Beziehung zu Gott steht im Leben, im Sterben und über den Tod hinaus. Und das von daher seine unverlierbare Würde bekommt.
Seelsorge geschieht auf freiwilliger Basis. Sie verfolgt keine eigenen Interessen. Wie einst Jesus wird sie immer direkt oder indirekt wie die Frage stellen: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (Lukas 18, 41)
Ein Seelsorgender wird gemeinsam mit dem vor ihm Sitzenden nach Erfahrungen in dessen bisherigem Leben suchen, die in der aktuellen Lage neue Kraft und Mut geben können, auch nach spirituellen Ressourcen. Dabei kann auf Wunsch auch ein Gebet gesprochen oder ein Segen gespendet werden. Auch die Feier des Abendmahls oder eine Salbung kann im Zusammenhang eines seelsorglichen Kontaktes erfolgen.
Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer steht als Seelsorger zur Verfügung. Alle unterliegen der seelsorglichen Schweigepflicht bis hin zu ihrer strengsten Form, dem unaufhebbaren Beichtgeheimnis. Im Grunde gehört es aber zum Christsein jedes Menschen dazu, anderen Menschen beizustehen, sich in sie einzufühlen, ihre Freude und ihre Not mitzutragen, so wie Jesus es vorgelebt hat. Deshalb gibt es auch immer mehr gut ausgebildete Ehrenamtliche in der Seelsorge, die ebenfalls der Schweigepflicht unterliegen. Sie werden von ihren Kirchen zu diesem Dienst beauftragt und begleitet.
Seelsorge geschieht in Gemeinden, vor allem an Wendepunkten des Lebens, im Zusammenhang mit Taufen, Trauungen und Beerdigungen und in Seniorenheimen. Seelsorgende teilen auch die Freude und das Glück anderer. Aber eine Hauptaufgabe liegt in der Begleitung Sterbender und ihrer Angehöriger. Viele Gemeinden haben regelmäßige Trauergruppen oder Trauercafés, in denen Menschen, die jemanden verloreren haben, sich austauschen können und seelsorglich unterstützt werden. Die Zusammenarbeit mit den ambulanten Hospizdiensten wird derzeit ausgebaut. Darüber hinaus gibt es andere wichtige Seelsorgefelder wie zum Beispiel die Krankenhausseelsorge, die Telefonseelsorge (zunehmend auch Seelsorge im Chat und per Mail) und die Notfall- und Feuerwehrseelsorge. Es gibt spezielle Angebote für Menschen mit Behinderungen wie die Gehörlosen- und Schwerhörigenseelsorge, Seelsorge für Blinde sowie Seelsorge an besonderen Orten wie im Gefängnis. Auch in den Schulen wird das Angebot der Seelsorge durch spezielle Fortbildung für Schulpfarrerinnen, Schulpfarrer, Religionslehrerinnen und Religionslehrer derzeit verstärkt.
„Ein Mensch kann sich zweckfrei und ohne Folgen Dinge von der Seele reden.“
Seelsorgende in Institutionen wie Polizei, Militär, Krankenhaus, Altenheimen oder Feuerwehr sind auch für persönliche und die Arbeit betreffende Belange von Mitarbeitenden da. Oft bilden sie mit anderen Berufsgruppen multiprofessionelle Teams, um Menschen umfassend beistehen zu können. In den Krankenhäusern arbeiten sie mit in ethischen Gremien, bei denen es um wichtige Entscheidungen am Beginn und am Ende des Lebens geht, wie Schwangerschaftsabbruch oder den Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen. Die Begleitung von Patienten, Angehörigen und Personal bei solchen Fragen nimmt dort in den letzten Jahren immer mehr Raum ein.
Grundsätzlich und besonders in diesem Bereich ist wichtig, dass kirchliche Seelsorge unabhängig ist. Seelsorgende sind kirchliche Mitarbeitende und nicht Angestellte einer Institution. Durch diesen Status – die Schweigepflicht und das Beichtgeheimnis – unterscheidet sich das Angebot der Seelsorge von dem eines Psychologen, einer Psychotherapeutin oder von einer Beratung. In der Seelsorge wird mit Methoden aus anderen angrenzenden Disziplinen wie der Psychotherapie als Hilfsmittel gearbeitet. Was in seelsorglichen Zusammenhängen besprochen wird, geht jedoch – zumindest hier in Deutschland – nicht in Patientendokumentationen oder Personalakten ein und mündet nicht in Behandlungsempfehlungen oder Therapien. Vor Gericht haben Seelsorgende ein Aussageverweigerungsrecht. Ein Mensch kann sich so zweckfrei und ohne Folgen Dinge von der Seele reden, sie mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger teilen, sie – wenn gewünscht – vor Gott bringen und Sinn in seiner Lebenssituation finden. Darin hat die Seelsorge ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen Berufsgruppen im medizinisch-therapeutischen Bereich und in der Beratungsarbeit. Nicht zuletzt dadurch erfährt sie gesellschaftlich zunehmende Wertschätzung.
Dr. Barbara Schwahn,
Superintendentin im Kirchenkreis Krefeld-Viersen