"Friedensdienst als Auftrag für die verfasste Kirche und unabhängige christliche Friedensdienste"

Manfred Kock

Mitgliederversammlung AGDF in Weisendorf (Erlangen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich lade Sie ein zu einer kleinen Zeitreise in das Jahr 1968. 35 Jahre ist das her. 1968 war kein Jahr wie jedes andere. Ein paar Stichworte mögen hier genügen: Krieg, Blut und Tränen in Vietnam.(1)  Studentenunruhen weltweit, auch hier in Europa. Der Prager Frühling: Sowjetische Panzer zermalmen tschechische Träume. Und hier und da tödliche Schüsse, Attentate und Opfer: Martin Luther King, Robert Kennedy. Ein Attentat auch in Deutschland: Er traf Rudi Dutschke, der elf Jahre danach an den Spätfolgen starb. 1968 war auch das Jahr, in dem die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) gegründet wurde. Im Raum der EKD der Dach- und Fachverband für den Frieden. Ein grünes Pflänzchen Hoffnung in kriegerischer Zeit. Ein Jahr später, 1969: Für viele Aufbruchsstimmung. Das Jahr der ersten Mondlandung: Fortschritt scheint möglich. In Deutschland ein neuer Bundespräsident. Gustav Heinemann, engagierter Protestant. Er setzt sich für die nachhaltige Förderung der Friedensforschung ein. Und ein neuer Bundeskanzler regiert in Bonn: Willy Brandt. Die neue Regierung aus SPD und F.D.P. leitet die Ost- und Entspannungspolitik der Siebzigerjahre ein. Das Motto des Jahres 1969: "Mehr Demokratie wagen!" Ein Jahr lang gab es die AGDF inzwischen. Und nun erschien eine Thesenreihe der EKD zur christlichen Friedensethik, die von der Kammer für Öffentliche Verantwortung erarbeitet worden war. Der Titel der Studie: "Der Friedensdienst der Christen" (2). Damit sind wir mitten in unserem Thema.(3)  

In einem ersten Teil fasse ich die Argumentation dieser EKD-Schrift knapp zusammen. Im zweiten Teil werde ich auf einige friedenspolitische Herausforderungen der Gegenwart zu sprechen kommen. Schließlich möchte ich Ihnen ein mutmachendes Lied mit auf den Weg geben.


I. Teil: Die Schrift "Der Friedensdienst der Christen" (1969)
Auch wenn dieser Text heute in der Reihe der Denkschriften auftaucht, ursprünglich war er keine Denkschrift. Denn der Rat der EKD hatte die Studie nicht angenommen. Es handelte sich also um eine Veröffentlichung der Kammer, genauer gesagt, der Mehrheit der Kammer, mit Erlaubnis des Rates, quasi eine "experimentelle" Publikation.

Die Argumentation kann man in fünf Kerngedanken zusammenfassen, die bis heute wichtig sind und hinter die wir nicht zurückfallen sollten:  

  1. Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Es geht nicht bloß um die Verhinderung von Kriegen, sondern um humane, also menschliche Lösungen für globale Konflikte. Es geht um die Überwindung von Leiden, Ängsten und Drohungen und den Verletzungen von Recht und Gerechtigkeit, die sich aus Konflikten ergeben oder zu ihnen führen. Wirklicher Friede muss durch den Begriff der Gerechtigkeit qualifiziert sein. Durchgängig werden in der Schrift Friede und Gerechtigkeit miteinander verbunden und von einander her bestimmt. Das ist nicht harmonistisch oder illusionistisch gemeint. Friede heißt nicht Konfliktlosigkeit, sondern eine Weise, mit Konflikten zu leben, die jedenfalls die Fortdauer dieser Konflikte für beide Konfliktparteien nicht ausschließt. Damit bahnt sich sehr deutlich das heute vorherrschende friedensethische Paradigma vom "gerechten Frieden" an.
     
  2. Der prinzipielle christliche Pazifismus muss positiv gewürdigt werden. Der Pazifismus, wie er in der Vergangenheit vornehmlich von den historischen Friedenskirchen vertreten wurde, wird in der vorliegenden Schrift ausdrücklich positiv gewürdigt. Man darf in ihm nicht ein beliebiges biblizistisches Missverständnis des Evangeliums sehen, sondern er beschreibt eine für Christen und Christinnen legitime Weise, in dieser Welt Friedensdienst zu gestalten. Über Jahrhunderte hatte die Kirche sich ablehnend gegenüber christlichem Pazifismus verhalten, ihn im besten Falle geduldet. Prinzipiellen Gewaltverzicht nun in einem offiziellen kirchlichen Papier positiv gewürdigt zu finden, das war damals noch etwas Neues.
     
  3. Die Lehre vom gerechten Krieg muss überwunden werden. Diese Auffassung, die seit Aurelius Augustinus bis in die Gegenwart hinein die christliche Friedensethik bestimmte, wird deutlich kritisiert. Zu oft habe sie in der Vergangenheit dazu gedient, Kriege zu rechtfertigen, statt sie zu verhindern oder einzudämmen. Zu oft habe sie die Gewissen entlastet und die jeweiligen Gegner mit der ganzen Verantwortung für den Krieg belastet. Sie stehe überdies in der Gefahr, das Friedenszeugnis der Christen in eine zeitlos gültige theologische Norm umzusetzen. In der klaren Abgrenzung von Art. 16. des Augsburger Bekenntnisses heißt es, in der christlichen Ethik könne „... nicht mehr von einem rechtmäßigen Krieg die Rede sein, wie es in der Reformationszeit noch denkbar war.“ Die Voraussetzung dieser Ausführungen ist allerdings das Gleichgewicht des Schreckens, der andauernde Kalte Krieg, die globale atomare Bedrohung, mit der die Welt bis Ende 80er Jahre zu leben haben würde. Diese Voraussetzung ist heute nicht mehr gegeben, und zugleich werden auch in der Kirche wieder Stimmen laut, die eine Wiederbelebung der Lehre vom gerechten Krieg fordern. Auch die heute übliche Heranziehung des Gedankens einer "ultima ratio" zur jeweiligen Bewertung von militärischer Gewalt birgt die Gefahr, damit eine Kriegslegitimation zu haben, statt den Krieg zu verhindern.
     
  4. Der Begriff der "Komplementarität" aus den Heidelberger Thesen des Jahres 1959 bildet den roten Faden der Argumentation. Gemeint ist damit, militärische und nichtmilitärische Formen der Friedenssicherung brauchen einander und sind grundsätzlich als gleichrangig zu betrachten. Auch Wehrdienst und ziviler Ersatzdienst sind in diesem Sinne aufeinander angewiesen. "Friedensdienst mit und ohne Waffen" - auf diese Formel brachte der Hannoveraner Kirchentag 1967 die Komplementaritätsthese. Heidelberg und Hannover bedeuteten einen Fortschritt gegenüber der Zeit, als im Rahmen der Lehre vom gerechten Krieg ausschließlich der Wehrdienst als die für Christen angemessene Form der Friedenssicherung betrachtet wurde. Aus der Komplementaritätsthese folgt, dass die Kirche sich den Wehrpflichtigen, den Wehrdienstleistenden und den Wehrdienstverweigerern widmen muss. Keine dieser Alternativen darf zur ausschließlich christlichen erklärt werden. Christen müssen sich zudem dafür einsetzen, dass Wehrpflichtige ihre Entscheidung für Wehrdienst oder Zivildienst nicht unberaten und uninformiert treffen.
     
  5. Die Friedensschrift mündet in einer konkreten und über den Tag hinaus aktuellen Handlungsempfehlung: Sie fordert den Ausbau der nicht-militärischen Friedensdienste. Dazu zählt die Schrift den zivilen Ersatzdienst und die Entwicklungsdienste sowie die sog. "privaten Friedensdienste"(4). Die beiden Letztgenannten sind identisch mit dem ganzen heute in EED und AGDF zusammengefassten Spektrum. Der planmäßigen Ausbildung für konkrete Friedensdienste und der langfristigen Erziehung zum Frieden sowie der Anregung von Friedensforschung in den Wissenschaften komme eine besondere Bedeutung zu. Freilich müsse auch eine sorgfältige Analyse der Erfahrungen, Erfolge und Fehlschläge in den bisherigen deutschen, ökumenischen und internationalen Versöhnungs- und Verständigungsdiensten, Hilfs- und Entwicklungsdiensten stattfinden und geleistet werden. Heute würde man dieses Anliegen unter den Begriff der „Evaluation“ fassen. Die Schrift schließt mit der Empfehlung: "Die Christen und die kirchlichen Organe in der Bundesrepublik müssen ihre volle Aufmerksamkeit darauf richten, dass diese neuartigen Aufgaben von Abgeordneten, Parlamenten, Ministerien und der Öffentlichkeit nachdrücklich vertreten und in Angriff genommen werden."

Diese "neuartigen Aufgaben", die in Angriff genommen werden sollen - damit ist gemeint, was die AGDF seit 1968 leistet, nämlich die Organisation eines christlich inspirierten nicht-militärischen, also zivilen Friedensdienstes. Im Namen "AGDF" tragen Sie den Friedensdienst sozusagen mit sich herum. Übrigens ebenso eine Ihrer Mitgliedsorganisationen, der "Schalomdiakonat", was aus den beiden biblischen Ursprachen Hebräisch und Griechisch ins Deutsche übersetzt auch nichts anderes als "Friedensdienst" bedeutet.

Knapp zusammengefasst, plädierte die Schrift "Der Friedensdienst der Christen" 1969 für die Entwicklung einer neuen Friedensethik, die sich von der überkommenen Lehre vom gerechten Krieg distanzieren sollte. Der Text warb für die Anerkennung des Pazifismus innerhalb der evangelischen Kirche. Begründet wurde dies mit der Komplementaritätsthese. Die Schrift zog aus alledem die Schlussfolgerung, die evangelische Kirche müsse sich für Zivildienstleistende ebenso deutlich engagieren wie für Wehrdienstleistende und solle den Ausbau der bestehenden zivilen Friedensdienste tatkräftig unterstützen. Das geheime Motto des Textes hieß also: "Mehr Friedensdienst wagen!", ganz analog zu Willy Brandts Regierungsmotto "Mehr Demokratie wagen". Alles in allem ist er ein Dokument der damaligen Aufbruchszeit. Das heißt nicht, dass er überholt wäre. Im Gegenteil. Denn gerade heute brauchen wir einen gesellschaftlichen Aufbruch nötiger denn je.


II. Christlicher Friedensdienst und die Herausforderungen der Gegenwart

"Mehr Friedensdienst wagen!" Über Jahre wirkte dieses Motto der 1969er Schrift im Hintergrund und im Untergrund. Die heißen Debatten der Achtzigerjahre kulminierten weniger in einem Ja zur konstruktiven Konfliktbearbeitung als in einem gemeinsamen Nein zu Cruise Missiles und Pershing II, in einem Nein zur NATO-Nachrüstung, in einem Nein zur Abschreckungsdoktrin. Mehr Nein als Ja also. Als sich 1989 der Anfang vom Ende der DDR, der Sowjetunion und des Warschauer Paktes abzeichnete und die weltpolitische Lage sich so gravierend veränderte wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr, da wuchsen auch die alten Träume und Visionen wieder neu und fanden ihren Weg in das Bewusstsein und das Handeln der Verantwortlichen in den Gremien der EKD. Noch in dem friedensethischen Text der EKD, "Friedensethik in der Bewährung" aus dem Jahr 2001, wird der "Ausbau von Wegen der zivilen Konfliktbearbeitung" gefordert. Dabei müsse allerdings deutlicher als bisher unterschieden werden zwischen der Rolle der zivilen Konfliktbearbeitung vor, in und nach Konflikten. Vor allem für Zwecke der Prävention und der Nachsorge sind die zivilen Friedensdienste notwendig. Sie brauchen zur Stärkung ihrer Leistungsfähigkeit vielfältige Qualifizierungsangebote, aber auch begleitende Forschung und Evaluation. Innerhalb des breiten Spektrums der sog. "zivilen Friedensdienste" lassen sich unterschiedliche Profile erkennen: Soziale Friedensdienste mit dem Akzent auf interkulturellem Lernen sind von regionalen Friedensdiensten mit dem Schwerpunkt des praktischen Konflikttrainings zu unterscheiden. Freiwilligendienste haben einen anderen Ansatz und Schwerpunkt als Friedensfachdienste. Das alles wissen Sie besser als ich; die Gliederung der AGDF in Fachbereiche bildet ja entsprechende Differenzierungen sinnvoll ab.

"Mehr Friedensdienst wagen!" kann auch heute noch als Motto der Friedensethik der EKD gelten. Aber ich möchte dieses Motto im Hinblick auf die gegenwärtigen Herausforderungen noch etwas klarer fassen. Auch hier entwickle ich fünf Gedanken:  

  • 1. Friedensdienst ist ein Auftrag für alle Christen und Christinnen und deshalb auch für die verfasste Kirche. Nun ist ein Auftrag aber etwas anderes als ein Befehl. Denn ein Befehl enthält einzelne Anweisungen für einzelne Situationen. Ein Auftrag enthält hingegen immer nur eine klare Aufgabenstellung, also die Beschreibung einer Leistung, die einmal oder dauernd zu erbringen ist. Dem Beauftragten wird zugemutet, den Weg dorthin in eigener Verantwortung zu finden. Damit ist für die verfasste Kirche zwar klar definiert, dass sie Friedensdienst zu leisten hat. Wie sie dies zu tun hat und welche Wege sie zu diesem Ziel gehen muss, das ist nicht festgelegt. Es ist denkbar, dass mehrere Wege zum Ziel möglich sind.
     
  • 2. Frieden lässt sich schaffen - mit und ohne Waffen. Die verfasste Kirche achtet und unterstützt die friedenserhaltende Leistung der Bundeswehr. Sie respektiert den Dienst der Soldatinnen und Soldaten als eine auch für Christen mögliche Form verantwortlichen Handelns. U.a. deshalb setzt sie sich dafür ein, dass es auch in Zukunft ein flächendeckendes Netz der Soldatenseelsorge im Raum der EKD gibt. Militärische Mittel sind angesichts der realen Gewalt und Willkür offenbar nötig, - um Frieden in dieser Welt zu erhalten oder die elementaren Bedingungen für die Möglichkeit von Frieden herzustellen. Denn das haben die gewaltsamen Konflikte vor unserer Haustür gezeigt: Besondere Situationen und Notlagen können militärische Einsätze der Bundeswehr nötig machen. Ich denke dabei vor allem an Mazedonien, wo die Präsenz deutscher Soldaten Frieden erhalten hat. Ich habe es dagegen sehr begrüßt, dass die Bundesrepublik sich nicht an dem Irak-Feldzug des Frühjahrs beteiligt hat. Hierfür hat es eben keine hinreichenden Gründe gegeben.
     
  • Auch wenn nach meiner Überzeugung in bestimmten Fällen militärische Fähigkeiten unentbehrlich sind, so wird doch gerade am Beispiel von Afghanistan und Irak deutlich, wie wenig sie zur Entwicklung eines dauerhaften gerechten Friedens beitragen können. Der Friede ist eine politische Aufgabe, keine militärische Leistung.
     
  • Dabei ist es immerhin schon anzuerkennen, wenn die Ermöglichung des Friedens das Ziel militärischen Handelns ist und nicht Eroberung, Kolonialisierung, Machterweiterung, Zugang zu Öl und anderen Ressourcen. Die EKD begrüßt den Zivildienst als Alternative zum Wehrdienst, sie begrüßt auch die zivilen christlichen Friedensdienste, die neue Wege zum Frieden zu gehen bestrebt sind. Sie anerkennt eine Pluralität möglicher Wege zum Frieden auch dann, wenn sie als Kirche von ihrer Botschaft und ihrem Auftrag her eine größere Affinität zum gewaltfreien Handeln hat.
     
  • 3. Friedensdienst ist nicht nur ein Auftrag für die verfasste Kirche, sondern auch für unabhängige christliche Friedensinitiativen. Die Unabhängigkeit der Friedensdienste ist grundsätzlich positiv zu beurteilen. In ihnen lebt das Erbe der Friedenskirchen und des klassischen Pazifismus. In ihnen pflanzt sich eine lebendige Basis- und Graswurzelbewegung fort, die viel Gutes zum Wachsen und Blühen bringen kann. Die Unabhängigkeit der christlichen Friedensdienste gegenüber der Kirche ermöglicht einen offenen und partnerschaftlichen Dialog. Beide Seiten könnten voneinander lernen und brauchen einander, um ihren Horizont zu erweitern. Es ist gut für die Kirche, dass sie in den zivilen Friedensdiensten ein Gegenüber hat, das mit ihr ein gemeinsames Ziel teilt, im Hinblick auf die Frage des Weges zu diesem Ziel aber auch andere Vorstellungen hat. Die christlichen Friedensdienste und mit ihnen die AGDF können ein Korrektiv für die verfasste Kirche, also für uns als EKD, sein. Sie können ihr in mancherlei Hinsicht Anregungen geben. Und vielleicht ist es manchmal auch umgekehrt, warum auch nicht, wenn es sich um eine echte Partnerschaft handeln soll? Vielleicht kann ja die EKD bei Ihnen die Einsicht befestigen, dass es mehrere Wege zum Frieden geben kann.
     
  • 4. Das Verhältnis zwischen der verfassten Kirche und den unabhängigen christlichen Friedensdiensten lässt sich in finanzieller Hinsicht unter dem Gesichtspunkt der "Subsidiarität" kennzeichnen. Damit ist gemeint, die kleinere Einheit hat den Vorrang, jedes Problem soll auf der niedrigsten möglichen Ebene geregelt werden. Jede Frage ist dort zu entscheiden, wo dies am effizientesten geschehen kann. Die EKD versteht sich aber auch im Hinblick auf die Parlament und Bundesregierung als eine Fürsprecherin der unabhängigen christlichen Friedensdienste. In diesem Sinne hat sich der Bevollmächtigte des Rates der EKD in den letzten Jahren mehrfach, insbesondere im Hinblick auf die Freiwilligendienste, eingesetzt. Auch der vom Vizepräsidenten des Kirchenamtes in den vergangenen Jahren moderierte Runde Tisch zum Thema "Freiwilligendienste" gehört in diesen Zusammenhang, ebenso wie die zu großen Teilen der AGDF zugute gekommene Kollekte für Friedens- und Versöhnungsdienste des Jahres 2001.
     
  • 5. Der zivile christliche Friedensdienst ist nicht nur gesellschaftspolitisch nützlich und friedenspolitisch notwendig, sondern auch Ausdruck gelebten Glaubens, aber gerade darum darf nicht menschliches Tun mit Heilserwartungen überfrachtet werden. Auch der christliche Friedensdienst verfügt nur über beschränkte Ressourcen und einen begrenzten Aktionsradius. Mit Freiwilligen, ja selbst mit Friedensfachkräften kann man keine laufenden Kriege stoppen. Allerdings können sie einen erheblichen Beitrag zur Konfliktnachsorge leisten. Und, was noch viel besser ist, sie können mit ihren Mitteln zur Prävention von Kriegen beitragen. Es kommt darauf an, dass die christlichen Friedensdienste weder von anderen überfordert werden, noch sich selbst überfordern. Es geht darum, Möglichkeiten und Chancen realistisch wahrzunehmen. Deshalb sind auch Qualifikation und Evaluation der Leistungen ziviler Friedensdienste nötig. Ich weiß, dass Sie diesen Weg seit einigen Jahren sehr konsequent gehen. Die Gründung des Qualifizierungsverbundes ist dafür ja ein deutliches Anzeichen. Sie können sicher sein, dass die EKD diesen Weg unterstützt.

 

III. Wenn man den Frieden haben will, muss man ihn selber tun:
"Frieden" ist ein religiöser Urbegriff. Christen erwarten, dass Gott Frieden schenkt. So heißt es in einem Lied des vor einem Jahr (9.11.2002) verstorbenen früheren Frankfurter Propstes Dieter Trautwein, das sich im neuen Evangelischen Gesangbuch (EG 170) findet: "Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden, wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden. Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen - die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn". In Trautweins Lied kommen wichtige Kernelemente der evangelischen Friedensethik zum Ausdruck.

Erstens: Frieden beruht auf dem Handeln Gottes. Er hat uns durch Christus zuerst Frieden gegeben und damit unser Handeln perspektivisch auf Verzeihen, Versöhnung und Verständigung ausgerichtet.

Zweitens: Frieden ist nicht selbstverständlich. Dem christlichen Bild des Menschen als eines Sünders entspricht durchaus die Auffassung der Philosophen Thomas Hobbes und Immanuel Kant, die den Krieg als den natürlichen Zustand des Menschen betrachten. Der Friede muss, so Kant, immer neu "gestiftet" werden. Um ihn aber stiften zu können, das ist der dritte Aspekt, muss man ihn allererst "erspähen". Trautweins Liedvers handelt demnach von einer Bedingung der Möglichkeit des Friedenstiftens, dem Erspähen des Friedens. "Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen". Damit das Friedenstiften nicht nach Machbarkeit oder gar triumphalistisch klingt, sondern die Verhältnisse ins rechte Licht des christlichen Realismus gerückt werden, fährt der Dichter viertens fort: "die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn".

"Wenn man Frieden haben will, muss man ihn selber tun". Auf Gottes Mitwirken, aus seiner Weisung und aus seiner Verheißung entfaltet sich der Frieden. Beides, Gottes Wegweisung und unsere Schritte auf dem Weg des Friedens, hilft gegen die Resignation. Aus dieser Ermutigung lebt jeder christliche Friedensdienst. Also auch die AGDF. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Organisation genügend Liebe, reichlich Verstand und viele Hände, die überall dort zupacken, wo es nötig ist und wo sie der Heilung dienen können. Ich wünsche Ihnen auch eine verfasste Kirche, die mit Ihnen verbunden bleibt, so wie Sie hoffentlich mit dieser Kirche. Miteinander sollten wir Wege gehen, auf denen wir den Frieden tun können. Unser Motto könnte dabei heißen, ganz im Sinne der Denkschrift von 1969: "Mehr Friedensdienst wagen!".  

 

Fußnoten:

(1) Kein Geringerer als Henry Kissinger schreibt dazu im Rückblick, eine Kombination aus Solipsismus und missionarischem Eifer habe die USA in diesen Krieg hineingeführt. Vgl. ders.: Dei Herausforderung Amerikas: Weltpolitik im 21. Jahrhundert, Ullstein Taschenbuch 2003, 300.

(2) In: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland: "Frieden, Menschenrechte, Weltverantwortung", Bd I/2, GTB Siebenstern, Gütersloh 3. Aufl. 1991, 35-60.

(3) Auch wenn der Begriff "Friedensdienst" eine Wortschöpfung des 20. Jahrhunderts ist, ist die Sache viel älter. Sie hat biblische Wurzeln. Denn im Begriff des "Friedensdienstes" verbinden sich zwei zentrale biblisch-christliche Anliegen miteinander, "Frieden" und "Dienst". Frieden (griechisch eirene) geht zurück auf das hebräische Wort Schalom und bedeutet ursprünglich das Ganz-Sein, Heil-Sein, Unversehrt-Sein, letztlich und konkret aber die prozesshafte Verbindung von Frieden, Recht und Gerechtigkeit in einem von Gott bestimmten Ineinander und Miteinander. Dienst (griechisch diakonia) bezieht sich zunächst einmal auf die Tisch- und Mahlgemeinschaft, die Menschen miteinander pflegen, so dass der diakonos der Tischdiener ist, sodann aber auf jede Form der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung im Geist der christlichen Nächstenliebe (agape). Friedensdienst wäre demnach eine vom Geist der Liebe inspirierte Form des Engagements für Frieden, Recht und Gerechtigkeit.

(4) Heute würden man für "privat" durchweg sagen: "zivil".