Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Visa-Einlader- und Warndatei und zur Änderung anderer Gesetze (Visawarndateierrichtungs-Gesetz)
Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Kommissariats der deutschen Bischöfe zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Visa-Einlader- und Warndatei und zur Änderung anderer Gesetze (Visawarndateierrichtungs-Gesetz)
A. Allgemeine Erwägungen
Das Kommissariat der deutschen Bischöfe und der Bevollmächtigte des Rates der EKD danken dem Bundesministerium des Innern für die Übersendung des Gesetzentwurfs sowie für die ihnen eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme. Allerdings bedauern sie es, dass die äußerst knapp bemessene Frist der gebotenen eingehenden Befassung mit dem Entwurf Grenzen setzt. Angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit müssen die kirchlichen Verbindungsstellen sich auf einige grundsätzliche Anmerkungen beschränken. Sie behalten sich vor, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ergänzend Stellung zu nehmen.
Die Kirchen unterstützen alle verhältnismäßigen Bemühungen darum, dem Missbrauch des Visumverfahrens sowie terroristischen und sonstigen kriminellen Bestrebungen entgegenzutreten. Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass an der Einreise und dem Aufenthalt von Ausländern in Deutschland vielerlei berechtigte Interessen bestehen können. Es wäre daher verfehlt, sich bei der Regelung dieser Tatbestände ausschließlich von dem Gedanken der Gefahrenabwehr leiten zu lassen. Dies stünde auch im Gegensatz zu den begrüßenswerten Anstrengungen der Bundesregierung, die Integration hier lebender Ausländer und ihre Identifikation mit der Bundesrepublik Deutschland zu fördern. Viele Initiativen staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure in Deutschland sollen der Weltoffenheit unseres Landes dienen. Die Bundesrepublik Deutschland ist in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht auf die Pflege guter Beziehungen zu anderen Ländern angewiesen. Damit ist es unvereinbar, allein schon die Einladung von Menschen aus diesen Ländern nach Deutschland mit einem generellen Misstrauen zu betrachten.
Darüber hinaus treffen die vorgesehenen Regelungen die Kirchen und ihre Werke in Tätigkeitsbereichen, die für ihr Selbstverständnis konstitutiv sind. Es gehört zum Wesen der Katholischen Kirche, dass die über die ganze Erde verstreuten Ortskirchen aufeinander bezogen sind. Die Sorge um die weltkirchliche Einheit ist der Kirche auf allen Ebenen aufgetragen, mithin allen Katholiken, seien sie nun Amtsträger oder nicht. Dies äußert sich in Deutschland nicht nur im Wirken der katholischen Hilfswerke, sondern auch in dem von persönlichen Begegnungen mit Christen aus aller Welt getragenen weltkirchlichen Engagement auf Ebene der Verbände, Ordensgemeinschaften und Pfarreien vor Ort. Die Evangelische Kirche in Deutschland ist über den Ökumenischen Rat der Kirchen, den Lutherischen Weltbund und den Reformierten Weltbund weltumspannend vernetzt und pflegt über das Kirchenamt der EKD (Ökumene und Auslandsarbeit) ein weites Netz von partnerschaftlichen Beziehungen. Diese sind teilweise aus der Missions- und Auswanderertradition, teilweise aus Gründen christlicher Verbundenheit in politisch und gesellschaftlich schwierigen Zeiten entstanden. Darüber hinaus sind auch die Mitgliedskirchen der EKD, deren Missionswerke und kirchlichen Hilfswerke weltweit engagiert. Viele Kirchengemeinden und Kirchenkreise pflegen Partnerschaften mit Gemeinden im Ausland, deren fester Bestandteil regelmäßige gegenseitige ökumenische Besuchsprogramme sind.
B. Anmerkungen zu einzelnen Bestimmungen
Der Entwurf sieht vor, in der neu zu errichtenden Visawarndatei einerseits Daten zu Einladern, Verpflichtungsgebern und Bestätigenden im Visumverfahren (§ 2 Abs. 1 VWDG-E) und andererseits Warndaten zu solchen Personen zu speichern, die in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise aufgefallen sind (§ 2 Abs. 2 bis 4 VWDG-E).
I. Anmerkungen zu den nach § 2 Abs. 1 VWDG-E gespeicherten Daten
Sowohl die nicht nur vorübergehende Speicherung der Daten (vgl. § 15 VWDG-E) als auch deren Übermittlung an andere Behörden stellen Eingriffe in das Grundrecht der betroffenen Personen auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dar. Der Schutzumfang dieses Grundrechts "beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr" (BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05). Informationen über persönliche Kontakte, deren Erfassung ermöglicht werden soll, sind darüber hinaus durchaus als sensibel zu betrachten.
Diese Eingriffe bedürfen der Rechtfertigung, insbesondere am Maßstab der Verhältnismäßigkeit. Unter den gegebenen Umständen verzichten die Kirchen auf detaillierte Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Speicherung und konzentrieren sich vorliegend auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Übermittlung der Daten aller Einlader, Verpflichtungsgeber und Bestätigenden an die in §§ 6 und 7 genannten Behörden.
Es steht außer Frage, dass den zur Begründung der Regelungsvorschläge vorgetragenen Zielen der Bekämpfung von Visumsmissbrauch, Terrorismus und Schleusungskriminalität ein sehr hohes Gewicht zukommt. Auch derartig hochrangige und legitime Ziele müssen jedoch mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt werden. Die Kirchen verkennen dabei nicht, dass bei "der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten oder bei ihrer Verhütung nicht an dieselben Kriterien angeknüpft werden (kann), die für die Gefahrenabwehr oder die Verfolgung begangener Straftaten entwickelt worden sind." Entsprechende Normen müssen jedoch "handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist… Die im Vorfeld künftiger Straftaten bestehenden Schwierigkeiten der Abgrenzung eines harmlosen von dem in eine Straftatenbegehung mündenden Verhalten …(müssen) durch einschränkende Tatbestandsmerkmale bewältigt (werden)" (BVerfGE 113, 348, 378 f.).
1) Übermittlung der nach § 2 Abs. 1 VWDG-E erhobenen Daten
Fraglich erscheint insbesondere die Angemessenheit der Übermittlung der nach § 2 Abs. 1 VWDG-E erhobenen Daten an Auslandsvertretungen, Ausländerbehörden und das Auswärtige Amt. Problematisch ist, dass diese lediglich an das Erreichen der numerischen Schwelle von fünf Einladungen in 24 Monaten, nicht jedoch an inhaltlich qualifizierende Merkmale geknüpft ist. Insbesondere findet die Übermittlung unabhängig davon statt, ob die betroffenen Personen einen über die Einladung, Verpflichtungserklärung oder Bestätigung hinausgehenden Anlass hierfür geschaffen haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Streubreite eines Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, insbesondere auch der Tatsache, dass er anlasslos erfolge, für die Beurteilung der Intensität des Eingriffs und damit für dessen Angemessenheit erhebliches Gewicht zukomme. "Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind - bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben - weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf.... Denn der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat" (BVerfGE 115, 320, 354 m.w.N.). Es ist für die Beurteilung der Angemessenheit von großer Bedeutung, ob die Maßnahme überwiegend unbeteiligte Personen trifft, auf die sie an sich nicht abzielt (vgl. BVerfGE 109, 279, 354).
Dies trifft auf die inhaltlich undifferenzierte Übermittlung der nach § 2 Abs. 1 VWDG-E erhobenen Daten zu. Insbesondere können die bloße Einladung, Verpflichtungserklärung oder Bestätigung nach Überzeugung der Kirchen nicht als hinreichende Anlässe betrachtet werden, die die Übermittlung legitimieren würden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die gebotene Eingrenzung auf tatsächlich "gefahrennahe" Sachverhalte nicht im Anschluss an die Übermittlung erfolgt (dazu unten 2). Das Bundesverfassungsgericht verlangt grundsätzlich eine "Nähebeziehung zwischen dem gefährdeten Rechtsgut und den von dem Grundrechtseingriff Betroffenen". Fehle eine solche, sei dies als "rechtsstaatliches Defizit" zu betrachten, das der Kompensation bedürfe, "um die Uferlosigkeit der Ermächtigung auszuschließen" (BVerfGE 115, 320, 362). Dabei reicht offenbar nicht jede Beziehung aus, vielmehr muss dem Verhalten der von dem Grundrechtseingriff Betroffenen wohl eine negative Tendenz innewohnen: So spricht das Gericht etwa von "Fehlverhalten", "Nähe zur Gefahr oder zu verdächtigen Personen", "Nähe der betroffenen Person zur fraglichen Rechtsgutbedrohung" sowie von "Tatverdächtigen oder Störern" (BVerfGE 115, 320, 354 ff; BVerfGE 113, 348, 383: "Beziehung zu einer möglicherweise zu verhütenden oder später zu verfolgenden Straftat"; BVerfG - 1 BvR 2074/05 -: "Rechtsverletzung"). Eine solche negative Qualität kommt dem Verhalten der Einlader, Verpflichtungsgeber und Bestätigenden jedoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht zu. Anderes gälte nur, wenn die aufgrund der Einladung in Rede stehende Einreise der eingeladenen Ausländer pauschal, ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte, als Bedrohung zu qualifizieren wäre. Die in § 2 Abs. 1 VWDG-E genannten Personen stünden dann in Beziehung zu "gefährlichen" oder "verdächtigen" Personen. Eine solche Bewertung hielten die Kirchen jedoch selbst angesichts der Tatsache, dass § 1 Abs. 1 S. 1 AufenthG die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland als Gesetzeszweck definiert, für völlig verfehlt. Die Kirchen haben sich wiederholt dagegen ausgesprochen, den Zuzug und Aufenthalt von Ausländern vorrangig unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr zu betrachten.
Lässt also eine Einladung, Verpflichtungserklärung oder Bestätigung an sich noch keine bestimmte inhaltliche Deutung zu, so gewinnt ein solches Verhalten nicht schon durch seine Wiederholung einen negativen oder positiven Wert. Der Häufigkeit früherer Einladungen allein kommt damit kein Aussagewert zu, der für die Entscheidung der Auslandsvertretungen über Visumsanträge weiterführend sein könnte. Die Entwurfsbegründung führt zwar aus: "Für die visumerteilenden Stellen ist es für die Prüfung des Visumantrags von Bedeutung, ob möglicherweise zuvor anderen Auslandsvertretungen Einladungen des identischen Einladers vorgelegt wurden" (S. 32). Es wird jedoch nicht erläutert, inwiefern allein diese Information von Bedeutung ist. Verwiesen wird vielmehr auf zusätzliche Angaben wie Visumaktenzeichen und das Fehlen von Warndaten, die über die rein quantitative Information gerade hinausgehen und - im Fall der Warndaten - ohnehin unabhängig von den nach § 2 Abs. 1 VWDG-E erhobenen Daten zugänglich wären.
Eine rege Einladertätigkeit ist also keineswegs von vornherein verdächtig. Es sei in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen internationalen Kontakte der Kirchen, ihrer Werke und Orden verwiesen. Kirchliche Stellen treten dabei als Einladende, Verpflichtungsgeber und Bestätigende im Visumverfahren in Erscheinung. Im Rahmen von Partnerschaften deutscher und ausländischer Bistümer, Pfarreien, Landeskirchen und Partnerkirchen sowie kirchlicher Verbände kommt es jedes Jahr zu zahlreichen Besuchskontakten und Einladungen nach Deutschland. Gleiches gilt namentlich für die Arbeit der kirchlichen Werke der Entwicklungszusammenarbeit, die partnerschaftlich ausgerichtet ist und ohne die Pflege regelmäßiger persönlicher Kontakte nicht denkbar wäre. Selbst unter Berücksichtigung der in § 6 Abs. 3 S. 3 VWDG-E vorgesehenen Möglichkeit von Gruppeneinladungen wird die Schwelle von fünf Einladungen in 24 Monaten dabei schnell überschritten. Die hier stattfindenden Begegnungen stehen nicht nur mit den in dem Gesetzentwurf aufgeführten Bedrohungen in keinem Zusammenhang; vielmehr leisten sie einen wichtigen Beitrag zu gegenseitiger Wahrnehmung und besserem wechselseitigen Verständnis. Sie dienen der Sensibilisierung für Fragen von weltweiter Gerechtigkeit und Solidarität, denen gerade in Zeiten der Globalisierung besondere Bedeutung zukommt. Hingewiesen sei ferner darauf, dass die Bundesregierung kirchliche Initiativen dieser Art nicht nur ideell unterstützt, sondern, wie etwa auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit und des Jugendaustausches, auch finanziell fördert.
So wenig damit eine Vielzahl vorangegangener Einladungen negative Rückschlüsse rechtfertigt, so wenig ist sie allein geeignet, etwaige Vorbehalte gegen die Vertrauenswürdigkeit des Einladenden auszuräumen. Auch hierzu sind qualifizierende Angaben über die früheren Vorgänge erforderlich.
Einen Erkenntnisgewinn verspräche also erst die Verknüpfung der Anzahl von Einladungen mit der Information, ob es im Zusammenhang mit diesen Einladungen in der Vergangenheit zu Problemen kam. Der Gesetzentwurf sieht eine solche Verknüpfung jedoch weder bei der Speicherung noch bei der Übermittlung der Einladerdaten vor. Selbst die Übermittlung ist vielmehr lediglich vom Erreichen der numerischen Schwelle des § 6 Abs. 3 VWDG-E abhängig.
Dieser "Verzicht auf eine Nähebeziehung zwischen dem gefährdeten Rechtsgut und den von dem Grundrechtseingriff Betroffenen" ist als "rechtsstaatliches Defizit" zu betrachten. Dieses Defizit könnte allenfalls dadurch eventuell kompensiert werden, dass "die möglichen Eingriffe keine nennenswerte Beeinträchtigung der Betroffenen bewirken" (vgl. BVerfGE 115, 320, 362f.).
Die Speicherung und Übermittlung der Daten könnte möglicherweise dann als vergleichsweise geringe und von den Betroffenen hinzunehmende Beeinträchtigung angesehen werden, wenn gesetzlich sichergestellt wäre, dass die ersuchenden Visumbehörden ihre Entscheidung über Visumanträge nicht allein von den verfügbaren quantitativen Angaben, sondern zusätzlich von klar definierten qualitativen Kriterien abhängig machen. Die Verhältnismäßigkeit der Übermittlung wird damit auch von den gesetzlichen Vorgaben für die Entscheidung über Visumanträge im Einzelfall beeinflusst.
2) Entscheidung über Visumanträge durch die ersuchenden Behörden
Die Anwendung der vom Gesetzgeber zu bestimmenden qualitativen Kriterien müsste die Feststellung ermöglichen, inwiefern in der Person des Einladenden, Verpflichtungsgebers oder Be-stätigenden selbst eine Nähe zu Tatbeständen wie Schleusungskriminalität, Terrorismus, Rauschgiftschmuggel, Menschenhandel oder illegaler Beschäftigung anzunehmen ist. Dabei könnten ganz vereinzelte und geringfügige Unregelmäßigkeiten auf Seiten des Antragstellers, die sich von den genannten Gefährdungstatbeständen klar unterscheiden und die auch der vertrauenswürdigste Einlader nie ganz ausschließen kann, nicht zur Begründung der "Gefährlichkeit" des Einladenden herangezogen werden. Eine negative Zurechnung derartiger Verhaltensweisen einzelner Visumantragsteller ist also auszuschließen, wenn gegen die Zuverlässigkeit eines Einladers insgesamt keine Bedenken angebracht sind. Eine solche Regelung würde die Gefahr mindern, dass die Tatsache "reger Einladertätigkeit" allein zur Ablehnung von Visumanträgen führen könnte.
Eine derartige Sicherung sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Die Einladerdaten enthalten zwar auch die Visumaktenzeichen früherer Einladungsvorgänge (§ 3 Abs. 1 Nr. 8 VWDG-E). Damit ist die Möglichkeit eröffnet, Auffälligkeiten jedenfalls in dem durch die Visadatei erfassten Umfang festzustellen. Dementsprechend wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt: "Gleichzeitig können Handlungsweisen, die zunächst als auffällig erscheinen, unter Einbeziehung der Dateiinhalte in den korrekten Kontext gesetzt werden, so dass Bedenken hinsichtlich einer Visaerteilung auch zerstreut werden können" (S. 27). Dabei ist schon fraglich, ob die Dateiinhalte allein zur Beurteilung der "Gefahrennähe" des Einladenden, Verpflichtungsgebers und Bestätigenden genügen würden. Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da der Gesetzentwurf jedenfalls keine Verpflichtung der für die Visumserteilung zuständigen Stellen enthält, weiteren Hinweisen auch tatsächlich nachzugehen. Es ist lediglich davon die Rede, dass die Auslandsvertretung durch die Mitteilung der Visumaktenzeichen "in die Lage versetzt" werde, näheren Aufschluss zu gewinnen (S. 32). Die mit der Übermittlung ihrer Daten verbundenen Grundrechtseingriffe können unbescholtenen Bürgern jedoch nicht unter Hinweis auf die entlastende Funktion dieser Maßnahme abverlangt werden, wenn gleichzeitig die Prüfung solcher entlastender Hinweise im Belieben der Behörde steht.
Die für die Abgrenzung "verdächtiger" und "unverdächtiger" Einlader maßgeblichen Kriterien hat der Gesetzgeber selbst hinreichend bestimmt festzulegen. Es wäre "in rechtsstaatlicher Hinsicht bedenklich, im Wesentlichen darauf zu vertrauen, dass eine unbestimmte Eingriffsermächtigung durch Auslegung seitens der Behörde, deren Verhalten gerade beschränkt werden soll, in gebotener Weise eingeengt wird" (BVerfGE 113, 348, 380).
3) Bewertung
Mangels eingrenzender Kriterien im Gesetz besteht daher Grund zu der Befürchtung, dass Visumbehörden allein aus der Tatsache, dass der Visumantragsteller mit einem "Vieleinlader" in Verbindung steht, negative Schlüsse ziehen könnten. Im Ergebnis könnten damit Visumanträge abgelehnt werden, obwohl hierzu objektiv kein Anlass besteht. Dies würde legitime Interessen der Einladenden verletzen, seien es Privatleute, denen die Pflege ihrer verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen erschwert würde, seien es Organisationen wie die Kirchen, ihre Werke und Ordensgemeinschaften, die Einschränkungen ihrer Arbeit hinzunehmen hätten. Derartige von den Betroffenen zu Recht befürchtete Nachteile erhöhen die Intensität des Grundrechtseingriffs (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008, - 1 BvR 2074/05). Nicht auszuschließen ist auch, dass sich Personen durch die Speicherung der Einladerdaten in der Visawarndatei davon abhalten lassen, weitere Einladungen auszusprechen. Eine solche "Einschüchterung", die zu einem Verzicht auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten führt, ist verfassungsrechtlich problematisch (vgl. BVerfGE 113, 29, 46).
Die Begründung des Gesetzentwurfs stellt eine "rege Einladertätigkeit" durchgängig in einen negativen Zusammenhang. Maßnahmen, die eine verbesserte Handhabe gegen "Personen und Organisationen (ermöglichen sollen), die regelmäßig und umfangreich Einladungen ausgesprochen haben" und in gewerbs- und bandenmäßige Schleusung involviert sind (S. 1), dürfen sich jedoch nicht undifferenziert gegen alle "besonders aktiven Einlader" wenden. In der Begründung des Entwurfs heißt es jedoch, "Vieleinlader" müssten "in jedem Fall als solche erkennbar" sein (S. 22).
Schon auf den ersten Blick wird einsichtig, dass es keine sachlich und rechtlich angemessene Antwort auf die aktuellen Herausforderungen ist, jedwede Einladertätigkeit aller Einladenden unterschiedslos "in einen Topf zu werfen" und undifferenziert unter generellen Missbrauchsverdacht zu stellen. So ist es widersinnig, beispielsweise freie Träger, deren Aufgabe es gerade ist, den Jugendaustausch oder den Freiwilligendienst - noch dazu mit staatlicher Ermutigung und Unterstützung - zu fördern und zu organisieren, den im Entwurf vorgeschlagenen Regelungen zu unterwerfen. Entsprechendes gilt für die als gemeinnützig anerkannten Organisationen, die Wohlfahrtsverbände, die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe oder die Sportverbände, um nur einige Betroffene zu nennen. Sie alle genießen hohe staatliche Anerkennung und vielfältige staatliche Unterstützung ihrer Tätigkeit. Damit verträgt es sich nicht, ihnen auf der anderen Seite generell Misstrauen entgegenzubringen und sie in ihrem Wirken in der vorgesehenen Weise zu behindern. Diese Widersprüche des Entwurfs werden besonders offenkundig im Blick auf die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und die ihnen zuzuordnenden Einrichtungen und Organisationen. So wäre es mit dem Geist des von Kooperation und gegenseitigem Vertrauen geprägten Verhältnisses von Staat und Kirchen nicht zu vereinbaren und hätte dementsprechend auch eine staatskirchenrechtliche Dimension, wenn die in Frage stehenden Regelungen auch auf die Kirchen und die ihnen zugeordneten - privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen - Einrichtungen und Organisationen Anwendung fänden. Die Bedeutung des weltkirchlichen Engagements der Kirchen und ihr Wirken im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sind oben bereits dargelegt worden. Es muss allen Bestrebungen entgegengetreten werden, dieses Engagement und dieses Wirken zu erschweren und das Verhältnis von Staat und Kirchen durch unbegründetes Misstrauen zu belasten.
Die Tatsache, dass weder bei der Speicherung und Übermittlung der Daten noch bei der Entscheidung über Visumanträge eine gesetzliche Eingrenzung auf "gefahrennahe" Personen vorgesehen ist, begründet also nach Einschätzung der Kirchen ernsthafte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Regelungen. Die Problemstellung unterscheidet sich insofern von dem bereits heute möglichen Austausch von Einladerdaten zwischen einzelnen Auslandsvertretungen. Denn ausweislich der Entwurfsbegründung setzt dieser voraus, dass im Einzelfall bereits ein konkreter Verdacht für den Missbrauch des Visumverfahrens besteht (S. 22).
Auf weitere für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit relevante Aspekte kann vorliegend aus Zeitgründen nicht näher eingegangen werden. So wäre etwa zu bedenken, dass die Intensität von Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch davon abhängt, ob und in welcher Weise die erhobenen Daten später mit anderen Datensammlungen zusammengefügt werden können, so dass weitere Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen (vgl. BVerfGE 115, 320, 342). Ferner ist es für die Eingriffsintensität von Bedeutung, dass vorliegend lediglich eine Auskunftserteilung auf Antrag vorgesehen ist (§ 14 VWDG-E), nicht jedoch eine automatische Benachrichtigung aller Betroffenen.
II. Anmerkungen zu den nach § 2 Abs. 2 bis 4 VWDG-E gespeicherten Daten (Warndaten)
Die von § 2 Abs. 2 bis 4 VWDG-E (Warndaten) erfassten Personen haben, anders als Einlader, Verpflichtungsgeber und Bestätigende, durch ihr Verhalten einen Anlass zu ihrer Erfassung geboten.
Allerdings fällt auf, dass § 2 Abs. 2 bis 4 VWDG-E recht verschiedenartige Tatbestände aufzählt. Problematisch ist aus Sicht der Kirchen insbesondere § 2 Abs. 3 Nr. 2 VWDG-E, der die Stellung eines unanfechtbar abgelehnten Asylantrags gleichrangig mit begangenen Straftaten oder der Nähe zu terroristischen Vereinigungen als Warndatum qualifiziert. Die bloße Tatsache, dass ein Asylantrag erfolglos blieb, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme missbräuchlicher Antragstellung.
Die Aufnahme solcher Verpflichtungsgeber in die Warndatei, die der Verpflichtung, für den Lebensunterhalt eines Ausländers aufzukommen, bei Inanspruchnahme nicht nachkommen (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 VWDG-E), ist ebenfalls nicht notwendigerweise gerechtfertigt. Es mögen persönliche Gründe wie der Verlust des Arbeitsplatzes die Einlösung der Verpflichtung verhindern. Eine Gleichsetzung mit Personen, die vorsätzlich in missbräuchlicher Weise Verpflichtungserklärungen abgeben, ist in einem solchen Fall nicht angebracht.
Berlin, 20. Februar 2009