Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen am 4. Mai 2009 zum Gesetzesentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen - Entwurf eines Geseztes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes


Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bedankt sich für die Gelegenheit, in der Anhörung des Ausschusses für Soziales und Arbeit im Deutschen Bundestag zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Ds. 16/10873) Stellung nehmen zu können.

Die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), wie ihn der Gesetzesentwurf vorsieht, wird von der EKD unumwunden befürwortet.

Bereits 1993 hat die EKD in der Anhörung zur Einführung des AsylbLG im Ausschuss für Familie und Senioren grundlegende Bedenken gegen das Gesetz formuliert. Den pauschalen Ausschluss von Asylbewerbern und anderen Ausländergruppen von der existentiellen Grundsicherung erachtete sie schon damals für verfassungsrechtlich bedenklich und dem christlichen Menschenbild widersprechend. Die in § 1 Abs. 2 BSHG [1] formulierte Zielrichtung des Bundessozialhilfegesetzes aufnehmend, forderte die Stellungnahme, diesen Grundsatz auch im AsylbLG zur Anwendung kommen zu lassen. Die EKD warf außerdem die Frage auf, ob die Einschränkungen der existentiellen Grundsicherung überhaupt legitimes Instrument einer Politik der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung sein kann. Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat die EKD wiederholt darauf hingewiesen, dass eine Kürzung von Leistungen über den Zeitraum von drei Monaten hinaus nicht hinnehmbar sei, und Sachleistungen nicht an die Stelle von finanziellen Zuwendungen treten dürften. Beide Kirchen wandten sich gegen die Ausweitung des Kreises der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, beispielsweise auf Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG. Ebenfalls kritisierten sie die später eingeführte Möglichkeit, den Anspruch auf die im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotene Leistung nach § 1a AsylbLG einzuschränken. Beide Kirchen lehnten darüber hinaus die Ausweitung der Bezugsdauer der Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes von drei auf vier Jahre ab, die im August 2007 in Kraft trat. [2]

Diese Bedenken bestehen auch aus heutiger Sicht uneingeschränkt fort.

1. Legitimität von Zweck und Mittel

Sinn und Zweck der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes war es ausweislich der Begründung, die einen Asylmissbrauch begünstigende wirtschaftliche Anreizwirkung der bisherigen Regelungen über Sozialhilfe an Ausländer zu mildern [3]. Die Anzahl der Personen, die ihre Herkunftsstaaten aus rein wirtschaftlichen Erwägungen heraus verlassen hatten, sollte demnach reduziert, und abgelehnte Asylbewerber sollten zu einer rascheren Ausreise animiert werden [4]. Durch die Umstellung auf Sachleistungen versprach man sich darüber hinaus, Schlepperbanden den Nährboden zu entziehen [5]. Außerdem erwartete man Einsparungen in beträchtlicher Höhe [6].

Zwar unterstützt die EKD ausdrücklich alle Bemühungen und Maßnahmen, Schlepperbanden zu bekämpfen. Allerdings ist dieses ordnungspolitische Ziel im Rahmen des Sozialleistungsrechts sachfremd und damit nicht legitim [7]. Generell ist es auch über 15 Jahre nach Einführung des Gesetzes nach wie vor fraglich, ob die drastische Absenkung des Leistungsniveaus unterhalb dessen, was im Rahmen von SGB XII als Existenzminimum gilt, legitimes Mittel zur Begrenzung des Zuzugs von Ausländern sein kann.

Darüber hinaus sind aus Sicht der EKD die im AsylbLG enthaltenen Regelungen nicht geeignet, die genannten Ziele zu erreichen. An deren Verhältnismäßigkeit bestehen für die EKD erhebliche Zweifel.

2. Geeignetheit der Maßnahmen

Die Absenkung des Leistungsniveaus ist nicht geeignet, den Zuzug von Asylbewerbern oder etwaigen Asylmissbrauch zu beschränken. Asylsuchende orientieren sich nicht an den Aufnahmebedingungen in den Herkunftsstaaten [8] - stattdessen spielen Familienverbindungen eine Rolle sowie die Erfolgschancen, in einem Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt zu werden. Zwar ist die Anzahl der Asylantragsteller tatsächlich seit 1992 von 438.191 auf 22.085 im Jahre 2008 gesunken [9]. Dieser Rückgang lässt sich jedoch nicht mit der Reduzierung der Leistungen der staatlichen Unterstützung für Asylbewerber erklären, sondern ist auf die Einführung der Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 GG zurückzuführen. Diese Regelung schließt die Berufung auf das Grundrecht auf Asyl dann aus, wenn Ausländer über einen anderen EU Mitgliedstaat oder einen so genannten sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sind. Die Einführung der Drittstaatenregelung reduzierte insofern die Möglichkeiten, sich Deutschland gezielt als Aufnahmestaat auszusuchen. Solange der Reiseweg der Asylsuchenden für die Behörden nicht konkret nachvollziehbar war, konnten Ausländer jedoch das so genannte kleine Asyl nach § 51 AuslG [10] beantragen. Durch die Dublin II Verordnung [11] wurde in Kombination mit der durch die Eurodac Verordnung eingeführte Datenbank der Reiseweg der Asylsuchenden für die Behörden transparenter und Rückführungen in den zuständigen Mitgliedstaat erleichtert [12]. Neben dem Zusammenwirken dieser Regelungen spielt der Ausbau der Kontrollen an den EU Außengrenzen für die gesunkene Anzahl der Asylbewerber in Deutschland eine Rolle.

Angesichts der langen Aufenthaltsdauer von Geduldeten scheint das geringe Leistungsniveau den Gesetzeszweck der Ausreisebeschleunigung ebenfalls nicht zu erfüllen. So halten sich zum Stichtag 28. Februar 2009 102.283 Personen mit einer Duldung in Deutschland auf - 63.218 Personen davon länger als sechs Jahre. Auch die nun von der Altfallregelung begünstigten 35.040 Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a S. 1 AufenthG erhalten haben, lebten vor der Erteilung dieses Titels über sechs bzw. acht Jahre geduldet in Deutschland [13]. Die Hoffnung, durch das herabgesenkte Leistungsniveau eine rasche Ausreise der Betroffenen zu begünstigen, hat sich somit nicht realisiert.

Das Gesetz trägt auch nicht dazu bei, Schlepperbanden den Nährboden zu entziehen. Schlepper und Schleuser arbeiten Berichten zufolge gegen Vorkasse - eine Bezahlung in Raten auf der Grundlage von Leistungen nach Sozialhilfe wäre - selbst bei einer Gewährung von Leistungen analog SGB XII - bei Preisen von mittlerweile 2.000 bis 15.000 € pro Schleusertätigkeit wohl auch nicht praktikabel [14].

Ob es durch die Regelungen des AsylbLG tatsächlich zu einer Kostenreduzierung kommen kann, ist von Anfang an von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden in Zweifel gezogen worden. Der Vollzug des Sachleistungsprinzips - insbesondere das Bereitstellen von Lebensmittelpaketen und das Verteilen von Gutscheinen - gehen mit enormen Verwaltungsaufwand und -kosten einher [15]. Deshalb haben sich wohl auch sechs Bundesländer grundsätzlich und drei Bundesländer teilweise für eine Abweichung vom Sachleistungsprinzip nach § 3 Abs. 2 AsylbLG entschieden [16].

3. Verhältnismäßigkeit der Regelungen des AsylbLG

Dem Staat obliegt die Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG, Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins zu schaffen [17]. Dabei ist das Urteil, welche materiellen Voraussetzungen notwendig sind, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, Wandlungen unterworfen [18]. Das Maß menschenwürdiger Existenzstandards hängt unter anderem von sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen, von der technologischen Entwicklung und der schwankenden Leistungskraft des modernen Sozialstaates ab [19]. In der Literatur wurden diesbezüglich folgende Kriterien entwickelt: Ein Verstoß gegen das aus dem Menschenwürdegrundsatz i.V.m. dem Sozialstaatsgrundsatz abzuleitenden Prinzip der sozialen Gerechtigkeit würde dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber bei der Formulierung einer Regelung den Kreis der Empfänger sachwidrig abgegrenzte, die Hilfeleistungen generalisierend über einen unvertretbar langen Zeitraum unterhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimum lägen oder das normativ errichtete Hilfeleistungssystem bei gesetzessystematischer Betrachtung zu sozial ungerechten Ergebnissen führe oder für systemfremde Zwecke instrumentalisiert würde [20].

Aus kirchlicher Sicht muss ein Existenzminimum, das ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen soll, mehr beinhalten, als die bloße Existenz eines Menschen sicher zu stellen. Christen glauben an die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes. Die Unantastbarkeit der Würde des Einzelnen ist in dieser Gottesebenbildlichkeit begründet [21]. Ein menschenwürdiges Dasein muss einem Menschen deshalb auch die Entfaltung seiner Persönlichkeit ermöglichen. In seiner Denkschrift Gerechte Teilhabe formuliert der Rat der EKD: Niemand darf von den grundlegenden Möglichkeiten zum Leben, weder materiell noch im Blick auf die Chancen einer eigenständigen Lebensführung ausgeschlossen werden [22].

Laut Begründung des Gesetzentwurfes sollte das Asylbewerberleistungsgesetz zwar - anders als das BSHG - Leistungsberechtigten gerade kein sozial integriertes Leben "auf eigenen Füßen" in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen [23]. Wegen der begrenzten Aufenthaltsperspektive fehle es an einem Integrationsbedarf. Dennoch bestand beim Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Einführung des Gesetzes der Anspruch, durch die zeitlich befristete Einschränkung des Leistungsniveaus und der Sicherung eines Mindestunterhaltes dem Grundsatz der Menschenwürde gerecht zu werden [24].

Eine grundsätzliche Überprüfung des AsylbLG durch das BVerfG steht noch aus. Im Jahr 2006 stellte das BVerfG allerdings in einer Entscheidung fest, dass es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers stehe, für Asylbewerber ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfes zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen. "Insbesondere ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Art und Umfang von Sozialleistungen an Ausländer grundsätzlich von der voraussichtlichen Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland abhängig zu machen" [25].

Gleichwohl dürfen Gesetzgeber und Verwaltung in der Ausübung des vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen Ermessens nicht hinter den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins zurückfallen. Angesichts des Regelungsinhaltes des AsylbLG und der Vollzugspraxis in einigen Bundesländern besteht diesbezüglich allerdings Anlass zum Zweifel.

Leistungsniveau des AsylbLG

§ 3 AsylbLG legt das Leistungsniveau des AsylbLG fest und regelt den Vorrang der Sachleistung vor Geldleistungen. Das Niveau der gewährten Leistung liegt bei etwas über 65 % des Leistungsniveaus des SGB XII [26]. Es erfolgte bisher - entgegen der Verpflichtung in § 3 Abs. 3 AsylbLG - keine Angleichung an die seit 1993 in Höhe von c.a. 22% erfolgte Preissteigerung. Das im Rahmen des AsylbLG gewährte Existenzminimum umfasst nicht das so genannte soziokulturelle Existenzminimum, das Empfängern von Transfairleistungen nach SGB II und XII eine - wenn auch bescheidene - Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben in Deutschland gewährleisten soll. Dies ist - wie oben ausgeführt - für Asylbewerber und Leistungsberechtigte des AsylbLG nach Ansicht der Bundesregierung nicht erforderlich, da sie von einem lediglich befristeten Aufenthalt der Zielgruppe in Deutschland ausgeht. Erfolgt die Leistungsgewährung in Sachleistungen, steht den Leistungsempfängern nur ein geringes Taschengeld von derzeit 40, 90 € (bis zum 14. Lebensjahr: 20, 45 €) zur Verfügung.

§ 1a AsylbLG regelt, dass die Leistungen des AsylbLG für Duldungsinhaber, Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität und ihre Familienangehörigen auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene zu reduzieren ist, wenn diese nach Deutschland eingereist sind, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen oder aber wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können [27]. Eine weitere Reduzierung des Leistungsniveaus in den genannten Fällen unterläuft jedoch den Standard des Mindestunterhaltes, der ausweislich der Begründung des AsylbLG bei Einführung des AsylbLG die Einhaltung des Grundsatzes der Menschenwürde ermöglichen sollte [28]. Nach § 1a AsylbLG können Leistungsberechtigten das Taschengeld gestrichen, die Übernahme von Mietkosten verweigert und die betroffenen Personen in eine Gemeinschaftsunterkunft eingewiesen werden. In manchen Kommunen - beispielsweise in Berlin - werden bei Vorliegen der Voraussetzungen die Leistungen ganz eingestellt.

§ 4 Abs. 1 AsylbLG schränkt die medizinische Versorgung auf die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzustände ein.

Da es in Deutschland keine einheitliche Praxis bei der Umsetzung des AsylbLG gibt, stellen sich die sozialen und psychischen Folgen bei den Betroffenen jeweils unterschiedlich dar. Es liegen viele Praxisberichte zur Versorgungssituation von Asylbewerbern vor [29], die veranschaulichen, dass die eingeschränkten Leistungen und vor allem das Sachleistungsprinzip verheerende Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Dabei sei auf die an vielen Orten mangelhafte Verpflegung in Form von Essenpaketen hingewiesen - diakonische Beratungsstellen berichten von Fällen, in denen beispielsweise männliche Leistungsberechtigte über Hunger klagen. Wird die Unterbringung als Sachleistung erbracht, müssen die Betroffenen in Gemeinschaftsunterkünften leben [30]. Diese sind oftmals außerhalb von Ortschaften gelegen und verkehrstechnisch schlecht angebunden. Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften setzt Familien und Kinder einer besonderen Belastungssituation aus, da der ihnen zur Verfügung gestellte Raum oftmals zu klein ist und sie unter dem Lärm, der aggressiven Stimmung in den Unterkünften und der auftretenden Gewalt zwischen den Bewohnern in gesteigertem Maße leiden. Die Tatsache, dass auch Kindern die Teilnahme am sozialen Leben verwehrt ist, ist aus Sicht der Kirche besonders problematisch. Ihnen ist es auf Grund der finanziellen Situation ihrer Eltern oftmals nicht möglich, mit befreundeten Mitschülern etwas zu unternehmen, weil allein die Fahrtkosten zu hohe finanzielle Ausgaben darstellen. Die Kosten für Klassenfahrten werden häufig nicht übernommen. Auch herrschen in den Gemeinschaftsunterkünften keine Rückzugsräume, um zu lernen oder um Hausaufgaben zu machen. Ihre Ernährung ist aufgrund der Zusammenstellung der Lebensmittelpakete meist nicht ausgewogen, ihre Freizeitgestaltungsmöglichkeiten im Vergleich zu anderen Kindern sehr eingeschränkt - selbst sportliche Betätigung in Vereinen ist oftmals mit finanziellen Ausgaben verbunden und deshalb für sie nicht erreichbar.

Anlässlich der Anhörung im Bayerischen Landtag zur Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes am 23.4.2009 berichtete der als Sachverständige geladene Arzt Dr. Stich, dass die Patienten aus einer durch seine Klinik betreuten Gemeinschaftsunterkunft durch die vielfältigen Belastungen, die das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft mit sich bringe, psychisch und körperlich erkrankten. Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen der diakonischen Beratungsstellen.

Ausweitung der Bezugsdauer und des Kreises der Leistungsberechtigten

Der Kreis der Leistungsberechtigten ist seit Einführung des AsylbLG sowohl in zeitlicher als auch in personeller Hinsicht erweitert worden. Bei Einführung des AsylbLG fielen lediglich Asylbewerber in den ersten 12 Monaten ihres Aufenthaltes unter die Regelung. Im Jahre 1997 wurden Duldungsinhaber miteinbezogen und die Bezugsdauer auf 36 Monate ausgedehnt. Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1.1.2005 wurde der Kreis der Leistungsberechtigten erneut erweitert auf bestimmte Ausländer mit Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen (§§ 23 Abs.1, 25 Abs. 4 und 25 Abs. 5 AufenthG). Diese Gruppe wurde schon im März 2005 mit dem ersten Änderungsgesetz zum ZuwanderungsG wieder geringfügig reduziert [31]. In zeitlicher Hinsicht wurde der Mindestbezug im Jahre 2007 um 12 Monate auf 48 Monate ausgeweitet.

Die personelle und zeitliche Ausweitung des Anwendungsbereiches des AsylbLG konterkariert den in der Gesetzesbegründung zur Einführung des AsylbLG und in den Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen [32] vorgetragenen Rechtfertigungsgrund für den eingeschränkten Leistungsbezug: den angeblich fehlenden Integrationsbedarf. Selbst wenn man - anders als die EKD - den Integrationsbedarf einer Person einzig an der Geltungsdauer des ihr erteilten Aufenthaltstitels bemisst, ist dies beispielsweise dann widersinnig, wenn Inhabern von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen ein Integrationsbedarf abgesprochen wird, obwohl die Unmöglichkeit ihrer Ausreise auf absehbare Zeit Voraussetzung für Erteilung des Titels war. Der längerfristige Charakter des Aufenthaltes ist somit offensichtlich.

Die Ausweitung stellt auch den Anspruch des Gesetzgeber bei Einführung des AsylbLG, dem Grundsatz der Menschenwürde zu entsprechen, in Frage: Die sollte - wie oben ausgeführt - gerade durch die Begrenzung der eingeschränkten Leistung auf 12 Monate erreicht werden [33].

4. Europäische Vorgaben

Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union sind einige verbindliche Vorgaben der Richtlinie 2003/9/EG über Aufnahmebedingungen für Asylbewerber noch nicht umgesetzt [34].

§ 4 AsylbLG bedarf im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9/EG einer Erweiterung. Denn nach der Richtlinie ist die erforderliche Behandlung sicherzustellen, wohingegen § 4 Abs. 1 AsylbLG den Anspruch auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt. Die erforderliche Versorgung chronisch Kranker ist dadurch nicht gewährleistet. Diese Lücke wird in der Praxis nicht adäquat über die Auffangregelung des § 6 Abs. 1 AsylbLG geschlossen.

Das AsylbLG sieht entgegen Art. 20 der Richtlinie 2003/9/EG nach wie vor keinen Anspruch auf Behandlung für Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen schweren Gewalttaten vor. § 6 Abs. 2 AsylbLG räumt bisher lediglich Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG einen entsprechenden Regelanspruch ein.


  1. § 1 Abs. 2 BSGH lautet: "Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht". Diese Zielbestimmung findet sich fast wortgleich in § 1 SGB XII.

  2. Aussagen zum AsylbLG finden sich in folgenden Stellungnahmen und Texten der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD: Gemeinsame Stellungnahme der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD zum Gesetzesentwurf der CDU/CSU und der FDP - (BT-Ds. 12/4451) und zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie und Senioren des Deutschen Bundestages am 24.3.1993; Zusammenleben gestalten, Ein Beitrag des Rates der EKD zu Fragen der Integration und des Zusammenlebens mit Menschen anderer Herkunft, Sprache oder Religion, EKD-Texte 76, 2002; Diakonisches Werk der EKD in seiner Stellungnahme zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze (BT-Ds. 13/2746) vom 24.10.1995; Gemeinsames Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Text 9, 1997; gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Leiters des Katholischen Büros gegenüber dem Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag vom 30.3.1998; gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates und des Leiters des Katholischen Büros zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union vom 14.5.2007.

  3. BT-Ds. 12/5008, S. 2; die Bekämpfung des Asylmissbrauchs wird auch heute noch als Ziel des Gesetzes angeführt (BT-Ds. 16/9018, S. 25).

  4. BT-Ds. 12/4451, S. 5.

  5. Bt-Ds. 12/5008, S. 13f.

  6. BT Ds. 12/4451, S. 6 - man ging von einer Summe von jährlich 2 Mrd. DM aus.

  7. Vgl. Bethäuser, Franz: Zur Gewährung von Sozialhilfe in Form von Sachleistungen an Asylbewerber , InfAuslR 1982, S. 74 zitiert nach Röseler, Sybille/Schulte, Bernd, Hg. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V., Gutachten zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, 1998, S. 25.

  8. So auch schon der Vertreter von UNHCR Hans ten Feld in der Öffentlichen Anhörung des Ausschusses zum Gesetzesentwurf eines Entwurfes des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber am 24.3.1993, Protokoll Nr. 12/40, S. 24.

  9. Im Jahr 2007 stellten nur 19.164 Personen einen Asylerstantrag, also 15, 24 % weniger als im Folgejahr. Die leicht ansteigende Zahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren wird als Folge der gravierenden Sicherheitslage im Irak gewertet, vgl. von Pollern, Hans-Ingo in: ZAR 2009, S. 93f.

  10. Ab 1.1.2005: Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

  11. Die Verordnung legt fest, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II VO galten in Grundzügen bereits seit dem Schengener Übereinkommen von 1985. Danach trat 1990 das Dubliner Übereinkommen in Kraft, das 2003 von der Dublin II VO abgelöst wurde.

  12. Zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens ist beispielsweise der Mitgliedstaat, der dem Ausländer ein Einreisevisum erteilt oder seine illegale Einreise nicht verhindert hat. Beantragt ein Ausländer z.B. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl, nachdem er illegal über Griechenland in die EU eingereist ist, wird er - sobald sein Fingerabdruck ein "Treffer" in der Eurodac-Datenbank auslöst und damit seine Ersteinreise in Griechenland offenbart - zur Durchführung des Verfahrens dorthin rücküberstellt.

  13. Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Jelpke vom 3. März 2009.

  14. Vgl. so auch Röseler/Schulte, (Fn. 7), S. 25. Die Bezahlung im Wege der Vorkasse wird auch angesichts der anfallenden Vorleistungskosten und des ungewissen Ausgangs des Unterfangens für den Schleuser interessanter sein. Darüber hinaus würde das nachträgliche Eintreiben der Schulden eine weit verzweigte Organisationsstruktur in Deutschland voraussetzen. In der öffentlichen Anhörung zum Gesetzesentwurf des AsylbLG (12/4551) am 24. 3.1993 schilderte Dr. Markus Hellenthal von der Grenzschutzdirektion Koblenz allerdings einen Entführungsfall, mit dem Schlepper die betroffene Familie zur Zahlung des Lohnes für die Einschleusung zu zwingen suchten, Protokoll der 40. Sitzung des Ausschusses für Familie und Senioren, S. 31.

  15. Vgl. dazu anschaulich die Darstellung des Landkreises Holzminden, der in einer Beschlussvorlage zu der Sitzung des Kreisausschuss am 2. Juni 2008 erläutert, welcher Mehraufwand bei einer Umstellung von der Leistung in Bargeld hin zu Wertgutscheinen für die Verwaltung entstehen würde (unter: http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2008/07/lk-holzminden-2008-1.pdf) sowie Heinhold, Hubert, Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Soziales, Familie und Arbeit, des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz, des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden und des Ausschusses für Umwelt und Gesundheit des Bayerischen Landtages zum Thema "Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Bayern" am 23.4.2009, S. 2.

  16. § 3 Abs. 2 AsylbLG kann allerdings nur zur Anwendung kommen, wenn die Verpflichtung des Leistungsberechtigten, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, entfallen ist. Für eine landesweite Abweichung vom Sachleistungsprinzip haben sich Hamburg, Bremen, Berlin, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen entschieden. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gewähren die Mehrzahl der Kreise und Kommunen, in Brandenburg einige Geldleistungen (Classen, Georg: Sozialleistungen für Migranten und Flüchtlinge, 2008, S. 107). Als weitere Gründe für die Gewährung von Geldleistungen werden Missbrauchmöglichkeiten des Wertgutscheinsystems angeführt, sowie auf die Tatsache hingewiesen, dass sich Paketverpflegung und heimeigene Läden nicht bewährt hätten.

  17. BVerfGE 45, 187 (228).

  18. Vgl. Neumann, Volker, Menschenwürde und Existenzminimum, Antrittsvorlesung an der Humboldt Universität am 19. Mai 1994, S. 14.

  19. Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Herdegen, Rn. 114 zu Art.1 Abs. 1.

  20. Vgl. GK AsylbLG, Rn. 41 zu § 2, Lieferung: 8. Juni 2000. In Bezug auf § 2 AsylbLG stellt der Verfasser vor dem Hintergrund dieser Kriterien die Verfassungswidrigkeit der Regelung fest.

  21. EKD Text 76, Zusammenleben gestalten (Fn. 2), Rn. 15, S. 15.

  22. Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Gedenkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland, 2006, Rn. 60, S. 43.

  23. Siehe Begründung des Entwurfes des AsylbLG, BT-Ds. 12/4551, S. 5; so auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der Linken, BT-Ds. 16/9018, S. 26.

  24. Siehe Begründung des Entwurfes des AsylbLG, BT-Ds. 12/4551, S. 6.

  25. BVerfG, NVWZ 2006, 447; ähnlich auch schon BVerfG, NVwZ 1999, 669.

  26. Vgl. Vorbemerkung der Fragesteller in der Großen Anfrage der Fraktion der Linken Soziale Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, BT-Ds. 16/7213

  27. Nach dem Gutachten von Röseler/Schulte ist § 1a AsylVfG verfassungswidrig, wenn er dazu führt, dass Menschen ohne Bargeld in Sammelunterkünften untergebracht werden und ihnen freie Entscheidungen übrhaupt nicht mehr möglich sind, Röseler/Schulte, (Fn. 7), S. 28.

  28. Siehe Begründung des Entwurfes des AsylbLG, BT-Ds. 12/4551, S. 6.

  29. Z.B. Erfahrungsbericht mit den Änderungen des AsylbLG vom Juni 1997; vgl. die Stellungnahmen zur Anhörung im Bayerischen Landtag zur Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes am 23.4.2009 (Fn. 15), die zum Teil unhaltbare Zustände in den Gemeinschaftsunterkünften offenbarte. In den Tagesthemen vom gleichen Tag sagte Staatsministerin Frau Haderthauer zu, Verbesserungen in den Gemeinschaftsunterkünften herbei führen zu wollen.

  30. Zum Überblick über die Handhabe des Sachleistungsprinzips bei der Unterbringung in den Bundesländern vgl. BT-Ds. 16/9018, S. 8ff.

  31. Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1, denen Aufenthalt bei besonders gelagerten politischen Interessen gewährt wurde (es sei denn, die Erteilung erfolgt auf Grund eines Krieges in ihrem Herkunftsland) oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG wurden aus dem Anwendungsbereich des AsylbLG ausgenommen.

  32. Vgl. z.B. Antwort der Bundesregierung, BT-Ds. 16/9018, S. 16.

  33. Siehe Begründung des Entwurfes des AsylbLG, BT-Ds. 12/4551, S. 6. Unbefriedigend ist aus Sicht der EKD darüber hinaus die Bewertung der tatsächliche Aufenthaltsdauer in Hinblick auf den Integrationsbedarf: Im Zusammenhang mit der Altfallregelung des § 104a AufenthG und im Rahmen von Entscheidungen verschiedener Härtefallkommissionen wird eine gewisse Aufenthaltsdauer durchaus als wichtiges Indiz für bereits erfolgte Integration gewertet und damit ein weiterhin bestehender Integrationsbedarf anerkannt. Das BSG stellt nun aber in einem Urteil vom 17.6.2008 klar (B 8/9b AY 1/07 R, Asylmagazin 10/2008, 38), dass es für die Frage, wann ein Anspruch auf analoge Leistungen nach SGB XII gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG besteht, nicht die tatsächliche Aufenthaltszeit des Betroffenen in Deutschland maßgeblich ist. Stattdessen kommt es lediglich auf den Zeitraum des Bezuges der eingeschränkten Leistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG an. So kann es selbst dann zu einer Rückstufung von einer analog SGB XII gewährten Leistung auf das Niveau des §§ 3ff. AsylbLG kommen, wenn eine Änderung des Status die Person erneut in den Anwendungsbereich des § 1 AsylbLG fallen lässt und die Vorbezugszeiten von 48 Monaten noch nicht erfüllt sind. An der real erfolgten Integration in die Gemeinschaft und dem somit fortbestehenden Integrationsbedürfnis der betroffenen Personen wird dies allerdings nichts ändern.

  34. Vgl. so auch schon die gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Leiters des Katholischen Büros zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 14.5.2007.