Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen
Kooperationspapier des Zentralen Besprechungskreises Kirche-Handwerk
4. Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen
Handwerk und Kirchen stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen. Bei Themen wie ökologischer Nachhaltigkeit und verantwortungsvollem Wirtschaften, demographischem Wandel, Umbrüchen durch die Digitalisierung und der künftigen Ausgestaltung der Europäischen Union setzen wir uns in gemeinsamer Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft ein. Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen heißt für Kirchen und Handwerk:
Der Wirtschaft einen klaren Ordnungsrahmen geben
Die Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft, wirtschaftliche Effizienz, unternehmerische Freiheit und sozialen Ausgleich so miteinander zu verbinden, dass bereits im wettbewerblichen Wertschöpfungsprozess so viel wirtschaftliche Teilhabe wie möglich realisiert und damit der Bedarf an ergänzendem sozialpolitischem Ausgleich auf ein notwendiges Maß reduziert werden kann, ist nach wie vor richtig. Sie ist aber kein statisches Modell, sondern muss immer wieder an die sich wandelnden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedingungen angepasst werden.
Vor allem in der Finanzmarktkrise in den Jahren 2007/2008 hat sich das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft bewährt. Hier hat sich gezeigt, dass ein klarer Ordnungsrahmen in allen Bereichen der Wirtschaft unerlässlich ist, damit das Finanz- und Wirtschaftsgeschehen in gemeinwohldienliche Bahnen gelenkt wird und sich mittelständische Strukturen entfalten können. Zu den bewährten Regelungen gehört, dass die in der Wirtschaft Verantwortlichen für die Folgen ihres Handelns einstehen und haften. Dies ist gelebte Realität im Handwerk mit seinen eigentümergeführten Unternehmen und sollte auch für andere Unternehmensformen handlungsleitend sein.
Die Umwelt schützen und Nachhaltigkeit verankern
Der christliche Glaube ist Verpflichtung, verantwortlich mit der den Menschen anvertrauten Schöpfung umzugehen. Angesichts des Klimawandels sind Klimaschutz und die Reduzierung der Treibhausgasemissionen zentrale politische und gesellschaftliche Aufgaben unserer Zeit.
Die Industrienationen müssen Vorreiter dabei sein, ihre Wirtschafts- und Lebensstile auf Nachhaltigkeit umzustellen sowie mit ökologisch orientierten Investitionen entschlossen voranzugehen. Das Ziel der ökologischen Verantwortung muss mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verbunden werden.
Mit der Entscheidung zur „Energiewende“ hat Deutschland bereits Verantwortung übernommen. Die Betriebe des Handwerks sind wichtige Ausrüster und Umsetzer dieser „Energiewende“. Sie investieren in den Ausbau erneuerbarer Energien und tragen mit innovativen Lösungen zu einer dezentralen Energieversorgung und zur notwendigen Erhöhung der Energieeffizienz bei. Mit einem sparsamen und effizienten Einsatz von Ressourcen und Rohstoffen muss der Weg zu nachhaltigem Wirtschaften eingeschlagen werden.
Durch Bildung die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung fördern
Bildung und Qualifizierung sind wesentliche Voraussetzungen für Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Bildung dient nicht nur der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, sondern auch der Persönlichkeitsentfaltung. Sie ist mitentscheidend für gesellschaftliche Teilhabe und sozialen Aufstieg.
Frauen und Männer, Menschen verschiedener Kulturen und Religionen sollen ihre Talente in gleicher Weise entfalten können. Ältere Menschen haben bessere Chancen auf berufliche Teilhabe, wenn sie zu Weiterbildungsaktivitäten ermutigt werden. Inklusive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen bieten auch Menschen mit Behinderung ihren individuellen Leistungen und Fähigkeiten entsprechend die Möglichkeit, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Die Achtung der Person, unabhängig von kultureller Herkunft, religiösem Glauben, politischer Gesinnung, Geschlecht und sexueller Ausrichtung kann im gemeinschaftlichen handwerklichen Tun geübt und die persönliche Verschiedenheit als Bereicherung erfahren werden.
Das Handwerk mit seinem System der dualen Berufsausbildung leistet dazu einen maßgeblichen Beitrag. Es vermittelt umfassende berufliche Handlungskompetenzen, macht Angebote für Gering- wie Hochqualifizierte und bietet Differenzierung und Durchlässigkeit. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung nicht nur formal anerkannt, sondern auch praktisch gelebt wird. Die handwerklichen Bildungszentren spielen dabei eine tragende Rolle.
Die Belastungen durch den demografischen Wandel gerecht verteilen Die Bewältigung des demografischen Wandels ist für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Um die sozialen umlagefinanzierten Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, sind Anpassungsmaßnahmen unvermeidlich. Die soziale Sicherung wird auch in Zukunft an Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung auszurichten sein. Lasten dürfen nicht einseitig und ungerecht verteilt werden. Hierzu bedarf es eines Miteinanders der Generationen.
Staatliche Investitionen in ein besseres Kinderbetreuungsangebot unterstützen Eltern dabei, Familie und Beruf zu vereinbaren und bieten Kindern bessere Chancen auf soziale Teilhabe. Auch eine moderne Arbeitszeitpolitik in den Unternehmen ermöglicht den Beschäftigten eine Arbeitsgestaltung, die lebensphasenorientiert ist und die Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Fürsorgearbeit und die Pflege Angehöriger fördert.
Digitale Lebenswelten verantwortlich gestalten
Der digitale Wandel verändert unseren Alltag, unser Leben, unser Christsein. Beispielsweise erweitert das Internet die Chancen für die Kommunikation des Evangeliums. Kirchen und Handwerk sind sich einig, dass digitale Teilhabe für alle möglich sein muss, unabhängig von Alter, Herkunft, Wohnort und Einkommen. Die zunehmende Digitalisierung bedeutet auch eine Umwälzung der Wertschöpfungsprozesse und Marktstrukturen im Handwerk. Damit sind unternehmerische Zukunftschancen verbunden, die genutzt und mittelstandsgerecht gestaltet werden wollen. Die Möglichkeiten digitaler Kommunikation und Mediennutzung sind zugleich eine zentrale bildungspolitische Herausforderung. Sie betrifft die schulische Vermittlung der für den Umgang mit digitalen Kommunikationsmethoden und -inhalten erforderlichen Kompetenzen ebenso wie die Anpassung der Berufsausbildung und der Weiterbildung.
Auswirkungen hat der Digitalisierungsprozess auch auf die Zukunft der Arbeitswelt. Hierbei geht es um die Veränderung von Arbeitsinhalten, den Neuzuschnitt von Tätigkeitsprofilen in den Unternehmen und eine deutlich wachsende inhaltliche, räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeitsorganisation. Neue Formen der Erwerbstätigkeit brauchen auch neue Antworten im Bereich der sozialen Sicherung und Tarifautonomie. Das sozial verpflichtete Unternehmertum im Handwerk bietet gute Voraussetzungen dafür, dass diese Entwicklung zu beiderseitigem Nutzen von Beschäftigten wie Unternehmern ausgestaltet wird.
Ländliche Räume stärken
Ländliche Räume stehen angesichts der demografischen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Sie sind wichtige Zukunftsräume mit erheblichem wirtschaftlichem Potential. Handwerkliche Betriebe prägen in großer Vielfalt die Wirtschaft der ländlichen Räume und sichern maßgeblich die Versorgungsstrukturen und das gesellschaftliche Leben in Dörfern und Kleinstädten. Insbesondere Handwerksbetriebe können Jugendlichen die Perspektive eröffnen, auch in Zukunft in ihrer Heimatregion zu bleiben. Sie tragen somit entscheidend zu sozialer und wirtschaftlicher Stabilität bei und sind Teil einer Verantwortungs- und Wertegemeinschaft für ein nachhaltiges Wirtschaften und Zusammenleben der Menschen.
Kirchen und Handwerk sind sich einig, dass die ländlichen Räume zu stärken sind. Während lange Zeit vor allem agrar- und umweltbezogene Maßnahmen im Fokus der Politik standen, ist nun ein umfassender Ansatz erforderlich, der alle Wirtschaftsbereiche erfasst, wie z.B. eine hochwertige Breitbandversorgung und eine Sicherstellung der Bildungs- wie auch der Gesundheitsinfrastrukturen. Das Handwerk ist dabei ausreichend einzubinden. Handwerksbetriebe werden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der verstärkt wohnortnahe Dienste notwendig macht, der Dezentralisierung der Energieerzeugung und der wachsenden Nachfrage nach regional verarbeiteten Produkten in Zukunft für die Weiterentwicklung der ländlichen Räume eine noch wichtigere Rolle einnehmen.
Die europäische Werte- und Verantwortungsgemeinschaft mitgestalten
Europa ist zusammengewachsen. Die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes mit Personenfreizügigkeit, freiem Warenverkehr und Dienstleistungsfreiheit war eine wichtige Integrationsleistung der 1990er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends. Es bleibt eine stete Herausforderung, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln im europäischen Raum weiter zu verbessern.
Wie sehr die europäischen Staaten inzwischen miteinander verwoben sind, zeigen die Staatsschuldenkrise und die Schwachstellen der Währungsunion. Die Situation der zahlungsschwachen Mitgliedsländer bedeutet für den Zusammenhalt der Europäischen Union eine Herausforderung und Bewährungsprobe. Bei der Lösung der Probleme müssen die Prinzipien von Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität zum Ausgleich gebracht werden. Hilfeempfänger müssen selbst Verantwortung übernehmen. Die Lasten der Konsolidierungspolitik müssen gerecht verteilt werden.
Es braucht eine Renaissance und Weiterentwicklung des Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells der Sozialen Marktwirtschaft, das auf christlicher Werteorientierung und Sozialethik beruht, den Menschen und den Erhalt der Schöpfung in den Mittelpunkt aller Bemühungen rückt sowie das Subsidiaritätsprinzip mit Leben füllt. Dies bedeutet etwa, den Aufbau dualer Berufsbildungsstrukturen zu unterstützen und den qualifikationsgebundenen Berufszugang zu stärken.
Die Europäische Union darf nicht nur auf die wirtschaftliche Dimension verkürzt werden. Europa hat als Gemeinschaft des Friedens und Rechts sowie gemeinsamer Werte und Grundüberzeugungen eine wachsende Bedeutung und muss im 21. Jahrhundert auch neuen geopolitischen Herausforderungen und daraus erwachsenen Aufgaben gerecht werden. Die Krisenherde vor den Toren Europas haben sich verschärft. Die Zahl der Flüchtlinge steigt in gravierendem Ausmaß. Dadurch wird augenfällig, dass Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sicherheit kostbare und keinesfalls selbstverständliche Güter moderner Gemeinwesen sind. Damit einher geht die Verpflichtung zu gemeinsamer Solidarität für Flüchtlinge, die Schutz bei uns suchen. Ihre Integration in Gesellschaft, Ausbildung und Arbeitsmarkt mit einer gelebten Willkommenskultur ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die keinen Aufschub duldet.