Statement zum Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Bei der Beurteilung des Gesetzentwurfes kann nicht abgesehen werden von einer grundsätzlichen anthropologischen Beurteilung (1) und ethischen Bewertung des Suizids (2).
1. Der Suizid muss als praktisch ausgeführter Widerspruch zum Leben und damit zu den Voraussetzungen menschlicher Selbstbestimmung begriffen werden. Im Suizid widerspricht der Einzelne dem Impuls, aus dem er lebt, widerlegt die Absichten, die sein Handeln bis dahin geleitet haben, und stellt sich in den Gegensatz zu allen, die zu seinem Dasein beigetragen haben.[1]
In theologischen Kategorien ausgedrückt ist die Selbsttötung - bei allem menschlichen Verständnis, das man ihr im Einzelfall entgegenbringen wird - als der unzulässige Versuch zu verstehen, ein definitives Urteil über den Wert oder Unwert des eigenen Lebens zu sprechen. Aufgrund ihrer Irreversibilität kommt sie einer endgültigen Absage an die Hoffnung gleich, dass der Mensch im Vertrauen auf Gottes Hilfe jede Lebenssituation annehmen und bestehen könne und es kein aussichtsloses menschliches Leiden gebe.[2]
2. Der Suizid ist somit moralisch nicht zu billigen. „Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung eines Menschen grundsätzlich abzulehnen, weil das Leben als eine Gabe verstanden wird, über die wir nicht eigenmächtig verfügen sollen.“[3]
Die ethische Ablehnung des Suizids schließt den Respekt gegenüber Suizidanten hingegen nicht aus. „In der Selbsttötung verneint der Mensch sich selbst. Vieles kann zu einem solchen letzten Schritt führen. Doch welche Gründe es auch sein mögen - keinem Menschen steht darüber von außen ein Urteil zu. Die Beweggründe und die Entscheidungsmöglichkeiten eines anderen bleiben ebenso wie eventuelle Auswirkungen einer Krankheit im Letzten unbekannt. Für Christen bedeutet die Selbsttötung eines anderen Menschen eine enorme Herausforderung. Er kann diese Tat im Letzten nicht verstehen und nicht billigen und kann dem, der so handelt, seinen Respekt doch nicht versagen. Eine Toleranz gegenüber dem anderen noch über das Verstehen seiner Tat hinaus ist dabei gefordert. Doch die Selbsttötung billigen und gutheißen kann der Mensch nicht, der begriffen hat, dass er nicht nur für sich lebt. Jeder Selbsttötungsversuch kann für ihn nur ein ‚Unfall‘ oder ein Hilfeschrei sein.“[4]
Diese Haltung des Respekts gegenüber Menschen in verzweifelten Situationen hat der Rat der EKD 2008 in seiner Orientierungshilfe „Wenn Menschen sterben wollen“[5] auch auf die Beihilfe zur Selbsttötung ausgeweitet. Zwar wird die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich abgelehnt. Es wird aber anerkannt: In Grenzerfahrungen des menschlichen Lebens, in Situationen schweren Leidens können Betroffene und Angehörige (!) in tiefe Gewissenskonflikte und Grenzfälle geraten. Aus evangelischer Sicht ist zu respektieren, wenn diese Menschen in solch existentiellen Lebenslagen Beihilfe zum Suizid leisten und - im Sinne von bewusster Schuldübernahme - persönlich verantworten.[6]
3. Die anthropologische Beurteilung und ethische Bewertung des Suizids verbindet sich mit einer medizinischen Wahrnehmung von Suizidalität. Von den etwa 10.000 Suiziden, die in Deutschland jährlich registriert werden müssen, erfolgen die allermeisten aufgrund krankhafter psychischer Störungen, wie sie durch Depressionen, Schizophrenien, chronischen Alkoholismus etc. verursacht werden. Andere Suizide und Suizidversuche werden aus situativer Verzweiflung unternommen, die dem Betroffenen sein Leben akut (!) unerträglich erscheinen lässt, aber aller Voraussicht nach behebbar wäre. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle haben solche Suizidversuche appellativen Charakter. Solche Selbsttötungen sind Unglücksfälle, die es zu verhindern gilt.[7] Oder: „Psychisch Kranke brauchen fachmännische Hilfe und keine Fahrkarte in den Tod.“[8] Damit wird das Phänomen des „Bilanzsuizids“ oder der Wunsch eines unheilbar Kranken zu sterben nicht in Abrede gestellt. Wohl aber wird damit einem irreführenden Verständnis des Suizids als „Freitod“ oder gar seiner Heroisierung als „Akt der Selbstbestimmung des Menschen“ widersprochen.[9]
4. Die Beurteilung des Gesetzesentwurfes sollte zudem unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht ausweichen. In Deutschland wurden im Jahr 2011 10.144 Suizide registriert. Bei der Ziffer der Selbsttötungsversuche muss von einem Faktor 10 ausgegangen werden. Die Zahl der Suizidtoten ist höher als die Addition der Unfalltoten, Aidstoten und der Toten nach harter Drogensucht und Schwerverbrechen. Man nimmt an, dass jeder Suizidtote im Durchschnitt sechs unmittelbar Betroffene hinterlässt - nicht selten schwer traumatisiert und selbst suizidgefährdet. Ich will diese gesellschaftliche Dimension nicht weiter vertiefen. Man wird bei der Beurteilung des Gesetzesentwurfes aber auch zu berücksichtigen haben, welche fatalen gesellschaftlichen Wirkungen er im Blick auf eine Plausibilisierung des Suizids und eine Veränderung der Suizidkultur entfalten könnte. „Anstatt seine Verwirklichung weiter zu erleichtern, müsste dem Suizid die soziale Anerkennung versagt bleiben.“[10]
5. Vergegenwärtigt man sich die genannten Perspektiven, so wird man zunächst die im Koalitionsvertrag festgelegte Absicht begrüßen, „die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen.“ Und ebenso wird man das Bemühen der Bundesregierung anerkennen, durch die Einführung eines eigenen Straftatbestandes einer hochproblematischen Entwicklung entgegenzuwirken: „Die Entwicklung (sc. der Kommerzialisierung der Sterbehilfe) lässt befürchten, dass sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Denn durch die Kommerzialisierung der Suizidhilfe und ihre Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen kann in der Öffentlichkeit nicht nur der Eindruck entstehen, hierbei handele es sich um eine gewöhnliche Dienstleistung, sondern auch für die Selbsttötung selbst kann der fatale Anschein einer Normalität erweckt werden.“[11]
6. Ebenso wird man aber im Blick auf den vorgelegten Gesetzesentwurf zu dem klaren Urteil kommen müssen, dass er dem selbstgestellten Anspruch nicht gerecht wird. Und zwar aus folgenden Gründen:
a. Die Einschränkung auf die „gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung“ verkennt die Wirklichkeit der sich sozusagen „altruistisch“ gebenden Organisationen bzw. Vereine zur Sterbehilfe. „Das Vorhaben ist in etwa so sinnvoll, als wollte man an der Nordsee das Bergesteigen verbieten.“[12] In diesem Sinne „spricht sich der Rat der EKD nachdrücklich dafür aus, nicht nur die gewerbsmäßige, also gewinnorientierte Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen, sondern jede Form organisierter (geschäftsmäßiger) Beihilfe zur Selbsttötung.[13]
b. Es ist zu fragen, ob und warum nur ein die Suizidförderung begleitendes Gewinnstreben diese ins Unrecht setzt. Demgegenüber ist die Suizidförderung als solche zu missbilligen, „die Kommerzialisierung fügt ihr keinen wesentlichen ethischen Malus hinzu“.[14]
c. Entgegen seiner Absicht steht der Entwurf faktisch in der Gefahr, Beihilfe zum Suizid zu plausibilisieren und gesellschaftsfähig zu machen.
Um den vorgetragenen Gesichtspunkten zur Problematik des assistierten Suizids gerecht zu werden, bedarf es also einer deutlich über den vorgeschlagenen Entwurf hinausgehenden gesetzlichen Regelung.
Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt deshalb mit Nachdruck Beschluss C 83 des CDU Parteitags von 2012, mit dem die CDU/CSU Bundestagsfraktion aufgefordert wird, „sich dafür einzusetzen, dass auch die unentgeltliche, aber geschäftsmäßig erbrachte Hilfeleistung zur Selbsttötung (organisierte Sterbehilfe) unter Strafe gestellt wird.“
Dieses Ansinnen befindet sich auch im Konsens mit dem Deutschen Ethikrat, der am 27. September 2012 erklärte: „Der Ethikrat begrüßt grundsätzlich das Vorhaben der Bundesregierung, organisierte Suizidbeihilfe gesetzlich zu regeln. Er ist allerdings mehrheitlich der Auffassung, dass der vorliegende Gesetzentwurf mehr Probleme als Lösungen schafft. Der Rat sieht vor allem die Gefahr, dass durch die Beschränkung auf die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe größere Anreize zu anderen Formen der Suizidbeihilfe … geschaffen werden. Daher plädiert der Ethikrat dafür, jede Form der organisierten Suizidbeihilfe zu regulieren … und hält eine weitere gesellschaftliche Debatte für dringend erforderlich.“[15]
[1] Vgl. Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende (2006), S. 81
[2] Vgl. ebd. S. 81 f.
[3] Erklärung des Rates der EKD zur aktuellen Debatte über die Beihilfe zur Selbsttötung vom 19. November 2012
[4] Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens: Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens (1989), S. 107.
[5] Wenn Menschen sterben wollen. Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung (208), EKD Text 97
[6]Vgl. Erklärung des Rates der EKD (FN 3)
[7] Vgl. Nationaler Ethikrat, (FN 1) S. 78 f.
[8] Axel W. Bauer , Das Ende der Handlungsfreiheit, FAZ vom 28.01.2013
[9] Die Selbsttötung ist Ausdruck einer Haltung, die ethisch gerade nicht mit der Autonomie des Menschen legitimiert werden kann. Mit dem Selbstmord nimmt sich der Mensch tatsächlich die Freiheit weg, und zwar für immer. Der Suizid bringt unwiderruflich das Ende jeder Handlungsfreiheit mit sich. Der Begriff des „Freitodes“ ist daher als zynisch abzulehnen.“ (Axel W. Bauer, FN 8)
[10] Axel W. Bauer (FN 8)
[11] Deutscher Bundestag, Drucksache 11/11126, S. 7
[12] Axel W. Bauer (FN 8)
[13] Erklärung des Rates der EKD (FN 3)
[14] Bischof Algermissen in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vom 10.01. 2013 (Fundort: osthessen-news.de)
[15] Pressemitteilung des Deutschen Ethikrates 10/2012