Zuwanderungskommission

EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND
Eingangsstatement für Anhörung Unabhängige Kommission Zuwanderung 26./27. April 2001, Berlin

  1. I. Themenkreis Asyl, Flüchtlinge und Spätaussiedler (26. April)

    Einleitende Bemerkungen:

    Die EKD begrüßt, dass die Unabhängige Kommission die Aufgabe hat, einen zukunftsorientierten Vorschlag zu den genannten Themen vorzulegen mit dem Ziel, die in der Vergangenheit sehr schwierige gesellschaftliche Konfrontation und Stagnation in diesen Fragen zu überwinden.

    Die Kirchen haben zu diesen Fragen öfter gemeinsam Stellung bezogen, vor allem im Gemeinsamen Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht (1997), das der Kommission vorliegt. Die Kirchen haben immer darauf hingewiesen, dass Zuwanderung ein zu gestaltender Bereich ist und nicht nur durch den Grundtenor der Abweisung und Abschottung bestimmt sein darf. Zuwanderung erfordert sowohl eine weltoffene und aufnahmebereite Gesellschaft als auch transparente Grundregeln und eine kontrollierte Gestaltung.

    Für die Möglichkeiten der Zuwanderung sollte eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Es besteht vor allem im Bereich der Zuwanderung aus wirtschaftlichen und demographischen Gründen und des Flüchtlingsschutzes aus humanitären Gründen ein Regelungsbedarf. Für die Spätaussiedler sollte das bisherige Aufnahmeverfahren modifiziert in eine Zuwanderungsgesetzgebung überführt werden. Dabei ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass Familien weiterhin gemeinsam ausreisen und sich hier integrieren können. Zudem sehen wir Spätaussiedler - vor allem wegen des hohen Anteils ausländischer Familienangehörigen - zunehmend mit den gleichen Problemen konfrontiert wie andere Migranten.

    zu Frage 1:

    Die EKD hat sich stets gegen weitere Einschränkungen des Asylrechts ausgesprochen. Sie hat gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz immer wieder betont, dass die Geltung des Grundrechtes auf Asyl in seiner Substanz nicht gefährdet oder gar preisgegeben werden darf (Gemeinsames Wort, Ziffer 146). Angesichts der Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Regelungen (u.a. der Genfer Flüchtlingskonvention) bestehen zudem Zweifel, ob die Option einer institutionellen Garantie die von den Verfechtern erwarteten Veränderungen erbringen würde.

    Die in Frage 1 genannte "ständige Zunahme der Dauer der Asylgerichtsverfahren" deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen. Längere Verfahren sind oft in sich verändernden politischen Situationen oder hochkomplizierten Fragen begründet.

    Es ist unabdingbar, dass mit Asylsuchenden und Flüchtlingen human und rechtsstaatlich verfahren wird. Dies erfordert ein angemessenes Verfahren.

    Eine Verkürzung der Verfahren könnte dadurch befördert werden, dass

    • die Antragsteller durch eine frühzeitige unabhängige Verfahrensberatung instand gesetzt werden, umfassend vorzutragen,
    • die Qualität der Anhörungen verbessert wird, was eventuelle gerichtliche Ermittlungen entlastet,
    • die Anhörungen der psychosozialen Situation ausreichend Rechnung tragen und
    • ein ausreichenden Spielraum für Entscheidungen bei humanitären Härtefällen (durch eine gesetzliche Regelung) besteht.

    Eine Qualitätsverbesserung der Verfahren dürfte den Bundesbeauftragten entbehrlich machen, was zu einer Verfahrensverkürzung beitragen kann.

    zu Frage 2:

    Die praktischen Probleme der Bereitschaft zur Rückkehr oder freiwilligen Ausreise würde auch existieren, wenn es kein Asylrecht gäbe. Die Gründe für eine mangelnde Bereitschaft sind sehr vielfältig.

    Die Kirchen haben immer wieder betont, dass das wirksamste Mittel in der Beseitigung der Fluchtursachen besteht.

    zu Frage 3:

    Wesentliche Forderungen der EKD waren und sind:

    • Erweiterte Möglichkeiten der Anerkennung als Flüchtling auch bei nicht-staatlicher und frauenspezifischer Verfolgung. Wer von einer faktischen Macht verfolgt wird, bedarf des Schutzes, auch wenn es sich dabei in bestimmten Fällen nicht um die Staatsmacht handelt.
    • Beseitigung der Schutzlücke des § 53 VI 2 des Ausländergesetzes;
    • Wiedereinführung einer gesetzlichen Regelung, die den Behörden die Berücksichtigung von Härtefällen ermöglicht;
    • Einbeziehung von als schutzbedürftig anerkannt Gruppen in Maßnahmen zur Integrations- und Akzeptanzförderung in der Aufnahmegesellschaft; dazu gehören erweitere Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und der Familienzusammenführung für Flüchtlinge;
    • Zurücknahme des Asylbewerberleistungsgesetzes

    zu Frage 4:

    Im Hinblick auf die anstehenden europäischen Regelungen erwartet die EKD, dass die Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention und den Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Frage gestellt, vielmehr in vollem Umfang in europäisches Recht übernommen werden. Es darf keine Angleichung auf möglichst niedrigen Niveau erfolgen.

    Deshalb sollten für ganz Europa ein Rechtsanspruch auf Asyl angestrebt und diejenigen Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft verbindlich festgelegt werden, die das Exekutivkomitee des UNHCR einhellig befürwortet hat. Auf diese Weise könnten insbesondere die Probleme der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, der Flüchtlingsfrauen und -kinder, der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer sowie der erst im Exil politisch und religiös aktiv gewordenen Ausländer im Rahmen der Asylgewährung sachgerechter gelöst werden, als dies bisher aufgrund unterschiedlicher Auslegungen möglich ist.

    Die EKD erwartet, dass die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten gewährleistet wird, was unter anderem auch Widerspruchsmöglichkeiten einschließt.

    Eine vollständige synoptische Übersicht, die die bereits erfolgten wie auch die geplanten Rechtsakte der Europäischen Union mit den Positionen der EKD vergleicht, können wir Ihnen als Anlage überreichen.

    Im Hinblick auf Spätaussiedler sehen wir derzeit noch nicht den Zeitpunkt für gekommen, den Spätaussiedlern aus der GUS das kollektive Kriegsfolgenschicksal abzuerkennen. Eine Reduzierung der Zahl der Zuwanderer - wenn sie denn auch aus Gründen der Integration gewollt ist -, ist auch wie bisher auf dem Wege der Verwaltungsmaßnahmen möglich.

  2. II. Themenkreis Integration (27.4.01)

    zu Frage 1:

    Die EKD hat immer wieder darauf hingewiesen, dass eine große Zahl von Zugewanderten ohne nennenswerte Probleme in Deutschland lebt und eine ausgesprochene Bereicherung des Lebensalltag darstellt. Dies wird in der Öffentlichkeit teilweise zu wenig wahrgenommen.

    Probleme liegen weniger in dem Kriterium der nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit, sondern treten auf, wenn soziale Problemlagen und andere Benachteiligungen hinzukommen.

    Die bisherigen Erfolge der Integrationsbemühungen könnten größer sein, wenn die Aufgaben in der Vergangenheit ausreichend ernst und als zentrale gesellschaftliche Aufgabe wahr genommen worden wären.

    Bei zugewanderten Arbeitskräften stand zu stark der ökonomische Bedarf im Vordergrund, zu wenig die soziale Situation der Migranten und ihre Lebensperspektive. Auch die aktuelle "Greencard"-Regelung geht weiter von zeitlich begrenztem Aufenthalt von Einzelmigranten aus. Hier ist ein Paradigmenwechsel dringend erforderlich.

    Allgemeine Defizite in der Familienpolitik wirken sich im Bereich der Zuwanderer besonders aus. Integrationsprobleme von beispielsweise jungen Aussiedlern können nur in einem Gesamtkonzept gelöst werden, das die Familien einbezieht.

    zu Frage 2:

    Obwohl Integration eine Vielzahl von ineinander greifenden Elementen und Dimensionen umfasst, ist jedoch in den modernen pluralen Gesellschaften die Teilhabe an der Sicherung der Grundbedürfnisse der wichtigste gesellschaftliche Integrationsfaktor. Damit hängt zusammen, dass die soziale Chancengleichheit, insbesondere die Partizipation an Ausbildung, Arbeitsmarkt und Einbindung in die Solidargemeinschaft, in besonderer Weise Integration fördert und soziale Spannungen und Vorurteile minimiert. Die Förderung von sozialer Integration und die Sicherung der Grundbedürfnisse sind auch zentrale Faktoren zur Vermeidung und Überwindung von Fremdenfeindlichkeit.

    Die Teilnahme am Alltagsleben in Deutschland ist nur möglich, wenn eine ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache vorhanden ist. Deutsch verstehen und sprechen können sind Grundbedingungen für gelingende Integration. Die Förderung der Deutschsprachigkeit sollte zugleich alltagsorientierte, lebenspraktische und landeskundliche Informationen und Orientierungen sowie arbeitsweltbezogene Inhalte einschließen. Besondere Angebote sind für Frauen (sowie Kinder und Jugendliche in den Schulen) erforderlich.

    Neben dem in der Frage angesprochenen "deutschen Spracherwerb" sollte die mehrsprachigen Fähigkeiten gerade von Migrantenkindern in ihrer Bedeutung und Brückenfunktion - vor allem in Schule und Ausbildung - stärker gewürdigt, genutzt und gefördert werden.

    zu Frage 3:

    Ein Teil der Migranten lebt in sozial prekären Situationen. Diese verstärken sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, da ein nennenswerter Anteil der Zugewanderten in Arbeitsverhältnissen mit geringeren Bildungs- und Fachanforderungen tätig ist. Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration dient zugleich der materiellen Existenzsicherung und Selbsthilfefähigkeit der Zuwanderer und entlastet die Sozialhilfe.

    In Anbetracht der erheblichen Arbeitslosigkeit von Zugewanderten sind spezifische Maßnahmen zur beruflichen und sprachlichen Qualifizierung sowie Maßnahmen zur Stärkung der Bildungsbeteiligung von jungen Migrantinnen und Migranten notwendig. Deshalb sind Bildungsangebote von zentraler Bedeutung für erfolgreiche Integration und Vermeidung von gesellschaftlicher Desintegration. Außerdem bedarf es der vereinfachten Anerkennung - gegebenenfalls in Verbindung mit Nachqualifizierungsangeboten - von im Herkunftsland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen. Zudem sollte, wer eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis besitzt, auch einen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

    Manchen Migrantinnen und Migranten erscheint die liberale und individualisierte Gesellschaft in Deutschland als fremd. Sie fühlen ihr mitgebrachtes Selbstverständnis in Gefahr. Diese Angst ist besonders bei solchen Gruppen verständlich, die als religiöse, kulturelle oder sprachliche Minderheit aus ihrer Heimat vertrieben wurden und keine Möglichkeit der Rückkehr haben. Die im Grundgesetz garantierte "Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses" (Artikel 4 GG) und dessen aktive Ausübung ist an das Gebot der Toleranz sowohl gegenüber anderen Gemeinschaften als auch gegenüber den jeweils eigenen Mitgliedern gebunden.

    zu Frage 4:

    Die für Integrationsmaßnahmen aufgewendeten Mittel sind nicht Resultat einer Gesamtkonzeption, sondern aus unterschiedlichen Quellen und Ressorts, zum Teil wechselseitig nicht bekannt sowie oft auf Sondermaßnahmen und zeitlich befristete Projekte bezogen. Der Bund könnte mit einer klareren Konzeptionierung von finanziellen Fördermöglichkeiten vorbildhaft wirken.

    Die Unabhängige Kommission sollte in ihren Empfehlungen auch den Bereich der finanziellen Förderung nicht aussparen. Bund und Länder sollten hier ihre Aufgaben wahrnehmen und die Finanzlast nicht den Kommunen zuweisen, die ohnehin für die Umsetzung der Maßnahmen zu sorgen haben.

    zu Frage 5:

    Frühzeitig sollte den Zugewanderten von Seiten des Staates die Teilnahme an Maßnahmen zur Förderung der Integration angeboten werden, die wechselseitig verpflichtenden Charakter haben. Mit solchen Modellen gibt es positive Erfahrungen. Sie haben sich vor allem bewährt, wenn sie mit positiven Anreizen verbunden sind und Beratungsangebote einschließen.

    So befürworten wir beispielsweise einen Sprachtest bei ausländischen Familienangehörigen von Spätaussiedlern unter der Voraussetzung, dass Familien nicht auseinandergerissen werden und angemessene Möglichkeiten der Vorbereitung bestehen.

    Im Interesse der gelingenden sozialen Integration sollten nach der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger weitere Möglichkeiten der Teilhabe von Nichtdeutschen an der politischen Verantwortung des Gemeinwesens geschaffen werden.

    Integrationspolitik muss als gemeinsame Aufgabe aller Ressorts und Ebenen der öffentlichen Hand verstanden und gestaltet werden. Für den erforderlichen Konsens über Aufgabenteilung und finanzielle Verpflichtungen ist auch auf Bundesebene eine verstärkte Koordinierung notwendig. Eine entsprechende Koordinierungsstelle - zum Beispiel in Form eines Bundesamtes für Migration und Integration - sollte die notwendigen Kompetenzen erhalten.