Lieferkettengesetz - Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Kommissariats der deutschen Bischöfe

zum Referentenentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten

Gemeinsame Stellungnahme
des Bevollmächtigten des Rates der EKD
bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und
des Kommissariats der deutschen Bischöfe
– Katholisches Büro in Berlin - 
zum Referentenentwurf eines Gesetzes
über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten

 

Die beiden Kirchen setzen sich seit Langem für den Schutz der Menschenrechte und der Schöpfung auch entlang globaler Lieferketten ein. Für die Zusendung des Referentenentwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten danken wir dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und nehmen die Möglichkeit zur Stellungnahme gern wahr. Die kurze Frist erlaubt es nur, eine erste Einschätzung abzugeben. Die Kirchen behalten sich vor, im laufenden Verfahren noch weitere Erwägungen vorzutragen.

 

Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfalts-pflichten in Lieferketten noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten soll. Der Entwurf stellt aus unserer Sicht einen wichtigen Schritt zum angestrebten Schutz von Menschenrechten und der Schöpfung entlang der Lieferketten dar. Mit Blick unter anderem auf die in den Anwendungsbereich einbezogenen Unternehmen und die Möglichkeit, Rechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen, wären allerdings weitergehende Regelungen wünschenswert und sachgerecht.

 

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Zu § 1 SorgfaltspflichtenG-E – Anwendungsbereich

Die Regelungen des SorgfaltspflichtenG-E sollen zunächst auf Unternehmen Anwendung finden, die in der Regel mehr als 3.000 und ab. 1. Januar 2024 auch auf Unternehmen, die in der Regel mehr als 1.000 Arbeitnehmer beschäftigten. Die beiden Kirchen weisen darauf hin, dass die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der internationalen Lieferketten grundsätzlich allen Unternehmen obliegt. Eine Unterscheidung nach Größe des Unternehmens sollte nicht bereits im Geltungsbereich des Gesetzes vorgesehen werden, sondern erst bei der Ausgestaltung der Umsetzung der Sorgfaltspflichten und bei den Regelungen zur Haftung Berücksichtigung finden.

So könnte es Kleinstunternehmen und KMU, die nicht in Risikobranchen tätig sind, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – abgesehen von offensichtlichen Fällen von Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltschutz – ermöglicht werden, eine Ausnahme von der Umsetzung der Sorgfaltspflichten geltend zu machen. Dafür könnten im Gegenzug spezifische Anreize gesetzt werden, damit die mögliche Ausnahme gar nicht erst in Anspruch genommen wird. Den besonderen Herausforderungen, denen sich Kleinstunternehmen und KMU gegenübersehen, könnte mit allgemeinen unverbindlichen Leitlinien, in denen dargelegt wird, wie auch diese den festgelegten Sorgfaltspflichten am besten nachkommen können, begegnet werden.

Auch die Einschränkung des Geltungsbereichs auf Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben, sehen die Kirchen kritisch. Vorschriften zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der globalen Wertschöpfungs- und Lieferkette sollten für alle Unternehmen verbindlich sein, die eine Niederlassung im Inland haben oder/und ihre Geschäfte im Inland tätigen. Die hierfür erforderlichen unionsrechtlichen Voraussetzungen sind schnellstmöglich zu schaffen.

 

Zu § 2 SorgfaltspflichtG-E – Begriffsbestimmung

Zu § 2 Abs. 1 SorgfaltspflichtenG-E

Die Kirchen schlagen vor, die in der Anlage aufgeführten Übereinkommen, aus denen sich die Menschenrechte im Sinne dieses Gesetzes ergeben um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, das ILO-Übereinkommen Nr. 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern vom 7. Juni 1989, die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker vom 29. Juni 2006, der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 und die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember 2006 zu ergänzen.

 

Zu § 2 Abs. 2 Nr. 9 SorgfaltspflichtenG-E

Nach dem Entwurf dieser Vorschrift soll ein menschenrechtliches Risiko durch die Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, einer Gewässer- oder Luftverunreinigung, schädlichen Lärmemissionen oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs begründet werden können, wenn diese geeignet sind, (a) die natürlichen Grundlagen zum Erhalt und der Produktion von Nahrung erheblich zu beeinträchtigen, (b) einer Person den Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser zu verwehren, (c) einer Person den Zugang zu Sanitäranlagen zu erschweren oder zu zerstören oder (d) die Gesundheit einer Person zu schädigen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung dienen die dieser Risikobeschreibung zugrundeliegenden Verbote dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen sowie der Gewährleistung einer für sie ausreichenden Nahrung, Wasser- und Sanitärversorgung (Begründung S. 18 f.). Die vorgeschlagene Formulierung nimmt aber die Komplexität biosystemarer Zusammenhänge nicht hinreichend in den Blick, um dieses Schutzziel zu erreichen. Der Schutz der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden sollte daher insbesondere um den Schutz des – mindestens regional zu bestimmenden – Ökosystems (insbesondere mit Blick auf die Biodiversität) erweitert werden. Auch sollte darüber nachgedacht werden, den Schutz des Klimas (bzw. die Einhaltung von Klimaschutzstandards) einzubeziehen. Auch Veränderungen an diesen Schutzgütern sind geeignet, Menschen gesundheitlich zu schädigen und ihre Versorgung mit Nahrung, Wasser und Sanitäranlagen zu gefährden. Darüber hinaus sind die Schutzgüter Luft, Wasser, Boden, Ökosystem und Klima als natürliche Lebensgrundlagen per se zu schützen und nicht nur, wie in Var. 9 (a), in einem direkten Zusammenhang mit dem Erhalt und der Produktion von Nahrung und einer diesbezüglich „erheblichen“ Beeinträchtigung, oder in den Var. 9 (b) und (c), lediglich in einer bestimmten Funktion. Diese Einschränkungen des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen auf bestimmte Funktionen sollten gestrichen werden.

 

Zu § 2 Abs. 2 Nr. 10 SorgfaltspflichtenG-E

Nach dem Entwurf dieser Vorschrift kann auch der drohende Verstoß gegen das Verbot der widerrechtlichen Zwangsräumung und gegen das Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, von Wäldern und Gewässern bei dem Erwerb, der Bebauung oder anderweitigen Nutzung von Land, Wäldern und Gewässern, deren Nutzung die Lebensgrundlage einer Person sichert, ein menschenrechtliches Risiko darstellen.

Die Kopplung der Zwangsräumung und des Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern an die „Widerrechtlichkeit“ wirft zumindest die Frage auf, ob diese sich allein nach den in dem betreffenden Land geltenden Vorschriften richtet oder hier ein objektivierender Maßstab (bspw. in Anlehnung an den völkerrechtlichen Enteignungsbegriff) anzulegen ist. In jedem Fall gilt auch bei dieser Regelung, dass das Verbot der Zwangsräumung und des Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern als Anknüpfungspunkt eines menschenrechtlichen Risikos nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass „deren Nutzung die Lebensgrundlage einer Person sichert“. Die Eigentumsrechte der von solchen Maßnahmen betroffenen Menschen gehen potenziell sehr viel weiter, so dass ihre drohende Verletzung ebenfalls als menschenrechtliches Risiko qualifiziert werden sollte. Das gilt vor allem auch für Menschen, die indigenen Völkern zugehörig sind.  

 

Zu § 2 Abs. 4 SorgfaltspflichtenG-E

Die Aufnahme von Verstößen gegen die in dieser Vorschrift genannten Abkommen – das Übereinkommen von Minamata über Quecksilber und das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe – begrüßen die Kirchen. Jedoch fehlt aus unserer Sicht die Einbeziehung weiterer umweltvölkerrechtlicher Abkommen, die als Bezugspunkt für Verbote oder Gebote in Frage kommen könnten. Zu denken wäre hier etwa an das Pariser Abkommen und die von den Staaten hierzu eingereichten NDCs, die Biodiversitätskonvention mit den Aichi-Zielen oder das Nagoya-Protokoll. Auch drohende Verstöße gegen die in diesen Abkommen enthaltenen Ver- oder Gebote könnten als Verstöße gegen umweltbezogene Pflichten in das SorgfaltspflichtenG-E aufgenommen werden.

 

Zu § 4 Abs. 3 SorgfaltspflichtG-E – Risikomanagement

Gemäß § 4 Abs. 3 SorgfaltspflichtG-E hat das Unternehmen dafür zu sorgen, dass festgelegt ist, wer innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen. Dies kann etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten erfüllt werden. Die Geschäftsleitung hat sich regelmäßig, mindestens einmal jährlich, über die Arbeit der zuständigen Person oder Personen zu informieren. Ausweislich der Gesetzesbegründung sind in allen maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufen, die voraussichtlich die Risikominimierung beeinflussen können, Zuständigkeiten zu verankern, um die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu überwachen. Die Einrichtung der Stelle eines Menschenrechtsbeauftragten, die unmittelbar der Geschäftsleitung unterstellt ist, sei zu empfehlen (Begründung S. 25).

Die beiden Kirchen regen an, eine Verankerung der entsprechenden Stelle direkt in der Unternehmens- oder Geschäftsleitung vorzusehen. Diese Verpflichtung würde Fachwissen in den Bereichen Menschenrechte und Schöpfungsbewahrung an höchster und entscheidender Stelle des Unternehmens verankern und die Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter bzw. -positionen verdeutlichen. Dies kann Unternehmen auch ohne eine starke gesetzliche Verpflichtung dazu bewegen, die Einhaltung von Sorgfaltspflichten voranzutreiben und das Unternehmen nachhaltig resilient aufzustellen.

 

Zu § 5 SorgfaltspflichtenG-E – Risikoanalyse

Nach dem Abs. 1 S. 1 dieser Vorschrift hat das Unternehmen eine „angemessene“ Risikoanalyse nach den folgenden Absätzen durchzuführen, um die Risiken in „seinem Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln“.

Die Kirchen bitten zu prüfen, diese Risikoanalyse auch auf die mittelbaren Zulieferer des Unternehmens auszudehnen. Hierfür spricht zunächst, dass dem Unternehmen an verschiedenen Stellen des Gesetzentwurfs auch Pflichten mit Blick auf den mittelbaren Zulieferer zukommen. So hat er gemäß § 4 Abs. 4 SorgfaltspflichtenG die Interessen der Beschäftigten in Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien in der ganzen Lieferkette zu berücksichtigen. Des Weiteren muss es auch von der Tätigkeit des mittelbaren Zulieferers in ihren geschützten Rechtspositionen verletzten Personen möglich sein, auf diese Verletzung hinzuweisen, worauf das Unternehmen dann nach § 9 Abs. 3 SorgfaltspflichtenG-E auch reagieren muss. Richtet das Unternehmen keinen entsprechenden Beschwerdemechanismus ein oder versäumt es, bei substantiierter Kenntniserlangung darauf zu reagieren, begeht es Ordnungswidrigkeiten nach § 25 Abs. 1 Nr. 7b), Nr. 9 SorgfaltspflichtenG-E. Mit einer auch die mittelbaren Zulieferer betreffenden Risikoanalyse sorgt das Unternehmen also auch im eigenen Interesse vor. Dies gilt umso mehr, als dass die „substantiierte Kenntnis“ in § 9 Abs. 3 SorgfaltspflichtenG-E vom Unternehmen ausweislich der Begründung nicht nur durch das Beschwerdeverfahren, sondern auch aus anderen, allgemeinzugänglichen oder unternehmensspezifischen Quellen stammen kann (Begründung S. 33). Insofern erscheint es auch möglich, bei einer entsprechenden öffentlichen Berichtslage davon auszugehen, dass ein Unternehmen die für § 9 Abs. 3 SorgfaltspflichtenG-E erforderliche „substantiierte Kenntnis“ hat.

 

Zu § 11 Abs. 2 SorgfaltspflichtG-E Besondere Prozessstandschaft

Die beiden Kirchen begrüßen, dass mit § 11 SorgfaltspflichtG-E das Institut der besonderen Prozessstandschaft eingeführt wird, mit dem die gerichtliche Geltendmachung der Rechte Betroffener gestärkt wird. Problematisch erscheint jedoch die in § 11 Abs. 2 SorgfaltspflichtG-E vorgenommene Beschränkung auf solche inländischen Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen, die „eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz“ unterhalten. Gerade soweit jedoch die Menschenrechtslage in bestimmten Ländern zivilgesellschaftliches Handeln einschränkt bzw. eine Präsenz verunmöglicht, wären die in Abs.1 genannten Akteure von der Prozessstandschaft ausgeschlossen. Wir bitten zu überlegen, ob eine Anpassung des Gesetzestextes, der diesem Umstand des shrinking space Rechnung trägt, möglich ist.

 

Zu § 19 SorgfaltspflichtG-E – Zuständige Behörde

Die beiden Kirchen geben zu bedenken, dass sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, damit das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die durch das SorgfaltspflichtG-E neu hinzukommenden Aufgaben erfüllen kann. Mittelfristig sollte darauf hingewirkt werden, dass eine spezialisierte Einheit eingerichtet wird.

 

Zu § 20 SorgfaltspflichtG-E – Handreichungen

Zu den Aufgaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle soll es nach § 20 SorgfaltspflichtG-E gehören, Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten zu unterstützen und entsprechende Hilfestellungen anzubieten. Hierfür sollen branchenübergreifende oder branchenspezifische Informationen, Hilfestellungen oder Empfehlungen zur Einhaltung dieses Gesetzes veröffentlicht werden. Die beiden Kirchen regen an, neben der Veröffentlichung von Handreichungen den Aufbau einer Datenbank in den Blick zu nehmen, in der spezifische Daten zu Menschenrechtsverletzungen und möglicher negativer Auswirkungen auf Umwelt, Natur, Biodiversität und Klima zusammengeführt und zugänglich gemacht werden. Den Unternehmern können so gesicherte Informationen zur Verfügung gestellt werden, die ihre Risikoabschätzung erleichtern. Eine solche Datenbank würde es auch Kleinstunternehmen und KMU erleichtern, mögliche Risiken in ihren Lieferketten zu erkennen und zu vermeiden. Darüber hinaus könnte auch über den vermehrten Einsatz von Blockchain-Technologien und die Intensivierung von Branchendialogen nachgedacht werden.

 

Berlin, den 1. März 2021