Die Menschen über die Schwelle führen
Was ist eigentlich ein „Segen to go“?
Was ist eigentlich ein "Segen to go" und warum gibt es Gottesdienste für Motorradfahrer? Die evangelischen Gemeinden versuchen, mit neuen Ritualen Gläubige zu gewinnen. Aber es gibt auch Kritik daran.
Frankfurt a.M. (epd). Das Leben eines evangelischen Christen stand über Generationen hinweg mindestens dreimal im Mittelpunkt eines Gottesdienstes: kurz nach der Geburt bei der Taufe, im Jugendalter bei der Konfirmation und als Erwachsener bei der Trauung. Die sogenannten Amtshandlungen der Kirche sind keine reinen Verwaltungsakte, sondern Gelegenheiten, um das individuelle Leben zu segnen. Doch die Zahl der Amtshandlungen nimmt seit Längerem ab.
Für das Bedürfnis nach Segen gelte das jedoch nicht, sagt Pfarrer Lars Schulz. Er ist Referent bei Kirche im Dialog im Hamburg, einer Abteilung der Nordkirche, die sich mit neuen Formen von kirchlichen Angeboten beschäftigt. Dieses Bedürfnis treffe aber oftmals auf Gemeinden, die eher eine geschlossene Gesellschaft seien. So suchten sich die Menschen andere Wege, um Segen zu bekommen.
Das zeigt sich auch in den Zahlen der erfassten Amtshandlungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Dazu gehören Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Bestattungen. Besonders Taufen, Konfirmationen und Trauungen nehmen kontinuierlich ab. Im Jahr 2015 gab es laut EKD-Statistik 44.197 evangelische kirchliche Trauungen in Deutschland. Im letzten Jahr vor Corona 2019 waren es noch 38.115. Die Jahre 2020 und 2021 brachten dann wegen der Corona-Pandemie einen starken Einbruch.
Doch Gemeinden reagieren zunehmend auf die veränderten Bedürfnisse. Schulz erzählt von einem Motorrad-Gottesdienst in Hohen-Viecheln in Mecklenburg-Vorpommern. Es kamen über 140 Motorradfahrer und Motorradfahrerinnen, die fast alle keine Kirchenmitglieder gewesen seien. Der Gottesdienst sei frei von alter liturgischer Sprache gewesen. Was die Besucher vereinte, sei das Bedürfnis nach Segen, sagt Schulz. Den gebe es zwar auch im traditionellen Gottesdienst, aber hier kämen die Menschen, die im Osten Deutschlands schon lange keine Verbindung mehr zur Kirche haben, nicht hin.
Justus Geilhufe ist auch Pfarrer im Osten Deutschlands. Seine Gemeinde liegt in Freiberg in Sachsen zwischen Chemnitz und Dresden. Auch seine Klientel sei kirchenfern, wie er sagt. Vor kurzem hat auch er eine Veranstaltung für Biker durchgeführt: einen Moped-Gottesdienst.
Aber während es Lars Schulz nicht darum geht, die Kirchenfernen für die Kirche zu gewinnen, sondern darum, das Bedürfnis nach Segen zu befriedigen, geht es Geilhufe eben genau um Kirchenbindung. Schulz sagt, Kirche habe einen Auftrag für alle Menschen, nicht nur für die Mitglieder. Geilhufe sagt: „Ich will die Menschen über die Schwelle führen.“ Die Schwelle ist für ihn die Kirchentür.
Beide Pfarrer sind jedoch in einem Punkt einig: Der traditionelle Sonntagsgottesdienst ist nicht leicht zugänglich. Er sei nur etwas für Menschen, die die Liturgie kennen und eingeübt sind.
Für Schulz wird der Sonntagsgottesdienst mit klassischer Liturgie zu einem Zielgruppen-Event. Hier gehe es um die wenigen mit der Kirche und ihren Formen noch vertrauten Menschen. Für andere Zielgruppen brauche es andere Gottesdienste: Wohnzimmergottesdienste oder Segen beim Vorbeilaufen in der Fußgängerzone seien da nur zwei Formen, die bei Kirche im Dialog entwickelt würden.
Geilhufe sagt, so ein Ansatz sei ein „völliger Irrweg“. Für ihn hat die alte Liturgie des Sonntagsgottesdienstes „einen Wert an sich“. Sie verbinde die Gottesdienstbesucher mit den unzähligen Christinnen und Christen, die in früheren Zeiten Gottesdienst gefeiert hätten. Und es gebe keine Form, die so sehr wie der klassische Gottesdienst für alle Menschen und Lebenslagen da sei. „Freude, Schmerz, Schuld, Gemeinsamkeit, Geburt und Tod“, all das komme hier zu Wort, und zwar zuverlässig und jede Woche zur gleichen Zeit.
Von Konstantin Sacher (epd)