O Haupt voll Blut und Wunden

Das Lied zu Passion und Karfreitag

Mittelalterliche Altar in Nenkersdorf (Sachsen) zeigt Schweisstuch der Veronika (datiert 1519)

1. O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!

2. Du edles Angesichte,
davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte:
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht’?

3. Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht
ist hin und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.

4. Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last;
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad.

5. Erkenne mich, mein Hüter,
mein Hirte, nimm mich an.
Von dir, Quell aller Güter,
ist mir viel Guts getan;
dein Mund hat mich gelabet
mit Milch und süßer Kost,
dein Geist hat mich begabet
mit mancher Himmelslust.

6. Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen
im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen
in meinen Arm und Schoß.

7. Es dient zu meinen Freuden
und tut mir herzlich wohl,
wenn ich in deinem Leiden,
mein Heil, mich finden soll.
Ach möcht ich, o mein Leben,
an deinem Kreuze hier
mein Leben von mir geben,
wie wohl geschähe mir!

8. Ich danke dir von Herzen,
o Jesu, liebster Freund,
für deines Todes Schmerzen,
da du’s so gut gemeint.
Ach gib, dass ich mich halte
zu dir und deiner Treu
und, wenn ich nun erkalte,
in dir mein Ende sei.

9. Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.

10. Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Text: Paul Gerhardt (1656), nach dem lateinischen Hymnus „Salve caput cruentatum“ des Arnulf von Löwen
Melodie: Hans Leo Haßler (1601)

Das wohl bekannteste deutsche Passionslied ist in zahlreichen Gesangbüchern vertreten, auch über die evangelische Kirche hinaus. Bereits im frühen 18. Jahrhundert fand es auch Aufnahme in ein katholisches Gesangbuch, im heutigen Gotteslob ist es unter Nr. 289 zu finden. Im Evangelischen Gesangbuch (EG) steht es unter der Nr. 85.

Der Text von „O Haupt voll Blut und Wunden“ ist die Übertragung eines lateinischen Hymnus aus dem 13. Jahrhundert: „Salve caput cruentatum“ ist Teil eines Zyklus von sieben Meditationen über die Gliedmaßen des Gekreuzigten. Als Autor gilt Arnulf von Löwen (1200-1250). Paul Gerhardt schreibt seine Nachdichtung, als er Propst im brandenburgischen Mittenwalde ist. Ein „Schweißtuch der Veronika“, das die Gesichtszüge des gemarterten Christus wiedergibt, zu finden am Altar der Moritzkirche hat ihn wohl zu den eindrücklichen Bildern seines Textes inspiriert.

Die Melodie stammt von dem Nürnberger Komponisten Hans Leo Haßler, dessen Liebeslied „Mein G‘müt ist mir verwirret“ 1601 in seinem „Lustgarten neuer teutscher Gesäng“ erscheint. Es verbreitete sich rasch, auch mit anderen Texten, als Kontrafaktur. Schon 1613 findet sich die Melodie im Liederbuch „Harmoniae sacrae“ auf den Text „Herzlich tut mich verlangen, nach einem sel’gen End“. Gerhardts Version erscheint erstmals 1656 in Johann Crügers Gesangbuch „Praxis pietatis melica“ in Berlin.

Das Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ diente vielen Komponisten als Vorlage für ihre Werke. Bach verwendet den Choral prominent in seiner Matthäus-Passion, und auch in der Kantate BWV 159 und sogar im Weihnachtsoratorium erklingt die Melodie. Auch Telemann, Mendelssohn, Liszt, Rheinberger oder Reger haben den Choral bearbeitet und selbst in der Pop-Musik wurde die Melodie verwendet, etwa bei Peter, Paul & Mary, Paul Simon oder Hannes Wader.

Gerhardt gelingt es, die mittelalterliche Christus-Mystik der Vorlage in intensive Sprachbilder zu übertragen. Nach der mitleidenden Betrachtung der Gesichtszüge des Gemarterten in den ersten Strophen wendet sich der Sänger des Liedes in der vierten Strophe dem leidenden Christus selbst zu. Er stellt sich ihm zur Seite auf seinem letztren Weg und bittet um Beistand in der eigenen Todesstunde. Die abschließenden Verse - „Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl“  - schlagen einen Bogen zum Liebeslied, beschreiben „eine zärtliche Vereinigung des Sängers des Liedes mit dem gekreuzigten Christus im Tod“, wie der Theologe und Pfarrer Christoph Dinkel in einer Liedpredigt schreibt.

Jörg Echtler

©Foto:

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