Kirche in Cafés, Kneipen und Fitnessstudios
Frischer Wind für die Kirche durch „Fresh X“
Austausch und Diskussion über neue Formen, um Glauben zu teilen, Gottesdienste zu feiern und Kirche zu leben: Das stand im Mittelpunkt der Fresh X Jahrestagung. Patentrezepte gab es zwar keine, aber viele motivierende Anregungen.
„Wir kommen mit“, schallt es laut durch den Raum der CROSS Jugendkulturkirche in Kassel. Es ist die Stelle, die beim Echo-Lesen der biblischen Geschichte über das Erscheinen Jesu am See Tiberias (Joh. 21, 1-14) bei den Teilnehmenden der Fresh X Jahrestagung die meiste Zustimmung auslöst. Das ist kaum verwunderlich, signalisiert dieser Satz doch einen Aufbruch ins Ungewisse – etwas, für das die Projekte der Fresh Expressions of Church bekannt sind.
Haupt- und Ehrenamtliche sind an diesem Tag nach Kassel gekommen um sich auszutauschen, sich zu vernetzen und neue Impulse für ihre Arbeit in den Kirchengemeinden zu bekommen. Zum ersten Mal ist die Jahrestagung offen für alle und nicht nur für die Mitglieder des Netzwerks. Eine gute Entscheidung, wie die Teilnehmerzahlen zeigen. „Die Karten waren sehr schnell ausverkauft und wir haben dann noch 30 zusätzliche Plätze schaffen können“, sagt Birgit Dierks, die Geschäftsführerin von Fresh X. Doch auch diese Plätze seien schnell vergeben gewesen.
Die Teilnehmerschaft ist bunt gemischt – Ältere und Jüngere, Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Männer und Frauen halten sich ungefähr die Waage. „Es freut uns besonders, dass sich so viele junge Menschen mit der Frage beschäftigen, wie Kirche anders aussehen kann“, so Dierks. Das Fresh X Netzwerk ist überkonfessionell, deswegen finden sich unter den Teilnehmern Protestanten, Mitglieder von Freikirchen und Katholiken gleichermaßen. Auch wenn letztere vielleicht leicht in der Unterzahl sind – zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung.
„Es ist ein bisschen wie ein Familientreffen hier“, erzählt Katrin Wilzius, die beim CVJM Landesverband Hannover arbeitet. Es sei der gemeinschaftliche Geist und das gemeinsame Ziel, das die Leute hier so produktiv zusammengebracht habe. Wilzius beschreibt ihn mit einem Satz, den sie in ihrer E-Mail-Signatur stehen hat: „Wenn du willst, dass Kirche bleibt, darf sie nicht bleiben, wie sie ist.“ Diese Auffassung teilt die Mehrheit der Anwesenden. Viele von ihnen arbeiten bereits in Fresh X Projekten und gestalten Kirche so ganz anders als gewohnt: In Cafés, Fitnesscentern, Fast-Food-Läden oder Kneipen und unter Leuten, die ein gemeinsames Interesse verbindet wie Fahrräder reparieren, Filzen oder Kochen. Manche Projekte fokussieren sich auf Kinder oder Jugendliche, andere sind auf Internetnutzer ausgelegt und wieder andere engagieren sich für alle Menschen in einem bestimmten Stadtteil.
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So unterschiedlich sie in ihren Erscheinungsformen und Ausprägungen auch sind, so gleichen sie sich im Kern doch laut Michael Moynagh in vier Merkmalen: Sie sind missional, kontextual, lebensverändernd und gemeindebildend (engl.: missional, contextual, formational, ecclesial). Moynagh ist im Fresh-Expressions-Team der anglikanischen Kirche, dem Vorbild der deutschen Bewegung, verantwortlich für die theologische Reflektion von Theorie und Praxis der neuen Formen von Kirche.
Für einen theologisch-praktischen Impuls über die lebensverändernde Komponente der Fresh Expressions of Church sorgt auf der Jahrestagung Michael Herbst. Er ist Professor für praktische Theologie an der Universität in Greifswald und Direktor des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung. Er gehört zu jenen, die die Fresh X Bewegung von der Insel nach Deutschland geholt haben.
Ein besonderes Merkmal von Fresh X ist aus seiner Sicht, dass es sich dabei nicht um ein „Konsum-Christentum“ handelt. Stattdessen sollen die Menschen zu Jüngern werden – Passivität ausgeschlossen. „Ein lebendiges, mündiges Christsein ist kein ferner, elitärer Zustand“, so Herbst. Die Taufe und der Nicht-Austritt aus der Kirche würden dafür jedoch auch nicht reichen. „Lebendig bedeutet, dass der Glaube im Zentrum der Existenz steht“, erklärt Herbst und fährt fort, dass wiederum die Mündigkeit darin besteht, dass man lernend, selbstständig und urteilsfähig ist. Und in allem bleibe man durch den Glauben, die Schrift und die Gnade bei Christus. „Und solche Menschen gestalten eine vitale Gemeinde und die zieht wiederum Menschen zum Evangelium.“
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Dieses Konzept der lebendigen Gemeinde hält auch Barry Sloan für erfolgsversprechend. Er ist Pastor der methodistischen Kirche und betreibt zusammen mit anderen Christinnen und Christen in Chemnitz das Stadtteilprojekt „Inspire“. „Niemand will missioniert werden“, hält Sloan fest. Stattdessen müsse man sein Leben mit den Menschen teilen und durch das christliche Verhalten käme Jesus dann dazu. „Und wenn dann Fragen aufkommen, kann man aufrichtig von seinem Glauben erzählen, ohne dass es im schlechten Sinne missionarisch wirkt“, so Sloan. In diesem Zusammengang passend ist auch der Grundsatz von Sandra Bils von „Kirchehoch2“: „Belonging before believing“ (Dazugehören vorm Glauben).
Dieses Gefühl von Dazugehörigkeit spielt auch in der Jugendarbeit eine immense Rolle. Die Kirchen müssten sich von der „Komm-Struktur“ verabschieden, so Lena Niekler vom Institut für missionarische Jugendarbeit der CVJM-Hochschule. Es gibt ein so großes Angebot zur Freizeitgestaltung für die Jugendlichen, dass die kirchliche Jugendarbeit da einen Mehrwert, eine Heimat bieten muss und nicht darauf warten kann, dass die Jugendlichen schon kommen werden. „Bei der Fresh X Jugendarbeit ist es so, dass wir da hingehen, wo die Jugendlichen sind, und dort bleiben, um zu sehen, was wächst, wenn wir Beziehungen zu ihnen aufbauen“, so Niekler. Das sei oft ein Abenteuer und erfordere es, einen Schritt aus der eigenen Komfortzone zu machen, doch sehr oft lohne es sich. Dabei dürfe man eins jedoch nicht vergessen, so Niekler: „Wir machen Jugendarbeit nicht für, sondern mit den Jugendlichen. Wir setzen ihnen nichts vor, was sie dann passiv konsumieren können, sondern gestalten etwas miteinander.“
Ein „Schema F“ für eine erfolgreiche Jugendarbeit gebe es dabei nicht, weil es etwas Einzigartiges brauche, was zum Ort und den Menschen passe. Man müsse ganz genau hinhören, was Jugendliche wollen und sie nach ihren Wünschen und Bedürfnissen fragen. Und wenn dabei, wie eine Teilnehmerin erzählt, herauskommt, dass die Jugendlichen gern in eine Trampolinhalle fahren wollen, dann leiht man sich einen Bulli und fährt ein paar Mal mit ihnen dorthin. „Manchmal müssen wir in der Jugendarbeit auch Kulturschocks hinnehmen, um eine Initialzündung auszulösen“, erklärt Niekler. Sobald man dann eine Beziehung zu den jungen Menschen aufgebaut habe, käme man auch in Gesprächen dazu, über Gott, den Glauben und die Werte zu reden, die einen selbst tragen und motivieren.
Dass es genau so funktionieren kann, hat auch Pastoralreferent Björn Hirsch mit dem überkonfessionellen Netzwerk „All for One“ in Fulda festgestellt. „Viele junge Menschen sind post-konfessionell. Sie wollen einfach nur Christ sein“, erzählt er. Die Grundwerte wie Respekt, Liebe, Toleranz und Offenheit zählen, deshalb sei es für sie kein Problem, wenn sie aus verschiedenen geistlichen Traditionen und Glaubensgeschichten (oder auch gar keinen) zusammenkommen. Bei der Gestaltung des Angebots sei es wichtig, es individuell auf die Zielgruppe zuzuschneiden. Fritz-Cola statt Früchtetee könne da manchmal schon helfen. „Es geht nicht darum, was wir gerne machen und wie wir sprechen. Es geht darum, was die Jugendlichen gern machen und wie sie sprechen“, so Hirsch.
Bei allen Angeboten in der Jugendarbeit, darin sind sich Lena Niekler und Björn Hirsch einig, darf es nicht darum gehen, den Sinkflug der Kirchenmitgliedschaftszahlen aufzuhalten. Stattdessen stünde die Frage im Mittelpunkt, wie die gute Nachricht für die Jugendlichen in diesem Kontext aussieht und wie man sie ihnen näher bringen kann. „Fresh X Jugendarbeit beginnt mit unserer Leidenschaft für Gott und junge Menschen“, so Lena Niekler.
Lena Ohm (evangelisch.de)