Seelsorge in der Corona-Pandemie
Einleitende Gedanken des Ratsvorsitzenden zur Fachkonferenz Seelsorge und Beratung
Wer ist Seelsorgerin, wer Seelsorger? Was ist seine Rolle, seine Haltung? Diese Frage hat sich in der Coronapandemie möglicherweise für viele in besonderer Weise gestellt. Ist es die glaubensgewisse Person, ist es die selbst verwundete Person? Wahrscheinlich immer beides.
Seelsorge gründet im Zentrum des Glaubens, in Jesus dem Christus. Und auch in ihm ist beides: Die Glaubensstärke und die Verwundbarkeit. In ihm gehen die beiden Spuren von Psalm 22 und Matthäus 28 zusammen: »Mein, Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!« und »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden… und siehe ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende.« Seelsorgende werden immer mit beidem in die Begegnung gehen.
Auch die Gattung der Seelsorge ist eine doppelte. Die Kirche übt und gestaltet sie einerseits individuell und andererseits gesellschaftlich-öffentlich. Durch die Pandemie haben sich die Vorzeichen allerdings signifikant gewandelt: Die menschliche Nähe – der Ausgangspunkt aller Vertrauensgespräche – ist zur Bedrohung geworden, zur Gefahrenquelle. Schutzkleidung ist nötig und das schafft Distanz, die in der Seelsorge gerade überbrückt werden soll. Und die vielen Vorgaben und Regelungen schränken die Handlungsmöglichkeiten der Seelsorgerinnen und Seelsorger ein und beschneiden die Selbstbestimmung derer, die in der Krise dringend Rat und Beistand suchen.
Dennoch: Kontakt und Nähe, Zuwendung ist möglich. So wirken Fernsehgottesdienste, Live-Streams und vieles andere mehr auch seelsorglich in diesen Zeiten. Die religiöse Kommunikation ist, wenn der Kontext stimmt, selbst immer auch öffentliche Seelsorge. Allerdings ersetzen diese online- oder digitalen Formate nicht die persönliche Begegnung. Wir haben viel über neue Möglichkeiten des Miteinanders gelernt, digitale Medien helfen über viele Beschränkungen hinweg. Ein Tablet im Altenheim ersetzt keinen Besuch, aber schafft doch ein gewisses Maß an Kontakt. Wir werden diese Erfahrungen für die Zukunft unserer Arbeit in der Seelsorge auswerten.
Natürlich spielt auch die öffentliche Trauer für das seelsorgliche Handeln eine wichtige Rolle. Zumal viele Beerdigungen nicht in der gewünschten und notwendig tröstenden Form haben stattfinden können. Die Begleitung der Angehörigen musste oft sehr eingeschränkt stattfinden. Das hat Verletzungen hinterlassen. Daher unterstützen wir einen öffentlichen Staatsakt für die Corona-Toten, wie ihn der Bundespräsident schon länger im Auge hat, und die Kirchen werden dabei sein.
Ist unser Trost deutlich genug zu Wort gekommen?
Was uns in der öffentlichen Kommunikation im letzten Jahr sehr umgetrieben hat und nach wie vor umtreibt, ist das sich hartnäckig haltende Narrativ, dass die Kirche und ihre Bischöfe geschwiegen hätten. Möglicherweise hat dieses Narrativ auch mit Verschiebungen unseres Gottesbildes zu tun. Mit der Kirche wird ein allmächtiger „deus ex machina“ verbunden. Ein Gott, der „von oben her“ alles lenkt, alles kontrolliert und entsprechend in den Lauf der Welt eingreift, entweder zur Strafe oder zu Rettung.
Dieses Gottesverständnis geht also davon aus, dass Gott das Virus von uns wegnehmen könne, wenn wir ihn nur intensiv darum bitten. Die Kirche ist gleichsam zuständig dafür. Dass die Kirche solche Erwartungen nicht erfüllen kann, liegt auf der Hand. Sie beruhen auf einem fraglichen Gottesbild, das dem „verwundeten Christus“ entgegensteht. Es kann nur Enttäuschung auslösen.
Dennoch bleibt als selbstkritische Frage an uns als Kirche: Ist unser Trost deutlich genug zu Wort gekommen? Warum haben Medien unsere Angebote, diesen Trost öffentlich zu machen, nicht angenommen, uns nicht diese Relevanz zugesprochen? Darüber wird in der Zukunft noch intensiver zu reden sein. Wie – das ist die Frage – können wir unsere öffentlich-kommunikative Seelsorge stärken?
In allem selbstkritischen Fragen und Ringen ist klar: Wir bestehen diese herausfordernde Zeit nur mit einer Haltung der Barmherzigkeit, insbesondere Barmherzigkeit gegenüber uns selbst und untereinander. Die Dilemmasituationen sind zu komplex, um sie ohne Verwundungen aufzulösen. Darum brauchen wir Barmherzigkeitserfahrungen und solche der Vergebung, denn von ihnen leben wir – in der Seelsorge, aber nicht nur dort. Die Jahreslosung gewinnt existenzielle Bedeutung: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“