Wo sind eigentlich Himmel und Hölle?
Traditionelle Vorstellungen und Spekulationen über die Orte jenseits menschlicher Erfahrung
An Himmelfahrt sind sie unterwegs, die Männer- und Frauenclubs, die Wanderer, Radler und Kutschenfahrer. Zum Vatertag hat sich dieser Tag säkularisiert. Doch im Kalender steht „Himmelfahrt“, und so bleibt unübersehbar: Dies ist ein christlicher Feiertag.
40 Tage nach Ostersonntag, an einem Donnerstag, feiern die Kirchen die Rückkehr Jesu zu seinem Vater in den Himmel. Im Lukasevangelium (Kapitel 24,51) und in der Apostelgeschichte (Kapitel 1,9) ist davon die Rede, dass Christus in den Himmel erhoben wurde. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis beten Christen, dass Christus „aufgefahren (ist) in den Himmel“. Und genau so ist es auf volkstümlichen Abbildungen: Da entzieht sich Christus nach und nach den Blicken der Zuschauer. Oft bleiben nur seine Füße erkennbar, die in Wolken entschwinden. Oder ein kräftiger Arm zieht Christus nach oben.
Wo genau ist eigentlich der Himmel? Mit dem Hinweis auf die Wolken ist diese Frage nicht erschöpfend behandelt. Und doch zeigen Wandgemälde des Mittelalters und der Renaissance Gott als Richter am blauen Firmament, hoch über der Welt schwebend. Er ruft die Menschen, die sich im Leben bewährt haben, für immer an seine Seite. Wer im Jüngsten Gericht hingegen verurteilt wird, muss mit dem Schlimmsten rechnen: dem Absturz in den feurigen Untergrund – so die biblisch-apokalyptische und mittelalterliche Verkündigung.
Keine Ortsbeschreibungen des Infernos
Dante Alighieri, Italiens größter Dichter, hat in seiner „Göttlichen Komödie“ Anfang des 14. Jahrhunderts die Hölle in ihrer ganzen Vielfalt ausgemalt und nicht nur Kleriker und Politiker hineingesteckt, sondern auch den Propheten Mohammed, dessen Körper von Teufeln zerfetzt und immer wieder neu zusammengesetzt wird. Da wundert es nicht, dass die italienische Polizei Dantes Grab in Ravenna schützen muss. Auch der Koran spart nicht mit Drohungen: Sündige Muslime müssen in der Hölle kochendes Wasser trinken.
In den Reden Jesu gibt es zwar Anknüpfungspunkte für Höllenvorstellungen, aber keine dezidierte Höllentheologie oder gar Ortsbeschreibungen des Infernos. Am Ende der Welt, so heißt es zum Beispiel im Matthäusevangelium (Kapitel 13,42f.), werden Engel die bösen Menschen von den Gerechten trennen. Die Bösen werden dann in einen Feuerofen geworfen, „dort wird Heulen und Zähneklappern sein“. Und über das Weltgericht heißt es: Nach dem Urteilsspruch werden die Verfluchten mit dem Teufel und seinen Helfern ins „ewige Feuer“ geworfen (Kapitel 25,41).
Die kirchliche Malerei hat sich dieser Texte ausgiebig angenommen. Mit die drastischste Darstellung kann man zum Beispiel in der Kuppel des Domes von Florenz sehen. Dort quälen Teufelsgehilfen die Verurteilten mit brennenden Stangen.
Gnade wichtiger als Gericht
Eine ausgefeilte theologische Lehre zum Himmel oder zur Hölle gibt es allerdings nicht. Beschreibungen, was Menschen im Himmel erwartet, verweisen viele Theologen in das Reich von Spekulationen. Seit mehr als hundert Jahren ist in den Kirchen, vor allem den evangelischen, das Interesse an konkreten Vorstellungen allerdings verloren gegangen. Ein Konsens, was der Himmel sei und wo er sich finden lasse, besteht am ehesten noch in der Aussage: Der Himmel ist der „Ort“, an dem die Menschen Gott nahe sind. Er ist kein für sie unerreichbares Jenseits, denn Jesus Christus hat ihn für die Menschen geöffnet.
Die Hölle als Zustand größter Qual, der Himmel als Welt größten Friedens und der Gottesnähe: Diese Bilder sollen Menschen zum Guten anleiten. Nach christlicher Überzeugung hat Christus die Hölle grundsätzlich bezwungen, das zerrissene Leben geheilt. Karl Barth (1886–1968), der Basler Theologieprofessor, betonte deshalb immer wieder, wie wichtig es sei, gerade die gütigen Seiten Gottes in den Blick zu nehmen, seine Gnade wichtiger zu nehmen als die Botschaft vom Gericht. Er riet den Christen, die Hölle nicht interessanter zu machen als den Himmel. Das würde er, auch angesichts des religiösen Fundamentalismus aller Art, heute kaum anders formulieren.
Eduard Kopp (chrismon)