Mit Familien für Familien
Zehn Orientierungslinien der evangelischen Kirche und Diakonie
Warum setzen sich die evangelische Kirche und die Diakonie für Familien ein?
Die Familie ist eine grundlegende Form des menschlichen Lebens. Sie prägt die Persönlichkeit. Sie schafft Lebenschancen und schenkt Erfahrungen von Sinn, Freude, Liebe und Verantwortung. Sie kann aber auch Benachteiligungen und große Belastungen an die nächste Generation weitergeben. Die Evangelische Kirche und die Diakonie sehen mit Respekt und Anerkennung, wie bedeutsam Familien sind und was sie leisten – und wollen sie deshalb fördern und unterstützen. Denn viele Eltern und Kinder stehen unter Druck: Sie gestalten ihr Familienleben zwischen beruflichen Anforderungen, den eigenen und den gesellschaftlichen Erwartungen an Bildung und Erziehung und oftmals begleitet von finanziellen Sorgen. Kirche und Diakonie sind hier als Anwältinnen der Familien gefragt.
Wo Familien die Kirche nicht begeistert mitgestalten, verliert die evangelische Kirche geistlich bedeutsame Vielfalt: Nämlich den Reichtum der Erfahrungen und Formen in der Annäherung an Gott und die Welt, die jede Generation anders lebt. Eine Kirche ohne Familien büßt an Lebendigkeit und Spiritualität ein. Gleiches gilt für Familien ohne Verbindung mit dem Glauben. In Zeiten schwindender Ressourcen müssen Kirche und Diakonie klar auf den Punkt bringen, warum Familien ihnen so wichtig sind und warum sie sich für Familien engagieren.
Deshalb gilt es, sich angesichts wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse immer wieder zu vergewissern, was Familien sind und ihre Lebenswirklichkeit und Mitgestaltungskraft wahrzunehmen.
Für wen sind die Orientierungslinien?
Die Orientierungslinien richten sich an Menschen, die in Kirche, Diakonie und Wissenschaft Entscheidungen treffen. Sie fassen in zehn Sätzen zusammen, woran sich ein nachhaltiges evangelisches Engagement mit und für Familien orientiert.

Zehn Orientierungslinien der evangelischen Kirche und Diakonie

Alle Familien gestalten aktiv das Leben und ihre Beziehungen. Sie verbindet, dass mehrere Generationen miteinander leben und füreinander Verantwortung übernehmen. Das entspricht dem bunten biblischen Befund: Seit jeher ist das, was Familien unter „Familie“ verstehen, im Wandel.

Die evangelische Kirche und die Diakonie erkennen das Selbstverständnis von Familien in ihrer Vielfalt an, nehmen Familien in all ihren Lebensformen ernst und schätzen sie. Als Verantwortliche in Kirche und Diakonie sind wir herausgefordert, unsere eigenen Familienbilder immer wieder aus dieser Haltung der Aufgeschlossenheit und Menschenliebe heraus zu hinterfragen und zu reflektieren.

Zum Auftrag der evangelischen Kirche und der Diakonie gehören die konkrete Hilfe zum Leben und die Anwaltschaft für Menschen. Daher nehmen Kirche und Diakonie Einfluss auf die Gestaltung und Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Leben von Familien. Menschen, die vor Ort mit Familien arbeiten, nehmen wahr, wie unterschiedlich Familien leben und was sie brauchen. Sie geben Familien eine Stimme, indem sie gegenüber Politik und Gesellschaft für eine gerechte, förderliche und den Familien und ihren Leistungen gegenüber respektvolle Familienpolitik eintreten.

In Kirche und Diakonie gibt es bewährte und vielfältige Angebote für Familien. Doch Familien müssen oft selbst herausfinden, was für sie an Unterstützung und Hilfe möglich wäre. Verantwortliche für familienorientierte Angebote sind herausgefordert, diese gut aufeinander abzustimmen, zu vernetzen und in Zukunft konsequenter von den Bedürfnissen und Potenzialen der Familien her zu denken. Das geht am besten, indem sie die Familien selbst beteiligen, wenn sie Aktionen und Angebote für Familien planen und weiterentwickeln.

Dass christliche Lebensstile und Traditionen in der Familie weitergegeben werden, ist nicht selbstverständlich. Die Kirche muss sich für die vielfältigen Formen von Spiritualität und religiöser Bildung interessieren, die Familien konkret leben. Wenn Familien anderer Weltanschauung den christlichen Glauben und die evangelische Kirche kennenlernen wollen, sollten Mitarbeitende in Kirche und Diakonie damit sensibel umgehen. Sie laden zum Mitmachen und Mitgestalten ein. Denn Kirche ist da, wo Menschen gemeinsam auf die Suche nach Gott gehen und seine Menschenfreundlichkeit leben und feiern.

Leib und Seele gehören zusammen. Das macht die Lebendigkeit gelebten Glaubens aus. Diese Sichtweise gilt es auch in der Praxis einzulösen: Kirche und Diakonie begleiten Familien bei Übergängen im Lebenslauf, im Jahreslauf und bei großen Festen. Sie unterstützen aber auch bei Abschieden, Krisen und Konflikten. Gute Beispiele sind die evangelische Familienberatung, der Familiengottesdienst, die Familienbildung, die Familienhilfe, die Taufbegleitung, die Kindergartenarbeit, die Familienseelsorge sowie die Familienerholung.

Wo Familien mit kirchlicher oder diakonischer Arbeit in Kontakt kommen und diese wahrnehmen und mitgestalten, bildet sich ein neuer „kirchlicher Ort“. Wie bruchstückhaft auch immer: Dort wird die Botschaft von Gottes Liebe und Menschenfreundlichkeit lebendig. Familien können hier miteinander in der Weite der evangelischen Kirche Momente teilen, in denen sie Lebensfreude, Hoffnung, Glaube, Zuversicht, Trost und praktische Lebenshilfe erfahren. Das kann auch auf neue und ungewohnte Weise entstehen.

Von den Bedürfnissen und Interessen der Familien her zu denken, hat zur Folge: Alle, die in einem bestimmten Sozialraum mit Familien tätig sind, müssen gut vernetzt sein. Dies bedeutet, direkt auf Familien zuzugehen und sie einzubinden. Dort, wo Familien leben, bringen lokale Kooperationspartner im Quartier familienorientierte Angebote gemeinsam auf den Weg. Kirchengemeinden, diakonische und kirchliche Einrichtungen sowie Bildungsorganisationen sollten so eng wie möglich mit allen anderen Akteuren für Familien zusammenarbeiten. Vor Ort kann das unterschiedlich aussehen. Kirche oder Diakonie brauchen bei einer Kooperation nicht immer „den Hut aufzuhaben“. Wichtig ist stets: Nichts darf über den Kopf der Familien hinweg geplant werden. Sie haben Ideen, wie sie leben und glauben wollen.

Damit die Kirche und die Diakonie in Zukunft den Sozialraum als Lebensraum von Familien immer mitdenken, brauchen sie neue Kompetenzen: Wer mit Familien arbeitet und Angebote plant, muss lernen, wie Vernetzung und Kooperation – auch in den politischen Raum hinein – praktisch funktionieren. Kompetenzen für die Arbeit im Sozialraum müssen Teil der Aus- und Fortbildung von Pfarrer*innen, Diakon*innen/Gemeindepädagog*innen, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen, Religionslehrer*innen, Berater*innen, Erwachsenenbildner*innen, Musiker*innen und Ehrenamtlichen sein, die in der Arbeit mit Familien Verantwortung tragen. Evangelische Bildungseinrichtungen für Familien, Familienzentren oder Mehrgenerationsprojekte sind der ideale Ort, um interprofessionell zusammen zu arbeiten.

Eine für Familien engagierte Kirche und Diakonie wird durch Familienorientierung selbst so bunt und vielfältig, wie es dem Evangelium entspricht. Daher fördert jedes evangelische Engagement mit und für Familien immer auch die Weiterentwicklung der Kirche.
Nicht nur Kirchengemeinden, auch diakonische Dienste und Bildungseinrichtungen im Sozialraum gestalten und verantworten eine familienorientierte Kirchenentwicklung mit. Umgekehrt sollte bei jedem Vorhaben zur Weiterentwicklung der Kirche die Prüffrage gestellt werden, ob Familien und ihre Belange berücksichtigt sind. Wenn die Kirche ihre Türen in diesem Sinne öffnet und auf Familien zugeht, kann sie sich weiterentwickeln.