"Friedliche Revolution" und nicht "Wende"
2009 bietet vielfältig Gelegenheit zum Rückblick auf die großen Umbrüche vor 20 Jahren
Von Hans-Jürgen Röder (epd)
Berlin (epd). Die Fülle an Schriften, die die großen Umbrüche in der DDR im Herbst 1989 beschreiben und deuten, könnte kaum größer sein. Und dennoch erscheinen die Ereignisse, die vor 20 Jahren Staat und Gesellschaft in Ostdeutschland so grundlegend verändert haben, manchem auch heute noch wie ein Wunder.
Für andere sind die Geschehnisse vom Herbst 1989 so hinreichend klar, dass sie kaum Sinn darin sehen, darüber noch lange zu diskutieren. Dennoch wird es auch im nächsten Jahr, wenn sich das Revolutionsjahr 1989 zum 20. Mal jährt, genügend Anlass geben, darüber zu streiten, wer und was die Veränderungen befördert oder behindert hat.
Dabei steht außer Frage, dass die Friedliche Revolution vielen zu verdanken ist. Und längst nicht alle hatten das gleiche Ziel. Zudem wollte die herrschende SED mit ihrer vergreisten Führung alles andere als Veränderung. Aber sie trug mit ihrer starren Haltung unabsichtlich zum Entstehen der Reformgruppen und deren Erfolgen erheblich bei.
Einen maßgeblichen Anteil an den Veränderungen hatten vor allem Gruppen wie das "Neue Forum", die Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt", die "Sozialdemokratische Partei" und der "Demokratische Aufbruch". Ohne ihr Engagement bei den zahlreichen Demonstrationen und an den ungezählten Runden Tischen im Land wäre es sicherlich nicht zu einem geordneten Übergang von der SED-Diktatur in die freiheitliche Demokratie gekommen.
Wesentliche Vorarbeit für diese Initiativen haben wiederum die vielen kleinen Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen geleistet, die zumeist im Laufe der 80er Jahre entstanden sind: teils als kirchliche Basisgruppen, teils als unabhängige Initiativen, die unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche tätig waren.
Aber auch die evangelische Kirche selbst hat maßgeblich zum Gelingen der Revolution beigetragen. Denn mit ihren demokratisch gewählten Leitungen bot sie immer wieder die Chance, parlamentarische Arbeits- und Entscheidungsprozesse einzuüben. Hinzu kommt, dass sie auf Synoden oder in Erklärungen ihrer Leitungen viele der Probleme zur Sprache brachte, die die Menschen in der DDR-Gesellschaft beschwerten.
Das Verdienst der Kirche beruht aber nicht zuletzt auch darauf, dass sie durch ihr Friedensengagement maßgeblich zu einem gewaltlosen Verlauf der Umwälzungen in den Jahren 1989 und 1990 beigetragen hat - und das nicht nur durch die zahlreichen Fürbitten und Friedensgebete, die den meisten Demonstrationen vorausgingen. Der wiederkehrende Ruf "Keine Gewalt" und der weithin friedfertige Umgang der Demonstranten mit Polizei und Stasi-Mitarbeitern sind dafür nur Beispiele.
Einen besonderen Beitrag leistete nicht zuletzt auch der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow. Seine auf Glasnost und Perestroika gerichtete Politik ließ ihn seit Mitte der 80er Jahre zum Hoffnungsträger der Reformkräfte im Ostblock werden. Mit seiner Politik nahm er den greisen SED-Genossen zudem die Hoffnung auf militärischen Beistand im Kampf gegen die eigene Bevölkerung, wie das beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 der Fall war.
Die allerdings war in einem Maß gespalten wie selten: In einen Teil, der sich mit den Verhältnissen im Land abgefunden hatte, in einem zweiten Teil, der dagegen aufbegehrte und ähnlich wie in Polen immer nachdrücklicher Reformen einforderte, und einem dritten Teil, der in der DDR keine Lebensperspektive mehr sah und darum auf Ausreise in den Westen drängte. Auch deren Vorgehen trug nicht unwesentlich zum Ende der DDR bei.
So lässt sich vieles im Rückblick durchaus nachvollziehbar darstellen. Ein einhelliges Gesamtbild ist daraus aber wohl auch im Jubiläumsjahr 2009 nicht zu erwarten - aller sorgfältigen Aufarbeitung zum Trotz. Was nur einmal mehr bestätigt, dass sich vieles vielleicht gar nicht so eindeutig erklären lässt. Auch darum mag das Geschehen vom Herbst 1989 für manchen noch heute als Wunder erscheinen.
30. Dezember 2008