Predigt zur Entpflichtung von Präsident Ulrich Lilie in der Französische Friedrichstadtkirche Berlin
Bischöfin Kirsten Fehrs, amtierende Ratsvorsitzende der EKD
Liebe Brüder und Schwestern,
liebe Familie Lilie, lieber Präsident der Diakonie Deutschland, lieber Ulrich,
tatsächlich? Tatsächlich ist es heute nun so weit. Verabschiedung. Nach 34 Jahren energischem, seelsorgerlich-zugewandtem, theologisch-klugem Pfarrersein – Ruhestand, oha. Und das aus vollem Lauf heraus, will mir scheinen: Nach letzter wichtiger Unterschrift eben gerade noch, nach letztem Fernsehgottesdienst in Hamburg-Alsterdorf, just Sonntag noch, nach letzter Kirchenkonferenz am Donnerstag. Gemächlicher Übergang jedenfalls ist was anderes.
Das Schöne dabei: Es fängt nun Neues an, mit 66 Jahren, nun geht’s mit Familie, Hund und Freude ins nächste Leben. Ohne all die Diakonie- und EWDE-Pflichten, die du – so habe ich es stets wahrgenommen – gerade nicht pflichtschuldig, sondern mit großer Liebe, Empathie und freiwillig ausgefüllt hast. Als wahrlich segensreichen Dienst an allerhöchster Stelle für die Diakonie und zugleich als ein Freiwilligen-Dienst der besonderen Art.
Apropos – hoffen wir, dass bei der nächtlichen Einigung zum Bundeshaushalt die eigentlich schon zurückgenommenen Kürzungen im Bereich der Freiwilligendienste nicht doch noch durchgesetzt werden. – Du hast mit so vielen anderen Entscheidendes dafür getan, dass die Freiwilligendienste auch nach 2024 finanziell auskömmlich aufgestellt sind!
Alles #ausLiebe eben. Ein Motto, das – hättest du es nicht mit erfunden – dich selbst hätte meinen können ... Denn #aus Liebe – das steht für deine ganze Persönlichkeit. Für deine Arbeit, deine Leidenschaft für die Gerechtigkeit, für deinen kritischen Geist, deinen Führungsstil auch, und für deinen vitalen Trotz und deine Herzlichkeit.
Wenn man jedenfalls deine beruflichen Stationen anschaut, hast du wohl kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um der bedingungslosen Liebe Gottes mit der dir eigenen kreativen Unruhe mit auf die Welt zu helfen. Ob als Gemeindepastor in Karlsbrunn und später in Düsseldorf, ob als Seelsorger im Krankenhaus und später besonders hingebungsvoll im Hospiz, ob als Superintendent oder Theologischer Vorstand der Graf-Recke-Stiftung in Düsseldorf oder nun hier als Präsident der Diakonie Deutschland seit 2014 – du hast gemeinsam mit vielen Mitstreiter:innen ideenreiche Wege gefunden, diese Liebe Gottes zu erden. In Wärmeräumen für die Gesellschaft. In den Sterbezimmern coronaler Einsamkeit. Inmitten vom sozialen Elend – unerhört! – in diesem trotz Krise immer noch reichen Land. Neu hinhören sollen wir – damit die Liebe tatsächlich, damit sie eine Tatsache wird, am besten gleich „Hier&Wir“, das geht ja gar nicht anders als gemeinsam, Diakonie als Kirche und Kirche als Diakonie.
Für Gottes bedingungslose Liebe hast du oft schöne Worte gefunden. Schön – weil liebevoll, humorvoll, treffend. So beispielsweise hast du zu Weihnachten einmal in einer Kolumne geschrieben: „Der Hummer hat einen festen Platz im Stall.“
Der Hummer? Ja, aber klar! Bezogen hast du dich dabei auf einen Film, den auch ich zu meinen Lieblingsfilmen zähle (und der just seinen 20. Geburtstag feiert): Tatsächlich Liebe! Gleich elf herrlich komische, aber auch anrührende Liebesgeschichten verwickeln sich hier zu einer einzigen großen Erzählung. Einer Weihnachtserzählung. Sie zeigt, was es tatsächlich bedeuten kann fürs richtige Leben, wenn Gott Mensch wird. So wie wir. Klein, dick, schüchtern, im siebten Himmel, enttäuscht, traurig, sehnsüchtig. Mann zu Frau zu Frau zu Kind. Weihnachten, so deine klare Deutung, ist die große Inklusion Gottes. Da gehören alle dazu.
Und genau das hast du dann an folgender kleinen Szene illustriert. Da erzählt die kleine Tochter ihrer Mutter aufgeregt: „Sie haben die Rollen verteilt für das Krippenspiel!“ –
„Oohh!“ staunt die Mutter und schaut erwartungsvoll ihre Tochter an.
„Ich bin der Hummer!“ strahlt das Mädchen.
„Der Hummer?“ „Ja.“
„Das soll ein Krippenspiel sein?“ „Ja! Ich bin der erste Hummer!“
„Bei Jesu Geburt waren sogar mehrere Hummer anwesend?“ „Ja, aber klar.“
Wie sich später herausstellt, ist das ganze Krippengeschehen einigermaßen maritim geraten. Der Freund des Mädchens tritt als Oktopus auf und überhaupt sieht der Stall eher wie ein Aquarium aus. Doch als sie singen, wie nur Kinder es singen können: „Mary had a little Baby“, die Maria mit dem Baby im Arm, ist es gleich, ob’s der Hummer ist oder der Esel: Alle haben sie Raum in der Herberge Gottes. Ob andächtig, angeheitert, nachdenklich oder abgehängt – zur Krippe können alle kommen. Ausnahmslos. Sie ist der Sozialraum per excellence. Mit dem Krippenkind, mitten unter uns, auf das alles zuläuft – mit seiner Menschenfreundlichkeit, in dessen Licht Würde eben kein Konjunktiv bleibt. Sondern Tatsache wird.
Und alle, sagst du, finden sich ein. Haben einen festen Platz im Stall. Hirte, Engel, Floh, Hummer 1 – und Hummer 2 natürlich auch. Eine einzige offene, vielfältige Gesellschaft, die große Inklusion Gottes. Keiner soll, keine darf draußen bleiben. Alle sind willkommen. – Und alle meint alle.
Wie klug, lieber Uli, hast du immer wieder solche Worte und Bilder und Hashtag-Aktionen gefunden, um das auf den Boden der Tatsachen zu holen, was wir als das Zentrum einer inkarnatorischen und inklusiven Theologie verstehen. Und wie es darin um das Wesen einer diakonischen Kirche und einer kirchlichen Diakonie geht, die wirklich hinaus in diese Welt geht und Evangelium lebt. Und zwar grenzenlos #aus Liebe. Die aber genau dort die Grenzen setzt, wo Lieblosigkeit, Verletzung und soziale Ungerechtigkeit, ja, wo ausschließlich das Recht des Stärkeren sich durchzusetzen drohen.
Und natürlich führt das zu Debatten. Zu politischer Auseinandersetzung. Du bist dem nie ausgewichen. Hast Gegenwind bekommen. Position bezogen, und dann wieder die Hand gereicht. Bei der Debatte um den assistierten Suizid etwa, die ja letztlich einen guten, klärenden Kommunikationsprozess in Gang gebracht hat, ist deutlich geworden, was man dabei als dein Credo bezeichnen könnte. Nämlich erst einmal die richtige Frage zu stellen. So wie es sich in dem dich leitenden Wort Jesu widerspiegelt: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Das ist‘s! Die richtige Frage finden, um gemeinsam darüber nachzudenken, was heilsam ist. Die zusammenbringt und nicht auseinandertreibt.
Was willst du, dass wir‘s tun? Und zwar genau? Und so geht es gerade im Existentiellen immer um ernsthaftes Abwägen von vielen Emotionen, darum, die divergierenden Interessen zu verstehen und bisweilen auch auszuhalten, dass sich Differenzen und innere Konflikte nicht immer schnell lösen lassen. Verbunden ist das bei dir immer mit einer hohen Zuneigung zu denen, die tragen, helfen, pflegen. Und zu denen, die allzu schnell übersehen und überhört werden und inmitten all der Krisen überfordert sind: Kinder eben und Jugendliche, Menschen mit Behinderung, Kranke, von Armut Betroffene, Alte und Sterbende.
Danke, dass du dich um ihretwillen unerhört tatkräftig eingemischt hast. Dass du ganz in der Nachfolge Jesu immer den Möglichkeiten auf der Spur warst – und nicht den Unmöglichkeiten stattgegeben hast. Visionär. Inspirierend für viele. Und herausfordernd zugleich. Denn sicherlich war‘s nicht immer unkompliziert, wenn du zwar eine Idee hattest, aber (noch) keinen Plan. Dennoch – die Vision trägt. Kein Mensch darf draußen bleiben. Alle gehören zur Krippe. Und alle meint alle! Danke dir für jedes klare Wort!
Und nun. Wes das Herz voll ist, der kann nicht stillhalten, lieber Uli. Der will weiterdenken, hoffen, schreiben – und Fahrrad fahren. Tomaten züchten. Pastarezepte ausprobieren. Ruhestand her oder hin – die Ideen werden dir nicht ausgehen, so viel ist sicher. Wichtig, dass du für alles was kommt, den großen Dank von uns mitnimmst: Du bist und bleibst ein Geschenk für die Welt und (d)eine diakonische Kirche.
Und ja, so hieß es auf der Einladung: Manchmal heißt Liebe, jemanden gehen lassen. Das machen wir nun – tatsächlich. Aber nur mit dem allerreichsten Segen, großer Zuneigung, aufrichtigem Respekt und – mit dem erfüllenden Frieden Gottes, höher als alle Vernunft. Amen.