"Wir brauchen den Mut zu neuen Wegen"
Gemeinde am Bodensee macht Angebote für Neu- und Wiederentdecker der Kirche
Die Kirchengemeinde Böhringen am Bodensee hat seit zwei Jahren ihre Gemeindearbeit umgekrempelt: Sie hat sich neue Schwerpunkte gesetzt, um vor allem die weniger aktiven Gemeindemitglieder zu mobilisieren. Als sogenannte Quellgemeinde wartet sie nicht darauf, dass die Menschen zu ihr kommen, sondern geht mit ihren Angeboten gezielt nach außen.
Pfarrer Markus Weimer im Gespräch über diesen alternativen Ansatz.
Herr Weimer, worum geht es bei Ihrem Modell?
Die Quellgemeinde ist zunächst kein Modell, sondern eine Haltung. In der Apostelgeschichte wird von der jungen Gemeinde in Antiochia berichtet, die zu einer Quelle für ihr Umfeld wurde. Ein Vortrag darüber, den ein englischer Bischof vor zwei Jahren hielt, hat uns sehr berührt. Sieben Merkmale zeichneten diese Gemeinde aus: Man spürte Ermutigung, einen Christus-Fokus, eine demütige Leitung, die Vision des Wachstums, Großzügigkeit, die Haltung des Gebets und die Bereitschaft, sich zu verschenken. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren sehr viel investiert, um unsere Haltung als Gemeinde zu überprüfen und zu verändern. Ein sehr spannender und wertvoller Weg.
»Unser Ortsvorsteher hat vor ein paar Jahren bemängelt, dass er nichts von der Existenz der Kirchengemeinde spüre. Das war wachrüttelnd.«
Was haben Sie mit dieser Bereitschaft zur Veränderung erreicht?
Nun, die beschriebene Haltungsänderung hat natürlich Ausstrahlung. Plötzlich dreht sich nicht mehr alles um die Kerngemeinde. Unser Ortsvorsteher hat vor ein paar Jahren bemängelt, dass er nichts von der Existenz der Kirchengemeinde spüre. Das war wachrüttelnd. Wir spürten, dass unser Auftrag sehr viel weiter ist. In einer Lichtträgeraktion haben wir beispielsweise am Ewigkeitssonntag alle evangelischen Haushalte besucht und ein Licht mit einem Bibelvers verteilt. Einfach ein Segensgruß in die Adventszeit hinein. Mittlerweile sind wir auch in kommunalen Prozessen integriert und haben zum Beispiel gemeinsam mit der Grundschule, dem Sportverein und der katholischen Kirchengemeinde ein Weihnachtsmusical in der Mehrzweckhalle organisiert. Das hat viel im Umfeld bewirkt.
Wie hat sich die Gemeinde seitdem entwickelt?
In den vergangenen 24 Monaten ist unglaublich viel geschehen. Wir haben durch intensive Fundraising-Aktivitäten eine Gemeindereferentin und vier FSJler anstellen können. Wir haben ein Seminar zum Thema Gebet veranstaltet, das auf sehr hohe Resonanz gestoßen ist. Ehrenamtliche wurden qualifiziert, um einen Glaubenskurs anzubieten, ein Tiefgängerkursus soll die oben beschriebenen Haltungen theologisch durchdringen. In unserem vierjährigen Trainee-Programm sind aktuell circa 70 Jugendliche angemeldet. Diese Gruppe verändert die Gemeinde.
Was kann die evangelische Kirche in punkto Mitgliederbindung und -gewinnung lernen?
Wir brauchen den Mut zu neuen Wegen – nicht nur Impulspapiere. Neben Angeboten für Wiederentdecker von Kirche braucht es einen Paradigmenwechsel. Als Kirchengemeinde arbeiten wir daher an neuen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens, um Kirche für Neuentdecker zu werden.
»Wenn wir uns ebenso um unsere Nachbargemeinde oder die Kommune sorgen, werden wir glaubwürdig.«
Ist Ihr Modell übertragbar als ein Modell der Mitgliedergewinnung für die evangelische Kirche?
Wenn man den Quellgemeinde-Weg als Modell sieht, wird er nicht übertragbar sein. Wenn man sich allerdings an den dahinterstehenden Haltungen orientiert und deren theologische Verortung ernst nimmt, dann kann dieser Weg für viele Gemeinden und die Kirche ein Segen sein. Eine Quellgemeinde ist bereit, das Beste für andere einzusetzen. Wenn wir uns ebenso um unsere Nachbargemeinde oder die Kommune sorgen, werden wir glaubwürdig. Wir dürfen uns nicht länger um uns selbst drehen. Durch ein mutiges, großzügiges Aufbrechen zu den Menschen folgen wir der Spur Gottes, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern kann.
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