Spuren der Ökumene in der Bibel

Der Wunsch nach Einheit angesichts vieler verschiedener Glaubensrichtungen prägt die Christenheit seit ihrer Entstehung. Die biblischen Texte ringen bereits   um das Ideal der Einheit aller Christ*innen.

Den Namen „Ökumene“ bekamen diese Bemühungen um Einheit allerdings erst später. Wo das Wort Ökumene (ἡ οἰκουμένη – „die Bewohnte“) im Neuen Testament auftaucht, da bezeichnet es meist die ganze bewohnte Welt. 

Dem Ringen um Einheit begegnet man in der Bibel vor allem da, wo von Meinungsverschiedenheiten und Abspaltungen in dem noch jungen Glauben an Jesus Christus berichtet wird. Dem Johannesevangelium nach betete Jesus kurz vor seiner Gefangennahme : „…] dass sie alle eins seien“ (Lk 17,20ff.). Doch so einfach konnten die ersten Christ*innen diesem Ideal nicht entsprechen. Immer wieder gerieten sie in Diskussionen und Streit: Was ist die wesentliche Wahrheit des christlichen Glaubens? Wem soll geglaubt werden? Was macht das Christsein eigentlich aus? 
Diese auch in der Bibel beschriebenen Konflikte zeigen: Schon früh gab es unterschiedlich geprägte Gemeinden. 

Ein Beispiel ist ein heftiger Streit zwischen den Aposteln Petrus und Paulus. Es ging um die Fragen, wie mit Nichtjuden und Nichtjüdinnen umgegangen werden sollte, die Christ*innen werden wollten. Sollten sie erst einmal Juden oder Jüdinnen werden und sollten die Männer sich auch beschneiden lassen? Mussten auch sie die Speisevorschriften einhalten? Damals konnte in einer Versammlung (Synode) ein Kompromiss gefunden werden, der eine Spaltung in der Christenheit (zunächst) verhinderte. Eine andere Streitfrage, die früh aufkam, drehte sich um die „Natur“ Jesu Christi: Wie kann das Geheimnis, dass Jesus Gott und Mensch zugleich ist, verstanden und in Worten beschrieben werden? Auch in der Auseinandersetzung mit dem römischen Staatskult mussten Christ*innen neue Positionen entwickeln und sich teils an die Gegebenheiten anpassen, teils abgrenzen lernen. Das führte ebenfalls zur Entstehung neuer Strömungen innerhalb des Christentums.

Orientierung in den Streitigkeiten geben bis heute Erfahrungen und Ermahnungen des hochangesehenen Missionars Paulus, der im ersten Jahrhundert viele Gemeinden im ganzen Mittelmeerraum gründete. Viele seiner Briefe an frühchristliche Gemeinden gehören zur Bibel. Darin ermahnt er beispielsweise die „Brüder und Schwestern“ „mit einer Stimme“ zu reden. „Lasst keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung“, schrieb er im 1. Brief an die Korinther (1 Kor 1,10ff.). Dort hatten sich einzelne Personen und Gruppen verschiedenen Missionaren angeschlossen und voneinander abgespalten; andere wurden als „Irrlehrer“ ausgegrenzt. Doch die Sehnsucht nach Einheit und einem verbindlichen Kern des Glaubens blieb bestehen. Schließlich gehörten alle zu Christus.
 
Paulus beschreibt diese Einheit trotz aller Verschiedenheiten mit einem einprägsamen Bild. Er spricht vom „Leib Christi“, der aus vielen verschiedenen Gliedern besteht, die alle am großen Ganzen mitwirken (1 Kor. 12,12f.). Dahinter steht die Erfahrung: Mit erzwungener Übereinstimmung lassen sich weder Glaubensfragen lösen noch Streit in der Christenheit befrieden. Alle Getauften bilden nur zusammen die Kirche, den „Leib Christi“. Nur so kann Einheit in Vielfalt entstehen.

Der Blick auf das frühe Christentum zeigt also, dass es schon damals keine Einheit gegeben hat. Das Christentum war von Anfang an divers – und profitierte von den Erfahrungen unterschiedlichster Menschen. Nach evangelischem Verständnis ist Vielfalt daher kein „Unfall“ auf dem Weg zur Einheit, sondern ein Zeugnis für die ökumenische Vielgestaltigkeit christlichen Lebens auf der ganzen Welt.