Viel mehr als katholische und evangelische Kirche

Hintergrundinformationen zum Stichwort „Ökumene“

Brennende Kerzen mit dem Schriftzug „Ökumene“

„Ich bitte aber nicht allein für sie,
sondern auch für die,
die durch ihr Wort an mich glauben werden,
dass sie alle eins seien.“

(Johannes 17,20-21a)

Diese Worte von Jesus Christus zeigen sehr deutlich, wie wichtig uns als Christ*innen die Einheit ist. Was aber bedeutet es, dass wir als Christ*innen „eins sein“ sollen? Sind heute alle Christ*innen „eins“ miteinander und wenn nicht – was fehlt uns, um nicht mehr „uneins“ zu sein? Genau dies sind die Fragen der Ökumene. Das Wort „Ökumene“ stammt aus dem Griechischen. Es leitet sich von οἰκέω (wohnen) ab und bezeichnet „das Bewohnte“ oder auch die „ganze bewohnte Welt“. Man könnte also sagen: Ökumene ist die Lehre vom einigen Zusammenwohnen.

Einigkeit kann nur im Gespräch gefunden werden

Das war aber schon unter den Christ*innen in der Bibel nicht der Fall. In der Apostelgeschichte wird von einem großen Streit unter den ersten Christ*innen berichtet; über die Frage, wer zum Christentum dazu gehört und wer nicht. Es kam zu einer Versammlung von Vertreter*innen des Christentums (Apostelgeschichte, Kapitel 15). Die Einigung, die sie damals miteinander gefunden haben, ist bis heute für die Ökumene wegweisend: Sie formulierten zum einen Grundbedingungen, die für jede*n Christ*in gelten sollten. Und sie hielten fest, dass es darüber hinaus Fragen gibt, bei denen man unterschiedlicher Meinung sein – und trotzdem einig zusammengehören kann. Bereits hier wurde deutlich: Einigkeit konnte und kann immer nur im Gespräch gefunden werden.

Diese Themen prägen die Ökumene bis heute: Was gehört zum Notwendigen, zu dem, in dem wir übereinstimmen müssen, um uns als einige Christenheit erkennen zu können? Und was gehört zur Vielfalt, die im Christentum nicht nur möglich ist, sondern auch bereichert und lebendig macht? Muss die Kirche eine einheitliche Organisation sein, damit wir als Christ*innen eins sind? Müssen wir uns einig darin sein, wie wir unsere wichtigsten Handlungen verstehen? Kann es auch Einigkeit unter Kirchen geben, bei denen die eine z.B. vor allem Kinder tauft, die andere nur Erwachsene oder eine dritte gar nicht tauft? Gehört es zu dem Bereich, in dem wir auch ganz verschieden und trotzdem eins sein können, wenn eine Kirche z.B. Bischöfe hat und die andere nicht?

Die ökumenische Bewegung, ihre Versammlungen und Vereinigungen

Im 20. Jahrhundert begann die sogenannte ökumenische Bewegung. Das ist eine weltweite Bewegung, die es sich zum Ziel gemacht hat, Feindseligkeiten untereinander abzubauen und miteinander zu entdecken, was uns eint. Im gemeinsamen Gespräch wird danach gesucht, wo wir Vielfalt zulassen können. Und das wurde als ein Ziel dafür formuliert: in einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Aus der ökumenischen Bewegung sind wichtige Formen der Versammlung unter den Kirchen hervorgegangen. Die wohl bekannteste ist der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der 1948 gegründet wurde.

 

Aus der ökumenischen Bewegung sind auch viele Formen der Vereinigung hervorgegangen: Verschiedene Kirchen haben sich zu einer Kirche zusammengeschlossen. Andere Kirchen haben sich die volle „Kirchengemeinschaft“ ausgesprochen, d.h. sie sind zwar zwei Kirchen geblieben, wirken untereinander aber in allem zusammen. Wieder andere sind seit vielen Jahrzehnten in vertrauensvollen Gesprächen verbunden, in denen man zwar immer noch bleibende Gründe der Trennung wahrnimmt, aber zugleich sieht, dass man dennoch zusammenarbeiten kann – im gemeinsamen Streben nach Gerechtigkeit in der Welt, in der Hilfe für Menschen in Not, in der Arbeit für den Frieden und der Bewahrung der Schöpfung.

 

Das ist vermutlich der wichtigste Aufruf der Ökumene: Lernt euch kennen! Hört zu, wenn mennonitische Christ*innen berichten, warum für sie der christliche Glaube mit einer Ethik absoluter Gewaltlosigkeit verbunden ist. Seid, wenn ihr die Chance habt, einmal bei einer koptischen Osternachtsfeier dabei oder bei einer katholischen Messe… Bis heute kann noch nicht gemeinsam gesagt werden, was es braucht, damit alle eins sind. Christ*innen können aber viel dafür tun, dass sie nicht uneins sind.

„Das ist der wichtigste Aufruf der Ökumene: Lernt euch kennen!“

Was alle Christen ökumenisch vereint, ist der Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn. Die Gemeinsamkeit besteht nicht nur in diesem Glauben, sondern auch im gemeinsamen Dasein auf dieser Welt. Zusammen bewohnen wir diese Welt, es ist unser aller Zuhause.

 

Ökumene ist viel mehr als katholische und evangelische Kirche

Viele Menschen verstehen unter Ökumene die Gemeinschaft von katholischer und evangelischer Kirche. Auch wenn diese wichtige ökumenische Partner sind, ist die Ökumene viel weiter gefasst: Es gibt unzählige christliche Kirchen, die ihren Glauben auf verschiedene Weise leben. Dort kann auch das, was auf den ersten Blick etwas fremd wirkt, beim zweiten Hinsehen faszinierend und inspirierend sein.

 

Zu Ökumene gehört auch die Wahrnehmung der Vielfalt, die zwischen Christ*innen unterschiedlicher Kulturkreise und Weltregionen besteht, selbst wenn diese derselben Kirche angehören („Interkulturelle Theologie“). Über die Hälfte aller Menschen, die nach Deutschland einwandern, sind Christ*innen. Sie bringen ihre Weise, den Glauben zu leben, mit – einen großen Schatz, der das hiesige christliche Leben reicher macht.

 

Eng verwandt mit der Ökumene ist schließlich der interreligiöse Dialog, das Gespräch mit Angehörigen anderer Glaubensüberzeugungen als dem Christentum. Verbindend ist, dass es auch bei diesem Dialog darum geht, friedlich und einig miteinander diese Welt zu bewohnen.

 

Wolfram Langpape

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