Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung des Bundesministeriums der Justiz vom 9. März 2012

Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigen des Rates der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD e.V.


Die Evangelische Kirche in Deutschland und der Diakonie Bundesverband - Diakonisches Werk der EKD e.V. - als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege nehmen zum vorliegenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung wie folgt Stellung:  
 
Gesetzentwurf 
 
Mit dem Gesetzentwurf soll ein neuer Straftatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen werden, welcher die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe soll bestraft werden, „[w]er in der Absicht, die Selbsttötung eines Menschen zu fördern, diesem hierzu gewerbsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“ (§ 217 StGB-E). 
 
Gewerbsmäßig handelt dabei, „wer in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen […], wobei die Tätigkeit von der Absicht getragen sein muss, Gewinn zu erzielen […]“ (Referentenentwurf, S. 10). „Gewähren und Verschaffen einer Gelegenheit setzt voraus, dass der Täter äußere Umstände herbeiführt, die geeignet sind, die Selbsttötung zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern […]“ (Referentenentwurf, S. 10). „Vermitteln einer Gelegenheit setzt voraus, dass der Täter den konkreten Kontakt zwischen einer suizidwilligen Person und der Person, die die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt oder verschafft, ermöglicht, wobei allein der Hinweis auf eine ohnedies allgemein bekannte Stelle nicht ausreicht“ (Referentenentwurf, S. 10). 
 
Der Gesetzentwurf zielt somit auf ein Verbot der kommerzialisierten Form der Suizidhilfe, die Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit zur Selbsttötung bietet, und somit die Selbsttötung von Menschen fördert.  
 
Grundhaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonie Bundesverbandes  
 
Die Evangelische Kirche in Deutschland und der Diakonie Bundesverband sind dem Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde verpflichtet. Dies gilt für das menschliche Leben in seiner Gesamtheit, jedoch besonders in Grenzsituationen. 
 
Diese Grundhaltung formulierte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner Schrift „Wenn Menschen sterben wollen. Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung“ (Hannover 2008). Lebensschutz und die Bewahrung der Menschenwürde stehen in besonderer Weise auf dem Spiel, wenn Menschen ins Leben treten, wenn ihr Leben gefährdet ist und wenn das Leben sich seinem Ende zuneigt. 
 
Das mit dem vorliegenden Referentenentwurf adressierte Problem der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung berührt Grundfragen des christlichen Verständnisses von Leben und Sterben des Menschen. Die Grundsätze, denen dabei zu folgen ist, hat die Evangelische Kirche in Deutschland zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz und anderen christlichen Kirchen in der Schrift „Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens“ (Gütersloh 1989) formuliert. So ist aus christlicher Sicht die Würde der Sterbenden zu achten, die Unverfügbarkeit des Lebens anderer Menschen zu wahren, zum Leben Mut zu machen und beim Sterben zu begleiten. 
 
Eine klare Position hat auch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa in ihrer Schrift „Leben hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit. Eine Orientierungshilfe des Rates der GEKE zu lebensverkürzenden Maßnahmen und zur Sorge um Sterbende“ (Wien 2011) formuliert. In Lebensgrenzsituationen ist es das Ziel evangelischer Bemühungen, „andere zum Leben zu ermutigen, sie zu unterstützen und, wenn möglich, von der Selbsttötung zurückzuhalten.“ In christlicher Perspektive geht es im Umgang mit Krankheit und Sterben darum, „Sterbende zu trösten, ihr Leid zu lindern und ihnen die Gewissheit zuzusprechen, dass ihr Leben von Gott gewollt und gesegnet ist“ (Wenn Menschen sterben wollen, 2008).
 
Nach diesen Prinzipien stehen Aktivitäten, die die Intention verzweifelter und leidender Menschen unterstützen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, im Widerspruch zum Grundsatz christlicher Ethik, nach der Leben geschützt und erhalten werden muss. Gefühle der Macht- und Hilflosigkeit angesichts von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Leiden und Sterben müssen ernst genommen und Menschen mit Sterbewunsch angemessen begleitet werden. Dies darf jedoch nicht durch das Angebot eines scheinbar planbaren, assistierten Suizids im Rahmen der kommerzialisierten Suizidhilfe geschehen. 
 
Vor allem die Orientierungshilfe „Wenn Menschen sterben wollen“ hat die für eine evangelische Ethik wichtige Unterscheidung zwischen individual- und sozialethischer Perspektive herausgestellt. In Grenzerfahrungen des menschlichen Lebens, in Situationen schweren Leidens wissen wir um die tiefen Gewissenskonflikte von Betroffenen und Angehörigen und kennen Grenzfälle, in denen auch gegen die eigene Überzeugung und Lebensauffassung Beihilfe zum Suizid geleistet und persönlich verantwortet wird. Evangelische Ethik weiß, dass zu einem ethischen Handeln auch die Übernahme von Schuld gehört. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die schweren Entscheidungen von Betroffenen und Angehörigen im Gesetzentwurf weiterhin straffrei bleiben. Eine organisierte Form der Beihilfe zum Suizid muss aber unter sozialethischer Perspektive betrachtet werden. Denn eine solche Form hat Auswirkungen auf den gesamtgesellschaftlichen Bereich und stellt die Frage, wie in diesem der Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde gewährleistet werden können.
 
Aus evangelischer Perspektive stehen das Erleben von Gemeinschaft, mitmenschliche Fürsorge und die Spendung von Trost im Zentrum der Sorge um kranke, verzweifelte und sterbende Menschen. Eine primär lebensbejahende Beratung sowie eine vertrauensvolle, mitmenschliche Begleitung sind dabei zentrale Elemente, die auch das Selbstverständnis unserer Gesellschaft entscheidend prägen. Die Hospizbewegung hat diesbezüglich wichtige Impulse und Anregungen hinsichtlich einer „Lebenshilfe bis zuletzt“ gegeben.  
 
Bewertung
 
 1. Die Evangelische Kirche in Deutschland und der Diakonie Bundesverband begrüßen es daher, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein gesellschaftlich relevantes Thema erneut aufgegriffen und nach umsetzbaren Möglichkeiten für die Strafverfolgung der kommerzialisierten Suizidbeihilfe gesucht wird.

Die Stärke des vorliegenden Referentenentwurfs liegt darin, dass in der Begründung deutlich hervorgehoben wird, dass durch „die Kommerzialisierung der Suizidhilfe und ihre Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen […] in der Öffentlichkeit nicht nur der Eindruck entstehen [kann], hierbei handele es sich um eine gewöhnliche Dienstleistung, sondern auch für die Selbsttötung selbst der fatale Anschein einer Normalität erweckt werden [kann]“ (Referentenentwurf, S. 5). 
 
Studien zufolge sind etwa 90% aller Suizide auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, die Menschen in einen Zustand tiefer Agonie und des Leidens versetzen und die Selbstbestimmungsfähigkeit einschränken können. Erhebliche Anstrengungen zur Suizidprävention werden unternommen, z.B. durch Telefonseelsorge und andere seelsorgliche und therapeutische Beratungsangebote. Darin kommt ein gesellschaftlicher Konsens zum Ausdruck, „Menschen mit Suizidgefährdung zu helfen und sie in bestimmten Fällen vor sich selbst zu schützen“ (Wenn Menschen sterben wollen, 2008). Durch eine kommerzialisierte Suizidhilfe lassen sich unter Umständen Menschen zu einer schnellen und effizienten Selbsttötung verleiten, deren Leiden mittels entsprechender medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung, seelsorglicher Begleitung und sozialer Unterstützung hätte gelindert werden können. Beratungsangebote, in deren Zentrum die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses steht, um damit Geld zu verdienen, dürfen keine gesellschaftlich und (straf-)rechtlich geduldete Alternative zu Behandlungs- und Beratungsangeboten mit primär lebensbejahender Perspektive sein. 
 
Daher weist der Referentenentwurf zu Recht darauf hin, dass durch die Duldung einer scheinbaren Normalität der assistierten Selbsttötung ein gesellschaftlicher Erwartungsdruck erwachsen kann. Bei alten, kranken und sterbenden Menschen kann dadurch der Eindruck entstehen, ihren Zugehörigen und der Gemeinschaft nicht dauerhaft durch ihren Pflegebedarf „zur Last fallen“ zu dürfen (Referentenentwurf, S. 5). Einem solchen Paradigmenwechsel im Umgang mit kranken und pflegebedürftigen Menschen, welcher einen Rechtfertigungsdruck auf Seiten derer schafft, die trotz schwerer Leiden leben möchten, muss in aller Deutlichkeit widersprochen werden. 
 
Es ist deshalb richtig, der gesellschaftlichen Normalisierung von Selbsttötung und kommerzialisierter Suizidhilfe rechtlich entgegenzuwirken, um Entscheidungen für eine vorzeitige Lebensbeendigung zu vermeiden.
 
 2. Vor diesem Hintergrund kritisieren die Evangelische Kirche in Deutschland und der Diakonie Bundesverband jedoch, dass der Gesetzentwurf in seiner Reichweite als nicht ausreichend erscheint und dem gesetzgeberischen Anliegen zu enge Grenzen setzt. Die in der Zielsetzung des Gesetzentwurfs herausgestellte Gefahr einer Normalisierung von Selbsttötung und ein daraus erwachsener gesellschaftlicher Erwartungsdruck gehen – wie die Begründung des Gesetzesentwurfs aufzeigt – von jeglicher Form der organisierten Sterbehilfe aus. Deshalb bleibt der Gesetzentwurf hinter seiner eigenen Problembeschreibung und Argumentation zurück, wenn er nur die kommerzialisierte Form der Beihilfe zum Suizid in den Blick nimmt. Insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit greift zu kurz und erfasst bestimmte organisierte Formen der Förderung der Selbsttötung, etwa in gemeinnützigen Sterbehilfevereinen, nicht.

Das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter anderem voraus, dass die jeweilige Tätigkeit von der Absicht getragen sein muss, Gewinn zu erzielen. Die Gewinnerzielungsabsicht vor Gericht nachzuweisen, kann sich außerdem als schwierig erweisen, insbesondere wenn die Tätigkeit von einem (gegebenenfalls gemeinnützigen) Verein ausgeht, dessen Einnahmen- und Ausgabenflüsse möglicherweise nur schwer nachzuvollziehen sind. Etwa mögen die Einnahmen nicht eindeutig der vorgenommenen Sterbehilfeleistung zugeordnet werden können, sondern als sonstige Positionen (Mitgliedsbeiträge, Verwaltungskosten) verschleiert werden. 
 
Im Ergebnis besteht die Gefahr, dass in den Fällen, in denen der Nachweis der Gewerbsmäßigkeit misslingt, die Praxis der Akteure, zum Beispiel der gemeinnützigen Sterbehilfevereine, eine Legitimation durch die Rechtsordnung erfahren, die vom Gesetzgeber in dieser Form nicht gewollt sein kann. 
 
Empfehlung
 
 1. Die Evangelische Kirche in Deutschland und der Diakonie Bundesverband begrüßen grundsätzlich das Verbot der kommerziellen Förderung der Selbsttötung als einen Schritt in die richtige Richtung. 

Es wird jedoch angeregt, vom Merkmal der Gewerbsmäßigkeit, das durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits definiert ist, Abstand zu nehmen und stattdessen weitergehend jegliche organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. 
 
Es ist aus Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonie Bundesverbandes stattdessen empfehlenswert, einen Straftatbestand zu schaffen, der die berufliche und organisierte Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Als Vorbild hierfür kann die Gesetzesinitiative des Bundesrates vom 27. März 2006, Drucksache 230/06, dienen, welche die geschäftsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung verbieten wollte. „Geschäftsmäßig im Sinne dieser Vorschrift handelt derjenige, der die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung macht, und zwar auch dann, wenn er dabei ohne Erwerbsabsicht handelt“ (BR-Drs-230/06, S. 4). Damit sollte auch die nicht entgeltliche Hilfeleistung unter Strafe stehen, soweit sie in organisierter oder gleichartig wiederkehrender Form erfolgt. 
 
Um eine zu weite Dehnung des Straftatbestandes zu vermeiden, muss jedoch das hier vorgeschlagene Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit (anstelle der Gewerbsmäßigkeit) noch präzisiert werden. Etwa könnte Voraussetzung für das „zum Gegenstand der Beschäftigung machen“ das Verwenden nicht ganz unerheblicher zeitlicher Anteile auf diese Beschäftigung sein. Auch das Vorhandensein bzw. Schaffen und Anbieten einer organisatorischen Struktur zu diesem Zweck von gewisser Dichte und Dauerhaftigkeit ist als Indiz für ein geschäftsmäßiges Handeln zu werten. Ebenfalls sollte Berücksichtigung finden, ob Sterbewilliger und Beihelfender in einem (und wie gearteten) vertraglichen Verhältnis standen, sowie ob zwischen ihnen (im Vorfeld oder auch als Erbschaft) finanzielle Mittel von nicht unerheblichem Umfang geflossen sind, auch wenn diese nicht als Honorar für die Sterbehilfe, sondern zum Beispiel als Mitgliedsbeitrag, Unkostenaufwand etc. bezeichnet wurden. 
 
Hierin können Hinweise für eine geschäftsmäßige Tätigkeit in der Sterbehilfe liegen, so dass es nicht allein auf die bloße Wiederholung einer an sich straflosen Handlung ankommt, was rechtsdogmatisch problematisch wäre. Vielmehr muss das eigentlich strafwürdige Verhalten in der Förderung des Tatentschlusses zum Suizid durch die (wiederholte) Schaffung, Vorhaltung und das Anbieten von dafür geeigneten Strukturen gesehen werden. Daher wäre es sehr zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber entsprechende Vorgaben entwickeln und in der Gesetzesbegründung verankern würde.
 
 2. Empfehlenswert erscheint darüber hinaus, den bundesweiten Ausbau lebensbejahender Versorgungsstrukturen im Bereich der hospizlich-palliativen Versorgung und Begleitung weiter voranzutreiben. Zu denken ist hier neben spezialisierten Versorgungsstrukturen, wie etwa der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), vor allem an qualitativ hochwertige und ausreichend gegenfinanzierte allgemeine hospizlich-palliative Versorgungstrukturen (APV), zum Beispiel im Sinne einer allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV) sowie einer hospizlich-palliativen Versorgung und Begleitung in Einrichtungen der stationären Altenpflege und Eingliederungshilfe. 

Aber auch die Behandlung von Menschen mit chronisch verlaufenden, schweren psychischen Erkrankungen muss bedarfsgerecht ausgebaut werden. Dies umfasst vor allem psychotherapeutische Angebote für ältere und alte Menschen. 
 
Tiefer seelischer Verzweiflung sowie der Angst vor Abhängigkeit, schlechter Versorgung und Einsamkeit im Alter, bei Krankheit und in der letzten Lebensphase kann nur mittels gut funktionierender, Vertrauen stiftender Versorgungsstrukturen entgegengewirkt werden. „Leben bis zuletzt“, seelsorglich und menschlich begleitet, psychotherapeutisch und sozial unterstützt, medizinisch und pflegerisch gut versorgt – dies alles stellt hohe Anforderungen an unsere Gesellschaft. Die Frage nach Menschlichkeit und unserem Umgang mit Menschenwürde wird immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt.