Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen
Eine Denkschrift des Rates der EKD, 2007
3.3 Grenzen rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauchs
- Im heutigen völkerrechtlichen Kontext ist eine rechtmäßige Autorisierung militärischer Zwangsmittel nur als eine Art internationaler Polizeiaktion nach den Regeln der UN-Charta denkbar, denn die Vereinten Nationen sind die einzige internationale Organisation, die vom Geltungsanspruch ihrer Normen und von ihrer Mitgliedschaft her auf Universalität angelegt ist. Allerdings befindet sich das Völkerrecht in einer Zwischenstellung zwischen einem reinen Staatenrecht, von dem es herkommt, und einem menschheitlichen Weltbürgerrecht, das eine regulative Idee bleiben muss. Aus dieser Zwischenstellung resultieren – insbesondere in der veränderten Bedrohungssituation – Regelungslücken und Interpretationsspielräume hinsichtlich der Legitimität eines rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauchs, die der ethischen und rechtlichen Klärung bedürfen. Umstritten sind vor allem die Interpretation des Rechts auf Selbstverteidigung (und der dabei erlaubten Mittel), die militärische Intervention aus humanitären Gründen zum Schutz gegen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und die Kriterien für bewaffnete militärische Auslandseinsätze unterhalb dieser Schwelle.
3.3.1 Grenzen des Selbstverteidigungsrechts
- Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird verstärkt gefragt, ob nicht das in der UN-Charta als subsidiäre und provisorische Notwehr konzipierte Selbstverteidigungsrecht ganz neu interpretiert werden müsse. So ordnet die National Security Strategy der USA vom Herbst 2002 (überarbeitet 2006) den lang anhaltenden »Krieg gegen den Terrorismus« in den Rahmen der Selbstverteidigung als eines jetzt wieder eigenständigen Souveränitätsrechts ein, das »präemptive Schläge« (preemptive strikes), sowie Präventivkriege einschließt und sogar die Option des Ersteinsatzes von Kernwaffen nicht ausschließt.
- Dabei wird zum einen argumentiert, die bisherigen völkerrechtlichen Regeln seien generell auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnitten und seien deshalb angesichts der neuen Bedrohung durch »Schurkenstaaten« und durch nichtstaatliche Akteure ergänzungsbedürftig. Diese Diagnose ist schon im Ansatz problematisch. Denn die UN-Charta verbietet nicht nur symmetrische bewaffnete Konflikte, die von Staaten ausgehen, sondern auch indirekte Gewalt, wie die Beteiligung eines Staates an der Gewaltanwendung militärisch organisierter nichtstaatlicher Verbände wie Rebellen, Freischärler, Söldner etc. Es ist also nicht nur der grenzüberschreitende Einsatz regulärer Streitkräfte, der vom Gewaltverbot umfasst ist. Von keinem Staat der Welt darf Gewalt ausgehen, sei es durch nichtstaatliche Akteure, deren Aktivitäten von einem Staat unterstützt oder geduldet werden, sei es durch einen Staat selbst. Auch die globale Terrorismusbekämpfung lässt sich darum sehr weitgehend innerhalb des kollektiven Sicherheitsregelwerks der UN verorten. Terrorismusbekämpfung ist kein legitimes Ziel einer über den Selbstverteidigungsfall hinaus anhaltenden Kriegführung, sondern gehört in die Kategorie der internationalen Verbrechensbekämpfung. Die Staaten sind verpflichtet, auf ihrem Territorium gegen terroristische Gruppen und Personen polizei- und strafrechtlich einzuschreiten und nicht zuletzt die Finanzierung terroristischer Aktivitäten zu unterbinden. Über Appelle hinaus ist es auch in diesem Zusammenhang erforderlich, eine wirksame Strafverfolgung auszubauen und eine internationale Strafgerichtsbarkeit zu gewährleisten.
- Eine andere Argumentation beruft sich auf die Notwendigkeit der antizipierten Gefahrenabwehr: Es wird behauptet, gegenüber dem internationalen Terrorismus und den mit ihm kooperierenden Staaten sei die herkömmliche, an das Selbstverteidigungsrecht anknüpfende Abschreckungsstrategie ungeeignet, da sie einen letztlich risikoscheuen und dem rationalen Kalkül verpflichteten Gegner voraussetze. Dem potenziellen Opfer eines Angriffs durch einen unberechenbaren Feind jedoch könne gerade angesichts der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und extrem kurzer Reaktionszeiten das Warten auf Beweise nicht zugemutet werden. Gegen diese Problematisierung der prekären Grenzlinie zwischen (verbotenem) Angriffskrieg und (erlaubter) Verteidigungshandlung ist festzuhalten: Nach herkömmlicher ethischer Auffassung und völkerrechtlicher Definition ist der Erstgebrauch von Waffengewalt nur dann nicht als rechtswidrige Aggression zu werten, wenn er einem gegenwärtig unmittelbar bevorstehenden Angriff der Gegenseite zuvorkommt. Dieser Grenzfall, in dem ein Erstgebrauch militärischer Gewalt noch unter das Selbstverteidigungsrecht fallen kann, rechtfertigt also weder antizipatorische Schläge gegen eine Bedrohung, die sich nur undeutlich abzeichnet, noch Präventivkriege gegen räumlich wie zeitlich weit entfernte Bedrohungen.
- Grenzen legitimer Selbstverteidigung sind außerdem unter dem Aspekt einer Ethik der Mittel zu ziehen. Die Existenz von Massenvernichtungsmitteln (atomaren, biologischen und chemischen Waffen), die von ihrer Wirkungsweise her auf unterschiedslose Zerstörung und Vernichtung ausgelegt sind, wirft schwerste ethische und rechtliche Probleme auf. Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatz von biologischen und chemischen Waffen sind völkerrechtlich durch entsprechende Abkommen verboten. Was die Nuklearwaffen angeht, so hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag 1996 in einem Rechtsgutachten erklärt, die Drohung mit und der Einsatz von Kernwaffen sei generell völkerrechtswidrig; die Frage, ob die Drohung mit und der Einsatz von Kernwaffen dann zulässig sein könnten, wenn unter extremen Umständen der Selbstverteidigung das Überleben eines Staates auf dem Spiel steht, ließ das Gericht offen (Gutachten über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen vom 8.7.1996 [ICJ Reports, 226]).
- Die ethische Bewertung der Atomwaffen war im deutschen Protestantismus von Anfang an umstritten. Bezogen auf das nach dem 2. Weltkrieg zwischen NATO und Warschauer Pakt etablierte System nuklearer Abschreckung haben die westdeutschen evangelischen Kirchen in ihrer Friedensethik jedoch mehrheitlich die »Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise« anerkannt [14]. Diese zuerst in den Heidelberger Thesen von 1959 vertretene Position stand allerdings schon damals unter zwei Voraussetzungen: Erstens verstand sie sich als zeitlich befristet bis zur Umsetzung eines effektiven nuklearen Abrüstungsprozesses; im Rahmen des 1968 geschlossenen Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) schien dies auch möglich. Zweitens war sie ursprünglich auf die Doktrin der Vergeltungsabschreckung bezogen, die als Antwort auf einen atomaren Angriff eine entsprechende Reaktion androhte, um so einen großen atomaren Krieg zu verhindern. Infolge anhaltender Auffächerung von Szenarien kontrollierter nuklearer bzw. nuklear-konventioneller Kriegführung und dementsprechender weiterer Auf- und Nachrüstungen in den 1980er Jahren wurden in der evangelischen Kirche die Stimmen lauter, die Geist, Logik und Praxis der Abschreckung mittels Atomwaffen als mit dem christlichen Glauben unvereinbar verwarfen. Auch wer in Existenz und Bereithaltung von Nuklearwaffen nicht ein unmittelbar den Glauben, sondern »nur« ein die praktische Vernunft tangierendes Problem sieht, muss heute konstatieren: Trotz der 1995 erfolgten unbegrenzten Verlängerung des NPT ist mittlerweile eine weitgehende Aushöhlung des Nicht-Verbreitungsregelwerks eingetreten. Produktion und Lagerung von Massenvernichtungswaffen in Risikostaaten lassen sich auch mittels nuklearer Drohung nicht verhindern. In der Zeit des Kalten Krieges wurde unterstellt, die Gefahr des Ausbruchs eines Nuklearkriegs sei durch gegenseitige rationale Risikoabwägung begrenzt. Demgegenüber kann in der heutigen Lage Abschreckung nicht von vornherein mit einem zu rationalem Kalkül geneigten Gegner rechnen. Vor diesem Hintergrund haben die Gründe für die Kritik an der Abschreckungsstrategie deutlich an Gewicht gewonnen. (Zu den friedensethischen und sicherheitspolitischen Konsequenzen hieraus siehe unten, Ziffer 162-164 ).
3.3.2 Grenzen kollektiver Schutzverantwortung bei innerstaatlichen Bedrohungen
- Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist immer öfter die Frage aktuell geworden, ob es ethisch und rechtlich legitim sein kann, über die Sicherung des zwischenstaatlichen Friedens hinaus auch den Schutz der Bevölkerung eines anderen Staates vor schwerwiegendem Unrecht mit militärischer Zwangsgewalt zu gewährleisten (sog. »humanitäre Intervention«). Mit dem hier in Betracht kommenden schwerwiegenden Unrecht ist die systematische und massive Verletzung der Menschenrechte (und die damit verbundene Bedrohung des Friedens) gemeint. Aus dem Menschenrechtsethos dürfen jedoch keine vorschnellen Konsequenzen für die Rechtfertigung von Militärinterventionen gezogen werden. Dies gilt schon deshalb, weil der Idee der Menschenrechte zwar ein universeller Gültigkeitsanspruch eignet, sie aber nach wie vor unterschiedlich ausgelegt und verstanden werden. Um ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit einzulösen, bedarf es langfristiger interkultureller Verständigungsprozesse. Solche Verständigung ist eine zivile und zivilgesellschaftliche Aufgabe, für die der interreligiöse und interkulturelle Dialog von hoher Bedeutung ist.
- Dass hinter dem Schutz der Menschenrechte die Achtung der Staatensouveränität zurückzutreten habe, ist zwar ein im Prinzip richtiger Ansatz; es ist aber fraglich, inwieweit er Interventionen mit Waffengewalt rechtfertigen kann. Das herkömmliche Interventionsverbot ist in der elementaren Friedensfunktion begründet, die der Achtung der Rechtsgleichheit der Staaten und ihrer territorialen Unversehrtheit zukommt; es schützt aber auch die Autonomie des Staatsvolkes bei der Gestaltung seiner politischen Verhältnisse. Diese sollten überall demokratisch und menschenrechtlich sein, aber eben durch die Autonomie, die Selbstgesetzgebung der Völker. Die Anerkennung und Garantie der bürgerlichen, politischen und sozialen Menschenrechte kann nicht an staatlich organisierten Gemeinwesen vorbei, sie muss vielmehr in ihnen, mit ihnen und durch sie verwirklicht werden. Selbst Rückfälle in die Despotie rechtfertigen nicht als solche ein bewaffnetes Eingreifen von außen; es muss vorrangig Sache der Mitglieder eines Gemeinwesens selber bleiben, ihre politischen Freiheiten wiederherzustellen oder in einer veränderten politischen Ordnung zu erringen. Auch im Fall bürgerkriegsähnlicher Konflikte darf ein militärisches Eingreifen von außen nicht die Auseinandersetzung im Innern ersetzen, solange die Konfliktparteien zur Selbsthilfe fähig sind und eine politische Konstitution anstreben. Eine Ausnahme vom Prinzip der militärischen Nicht-Intervention kann erst dann in Betracht kommen, wenn ein Staat nicht einmal seine primäre Funktion (nämlich die des Lebensschutzes der Bevölkerung und der Aufrechterhaltung eines minimalen Rechtszustands) erfüllt, oder wenn sich die Konfliktparteien eines Bürgerkriegs von Maximen leiten lassen, die verfasste Rechtsverhältnisse überhaupt ausschließen.
- Erlaubnisgrund für Militärinterventionen aus humanitären Gründen können nur aktuelle, schwerste Unrechtshandlungen sein, die die minimale Friedensfunktion einer politischen Ordnung überhaupt beseitigen und der Selbstbestimmung der Bevölkerung die Grundlage entziehen, indem ganze Gruppen einer Bevölkerung an Leib und Leben bedroht und der Vernichtung preisgegeben werden. Ein Staat, in dem die physische Existenz der Bürger akut bedroht ist oder in dem große Teile der Bevölkerung kollektiv entrechtet werden, hat den Anspruch auf Respektierung seiner territorialen und politischen Integrität verwirkt. Bei Menschheitsverbrechen wie einsetzendem Genozid, Massenmord an Minderheiten, Massakern an ethnischen Gruppen und ethnischer Vertreibung, kollektiver Folter und Versklavung kann militärisches Eingreifen gerechtfertigt sein, wenn die weiteren Kriterien rechtserhaltenden Gewaltgebrauchs (siehe oben, Kapitel 3.2) erfüllt sind.
- Erforderlich ist insbesondere eine Autorisierung durch die Weltorganisation, d.h. nach den Regeln des kollektiven Sicherheitssystems der UN oder einer regionalen Organisation kollektiver Sicherheit. Abgesehen davon, dass nur so die Herrschaft des Rechts auch gegenüber dem »Recht des Stärkeren« gewahrt werden kann, bietet das kollektive Entscheidungsverfahren die Chance einer fairen Abwägung aller Sachgesichtspunkte. Über die Autorisierung hinaus muss auch die Überwachung der Maßnahmen, ihre Beurteilung im Blick auf das definierte Ziel und die Festlegung ihrer zeitlichen Dauer durch die UN erfolgen. Ob eine Intervention legitim ist und die völkerrechtlichen Normen befolgt, muss der Überprüfung durch den Internationalen Gerichtshof und andere völkerrechtliche Instanzen offen stehen.
- Gegenüber einer nicht durch den UN-Sicherheitsrat mandatierten, sondern extralegal als Nothilfe gerechtfertigten Intervention durch einzelne Staaten oder Staatenbündnisse bestehen stärkste Bedenken. Der Tatbestand der innerstaatlichen Nothilfe ist in einzelstaatlichen Rechtsordnungen positiv-rechtlich anerkannt. Das ist deshalb möglich, weil es sich beim innerstaatlichen Recht um eine Ordnung mit gefestigtem Gewaltmonopol und einer Judikatur handelt, die in der Lage sind, exzessiv-missbräuchliche Inanspruchnahmen des Nothilferechts zu verhindern. Dies ist in den internationalen Rechtsbeziehungen jedoch nicht der Fall. Die Zubilligung eines Rechts auf sog. »humanitäre Intervention« seitens einzelner Staaten zöge die Gefahr nach sich, eine Rückkehr zum freien Kriegführungsrecht einzuleiten. Sollte der rechtmäßige kollektive Sicherheitsmechanismus durch eine Blockierung des UN-Sicherheitsrats versagen (wie 1998 im Blick auf Kosovo, wo sich das Problem der Spannung zwischen Recht und Moral stellte), so wären militärische Nothilfemaßnahmen zumindest streng daraufhin zu prüfen, ob sie in der Folgewirkung das Kriegsächtungsprinzip der UN-Charta und die transnationale Rechtsdurchsetzung durch die Weltorganisation eher stärken oder schwächen.
- Die Absicht einer bewaffneten Intervention muss eindeutig auf das Ziel bezogen sein, die Opfer vor lebensbedrohlichem schwerem Unrecht zu schützen, die Grundlagen staatlicher Existenz zu sichern und die Bedingungen politischer Selbstbestimmung der einheimischen Bevölkerung wiederherzustellen. Hinsichtlich der Frage, wie diese politische Selbstbestimmung wahrgenommen und ausgestaltet wird, muss die Intervention unparteilich bleiben.
- Die internationale Gemeinschaft sollte auf der Grundlage eines Mandats der UN in die Lage versetzt werden, Genozid und Menschheitsverbrechen grenzüberschreitend – gegebenenfalls auch durch den Einsatz militärischer Gewalt – zu verhindern. Zugleich gilt aber auch hier, dass der Einsatz militärischer Gewalt – wie in allen anderen Fällen des Gebrauchs rechtserhaltender Gewalt – nur als äußerstes Mittel erwogen werden darf. Gerade dann, wenn man auf der Grundlage der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords (Genozid-Konvention) von 1948 die wirksame Verhinderung von Völkermord zu den Pflichten der Staatengemeinschaft rechnet, ist es dringend erforderlich, nationale und internationale Mechanismen der Prävention im Sinn eines Einwirkens im Vorfeld zu etablieren. Dazu gehören: Maßnahmen der Frühwarnung und deren Vernetzung, die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, die Einrichtung von Überwachungsorganen zur Umsetzung der Genozid-Konvention analog zur Überwachung der Menschenrechtsabkommen. Die Notwendigkeit zum Handeln besteht jedoch bei Völkermord oder anderen gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wenn nationale Gerichte versagen. So wie das Leitbild des gerechten Friedens zu seiner Verwirklichung des Rechts bedarf, so bedarf das Recht in bestimmten, klar eingrenzbaren Kontexten der Instrumente rechtserhaltender Gewalt.
3.3.3 Grenzen internationaler bewaffneter Friedensmissionen
- Einsätze nationaler Streitkräfte zur »internationalen Krisenbewältigung«, die die Androhung oder Ausübung militärischer Zwangsmittel einschließen, aber weder dem einzelstaatlichen Selbstverteidigungsrecht noch der Verantwortung der Staatengemeinschaft für den Schutz bedrohter Bevölkerungsgruppen gegen exzessive Gewalt zuzuordnen sind – hier internationale bewaffnete Friedensmissionen genannt –, haben in letzter Zeit stark zugenommen. Die angewachsene militärische Interventionsbereitschaft wird jedoch mittlerweile von einer deutlichen Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten begleitet, mit militärischen Mitteln Frieden zu schaffen.
- Die bisher gesammelten Erfahrungen ebenso wie die dargelegten friedens- und rechtsethischen Grundsätze sprechen dafür, externes bewaffnetes Eingreifen als äußerstes Mittel nicht vollständig auszuschließen, die militärische Komponente jedoch strikt auf die Funktion der zeitlich limitierten Sicherung der äußeren Rahmenbedingungen für einen eigenständigen politischen Friedensprozess vor Ort zu begrenzen. Militärische Maßnahmen müssen Bestandteil einer kohärenten Friedenspolitik unter dem Primat des Zivilen bleiben.
- Zu den legitimen Einsatzzielen können erstens (im Sinn der Konfliktprävention) die Wahrnehmung polizeilicher Überwachungsaufgaben oder die Einhegung schwerer innergesellschaftlicher Gewaltkonflikte durch internationale Militärpräsenz zählen, zweitens (im Sinn der Friedenskonsolidierung nach bewaffneten Konflikten) die Garantie eines bereits ausgehandelten Waffenstillstandes, die Absicherung eines Friedensabkommens, die Demobilisierung von Streitkräften, die Herstellung eines sicheren Umfelds für einen selbsttragenden zivilen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau.
- Dabei ist regelmäßig die Mitsprache der Betroffenen vor Ort sicherzustellen (local ownership). Dies sollte – soweit irgend möglich – die Zustimmung der Konfliktparteien zu externem militärischem Eingreifen einschließen. In Situationen, in denen dieser Konsens nicht zu erzielen und/oder eine funktionsfähige Staatlichkeit zusammengebrochen ist, muss dennoch immer und vorrangig gefragt werden, welche einheimischen Akteure, politischen Kräfte und gesellschaftlichen Gruppen als Träger einer legitimen selbstbestimmten Staatsbildung in Betracht kommen. Langanhaltende, auf Zwangsgewalt gestützte Quasi-Protektorate dienen diesem Ziel nicht.
- Auch unterhalb der Schwelle von Kampfeinsätzen bedarf eine militärische Intervention der Autorisierung und Legitimation in Form einer klaren völker- und verfassungsrechtlichen Grundlage. Nationale und bündnispolitische Interessen dürfen nicht an die Stelle der primären Zuständigkeit der UN und ihrer regionalen Abmachungen treten.
- Eine begründete Aussicht auf Erfolg besteht für bewaffnete Friedensmissionen nur, wenn sie Teil eines friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzepts sind. Dies erfordert u.a. eine präzise Definition des Auftrags, die Verfügbarkeit darauf abgestimmter Fähigkeiten, eine sorgfältige Koordination der verschiedenen nationalen und internationalen, militärischen und zivilen Akteure untereinander, eine realistische Abschätzung des für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Konsolidierung notwendigen Zeithorizonts (einschließlich der Festlegung von »Exit«-Kriterien). Da die für bewaffnete Friedensmissionen erforderlichen finanziellen Ressourcen unter Umständen wirtschaftliche Aufbauhilfen einschränken, ist die Verhältnismäßigkeit militärischer Mittel auch unter dem Aspekt der Kosten zu prüfen. Ferner müssen die persönlichen Belastungen und Risiken für die Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Angehörigen verantwortbar bleiben.
- Bewaffnete Friedensmissionen im Ausland sollten – analog zur Praxis der Entwicklungspolitik – immer mit einer begleitenden und nachträglichen Evaluierung durch unabhängige Instanzen verbunden werden.