„... damit ihr nicht traurig seid“ - Christlicher Umgang mit Sterben und Tod

Eine Handreichung der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland und der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2018

Plötzlicher Tod

Das Handeln der Kirche im Umfeld von Sterben und Tod

„Vor bösem, schnellem Tod behüte uns, lieber Herre Gott“
(Evangelisches Gesangbuch 192)

Dass der Tod unerwartet jeden ereilen kann, gehört zu den Grunderfahrungen des menschlichen Lebens. Insbesondere in den westlichen Gesellschaften hat sich jedoch durch die ständig steigende Lebenserwartung die Haltung gegenüber dem Tod verändert. Sterbende und Tote sind durch die mediale Vermittlung gegenwärtig; direkte Berührungen mit Sterbenden und Toten werden im persönlichen Umfeld aber seltener. Trotz aller medizinischen Fortschritte sterben aber nach wie vor junge und alte Menschen plötzlich und unerwartet. In unserer Zeit äußern viele Menschen den Wunsch, möglichst ganz plötzlich zu sterben; sie möchten das Leben gerne unbeschwert auskosten und sich nicht mit ihrem Ende befassen. Der Wunsch, keine Schmerzen zu erleben und nicht lange leiden zu müssen, ist verständlich. Für diejenigen jedoch, die zurückbleiben, wirkt ein unerwarteter Tod wie ein Schock – sie müssen weiterleben ohne den geliebten Menschen, auf dessen Tod sie nicht gefasst waren.

Die Psalmen sowie Lieder und Gebete der christlichen Kirchen sprechen vielfach in Bildern von den Widerfahrnissen eines unerwarteten Endes. Die orthodoxe und die evangelische Kirche stehen neben dem Trost durch eine seelsorgliche Begleitung für den Glauben daran, dass Gott Herr ist über die Lebenden und die Toten und in ihm alles Leid aufgehoben ist. Christinnen und Christen leben in dem Vertrauen, dass Gott gerade im größten Leid anwesend ist, auch wenn dieses in der eigenen Bedrängnis manchmal schwer annehmbar erscheint.


Evangelisch:

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig, sind der Menschen Tage! Wie ein Strom beginnt zu rinnen und mit Laufen nicht hält innen, so fährt unsre Zeit von hinnen.
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen! Alles, alles, was wir sehen, das muß fallen und vergehen. Wer Gott fürcht‘, wird ewig stehen.
Evangelisches Gesangbuch 528


Orthodox:

In orthodoxen Gebeten wird der plötzliche Tod häufig erwähnt:

Auch beten wir für den Schutz dieser Kirche dieser Gemeinde, dieser Stadt und jeder Stadt und allen Landes, damit sie bewahrt werden vor Hungersnot, Seuchen, Erdbeben, Überschwemmung, Feuer, Schwert, Ansturm fremder Völker, Bürgerkrieg und plötzlichem Tod.
Gebet zur Artoklasia / Litia

In einer ausgesprochen realistischen Weise erwähnt ein orthodoxes Gebet des 19. Jahrhunderts vielfältige Arten des überraschenden Todes:

Gedenke Herr der rechtgläubigen Christen, die verstorben sind, weil sie vom Wasser bedeckt wurden, vom Meer, von Flüssen, von Quellen, von Sümpfen, von Brunnen, oder weil der Krieg sie hinweggenommen hat oder das Erdbeben sie erfasst hat, weil Räuber sie getötet oder Feuer sie verbrannt hat, weil wilde Tiere, Vögel, Bestien und Meereswesen sie fraßen, oder weil sie ohne Vorankündigung dahingerafft wurden, weil der Blitz sie verbrannt hat, weil sie erfroren sind in den Bergen oder unterwegs oder in der Wüste oder in der Einsiedelei, weil sie wegen zu großer Trauer oder zu großer Freude starben, weil sie in guten oder schlechten Zeiten leiden mussten, weil sie vom Pferd oder Hagel, Schnee, oder zuviel Regen getötet wurden, weil Ziegel auf sie fielen oder die Erde sie erdrückt hat, oder sie dem plötzlichen Tod zum Opfer fielen, oder weil sie Gift getrunken haben oder sich an einer Gräte verschluckt haben, weil sie von einem Geschoss aus Eisen, Holz und jeglicher Art von Stein getroffen wurden, weil sie an zu lautem Schreien gestorben sind oder zu schnellem Lauf, wegen eines Hiebs oder eines Schlages oder eines Fußtritts, wegen Pest, vor Hunger oder Durst, wegen eines giftigen Bisses oder weil sie von einer Schlange verschluckt wurden oder von einem Pferd zertrampelt wurden oder von ihrem Mitmenschen ermordet wurden, oder weil sich das Meer oder die Erde aufgetan hat und sie verschluckt hat; gedenke jeden Alters, der Alten, der Jungen, der Burschen, der Jugendlichen, der Kinder, der vor ihrer Zeit verstorbenen Kleinkinder, männlichen und weiblichen Geschlechts, und all derer, die ich nicht erwähnt habe, aus Unwissenheit oder Vergesslichkeit, oder wegen der Vielzahl ihrer Namen, Du selbst, unser Gott, gedenke ihrer, der Du den Namen und das Alter eines jeden kennst.

Die Kirche betet um Schutz vor dem plötzlichen Tod, andererseits weiß sie jedoch, dass auch diese Art des Todes möglicher Teil unseres Lebens ist. Nikodimos der Hagiorit, ein Heiliger des 18. / 19. Jahrhunderts, schreibt: „Der Tod kommt zu uns wie ein Räuber, wenn man es nicht erwartet (vgl. 1. Thessalonicher 5,1-2). Vielleicht kommt er an diesem Tag, in dieser Stunde, in diesem Augenblick. Du wachst morgens auf und weißt nicht, ob du den Abend erleben wirst...“ (Exomologitarion [Ratgeber für den Beichtvater], Venedig 1842, S. 216). Es gilt deshalb für alle Gläubigen den ständigen Gedanken an den Tod wachzuhalten.

In jedem Gemeindegottesdienst hält man in der orthodoxen Kirche dieses Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit wach, wenn gebetet wird: „Ein christliches Ende unseres Lebens, ohne Schmerz, ohne Schande, in Frieden, und eine gute Rechenschaft vor dem furchterregenden Richterstuhl Christi lasst uns erflehen.“

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