Bedrohung der Religionsfreiheit
1. Perspektiven
1.1 Religion und Freiheit – ein historisches Spannungsverhältnis
(Robert Leicht)
Um es vorweg in aller Zuspitzung zu sagen und damit zugleich das eigentliche Thema unmissverständlich zu umreißen: Die Religionsfreiheit gehört, erstens, nicht zu den Bedingungen der Möglichkeit von Religion – sehr wohl aber zu den Bedingungen der Freiheit. Noch schärfer, zweitens: Freiheit kann Religion nicht unterdrücken – sehr wohl aber Religion die Freiheit, zumindest in einigen Spielarten der Religion.
Die Wahrheit des ersten Satzes leuchtet schon für die unmittelbare Gegenwart ein; wir brauchen dabei nur an die Christen im Irak, in der Türkei oder in der Volksrepublik China zu denken. Dieser erste Satz gewinnt seine Evidenz auch in unserer unmittelbaren deutschen, doppelten Vergangenheit – im Rückblick auf die NS-Zeit ebenso wie im Rückblick auf die SED-Diktatur. Und dieser erste Satz könnte – hypothetisch – auch uns und unsere Kindeskinder wieder einholen: Sind wir etwa nur unter der Bedingung Christen, dass wir als Staatsbürger frei sind? Die Religion ist also keine Folge der politischen Freiheit. Die Frage ist vielmehr: Ist die Freiheit eine Folge recht verstandener Religion – oder hat sie sich geschichtlich ohne, ja: gegen die Religion, auch gegen die christliche Religion durchgesetzt, for the time being?
Die Feststellung, dass die Religion sehr wohl die Freiheit unterdrücken kann, ist durch den Gang der Geschichte vielfach bestätigt worden, auch durch die christliche Kirchengeschichte. Die christlichen Kirchen waren eben nicht immer Herolde der politischen Freiheit, erst recht nicht immer Befürworter der Religionsfreiheit gewesen. Heute freilich – und das, in der longue durée der Geschichte betrachtet, noch nicht seit langem – stehen die christlichen Kirchen für die Religionsfreiheit ein. Die berechtigte Frage lautet: Warum erst jetzt? Die viel wichtigere Frage: Warum jetzt? Es könnte ja sein, dass die christlichen Kirchen erst mit ihrem Bedeutungsverlust erkannt haben, wie sehr sie – aus der vorherrschenden soziologischen Position und mit-herrschenden politischen Rolle verdrängt und in die Defensive versetzt – selber auf eine Freiheit angewiesen sind, die ihnen ebenso wie ihren religiösen Konkurrenten, ihren agnostischen Kritikern und atheistischen Gegnern gleichermaßen zugute kommt.
Und selbst in der Defensive gibt es noch große strategische Unterschiede: Der Schutz der individuellen Religionsfreiheit (das heißt der Freiheit des Einzelnen zur Religion als – vermeintlicher – „Privatsache“) kann nämlich durchaus auch so ausgestaltet werden, dass die kollektive Religionsfreiheit (das heißt die Freiheit der Kirchen zur institutionellen Betätigung im öffentlichen Raum) dabei unter den Tisch fällt, nach und nach. Keineswegs alle europäischen Staaten kennen – wie das deutsche Verfassungsrecht – neben der individuellen auch die kollektive Religionsfreiheit. Und es ist noch keineswegs ausgemacht, ob am Ende des Weges zu einer europäischen Verfassung die kollektive Religionsfreiheit zum europäischen Gemeingut wird oder ob sie nur als ein mäßig geschütztes Sondergut einzelner Staaten bewahrt bleibt, gewissermaßen im Sinne einer (schwachen) Besitzstandsklausel. Die Freiheit als solche, dabei bleibt es, kann die Religion nicht unterdrücken. Eine falsch verstandene Freiheit freilich, diese warnende Korrektur jenes zweiten Satzes ist angebracht, kann die richtig verstandene Religionsfreiheit gefährden. Und deshalb muss beides geklärt werden: Die Frage, wie die staatliche Religionsfreiheit richtig zu verstehen ist, ebenso wie die Frage, weshalb und mit welchen Gründen sich die Kirchen für eine umfassende Religionsfreiheit einsetzen müssen – pragmatisch auch im eigenen Interesse, theologisch aber auch weit darüber hinaus.
Die Entstehung der Religionsfreiheit in Deutschland
Zunächst ein kleiner grober Rückblick auf die deutsche Entwicklung hin zur Religionsfreiheit: Die Geschichte des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der Mitte Europas war bis zur Reformation gewiss immer wieder umstritten. Dies hatte aber allenfalls mit konfligierenden (Macht-)Ansprüchen der beiden Institutionen zu tun, keinesfalls aber mit irgendeiner Freiheit der Religion, erst recht nicht mit einer Religionsfreiheit der Untertanen; nicht einmal die „kirchen-kritischen“ weltlichen Herrscher wären je auf den geäußerten Gedanken eines Lebens außerhalb des corpus christianum gekommen. Es ging um Konflikte innerhalb des Christentums, nicht gegen das Christentum, schon gar nicht zugunsten anderer Religionen. Erst mit dem nachreformatorischen Neben- und Gegeneinander der Konfessionen stellt sich erstmals die Frage nach – nein: nicht der (christlichen) Religion, sondern – der Konfession im Staat. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 cuius regio, eius religio etabliert das Nebeneinander von Herrschaften unterschiedlicher Konfession, verlangt aber die Übereinstimmung der Konfession der Untertanen mit der des Herrschers, gewährt den „Abweichlern“ aber immerhin ein zeitlich begrenztes Auswanderungsrecht. Wechselt der Herrscher die Konfession, hat der Untertan mit zu wechseln – sozusagen: Konfessionsfreiheit für Herrscher, Religionsfreiheit für niemanden. Der Westfälische Frieden von 1648 koppelt den allfälligen Konfessionswechsel des Herrschers vom Konfessionsstand seiner Untertanen ab; diese also haben nun das Recht, ihrer Konfession treu zu bleiben.
Das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus – und die Zusammenfassung unterschiedlicher konfessioneller Gebiete unter einer Herrschaft, auch die konfessionelle Ausdifferenzierung des Protestantismus innerhalb ein- und desselben Territoriums – führt zu gewissen Lockerungen und zu einer gewissen Pluralität der Konfessionen innerhalb eines Staates: „Die Religionen müssen alle tollerieret werden und mus der Fiscal (der Staat, R.L.) nuhr das Auge darauf haben, dass keine der andern Abruch tuhe, den hier (in Preußen! R.L.) mus ein jeder nach seiner Fasson selich werden“, so Friedrich der Große. Aber zeigt sich schon hier, dass diese „Toleranz“ nicht etwa kirchlichen Anstößen, sondern aus staatlichem Interesse folgt, so wird dies noch deutlicher in einem anderen Dictum des „Alten Fritzen“: „Was die Gesangbücher angeht, so steht einem jeden frei zu singen: ‚Nun ruhen alle Wälder‘ oder dergleichen dummes und thörigtes Zeug mehr. Aber die Priester müssen die Toleranz nicht vergessen, denn ihnen wird keine Verfolgung gestattet werden.“ Das heißt: An der Wiege der Religionsfreiheit und der Toleranz steht als erster Pate der religiöse Zynismus, nicht die religiös intendierte Freiheit des Andersdenkenden. Und selbst in diesem Preußen waren die Anhänger nicht-etablierter christlicher Gemeinschaften vom Recht des öffentlichen Gottesdienstes ausgeschlossen und auf die häusliche Religionsausübung verwiesen. Erst der dritte Nachfolger Friedrichs des Großen, der preußische König Friedrich Wilhelm IV., wird zulassen, dass ein persönlicher „Konfessionswechsel“ auch in die Konfessionslosigkeit führt. Bis dahin war der Mensch als Bürger gar nicht anders denkbar, denn als Staats- und Kirchenbürger zugleich; Juden fielen aus dieser Identität heraus, es sei denn, sie seien im Einzelfall zu (begrenzt) privilegierten Juden „ernannt“ worden, freilich dann immer noch nicht zu „vollwertigen“ Staatsbürgern.
Die Paulskirchenverfassung, obwohl nie gültig und kräftig geworden, gewährt 1849 immerhin die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit“ und hebt alle Beschränkungen der „gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung der Religion“ auf. Sie gibt den Kirchen das Recht zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten, erlaubt die Bildung neuer Religionsgesellschaften und stellt fest: „Es besteht fernerhin keine Staatskirche.“ Doch erst mit der Weimarer Reichsverfassung wird aus alledem geltendes Verfassungsrecht. Freilich bleibt der Sitz der Religionsfreiheit selbst in der Weimarer Verfassung ein Regelungselement des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Erst im Grundgesetz von 1949 tritt die Religionsfreiheit aus diesem „korporatistischen Verhältnis“ heraus und wird zu einem unmittelbar geltenden individuellen Grundrecht der Person verselbständigt, neben dem in einem merkwürdigen, begrifflich nicht ganz spannungsfreien historischen Kompromiss die „staatskirchenrechtlichen“ Artikel aus der Weimarer Verfassung fortexistieren.
Diese Zeitraffer-Skizze eines Geschichtsausschnittes war notwendig, weil sie zugleich eines zeigt: Nirgendwo in diesem Prozess bewegen sich die Kirchen als Institutionen, schon gar nicht ihre Leitungsorgane, in der Avantgarde. Die römisch- katholische Kirche wird sogar erst 1965 im 2. Vatikanischen Konzil die Religions- und Gewissensfreiheit positiv annehmen. Auch dem etablierten deutschen Protestantismus, der bis 1919 in seinen vorrangigen Territorien landesherrlich repräsentiert und domestiziert blieb, war die korporatistische Ebene des Staatskirchenrechts zur Wahrung seiner Belange wichtiger als die individuelle Religionsfreiheit eines jeden Christenmenschen und Kirchenfeindes. Ein gewiss nur punktuelles Beispiel für diese Nachwirkung: Noch 1961 bietet das repräsentative, damals ganz evangelisch gestimmte Lexikon „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ in seiner dritten Auflage einen höchst lapidaren Artikel zur Religionsfreiheit, in dem, ohne jede historische Information, gerade eben die Rechtslage nach dem Grundgesetz fast distanziert knapp wiedergegeben wird, auch mit Sätzen wie diesem: „Moderne Verfassungen gewährleisten die Religionsfreiheit vielfach im Sinne einer allgemeinen Weltanschauungsfreiheit, die nicht nur ein christliches Bekenntnis, sondern selbst antireligiöse Weltanschauungen schützt (so etwa Art. 4 I GG).“ Eher noch finden sich proaktive Äußerungen zur Religionsfreiheit in der Ökumene, etwa ein Satz, wie er 1968 von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala verabschiedet wurde: „Die volle Anwendung der Religionsfreiheit auf einzelne und Organisationen und das freie Recht für alle Menschen, gleich welchen Glaubens und welcher Weltanschauung, dem eigenen Gewissen zu folgen, sind von grundlegender Bedeutung für alle menschlichen Freiheiten.“ Freilich drängt sich das Problem der Religionsunfreiheit in der Weite der Ökumene auch deutlicher auf.
Gebeugter Glaube ist Unglaube
Nun aber stellt sich, jenseits der historischen Kritik, nicht so sehr die Frage an die Kirchen: Wie haltet ihr es mit der Religionsfreiheit? Sondern: Was sind die Gründe für ihre inzwischen scheinbar umstandslose Bejahung? Zunächst wird man sagen können, dass die Kirchen endgültig ihren Frieden mit dem seriös interpretierten Individualismus geschlossen haben. Mag auch der Begriff Individualismus mit einem gewissen anti-liberalen Unterton noch an polemische Frontstellungen der Vergangenheit erinnern, so ist mit dem Begriff der Menschenwürde in Wirklichkeit dasselbe gesagt, etwas positiver, etwas feierlicher – auch mit Pathos etwas unklarer. In diesem Begriff konvergieren Einsichten aus der politischen wie der theologischen Anthropologie: Jedem einzelnen Menschen kommt ein Kern unantastbarer Würde zu, der zwar faktisch geschändet, aber nicht in seinem Wesen zerstört werden kann. Dieser Kern der Menschenwürde ist in jedem einzelnen Menschen schlechterdings allem vorgelagert – nicht nur jeder staatlichen (und kirchlichen!) Regulierung, ja sogar der Notwendigkeit oder auch nur Möglichkeit der betreffenden Person, sich diese Würde erst durch eigene Leistung zu verdienen. Zu dieser Menschenwürde zählt unbedingt und als erstes die Gewissensfreiheit – nicht weil das Gewissen des Einzelnen unfehlbar wäre, sondern weil eben die Fähigkeit des Gewissens, auch zu irren, unvermeidlicher Ausdruck seiner Freiheit ist. Erst wer frei ist, sich zu entscheiden, kann überhaupt ein Gewissen entwickeln und hernach sich richtig, aber auch falsch entscheiden. Und nur eine freie Entscheidung für das Richtige ist eine richtige Entscheidung. Gewissensfreiheit ist aber auch die Voraussetzung von wirklicher Religion. Nur eine vollkommen freie Antwort auf Gottes Zuspruch und Anspruch ist eine wahre Antwort. Die Freiheit dieser Antwort kann gewiss politisch beschnitten, ja unterdrückt werden – aber wer trotz staatlicher Verfolgung bei seiner Religion bleibt, beweist ja gerade, dass er seine religiöse Antwort aus freien Stücken gegeben hat, im Widerspruch zur offenkundig herrschenden Unfreiheit. Staatlicher Druck, auch religiöse Repression kann das Gewissen nur von der wahren Religion weg-, niemals aber zu ihr hinbeugen. Denn gebeugter Glaube ist Unglaube.
Das ist der letzte, unhintergehbare Grund dafür, dass auch die Kirchen die positive Religionsfreiheit der Andersgläubigen, auch die negative Religionsfreiheit der Ungläubigen uneingeschränkt bejahen und – wo immer möglich – aktiv für sie eintreten müssen. Demgegenüber wäre es viel zu kurz gesprungen, würden die Kirchen für die Religionsfreiheit allein zum Zwecke eines do ut des eintreten, gewissermaßen im Sinne einer „Gegenseitigkeits-Klausel“: Ich gewähre Dir Religionsfreiheit, damit (und sofern) Du mir ein Selbes gewährst.“ Folglich können die Kirchen in der Bundesrepublik gar nicht anders, als für die Religionsfreiheit der Muslime selbst dann einzutreten, wenn islamische Staaten keine Religionsfreiheit für Christen praktizieren. Diese Asymmetrie legitimiert auch ihr Eintreten für die Religionsfreiheit überall – wie gesagt: nicht als pragmatische, handelsübliche Vorleistung, sondern als prinzipielle Voraussetzung.
Gewiss gibt es auch Grenzen der Religionsfreiheit, nämlich dort, wo die Praxis einer bestimmten „Religion“ ihrerseits zu Lasten der Freiheit Dritter und zu Lasten der Menschenwürde ihrer Anhänger geht; diese Grenzen können sich aber allein aus den Menschen- und Grundrechten der Betroffenen ergeben. Vor allem aber: Diese Grenzen gelten dann unterschiedslos für alle Religionen. Es kann also keine Privilegien für bestimmte Religionen geben – weder positiv bei der Ausübung derselben, noch negativ bei den verfassungsimmanenten Schranken der Religionsfreiheit.
Noch einmal – und zum Beschluss: Die Kirchen haben jetzt endlich und für nunmehr alle Zeit nicht nur gute, sondern unaufhebbare Gründe, für die umfassende Religionsfreiheit einzutreten. Aber sollte es das geschichtliche Unheil anders anrichten und die Religionsfreiheit entweder nicht gewährt oder wieder kassiert werden, so hat die christliche Gemeinde ebenso starke, ebenso unaufhebbare Gründe, ihrem Glauben dennoch treu zu bleiben. Auch das Martyrium ist, wenngleich man es nicht mutwillig herbeireden soll, ein Zeichen der Freiheit – gegen die Unfreiheit. Der Märtyrer wird sagen – und nur er kann es sagen: der Unfreiheit allemal vorzuziehen.
Robert Leicht ist Mitglied der Synode und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er ist Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin und Politischer Korrespondent der „Zeit“.
(Dwain C. Epps)
Diejenigen, die das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit zuerst artikuliert haben, waren geprägt von bitteren Erfahrungen europäischer Protestanten aus der Reformationszeit und den folgenden Religionskriegen.
Ganze Gemeinschaften wurden damals vertrieben und viele wanderten auf der Suche nach religiöser, politischer, sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Freiheit nach Nordamerika aus. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 erinnert an die „Umstände unserer Auswanderung“ und erklärt gegenüber der britischen Krone: „Wir halten diese Wahrheiten für offenkundig, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten begabt sind, dass zu diesen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehört.“ Die erste Änderung der amerikanischen Verfassung im Jahr 1791 legte fest, „dass der Kongress kein Gesetz machen darf, das die Einrichtung einer Religion anerkennt oder die freie Religionsausübung einschränkt.“ Dieser naturrechtliche Ansatz gegenüber Menschenrechten und das Verständnis, dass zwischen Religion und Staat „eine Trennungsmauer“ bestehen solle, wie Thomas Jefferson es formulierte, bestimmte das Denken über Religionsfreiheit und Menschenrechte.
Die protestantische Missionsbewegung
Die missionarische Ausbreitung des Protestantismus im 19. Jahrhundert, oftmals eng mit kolonialen Eroberungen verknüpft, führte unweigerlich zu Konfrontationen mit den vorherrschenden einheimischen Religionen, aber auch mit den in diesen Ländern bereits etablierten, meistens orthodoxen oder römisch-katholischen christlichen Kirchen. Daher überrascht es nicht, dass die ersten ökumenischen Formulierungen eines Rechts auf Religionsfreiheit im Kontext der Missionsbewegung erfolgten.
Das Thema wurde auf der ersten Weltmissionskonferenz in Edinburg im Jahre 1910 diskutiert, und im Jahr 1928 verabschiedete der Internationale Missionsrat die erste substanzielle Erklärung zur Freiheit des Gewissens und der Religion. Bemerkenswert ist die für die damalige Zeit ungewöhnlich inklusive Weise, mit der Anhänger nicht-christlicher Religionen angesprochen und zusammen mit den Kirchen aufgefordert werden, „angesichts eines wachsenden Materialismus in der Welt am Glauben an das Unsichtbare und Ewige festzuhalten; mit uns gegen alle Übel des Säkularismus zusammenzuarbeiten; die Gewissensfreiheit zu respektieren, damit Menschen ohne Trennung von Familie und Freunden Christus bekennen können; und wahrzunehmen, dass alles Gute, was Menschen sich jemals vorgestellt haben, in Jesus Christus erfüllt und geschützt ist.“
Erfahrungen unter unmenschlichen Regimen
Die ökumenische Konferenz in Oxford 1937 zum Thema Kirche, Staat und Gemeinschaft erhob eingedenk der Situation in Deutschland und in der Sowjetunion den Ruf: „Lasst die Kirche Kirche sein!“ Sie erweiterte die Erklärung von 1928 mit der Aufzählung mehrerer Bedingungen dafür, dass die Kirche ihre Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft erfüllen könne:
- das Recht zu öffentlichem und privatem Gottesdienst, zu Predigt und Unterricht,
- die Freiheit von Auflagen des Staates für Liturgie und religiöse Zeremonien,
- die Freiheit der Kirche, ihre eigene Leitung zu bestimmen sowie die Qualifikation ihrer Amtsträger und Glieder festzulegen,
- die Freiheit des einzelnen, der Kirche beizutreten,
- das Recht, die Ausbildung ihrer Amtsträger zu kontrollieren und Religionsunterricht an Jugendliche zu erteilen,
- die Freiheit zu sozialem Dienst und missionarischer Aktivität im In- und Ausland,
- die Freiheit zur Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und
- die Freiheit zur Nutzung allgemein zugänglicher öffentlicher Mittel zur Erreichung dieser Ziele.
Religionsfreiheit als internationales Grundrecht
Nach der Oxford-Konferenz formulierten Kirchen in Großbritannien und in den USA im Auftrag der ökumenischen Bewegung Vorschläge, um den Gedanken der Religionsfreiheit im Völkerrecht zu verankern. Dabei nahmen sie auch die berühmten „vier Freiheiten“ auf, die Franklin Roosevelt im Jahr 1941 verkündet hatte. Eine davon heißt: „Die Freiheit jeder Person, auf ihre Weise Gott zu verehren – überall in der Welt.“ Die Vorschläge wurden den Regierungen im Vorfeld der Gründung der Vereinten Nationen (UN) unterbreitet.
Eine vom Bundesrat der Kirchen in den USA eingesetzte Kommission erarbeitete im Jahr 1942 ein Dokument mit dem Titel „Sechs Säulen des Friedens“, das grundlegende Bedingungen für einen gerechten Frieden aus christlicher Sicht darlegte und die politischen Überlegungen für eine Nachkriegsordnung unter den alliierten Mächten erheblich beeinflusste. Darin werden universale Menschenrechte einschließlich „des unbeschränkten Rechts des Individuums auf religiöse und intellektuelle Freiheit“ als Voraussetzung für dauerhaften Frieden bezeichnet.
Dr. O. Frederick Nolde nahm für die Kirchen als Berater der US-Delegation an der Konferenz in San Francisco im Jahr 1945 teil, auf der die Charta der Vereinten Nationen ausgearbeitet und angenommen wurde. Mit seiner Hilfe wurden die Vorschläge der Kirchen fast vollständig übernommen. In einer Präambel wurde die Entschlossenheit der Völker ausgedrückt, „den Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen“. Ein Artikel wurde aufgenommen, mit dem sich die Vereinten Nationen zum Ziel setzen, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um (…) die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“.
Eine weitere beachtliche Verbesserung in der Charta, die von den Kirchen unterstützt wurde, war die Einfügung eines Passus zur Einrichtung eines permanenten Beratungsinstruments zwischen den Vereinten Nationen und Nicht-Regierungs- Organisationen. Im Blick auf diese Möglichkeit gründeten der Internationale Missionsrat und das Vorläufige Komitee des Ökumenischen Rates der Kirchen eine „Ständige Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten“ (CCIA) zur Vertretung der Kirchen bei den Vereinten Nationen. Dr. Nolde wurde zu ihrem ersten Direktor ernannt. Unter den ersten Aufgaben dieser Kommission war die Bemühung um Ausarbeitung und Annahme einer Universalen Erklärung der Menschenrechte einschließlich der Religionsfreiheit.
Die erste Vollversammlung des ÖRK in Amsterdam im Jahr 1948 nahm auf Antrag der CCIA eine Erklärung zur Religionsfreiheit an. Sie formulierte als breiten Konsens der Mitgliedskirchen:
- Jeder Mensch hat das Recht, seinen eigenen Glauben und sein Glaubensbekenntnis selbst zu bestimmen.
- Jeder Mensch hat das Recht, seinen religiösen Überzeugungen im Gottesdienst, im Unterricht und im praktischen Leben Ausdruck zu geben und die Folgerungen aus ihnen für die Beziehungen in der sozialen oder politischen Gemeinschaft offen auszusprechen.
- Jeder Mensch hat das Recht, sich mit anderen zusammenzuschließen und mit ihnen eine gemeinsame Organisation für religiöse Zwecke zu bilden.
- Jede religiöse Organisation, die entsprechend den Rechten der Einzelperson gebildet oder aufrechterhalten wird, hat das Recht, selbst ihre Grundsätze und ihre Praxis im Dienste der Ziele zu bestimmen, für die sie sich entschieden hat.
Diese Erklärung erwies sich als sehr einflussreich. Dr. Nolde nahm sie gleich mit nach Paris, wo die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Entwurf für eine Universale Erklärung der Menschenrechte diskutierte. Auf der Grundlage der Erklärung von Amsterdam formulierte Dr. Nolde einen Entwurf für einen Artikel zur Religionsfreiheit, der angenommen wurde und bis heute von grundlegender Bedeutung für das internationale Recht und seine Anwendung ist, nämlich den Artikel 18.
Ende des Kolonialismus und Religionsfreiheit als kollektives Recht
Bis dahin waren Menschenrechte immer aus der Sicht des Westens betrachtet worden, ausgehend von der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Als die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1966 die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte annahm, die der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Rechtskraft verleihen sollte, öffnete sich ein weiter Zwiespalt zwischen denen, die den individuellen Rechten Vorrang einräumen wollten, und denen, die von den kollektiven Rechten ausgehen wollten. Dieser Graben zwischen dem Westen und dem Osten wuchs und wandelte das Thema Menschenrechte in ein Minenfeld in der ideologischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges.
Im selben Jahr tagte in Genf die Ökumenische Konferenz für Kirche und Gesellschaft. Vertreter der Kirchen aus der Dritten Welt wollten den überwiegend nordatlantisch geprägten Charakter des Ökumenischen Rates radikal verändern, um der postkolonialen Welt zu mehr Geltung zu verhelfen und der neuen, tatsächlich globalen Mitgliedschaft mehr Gewicht zu geben. Die Vollversammlung in Uppsala im Jahr 1968 nahm diese Forderungen auf und öffnete die Tür für radikale Veränderungen des ökumenischen Verständnisses von Menschenrechten und Religionsfreiheit. „Die volle Anwendung der Religionsfreiheit auf einzelne und Organisationen und das freie Recht für alle Menschen, gleich welchen Glaubens und welcher Weltanschauung, dem eigenen Gewissen zu folgen, ist von grundlegender Bedeutung für alle menschlichen Freiheiten,“ heißt es im Beschluss der Vollversammlung. Sie forderte die Kirchen auf, „ihren Gemeinden klarzumachen, dass in der modernen weltweiten Gemeinschaft die Rechte des einzelnen unvermeidlich mit dem Kampf um einen besseren Lebensstandard für die sozial Benachteiligten in allen Völkern verknüpft sind.“
Diese Ideen wurden zur Grundlage für ein neues ökumenisches Verständnis der Menschenrechte, das bei der fünften Vollversammlung des ÖRK in Nairobi im Jahr 1975 formuliert wurde.
„Das Evangelium führt uns dazu, Verletzungen der Menschenrechte in unseren eigenen Gesellschaften immer wacher aufzugreifen und zu korrigieren sowie neue Formen der Solidarität mit andernorts ähnlich engagierten Christen einzugehen. Es führt uns in den Kampf der Armen und Unterdrückten innerhalb und außerhalb der Kirche um uneingeschränkte Anerkennung ihrer Menschenrechte. Es befreit uns dazu, mit Menschen anderen Glaubens oder anderer Ideologie zusammenzuarbeiten, die wie wir für die Würde des Menschen eintreten.“
„Die Religionsfreiheit ist und bleibt ein Hauptanliegen der Mitgliedskirchen des ÖRK. Dieses Recht sollte jedoch nicht als ausschließliches Recht der Kirche angesehen werden. Die Ausübung der Religionsfreiheit hat nicht immer die ganze Vielfalt der Überzeugungen widergespiegelt, die auf der Welt besteht. Dieses Recht ist von anderen grundlegenden Freiheitsrechten der Menschen nicht zu trennen. Keine Religionsgemeinschaft darf für sich Religionsfreiheit beanspruchen, ohne selbst die Glaubensüberzeugungen und die grundlegenden Menschenrechte der anderen zu respektieren und zu wahren.“
„Religionsfreiheit sollte niemals den Anspruch auf Privilegien rechtfertigen. Für die Kirche ist die Religionsfreiheit wesentlich für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die ihr der christliche Glaube auferlegt. Im Mittelpunkt dieser Verpflichtungen steht der Dienst an der ganzen Gemeinschaft.“
„In den meisten Verfassungen ist die Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht verankert. Unter Religionsfreiheit verstehen wir das Recht, aus freiem Entschluss eine Religion oder einen Glauben zu haben oder anzunehmen, sowie das Recht, diese Religion oder diesen Glauben einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder im privaten Bereich, im Gottesdienst, in dem herkömmlichen Brauchtum, in Praxis und Lehre zu äußern. Zur Religionsfreiheit muss auch das Recht und die Pflicht der religiösen Institutionen gehören, die herrschenden Mächte, wo dies notwendig ist, im Einklang mit ihren religiösen Überzeugungen zu kritisieren. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass viele Christen in verschiedenen Teilen der Welt aus politischen oder Gewissensgründen eingekerkert sind, weil sie sich bemüht haben, die Gebote des Evangeliums in vollem Umfang zu erfüllen.“
Das Wiedererwachen von Religion als politischer Kraft
Kirchen in aller Welt haben diese Herausforderung angenommen und neue Bande der Solidarität mit anderen geknüpft, die sich in kühnen Aktionen für die Menschenrechte einsetzen. Nicht immer, wenn erwachende religiöse Bewegungen sich in sozialen und politischen Fragen engagieren, geschieht das zugunsten von Gerechtigkeit, Frieden und Toleranz. Die sechste Vollversammlung des ÖRK im kanadischen Vancouver im Jahr 1983 äußerte Besorgnis über ein „wachsendes Klima von religiösem Fanatismus und dem Erstarken eines politischen Fundamentalismus, die ernsthaft die Rechte von Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften bedrohen, ihrem Glauben in Gottesdienst, Einhaltung von Regeln, Praxis und Lehre zu folgen.“
Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Ost- und Zentraleuropa, der Kollaps des offiziellen Atheismus und das Ende der scharfen Kontrolle über öffentliche Äußerungen der Religionen führten zu weit verbreiteten gewaltsamen Ausbrüchen religiöser Leidenschaft. In rascher Folge brachen Konflikte in der früheren Sowjetunion und auf dem Balkan aus, in denen sich zeigte, dass Religion, Ethnozentrismus und wiedererwachter Nationalismus jahrzehntelang unter der Oberfläche geschwelt hatten. In den 1990er Jahren breitete sich dieses Phänomen in vielen Teilen der Welt aus.
Samuel Huntington, Harvard-Professor für strategische Studien, beobachtete das Wiederauftauchen von Religion als einem wesentlichen Faktor in Konflikten und veröffentlichte in den 1990er Jahren Thesen von einem „Kampf der Kulturen“, die eine hitzige internationale Debatte zur Folge hatten, die noch nicht ganz verklungen ist. „Die gefährlichen Zusammenstöße der Zukunft“, schrieb er, „erwachsen vermutlich aus einer Interaktion von westlicher Arroganz, islamischer Intoleranz und chinesischer Rechthaberei.“
Huntingtons Analyse wurde in der öffentlichen Debatte oftmals grob vereinfacht. In der außerordentlich komplexen und konfliktgeladenen Situation nach dem Kalten Krieg haben manche einfach das Stichwort „Kommunismus“ durch „islamischen Fundamentalismus“ ersetzt. Mit diesem neuen Feindbild konnten sie an der allzu schlichten Logik „Gut gegen Böse“ festhalten. Im Krieg gegen einen (islamisch inspirierten) Terrorismus werden politische und religiöse Leidenschaften vermischt und zum Teil bewusst missbraucht. Sie heizen die religiösen und ethnischen Konflikte weiter an.
In einigen dieser Konflikte sind christliche Minoritäten die ersten Opfer von Angriffen radikaler religiöser Gruppen. Gläubige wurden getötet und Kirchen angezündet. Manchmal haben Christen in gleicher Weise zurückgeschlagen und dabei die globale christliche Solidarität um Hilfe angerufen. Die „religiöse Rechte“ in den USA und ihre Verbündeten in einigen Teilen Europas haben diese konfrontative Haltung noch bestärkt; sie haben ihre früheren anti-kommunistischen Organisationen in Bewegungen für „verfolgte Christen“ umgewandelt und machen gegen „den Islam“ mobil.
Religionsfreiheit und Globalisierung
Gegen eine von den USA angeführte Globalisierung, die ihr eigenes ökonomisches System, ihre Kultur und ihr Freiheitsverständnis dem Rest der Welt aufzudrängen versucht, ist eine globale Gegenbewegung entstanden, die sich in verschiedenen Formen ausdrückt. Erste Zeichen von Widerstand gegen solche Bestrebungen wurden bei der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1993 in Wien sichtbar, als viele einflussreiche Stimmen aus dem „globalen Süden“ betonten, dass Menschenrechte (einschließlich der Religionsfreiheit) einen kulturspezifischen Charakter besäßen, in westlichen, christlichen Ideen verwurzelt seien und damit eine bestimmte Ideologie reflektierten; sie könnten deswegen nicht universale Gültigkeit beanspruchen.
Die letzte Vollversammlung des ÖRK in der simbabwischen Hauptstadt Harare im Jahr 1998 hat sensibel auf diese Argumente reagiert, aber dennoch an der Verpflichtung der ökumenischen Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit festgehalten. Diese benötigt eine internationale Rechtsordnung als Grundlage, starke internationale Institutionen zu ihrer Durchsetzung und die Menschenrechte als universale und unteilbare Normen für alle Nationen und Völker. Sie bestätigte auch die zentrale Bedeutung der Religionsfreiheit für den ÖRK.
Im Rückblick auf die Geschichte kann die Grundrichtung der ökumenischen Bewegung, dass Menschenrechte zu einem Eckstein des internationalen Rechts gemacht werden müssen, nur mit Dankbarkeit bestätigt werden. Das konnte und kann nur durch sorgfältiges Nachdenken, wirksame Diplomatie und stetigen – auch respektvollen interreligiösen – Dialog erreicht werden. Es wäre eine Tragödie, wenn die Tendenzen des Kalten Krieges, Menschenrechte als Waffen in einem ideologischen Kampf zu missbrauchen, sich heute durchsetzen würden. Die ökumenische Bewegung hat sich einer solchen Tendenz immer widersetzt, und darauf kann sie mit Recht stolz sein. Heute muss sie deswegen allen Versuchen entgegentreten, Religionsfreiheit als Teil des Waffenarsenals der Globalisierungs-Kräfte zu sehen. Die Richtlinien, im Jahr 1976 von der ÖRK-Vollversammlung in Nairobi beschlossen, sind eine große Hilfe in diesem neuen Kampf für Frieden und Gerechtigkeit und gegen eine Unkultur der Gewalt und Vergeltung. Dieses Konzept, das grundlegend ist für ein authentisches christliches Zeugnis in einer konfliktiven, multi-religiösen Welt, kann in drei Punkten zusammengefasst werden:
- Religionsfreiheit gehört zum Kernbestand der Menschenrechte und kann nicht davon getrennt werden. Dieser Ansatz verstärkt die Ganzheit der Menschenrechte und gibt ihr Tiefe. Wenn die Religionsfreiheit dagegen allein und für sich genommen wird, kann sie zu Spaltungen und Konflikten führen.
- Das Eintreten für Religionsfreiheit muss immer mit Demut und im Dialog mit anderen geschehen. Dieses Recht kann legitimerweise nicht exklusiv für die eigene Person, die eigene Nation, die eigene ethnische Gruppe oder die eigene Kirche oder Glaubensgemeinschaft in Anspruch genommen werden. Es ist wesentlich für Glaubende, ihre Kirchen oder Religionsgemeinschaften, ihre Verantwortung für den Dienst an der ganzen Gemeinschaft im Sinne von Frieden und Versöhnung zu erfüllen.
- Die biblische Anweisung, dass Christen zuerst den Balken aus dem eigenen Auge entfernen sollen, ehe sie sich um den Splitter im Auge ihres Nächsten bemühen, bedeutet, dass Verantwortung für Menschenrechte und Religionsfreiheit immer zu Hause beginnt. Wer sich als ein glaubwürdiger Anwalt für die universelle Anwendung menschenrechtlicher Standards in Solidarität mit anderen einsetzen will, der muss auch selbstkritisch die eigene Situation betrachten und darauf achten, dass diese Standards in den eigenen Kirchen und Nationen vollständig respektiert werden.
Dwain C. Epps ist ehemaliger Direktor der Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten des Ökumenischen Rates der Kirchen.
[Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Warner Conring.]
1.3 Verfolgung von Christen – eine Herausforderung für die deutsche Politik
(Hermann Gröhe)
Als der Deutsche Bundestag am 24. Februar 2000 das Thema „Verfolgung von Christen in aller Welt“ diskutierte, war es das erste Mal, dass dieses in Kirchen, Politik und Öffentlichkeit häufig verdrängte Thema Gegenstand einer eigenen Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages war. Anlass war die Beantwortung einer entsprechenden „Großen Anfrage“ der CDU / CSU Bundestagsfraktion durch die Bundesregierung. Schon mit der Debatte über diese Anfrage, aber auch mit dem Prozess der Erarbeitung ihrer Beantwortung, hatten die Autoren dieser Anfrage ein wichtiges Ziel erreicht: eine erhöhte Sensibilität für dieses Thema in Parlament und Öffentlichkeit, nicht zuletzt aber auch bei den vielen Stellen im Regierungsapparat sowie einer ganzen Reihe von deutschen Auslandsvertretungen, die über die Mitarbeit an der Beantwortung der Fragen zur Beschäftigung mit diesem Thema gezwungen wurden.
Grundlage der „Großen Anfrage“ und weiterer seither ergriffener parlamentarischer Initiativen etwa zur Lage in Indien, in Vietnam oder im Sudan war das Verständnis des Einsatzes für verfolgte Christen als Bestandteil des Einsatzes für Religionsfreiheit generell. Zugleich war in der Anfrage formuliert: „Angesichts der christlichen Prägung unserer politischen Kultur fühlen wir uns aber mit verfolgten Christen in besonderer Weise verbunden und zu Solidarität verpflichtet“. Zwar wurde den Autoren der „Großen Anfrage“ von Seiten anderer Fraktionen vorgeworfen, eine fragwürdige Privilegierung christlicher Verfolgungsopfer zu betreiben. Die Bundesregierung aber betonte in ihrer Antwort, dass sie sich durch die „zahlreichen und engen Kontakte der deutschen Zivilgesellschaft mit bedrängten Christen in aller Welt (…) in besonderer Weise gefordert (sieht), sich weltweit gerade auch für verfolgte Christen einzusetzen.“ Diese Aussage verdient auch deshalb besonders hervorgehoben zu werden, weil in ihr zum Ausdruck kommt, dass die vielfältigen Aktivitäten von Kirchen, Missions- und Hilfswerken indirekt durchaus auch eine politische Wirkung haben.
Grundlagen der Religionsfreiheit
Verankert ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und in Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. In Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden“.
Ohne sich auf den Streit über eine mögliche Rangfolge von Menschenrechten und Menschenrechtsverletzungen einlassen zu wollen, kann zum Recht auf Religionsfreiheit doch gesagt werden: Wo ein Regime das Leben der Gläubigen beherrschen will und ihre Gottesdienste, ihr Gemeindeleben oder die religiöse Unterweisung der Kinder zu kontrollieren versucht, wird die Totalität seines Herrschaftsanspruches besonders deutlich. Dabei ist es kein Zufall, dass sich totalitäre Regime gerade durch religiöse Überzeugungen gleichsam „herausgefordert“ sehen. Wo Menschen sich einer transzendentalen Macht gegenüber verantwortlich fühlen, an einen Schöpfer, Gesetzgeber, Richter oder barmherzigen Vater glauben, erfährt der Herrschaftsanspruch der „Herren dieser Welt“ eine Begrenzung. Diese Begrenzung mag Despoten stören. In Wahrheit ist sie äußerst human, kann menschliches Streben vor Selbstüberschätzung und Vergötzung irdischer Macht bewahren. Und so haben denn auch solche Überzeugungen wesentlich zu einem Verständnis der Menschenrechte als den Geburtsrechten aller Menschen beigetragen, die aller staatlichen Macht vorgegeben sind.
Bedrohung der Religionsfreiheit in vormals kommunistischen Ländern
Gewiss stellt sich die Lage bedrängter oder verfolgter Christen in verschiedenen Ländern, ja nicht selten selbst innerhalb eines Landes, sehr unterschiedlich dar. So hat zwar die ideologisch motivierte staatliche Verfolgung von Christen in einer Reihe von Ländern als Folge des Zusammenbruchs des Kommunismus im früheren Ostblock ein Ende gefunden. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die „Religionspolitik“ zum Beispiel im bevölkerungsreichsten Land der Erde, der Volksrepublik China, aber auch in Vietnam und Nordkorea noch immer vielfach von dem kommunistischen Verständnis von Religion als „Opium des Volkes“ geprägt ist. Verfolgung findet dabei in China sicherlich bei weitem nicht mehr in dem Ausmaße statt, wie zu Zeiten der „Kulturrevolution“. Aber „romtreue“ Katholiken und protestantische „Hauskirchen“ stehen nach wie vor bei großen regionalen Unterschieden unter einem erheblichen staatlichen Druck. Noch immer werden Christen, vor allem Hauskirchenlehrer, Priester und Evangelisten willkürlich verhaftet und in Umerziehungslager gebracht. Zur „Religionspolitik“ gehört aber auch der massive Druck, ja, die in Teilen brutale Verfolgung der Anhänger der Meditationsbewegung Falungong. Dagegen findet die Zerstörung der religiösen Kultur Tibets oder der Druck auf die Muslime in Xinjiang unter dem Vorwand statt, separatistischen Tendenzen entgegenwirken zu müssen und wird nicht selten als Kampf gegen den Terrorismus bemäntelt.
Diskriminierung von Christen in islamisch geprägten Staaten
Mit großer Sorge muss das Anwachsen der Diskriminierung und Verfolgung von Christen in einer Reihe islamisch geprägter Länder betrachtet werden. Sicherlich muss man sich hier vor fragwürdigen Verallgemeinerungen hüten. Aber die Angst vor dem Vorwurf, „neue Feindbilder“ zu schaffen, darf nicht dazu führen, dass erhebliche Missstände etwa in Pakistan oder in Saudi-Arabien nicht deutlich benannt werden. Darüber bedarf es offenkundig auch in unserem eigenen Land noch einer weiteren politischen Klärung. So halte ich es für sehr problematisch, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort zur Lage der Christen in islamischen Ländern erklärt, „lediglich missionarische Aktivitäten“ würden „von den meisten islamischen Staaten konsequent unterbunden“. Denn der bereits zitierte Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zählt zur Religionsfreiheit ganz ausdrücklich auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit, die Religion zu wechseln. Wer also Christen empfiehlt, leise und in private Räume zurückgezogen Gottesdienste durchzuführen und nicht durch lautstarkes Missionieren zu „provozieren“, verfehlt nicht nur die missionarische Dimension des christlichen Glaubens, sondern auch einen wesentlichen Kern des Grundrechts auf Religionsfreiheit.
In einer Reihe islamisch geprägter Länder gehört ein Erstarken islamistischer Strömungen wohl auch zu einer postkolonialen Identitätssuche. Dies gilt beispielsweise für das bevölkerungsreichste islamisch geprägte Land Indonesien, in dem nach dem Ende der säkularen Suharto-Diktatur zunehmend Tendenzen festzustellen sind, die die nationale Identität immer stärker mit dem Islam verbinden wollen.
Auch in Indien, der bevölkerungsreichsten Demokratie, verbindet sich anhaltende Identitätssuche zunehmend mit einem fundamentalistischen Hindu-Nationalismus, unter dem Gläubige anderer Religionen immer wieder zu leiden haben. So wurden christliche Einrichtungen in den letzten Jahren immer wieder Opfer von Gewalttaten. Und in einzelnen Bundesstaaten Indiens ist für den Wechsel des religiösen Bekenntnisses eine staatliche Anerkennung erforderlich.
Zunehmend Sorge müssen auch Tendenzen im früheren Ostblock bereiten, die auf die Gefahr hindeuten, dass sich bestimmte Vorstellungen innerhalb der orthodoxen Kirchen und autoritäre politische Vorstellungen miteinander in einer Weise verbinden, die sich gegen „westliche Einflüsse“ und damit nicht zuletzt gegen kleinere christliche Kirchen richtet.
Möglichkeiten der Politik
Die Politik kann diesen verschiedenen Entwicklungen auf vielfältige Art und Weise begegnen. Parlamentarische Initiativen können die Bundesregierung auffordern, dem Thema Religionsfreiheit in ihren Gesprächen mit bestimmten Ländern eine besondere Bedeutung beizumessen, um die Lage bedrängter oder gar verfolgter Christen zu verbessern. Eine Reihe solcher Initiativen, nicht zuletzt die bereits genannte „Große Anfrage“ der CDU / CSU-Bundestagfraktion, haben bereits zu einer größeren Aufmerksamkeit für das Thema in der deutschen Außenpolitik geführt. So behandelt der „6. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen“ vom 6. Juni 2002 das Thema „Schutz der Religionsfreiheit“ ausführlich. Auch lässt sich bei den deutschen Auslandsvertretungen eine gewachsene Sensibilität für das Thema feststellen. Parlamentarier aus verschiedenen Ländern, die sich für das Thema „Religionsfreiheit“ engagieren, vernetzen zunehmend ihre Aktivitäten, tauschen Informationen zum Bespiel über einzelne Länder aus, koordinieren ihre Anstrengungen. So diente die „Große Anfrage“ der Unionsfraktion als Vorlage für eine entsprechende Anfrage im schweizerischen Parlament.
Immer wieder nutzen einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier Gespräche mit den Botschaften oder mit Parlaments- und Regierungsvertretern anderer Staaten, um die Lage bedrängter oder verfolgter Christen anzusprechen und sich für die Religionsfreiheit einzusetzen. Manche Regierung wird auf derartige Anfragen oder Vorhaltungen nicht antworten, aber sehr aufmerksam registrieren, dass das Schicksal bedrängter und verfolgter Christen in ihrem Land in der Bundesrepublik Deutschland nicht unbemerkt bleibt. Auch regelmäßige Briefe an Botschaften oder Regierungsstellen können erhebliches bewirken, wie die Erfahrung von „amnesty international“ beweist. Immer wieder gelingt es, Freilassungen zu bewirken, werden Haftstrafen verkürzt oder in Hausarrest umgewandelt, kommt es zu Hafterleichterungen als Folge internationalen Protestes und entsprechender Eingaben. Solche Briefe an Botschaften zu schreiben, ist natürlich nicht ein Privileg von Politikerinnen und Politikern. Jeder kann sich in dieser Weise für bedrängte und verfolgte Menschen einsetzen. Auch indem politisches oder auch kirchliches Engagement dazu beiträgt, die Lage bedrängter oder verfolgter Christen immer wieder zu einem Thema in der Öffentlichkeit zu machen, entsteht ein Druck auf Staaten, denen zumeist an einem guten Ansehen in der Weltöffentlichkeit gelegen ist.
Im Hinblick auf die Lage in der Türkei, in der die christlichen Minderheiten trotz gegenteiliger Ankündigungen noch immer zahlreichen Schikanierungen ausgesetzt sind, bietet der Annäherungsprozess an die Europäische Union eine Gelegenheit, die Rechte religiöser, aber auch ethnischer Minderheiten immer wieder deutlich anzusprechen und auf Veränderungen zu dringen. Mit Gesprächen in Brüssel und einem gemeinsamen Schreiben an EU-Kommissar Verheugen haben deutsche Kirchen erreicht, dass die Situation der christlichen Minderheit in der Türkei im jüngsten EU-Fortschrittsbericht deutlich mehr Berücksichtigung findet als in früheren Berichten. Bei Auslandsreisen können Regierungs- oder Parlamentsvertreter wichtige Zeichen setzen, wenn sie beispielsweise in der Volksrepublik China oder im Iran darum bitten, den Besuch einer Kirche oder einer kirchlichen Einrichtung in das Besuchsprogramm aufzunehmen. Anfragen an das Außenministerium können dazu führen, dass deutsche Auslandsvertretungen gezielt tätig werden, um einzelnen Berichten über Einschränkungen der Religionsfreiheit nachzugehen. Dazu kann beispielsweise die Beobachtung von Prozessen gehören.
Schließlich bieten die unterschiedlichen internationalen Foren, beispielsweise die Tagung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf, eine Gelegenheit, deutlich zu machen, welch hohen Stellenwert die Bundesrepublik Deutschland und die westliche Staatengemeinschaft dem Grundrecht auf Religionsfreiheit beimessen. So wie es ein zentraler Bestandteil deutscher Menschenrechtspolitik geworden ist, weltweit auf die Abschaffung der Todesstrafe zu dringen, so sollte der Einsatz für die Religionsfreiheit zu einem Markenzeichen deutscher und europäischer Menschenrechtspolitik werden.
Dazu kann jeder Einzelne etwas beitragen. Wenn es einer kleinen Gruppe von deutschen Falungong-Anhängern möglich ist, zahlreiche Bundestagsabgeordnete in ihren Sprechstunden aufzusuchen, um sie zu bitten, sich für verfolgte Falungong- Anhänger in China einzusetzen, so sollte es doch den vielen Christinnen und Christen in unserem Land möglich sein, ihrerseits die Politik in Deutschland immer wieder mit der Frage zu konfrontieren, was sie tut, um das Leben bedrängter und verfolgter Christinnen und Christen in vielen Teilen der Welt zu erleichtern.
Hermann Gröhe ist Rechtsanwalt, Mitglied der Synode und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Sprecher der CDU / CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Er ist ferner Mitglied im Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
1.4 Der Kampf für die Religionsfreiheit im Völkerrecht
(Gerhard Robbers)
Die weltweit wachsende Bedeutung der Religion stellt neue Herausforderungen auch an das Völkerrecht. Seine primäre Aufgabe, das Verhältnis der Staaten zueinander zu regeln, wird seit langem ergänzt durch das Bestreben, die Menschenrechte intensiv zu schützen. Die Religionsfreiheit nimmt dabei einen zentralen Platz ein. Zugleich birgt die wachsende Relevanz der Religion auch Gefahren, denen das Völkerrecht begegnen muss: Das friedliche Zusammenleben der Völker darf nicht durch den Missbrauch religiöser Überzeugungen gefährdet werden.
Viele Verträge sichern die Religionsfreiheit
Welchen zentralen Stellenwert die Religionsfreiheit in der Völkerrechtsordnung einnimmt, zeigt schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die die Vereinten Nationen (UN) am 10. Dezember 1948 beschlossen haben. Dort heißt es bereits im herausgehobenen Ort der Präambel, dass die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet wird. Anspruch und Wirklichkeit sind freilich oft weit voneinander entfernt. Die faktische Bedeutung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN geht allerdings über ihre eingeschränkte juristische Relevanz weit hinaus. Auch wenn sie nicht als verbindliches, einklagbares Recht gilt, bloßes soft law ist und nach dem Wortlaut ihrer Präambel lediglich als Ideal verkündet wurde, das von allen Völkern und Nationen erreicht werden soll, bildet sie einen Kern, der in vielfältigen weiteren, rechtsverbindlichen Pakten und Erklärungen des Völkerrechts entfaltet wird. Das gilt auch und besonders für die Gewährleistung der Religionsfreiheit. Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden“, findet sich in unterschiedlichen Formulierungen in zahlreichen völkerrechtlichen Dokumenten als verbindliche Norm. Fast wortgleich erscheint diese Gewährleistung auch als Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der UN vom 19. Dezember 1966. Dieser Pakt hebt wesentliche Menschenrechte in positive, rechtliche Verbindlichkeit; 148 Staaten haben sich verpflichtet, diese Rechte zu achten.
In einem wesentlichen Punkt unterscheiden sich die Gewährleistungen der Religionsfreiheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte allerdings schon im Wortlaut. Während die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das Recht gewährleistet, seine Religion zu wechseln, spricht der Pakt von 1966 lediglich davon, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen. Diese Veränderung kam auf Verlangen muslimisch geprägter Staaten zustande, deren Religion den Wechsel vom Islam zu einer anderen Religion verbietet und in mancher extremer Ausprägung mit der Todesstrafe bedroht. Hier zeigt sich, dass die internationale Bedeutung der Religionsfreiheit weit über das hinausgeht, was das Völkerrecht leisten kann. Das Völkerrecht kann nur Hilfestellung geben und unterstützend wirken. Viel dringender ist es, die Religionen selbst für die Erkenntnis zu gewinnen, dass wahrer, echter Glaube nur am freien Willen wachsen und bestehen kann.
Die allgemeine Garantie der Religionsfreiheit ist auf der Ebene der UN in vielen völkerrechtlichen Verträgen für einzelne Bereiche näher ausgefaltet, entwickelt und verstärkt worden. Schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte selbst führt das Gebot der Nichtdiskriminierung ein: Jeder Mensch hat Anspruch auf die verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung nach seiner Religion. Dieser Gedanke findet sich vielfältig wiederholt, etwa im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Auch wenn Menschenrechte in einem Notstand außer Kraft gesetzt werden, darf dies keine Diskriminierung allein wegen der Religion enthalten. Ohne Beschränkung durch Religion haben heiratsfähige Männer und Frauen das Recht, eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen. Jedes Kind hat ohne Diskriminierung hinsichtlich der Religion das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.
Die Genfer Flüchtlingskonvention verlangt von den vertragsschließenden Staaten, die in ihrem Gebiet befindlichen Flüchtlinge in Bezug auf deren Religionsausübung und die Freiheit des Religionsunterrichts ihrer Kinder nicht schlechter zu stellen als ihre eigenen Staatsangehörigen. Sie untersagt für den Regelfall, einen Flüchtling über die Grenzen von Gebieten auszuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Religion bedroht sein würde. Stark ausgeprägt, aber stets auch besonders gefährdet, ist der Schutz der Religion für Minderheiten: In Staaten mit religiösen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen oder ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben. Auch die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907, wie überhaupt das Kriegsvölkerrecht in vielen Bestimmungen, nimmt bereits Rücksicht auf religiöse Bedürfnisse: Den Kriegsgefangenen wird in der Ausübung ihrer Religion mit Einschluss der Teilnahme am Gottesdienst volle Freiheit gelassen unter der einzigen Bedingung, dass sie sich den Ordnungs- und Polizeivorschriften der Militärbehörde fügen.
Nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf Bildung an und stimmen ausdrücklich darin überein, dass die Bildung Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen und ethnischen und religiösen Gruppen fördern muss. Sie verpflichten sich, die Freiheit der Eltern zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen. Die Rechte der Kinder, die hier angedeutet sind, werden im Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 näher ausgefaltet. Ausdrücklich sichert das Übereinkommen den Kindern Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu. Das Recht, aber auch die Pflicht der Eltern wird dabei geachtet, das Kind bei der Ausübung dieses Rechtes in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten.
Ist eine Adoption, die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder eine ähnliche Maßnahme erforderlich, muss bei der Entscheidung die religiöse Herkunft des Kindes gebührend berücksichtigt werden. Die Vertragsstaaten stimmen darin überein, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, es auf ein verantwortliches Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorzubereiten. Dazu ist ein Recht auf Wahrung der kulturellen Identität gewährleistet. In Staaten, in denen es religiöse Minderheiten gibt, darf einem Kind, das einer solchen Minderheit angehört, nicht das Recht vorenthalten werden, in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben.
Hier zeigt sich: In zunehmenden Maße erkennen die Vereinten Nationen (UN) die Bedeutung von Bildung und Erziehung für ein religiös tolerantes und verständnisvolles, friedliches Zusammenleben. Langfristiges, geduldiges Denken setzt sich durch. So hat eine UN-Konferenz in Madrid im Jahr 2001 im Sinne der Prävention von Menschenrechtsverletzungen Empfehlungen ausgesprochen, wonach im Schulunterricht das
Verständnis für die Religionsfreiheit gestärkt werden kann.
Die Institutionen zum Schutz der Religionsfreiheit müssen gestärkt werden
In vielfältigen Formen sind Institutionen geschaffen, die den völkerrechtlichen Schutz der Religionsfreiheit auf der Ebene der Vereinten Nationen (UN) sicherstellen und überwachen sollen. Dabei kommt der UN-Menschenrechtskommission besonderes Gewicht zu, die sich zu einem zentralen politischen Organ der weltweiten Förderung der Menschenrechte entwickelt. Für die Wahrung der Rechte des Kindes ist ein Ausschuss geschaffen worden, der die Durchführung des Abkommens fördert sowie Untersuchungen anregen, Vorschläge machen und Empfehlungen abgeben kann. Im Rahmen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte besteht ein Ausschuss, der Berichte über Vertragsstaaten über die Menschenrechtsentwicklung anfordern und entgegen nehmen kann, Menschenrechtsverletzungen überprüft, zur Beilegung solcher Streitigkeiten beiträgt und darüber berichtet. Der Wirtschafts- und Sozialrat der UN kann der Generalversammlung Berichte und Empfehlungen vorlegen über Fortschritte bei der Beachtung von Rechten, die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgehalten sind.
Speziell für die Wahrung der Religionsfreiheit haben die UN das Amt des Sonderberichterstatters für Religions- und Glaubensfreiheit mit Sitz in Genf geschaffen, der eine umfangreiche Prüf- und Berichtstätigkeit entfaltet hat. Mit großem Einfühlungsvermögen für die Besonderheiten einzelner Kulturen hat der Sonderberichterstatter dabei etwa darauf hingewiesen, dass die Achtung vor Kulturen und Traditionen Hand in Hand mit den Rechten der Frau gehen muss, denen oft ein geringerer und oft deutlich zweitklassiger Status zugewiesen wird, oft nicht so sehr aus religiösen oder traditionellen Gründen, sondern um die Frauen auszunutzen. Er betont die Notwendigkeit von Studien zu religiösem Extremismus, zu den Konsequenzen aus den Ereignissen des 11. September 2001 und zu Sekten. Zudem hat das Völkerrecht in zunehmenden Maße die Tätigkeit von Nicht-Regierungs-Organisationen für die Durchsetzung der Religionsfreiheit anerkannt und nutzt deren Erfahrungen, Kontakte und Informationsquellen. Viele Religionsgemeinschaften selbst tragen erheblich zur inneren stärkeren Durchsetzung der Religionsfreiheit auf völkerrechtlicher Ebene bei.
Dieser Blick in das Völkerrecht zeigt klares Bewusstsein über die Bedeutung der Religionsfreiheit. Religionsfreiheit zählt zum selbstverständlichen Bestand der Rechte, die das Völkerrecht schützt. Fast ließe sich sagen, dass dem Bekenntnis zur Religionsfreiheit, zu seinen Ausfaltungen und Schutzbedürfnissen nur noch wenig hinzuzufügen ist. Die Probleme liegen nicht in erster Linie im Bekenntnis, sie liegen in der praktischen Durchführung, der Überwachung, der Durchsetzung, und sie liegen vor allem bei der näheren Bestimmung der Grenzen der Religionsfreiheit. Auf der Ebene des Völkerrechts im Allgemeinen müssen die Befugnisse der Überwachungsinstanzen, die die Einhaltung der Menschenrechte sicherstellen sollen, intensiviert werden. Es reicht nicht, dass Berichte erstattet werden, so wichtig diese Befugnis ist und so sehr diese Kompetenz durch den internationalen Druck, den sie erzeugen kann, die betreffenden Staaten zur Einhaltung der Religionsfreiheit drängen mag. Allzu oft zeigt sich, dass dieser öffentliche Druck ins Leere läuft. Es fehlt weithin an der Möglichkeit der Individualbeschwerde. Es fehlt vor allem an einer gerichtlichen Instanz, die Verletzungen der Religionsfreiheit und anderer Menschenrechte mit Sanktionen belegen kann.
Das Verständnis füreinander muss wachsen
So sehr das Bekenntnis zur Religionsfreiheit von so gut wie allen Staaten geteilt wird, besteht viel Uneinigkeit im Einzelnen. Keine Freiheit besteht allerdings ohne Grenzen. Auch die Religionsfreiheit muss sich Beschränkungen gefallen lassen. Rechte dritter Personen verlangen Berücksichtigung ebenso wie Erfordernisse nationaler Sicherheit nach außen und im Innern. Außerordentlich vielfältig sind aber die Überzeugungen davon, wie solche Rechte und Bedürfnisse einander richtig zugeordnet werden. Dies ist in hohem Maße kultur- und traditionsabhängig. Die historischen Erfahrungen Chinas mit religiösen Geheimbünden sind andere als das Erleben religiöser Vielfalt in den USA. Das muslimisch geprägte Pakistan und das überwiegend hinduistisch geprägte Indien nehmen jeweils andere Prioritäten als legitim wahr. Meist vermischen sich religiöse Momente mit ethnischen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen oder anderen Problemen, die das Verhältnis von Völkern, von Mehrheiten und Minderheiten, von Individuen und Gemeinschaft zueinander bestimmen. Wenn etwa amerikanische Missionare junger Religionsgemeinschaften mit der Erfahrung individueller Freiheit in ihrem Heimatland in Ländern tätig sind, in denen die Bedeutung der Familie und der sozialen Gruppe die sozialen Verhältnisse prägt, führt dies notwendig zu Friktionen. Was die einen als selbstverständliche Wahrnehmung individueller Freiheit empfinden, gilt anderen als schlichter Verrat an der eigenen Gruppe. Verständnisbereitschaft auf allen Seiten ist dann besonders erforderlich und oft besonders schwierig. Langfristig angelegte Bildungsmaßnahmen können helfen; sie brauchen einen langen Atem.
Religionsfreiheit wächst im regionalen Völkerrecht
Als ein Modell für den internationalen Schutz der Religionsfreiheit kann die Europäische Menschenrechtskonvention gelten. Mit ihren Institutionen, besonders dem wirkkräftigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, hat sie zum Schutz der Religionsfreiheit intensiv beigetragen. Auch hierin zeigt sich die wachsende Bedeutung religiöser Fragen. Nach vielen Jahren fast vollständiger Abstinenz hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den letzten Jahren eine große Zahl von Entscheidungen zur Religionsfreiheit gefällt. Diese Rechtsprechung lässt Strukturen intensiven Schutzes der Religionsfreiheit erkennen, zugleich macht sie Fragestellungen deutlich, die sich weltweit in ähnlicher Weise stellen.
Der Text der Gewährleistung der Religionsfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt dem Text der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die Schranken hat der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte übernommen. Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention lautet: „Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienste, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.“
Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet darüber hinaus die Nichtdiskriminierung aus religiösen Gründen und in ihrem ersten Zusatzprotokoll das Recht der religiösen Bildung.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weist in einem ihrer Schwerpunkte auf eine der Hauptreibungsflächen der Religionsfreiheit hin, die weit über den Europäischen Bereich hinaus bestehen: auf Proselytismus und Mission. Besonders kleine und neue Religionsgemeinschaften, oft aus den USA, fühlen sich in ihrer weltweiten Werbung um neue Mitglieder beeinträchtigt. Gerade in Bezug auf Griechenland, wo Proselytismus mit nicht unerheblichen Strafen bedroht ist, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Lösungen gefunden, die modellhaft wirken können. Der Gerichtshof unterscheidet zwischen angemessenem und unangemessenem Proselytismus. Nicht behindert werden darf angemessener Proselytismus: Die Werbung für den eigenen Glauben durch Gespräch und Überzeugung darf nicht beeinträchtigt werden. Wo aber Druck ausgeübt wird, etwa unter Ausnutzung der Stellung als militärischer Vorgesetzter oder in anderen Situationen sozialer Macht, können Staaten dem entgegentreten. Es gehört gegenwärtig immer noch zu den Hauptauseinandersetzungsfeldern der Religionsfreiheit, wo die Grenzen zwischen angemessenem und unangemessenem Proselytismus verlaufen.
Viele Staaten haben in den letzten Jahren besondere Gesetze zu Religion und Religionsgemeinschaften erlassen. Oft sind dabei Register für Religionsgemeinschaften eingeführt worden. Wenn mit der Registrierung besondere Rechte verbunden sind wie eine besondere Stellung im Steuerrecht, die Beteiligung bei staatlichem Religionsunterricht oder im Privatschulwesen stehen dem keine Bedenken entgegen, selbst wenn die Registrierung von einer erheblichen Zahl von Mitgliedern abhängig gemacht wird. Besondere Registrierungsvoraussetzungen wie Mitgliederzahl oder langandauernde Existenz auf dem Staatsgebiet können aber auch mit Diskriminierungen einhergehen. Alle Religionsgemeinschaften, die sich dem allgemeinen Recht entsprechend verhalten, müssen das Recht der Existenz haben, müssen rechtlich in der Lage sein, Orte für den Gottesdienst zu betreiben. Die Rechtspersönlichkeit darf ihnen nicht vorenthalten werden nur weil sie Religionsgemeinschaften sind.
Auch außerhalb der Europäischen Menschenrechtskonvention wird für die Religionsfreiheit viel getan. Ausgehend vom Europarat schützt etwa das Übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten religiöse Identität und Religionsfreiheit, gewährleistet religiöse Bildung und verpflichtet zur Förderung von Toleranz. Einen wichtigen Beitrag der Religionsfreiheit leistet auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Längst hat diese Organisation erkannt, wie sehr die Sicherheit zwischen den Nationen und Völkern vom religiösen Frieden und von gegenseitiger Toleranz abhängt. Auch in vielen anderen Regionen der Welt sind Menschrechtspakte geschlossen worden, die nicht zuletzt die Religionsfreiheit schützen. Das gilt für die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker ebenso wie für die interamerikanische Menschenrechtskonvention. Die afrikanische Menschenrechtscharta vermeidet freilich die detaillierte Gewährleistung und übergeht so das Problem des freien Religionswechsels. Die interamerikanische Menschenrechtskonvention verfügt über ausgebaute Organe der Durchsetzung des Menschenrechtsschutzes, einschließlich eines Gerichtshofes. Interessant ist auch die arabische Charta der Menschenrechte, verabschiedet vom Rat der Liga der arabischen Staaten am 15. September 1994, die schon in der Präambel intensiv in religiöse Überzeugungen eingebettet ist. Danach hat jeder das Recht auf Religions-, Gedanken- und Meinungsfreiheit. Die Anhänger einer jeden Religion haben nach dem Wortlaut der Charta das Recht, ihre religiösen Bräuche auszuüben und ihre Überzeugung durch Gottesdienst, Ausübung und Unterricht zu bekunden, sofern dadurch die Rechte anderer nicht verletzt werden. Die Ausübung der Religions-, Gedanken- und Meinungsfreiheit darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden.
Religionsfreiheit fordert Toleranz, Tatkraft und Bescheidenheit
Stärker als bisher muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Menschenrechte Verpflichtungen der Staaten enthalten, die Voraussetzungen für die möglichst volle Entfaltung dieser Rechte zu schaffen. Es genügt nicht, dass die Staaten und Regierungen sich selbst der Verfolgung religiöser Minderheiten enthalten, sie müssen aktiv solcher Verfolgung von Dritten entgegentreten. Immer stärker wächst das Bewusstsein von der Notwendigkeit präventiven Schutzes, der Förderung der Toleranz durch Bildung, in den Medien und in den Lehren der Religionen selbst. Besonders der interreligiöse Dialog ist für die Fortentwicklung der Religionsfreiheit von entscheidender Bedeutung. Nur durch ihn kann wirklich gegenseitige Achtung und gegenseitiges Verständnis gefördert werden. Völkerrechtlich geschaffene Organe können Foren bieten, die den interreligiösen Dialog fördern. Verwirklicht werden muss er durch die Religionsgemeinschaften selbst. Dabei müssen auch manche Enttäuschungen verkraftet werden, eigene Ansprüche zurückgesteckt und eigene Ideale relativiert werden.
Prof. Dr. Gerhard Robbers lehrt öffentliches Recht, Kirchenrecht, Staatsphilosophie und Verfassungsgeschichte an der Universität Trier und ist Mitglied der Synode der EKD.