Energieeinsparung - Umrisse einer umweltgerechten Politik im Angesicht der Klimagefährdung

Gesamter Text

Vorwort

Im Januar 1989 wandten sich 31 Unterzeichner aus dem Raum der evangelischen Kirche in einem brieflichen Appell an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie forderten darin den Rat auf, "knapp, eindeutig und in öffentlich-unüberhörbarer Form" zu erklären, "daß die Fortführung der bisherigen Atomenergiepolitik in der Bundesrepublik nicht mehr zu rechtfertigen ist". Der Rat hat daraufhin den Wissenschaftlichen Beirat seines Beauftragten für Umweltfragen um ein beratendes Votum gebeten. Dieses Votum ist vom Wissenschaftlichen Beirat - nach einem Zwischenbericht im Mai 1989 - im März 1990 vorgelegt worden. Es geht von der Überzeugung aus, daß ein Votum zur Atomenergiepolitik nur im Kontext von Energiepolitik und Umweltproblematik insgesamt formuliert werden kann. Der Wissenschaftliche Beirat hat sich, wie er dem Rat dargelegt hat, bei der Ausarbeitung seines Votums insbesondere von den folgenden Sach-verhalten leiten lassen:

  • 1985 hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz in einer gemeinsamen Erklärung zu den Prinzipien eines verantwortlichen Umgangs mit der Schöpfung geäußert ("Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung").
  • Durch den Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 ist die etwa eineinhalb Jahrzehnte währende Auseinandersetzung über Energiefragen zu einem Höhepunkt gekommen. In Verbindung damit wurde auch der Meinungsbildungsprozeß in den Kirchen durch Stellungnahmen von Synoden und anderen kirchenleitenden Gremien zu einem gewissen Abschluß gebracht. Insgesamt haben sich 12 von 17 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Tendenz für einen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen.
  • Zunehmend wird deutlich, daß das Ausmaß der von den Menschen gegenwärtig verursachten und vor allem der für die Zukunft zu erwartenden Energieumsätze nicht mehr klimaverträglich ist.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat das Votum des Wissenschaftlichen Beirats auf seiner Sitzung am 30. März 1990 mit Dank entgegengenommen. Er sieht darin einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Energiefrage angesichts der Klimagefährdung und hat darum empfohlen, diesen Diskussionsbeitrag auch öffentlich zugänglich zu machen.

In den Aussagen zur "Zukunft der Kernenergie" hat der Wissenschaftliche Beirat keine vollständige Übereinstimmung erzielt und die fortbestehenden Auffassungsunterschiede offengelegt. Gerade darin ist sein Votum ein hilfreicher Diskussionsbeitrag. Die ehrliche Beschreibung des Dissenses dient der Urteilsbildung in Kirche und Öffentlichkeit mehr als ein verschwommener Kompromiß oder die Vernachlässigung der abweichenden Auffassung. Die Kennzeichnung des fortbestehenden Dissenses darf im übrigen den Blick dafür nicht verstellen, daß zu gewichtigen Aspekten der Zukunft der Kernenergie ein gehaltvoller Konsens erreicht wurde.

Die Diskussion über die Umrisse einer umweltgerechten Politik im Angesicht der Klimagefährdung hat in den vergangenen Jahren auch den "konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" nachhaltig bestimmt. Den Benutzern des vorliegenden Heftes wird es darum willkommen sein, wenn als Anhang zum Diskussionsbeitrag des Wissenschaftlichen Beirats auch die thematisch einschlägigen Abschnitte aus den Schlußdokumenten der Versammlungen in Stuttgart, Dresden, Basel und Seoul abgedruckt werden.

Hannover, im April 1990

Dr. Hartmut Löwe
Präsident im Kirchenamt der EKD


Energieeinsparung -
Umrisse einer umweltgerechten Politik
im Angesicht der Klimagefährdung

Energie ist zentrales Element des Lebens. Der Umsatz von Energie prägt alle Lebensbereiche. "Als einziges biologisches Wesen hat sich der Mensch seit Beginn seiner Existenz von der alleinigen Abhängigkeit von der Sonnenenergie gelöst, deren niedrige Leistungsdichte bei schwankendem Angebot - trotz ständiger Verfügbarkeit - ihm nicht ausreichte. Als Zeichen der Menschwerdung gilt die Beherrschung und Verwendung des Feuers . . . Auf Feuer beruht . . . die Überlegenheit des Menschen über andere Lebewesen und damit seine Evolution" (Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen: Umweltgutachten 1987, §§ 1811 ff). Energie vermittelt demnach Macht gegenüber den Mitgeschöpfen. Was das rechte Maß der Machtausübung im Ganzen der Natur ist, ist allerdings eine Frage, die nicht nur energie- oder wirtschaftspolitisch gestellt und entschieden werden darf. Der Umsatz von Energie ist vielfältig in die heutigen industriewirtschaftlich geprägten Lebensverhältnisse und Reichtumsvorstellungen verwoben und regelmäßig mit Umweltbelastungen verbunden. Darum handelt es sich um eine sehr grundsätzliche und umfassende umweltpolitische Frage.

Diese Frage gebt auch die Kirche zentral an. 1985 hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz in einer gemeinsamen Erklärung zu den Prinzipien eines verantwortlichen Umgangs mit der Schöpfung geäußert ("Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung"). Diese Erklärung sieht in der "Ehrfurcht vor dem Leben" einen zentralen Maßstab für die Schöpfungsverantwortung: "Die Ehrfurcht vor dem Leben bewirkt ... eine Scheu vor dem rein nutzenden Gebrauch, eine Haltung der Beachtung und Schonung . . . Konkret bedeutet dies: Eingriffe in den Haushalt der Natur sind möglichst sparsam und begrenzt vorzunehmen, selbst wenn unmittelbare Nachteile nicht voraussehbar sind" ( §§ 35.37). Ein einseitiges und vom biblischen Text selbst nicht gedecktes Verständnis des Schöpfungsauftrags "Füllet die Erde und machet sie euch untertan" (1. Mose 1,28) hatte im christlichen Abendland scheinbar das bloße Macht- und Gewaltverhältnis zur Natur legitimiert. Aber der Sündenfall des Menschen wird in den religiösen Traditionen, die wir mit Juden und Moslems teilen, gerade daran festgemacht, daß die Erde voller Gewalt von den Menschen her ist (1. Mose 6,13). Das heißt, die Verringerung der Energieumsätze auf ein möglichst niedriges Niveau entspricht im Kern dem Auftrag des Bebauens und Bewahrens (1. Mose 2) und der Verheißung der Befreiung der gesamten Schöpfung durch Gott (Römer 8).

Zunehmend setzt sich die Auffassung durch, daß die heutigen von den Menschen verursachten Energieumsätze ein Übermaß der Machtausübung darstellen. Der Umfang der von den Menschen verursachten Energieumsätze läßt sich geradezu als ein Indikator für das Ausmaß der Gewalt verstehen, mit der sich die Menschen der nichtmenschlichen Mitwelt gegenüber verhalten. Politisch, aber auch für jeden einzelnen ergibt sich daraus ein Minimierungsgebot im Umgang mit und im Verbrauch von Energie.

Einen wichtigen grundsätzlichen Wandel erfährt die Energiefrage gegenwärtig dadurch, daß die Klimagefährdung, wie sie gerade auch durch die von den Menschen verursachten Energieumsätze bewirkt wird, endlich in breiteren Kreisen öffentlich wahrgenommen wird. Bisher wurde die Aufgabe der Energiepolitik überwiegend darin gesehen, einen durch die industriellen Lebensmuster vorgegebenen Energiebedarf möglichst rationell zu decken. Bei der Lösung der so verstandenen Aufgabe hat es in den letzten 15 Jahren auch vielversprechende Fortschritte gegeben. Heute kommt man jedoch nicht mehr um die Aufgabe herum, den Energiebedarf selbst und damit die Wohlstandsmuster des industriewirtschaftlichen Lebensstils - zumindest teilweise - in Frage zu stellen. Dies ist um so wichtiger, als die Energieeinsparung eine der wichtigsten Handlungsmöglichkeiten darstellt, um dem Klimaproblem entgegenzuwirken. Die Verringerung des Energiebedarfs wird häufig mit einer Wohlstandsminderung gleichgesetzt. Die Gepflogenheiten unseres sozialökonomischen Rechnungswesens weisen dies formal auch so aus. Die Qualität des Lebens ist jedoch nicht an die Höhe des Energiekonsums gekoppelt, und in dem mit der Verringerung des Energiebedarfs einhergehenden Wandel liegen Reichtumsperspektiven, die den Verzicht auf gewohnte Güter und Verhaltensweisen mehr als aufzuwiegen vermögen. Jeder einzelne kann seinen Beitrag leisten bei der Änderung dessen, was die Menschen und ihre natürliche Mitwelt bedroht.

Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Gestaltungspotential in der Energiefrage ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Diskussion hat sich an der Kontroverse um die Kernenergie festgebissen. Uns scheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorrangig darauf anzukommen, den Blick auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Energieeinsparung und auf die darin liegenden Chancen, Herausforderungen und Risiken vor allem auch gesellschaftlicher Art zu lenken. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die bisher wirksamen Hemmnisse für eine konsequente Energieeinsparpolitik zu thematisieren - in der Hoffnung, dadurch einen Durchbruch in Richtung auf eine intelligente zukünftige Energienutzung zu erzielen.

Vorklärungen

(1) Daß Energieeinsparung als generelles Ziel Priorität hat, ist heute allgemeiner Konsens. Kein Konsens besteht allerdings darin, was genau dies heißen soll, wem gegenüber diese Priorität gelten soll, durch welche Grundsätze eine solche Priorität im einzelnen zu bestimmen ist und mit welchen Mitteln in welcher Zeit welche Ziele anzusteuern sind. Daher kommt es heute entscheidend darauf an, ein genaueres Verständnis davon zu entwickeln, was unter Energieeinsparung oder Priorität der Energieeinsparung und damit unter Energieeinsparpolitik zu verstehen ist.

(2) Der allgemeine Konsens verdankt sich der Tatsache, daß Energieeinsparung einen Beitrag zur Lösung oder doch Linderung mehrerer Probleme zugleich bieten könnte. Ob man die Klimaeffekte der Spurengase, die weiträumig verteilten Luftschadstoffe, die Schädigung und Gefährdung der Wälder und Böden, die Opfer an Menschen und Tieren durch das bestehende Individualverkehrssystem, den Artenschwund oder anderes ins Zentrum rückt - in jedem Fall ist Energieeinsparung geboten, denn sie würde bei der Entschärfung aller dieser Probleme helfen.

(3) Angesichts der bereits absehbaren Folgen, aber auch des enormen Nichtwissens um weitere bisher noch gar nicht erkannte Folgen unserer Eingriffe in die Natur ist das Gebot der Priorität der Energieeinsparung Ausdruck eines diesem Umstand angemessenen allgemeinen Prinzips, nämlich eines Minimierungsgebots. Es wurde bislang versäumt, ein solches Gebot in der Umweltpolitik in ausreichendem Maße durchzusetzen. Ein Minimierungsgebot wäre aber die sachgemäße Konsequenz des ansonsten allgemein akzeptierten Vorsorgeprinzips. Die unzureichende Berücksichtigung des Minimierungsgebots in allen für die Umweltpolitik relevanten Politikbereichen hat dazu geführt, daß von einer ernsthaften Energieeinsparpolitik heute noch nicht geredet werden kann.

(4) Einsparung scheint mit Wachstum unvereinbar. Darum wirkt der Begriff Energieeinsparung in einer Wachstumsgesellschaft anstößig. Diese Anstö-ßigkeit ist aber gerade ein Grund, auf diesen Begriff nicht zu verzichten. Hinzu kommt seine weite Verbreitung. Was allerdings im einzelnen mit diesem mehrdeutigen Wort gemeint ist, muß im folgenden dargelegt werden.

(5) Ökonomisch gesehen ist Energie zunächst ein Produktionsfaktor unter anderen. Die Produktivität des Einsatzes von Produktionsfaktoren kann etwa durch erhöhten Kapitaleinsatz oder durch technischen Fortschritt gesteigert werden. Dabei kann auch der spezifische Nutzenergiebedarf selbst, also die Basis aller Angaben zur Verbesserung der Energieeffizienz, Gegenstand des technischen Fortschritts werden: Qualität und Ausmaß der Wärmedämmung beispielsweise vermindern die benötigten Wärmemengen, neue Werkstoffe ermöglichen geringere Gewichte bewegter Teile und von Fahrzeugen. Letzten Endes kommt es auf die faktischen Nutzungsmöglichkeiten an, die die Konsumenten und Produzenten aus dem Einsatz von Energie ziehen, also auf die Energiedienstleistungen. Übersetzt in die Sprache der Ökonomie geht es somit bei Energieeinsparung im Grunde um eine Erhöhung der Energieproduktivität oder Energieeffizienz.

(6) Jede Form der rationellen Energieerzeugung und -verwendung wie jede Nutzung von regenerativen Energien unterliegen, ökonomisch betrachtet, der Anforderung, sich rentieren zu müssen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen hat das zur Folge, daß diese Techniken nur dann zum Einsatz kommen, wenn in ihre Erforschung und Entwicklung, vor allem aber auch in ihre Markteinführung mehr investiert wird. Die relative Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Techniken der rationellen Energienutzung und der Nutzung regenerativer Energien ist sehr differenziert zu betrachten und nur schwer über Faustformeln abzuschätzen. Es ist sachlich gerechtfertigt, die Nutzung regenerativer Energien wie Wind, Wasser, Sonne, Biogas usw. bis zu einem gewissen Grade in Analogie zur Erhöhung der Energieeffizienz zu sehen. Denn wenn wir regenerative Energieträger einsetzen, dann ist das dasselbe, als wenn wir herkömmliche Energieträger einsparen oder effizienter nutzen. Alle Formen der dezentralen Nutzung von Sonnenenergie können in einer Erhöhung der Effizienz der bisher eingesetzten kommerziellen Energieträger ausgedrückt werden. Voraussetzung ist allerdings, daß die Nutzung der regenerativen Energieträ-ger ihrerseits ohne zu große Umweltbelastung geschieht. Die mehr angebotsorientierten großtechnischen Lösungen der Solarenergienutzung wie bei-spielsweise photovoltaische oder solarthermische Kraftwerke und Wind-energieparks müssen gesondert betrachtet werden. Hier können sich eigene Probleme der Umweltverträglichkeit stellen.

Energieeinsparpolitik in der Vergangenheit

(7) Im Kern ist die bisherige staatliche Energieeinsparpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, gerade auch beim Energieeinsparungsgesetz von 1976, in weitgehender Analogie zum polizeirechtlichen Ansatz der Umweltpolitik konzipiert. Ihre Grundidee ist, einen übermäßigen Energieverbrauch zu untersagen. Die Bestimmung des Übermaßes wird an den Maßstab der Wirtschaftlichkeit geknüpft. Prinzipiell ist es also vom - weitgehend international bestimmten - Preisniveau der Energieträger abhängig. Die Grundsätze der staatlichen Energieeinsparpolitik gelten, wie im Immissionsschutzrecht, nur für spezielle stationäre Anlagen, also im Gebäudesektor, der allerdings auch für knapp die Hälfte aller Energieumsätze verantwortlich ist. Ihre Ausführung wurde - wie im Immissionsschutzrecht- in die Form von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften gegossen. Der Verordnungsge-ber hat dabei nie detailliert gerechtfertigt, ob und inwieweit seine Verordnungen dem gesetzlich vorgegebenen Maßstab entsprechen. Es fehlt an der Möglichkeit einer sachlichen Kontrolle des Verordnungsgebers. Auch gibt es keine systematische Kontrolle der Einhaltung der Verordnungen durch die Bauherren, etwa nach dem Vorbild des Vollzugs der Verordnungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz durch die Gewerbeaufsichtsämter.

(8) Die wichtigsten Unzulänglichkeiten dieses Ansatzes der Energieeinsparpolitik können in Analogie zu denen des geltenden immissionsschutzrechtlichen Ansatzes verdeutlicht werden: Der Ansatz ist zu eng, weil er nur auf spezielle stationäre Anlagen bezogen ist. Über die Hälfte aller Energieumsätze wird damit von vornherein überhaupt nicht erfaßt. Weiter stellt sich das Problem der Altanlagensanierung, das im Energiesparrecht bisher nur ansatzweise angepackt, im Immissionsschutzrecht jedoch zumindest für die Luftverschmutzung aus stationären Anlagen inzwischen beispielhaft gelöst wurde.

Es fehlen Kontrollmechanismen sowohl auf der Ebene der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Verordnungsrecht als auch auf der Ebene der Befolgung der verordnungsrechtlichen Vorgaben. Ein beachtliches Vollzugsdefizit muß deshalb angenommen werden. Dem steht der Hinweis gegenüber, das Vollzugsdefizit könne keinen wesentlichen Umfang haben, wenn der Gesetzeszweck nur darin bestehe, unwirtschaftliches Verhalten - also Selbstschädigung - zu verbieten. Bei dieser Argumentation wird aber zumindest der Umstand übersehen, daß nicht immer die Interessen von Bauherren und Nutzern von Gebäuden übereinstimmen.

Über den geschilderten ordnungsrechtlichen Ansatz hinaus hat es in der Vergangenheit nur zwei weitere wichtige politische Initiativen in Richtung Energiesparen gegeben. Eine Zeitlang wurde versucht, Wohnungseigentümer durch Subventionen zu Einsparmaßnahmen zu bewegen, die über das geforderte Maß hinausgingen. Diese Politik wurde aber Anfang der 80er Jahre aufgegeben. Daneben war durch Gewährung von Zulagen und Steuervergünstigungen eine Politik zur Förderung der energiesparenden Kraft-Wärme-Kopplung vor allem in der Industrie betrieben worden. Auch diese über Jahrzehnte währende Förderpolitik wurde kürzlich im Rahmen der Steuerreform 1990 aus Gründen, die einer wirksamen Umweltpolitik entgegenlaufen, beendet.

(9) Bei der Politik der Förderung regenerativer Energien lag der Schwerpunkt bisher bei der Forschung und Entwicklung. Diese Politik hat zu einer beachtlichen Forschungskapazität und zu einer erfreulichen Breite entwicklungsfähiger technischer Ansätze geführt. Auch die Energieversorgungsunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland haben sich in gewissem Umfang engagiert. Das Problem, bei dem der bisherige Ansatz der Forschungspolitik an die Grenzen seiner Wirksamkeit gerät, ist jedoch die Überführung von in der Forschung entwickelten Techniken in die Breitenerprobung und Markteinführung. Hierfür ist vor allem bei dezentral anzuwendenden Kleintechnologien ein sozialer Lernprozeß sowohl auf Seiten der Hersteller wie auf Seiten der Nutzer nötig, der bei Großtechnologien so nicht erforderlich ist. Die traditionell auf angebotsorientierte (Groß-)Technologien hin ausgerichtete Forschungs- und Entwicklungspolitik hat hierfür noch keine angemessenen Förderkonzepte entwickelt. Das im Frühjahr 1989 verkündete 100 MW Wind-Breitentestprogramm ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und sollte auch für andere Techniken der regenerativen Energienutzung zum Vorbild genommen werden.

(10) Bisher gab es nur zwei Fördermaßnahmen für den Einsatz regenerativer Energien, die wenigstens prinzipiell auch finanziell bedeutsam waren. Dabei handelt es sich um die Förderung von solarer Stromerzeugung und Stromerzeugung aus Wind durch § 4a des Investitionszulagengesetzes sowie durch § 7d des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Investitionszulagengesetz bot aus Steuermitteln und mit Rechtsanspruch eine steuerbegünstigte Zulage, deren Wert im Mittel etwa 13 % betrug, war aber auf Wirtschaftsunternehmen als Betreiber beschränkt. Sie wurde in der Vergangenheit nur wenig in Anspruch genommen, da auch mit dieser Förderquote der Sprung in die Wirtschaftlichkeit nicht geschafft wurde. Im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 wurde diese Fördermaßnahme gestrichen. In ähnlicher Weise wirkt die Abschreibungsvergünstigung nach § 7d EStG, die auf dem Gebiet regenerativer Energien vor allem Windenergieanlagen fördert. Diese 1975 in das Einkommensteuergesetz aufgenommene Regelung ist prinzipiell befristet und läuft nach gegenwärtiger Gesetzeslage Ende 1990 aus. Bisher wurden keine Folgekonzepte vorgelegt, aus denen deutlich würde, daß die Bundesregierung entweder mit Einzelmaßnahmen, die an die Stelle bisheriger Regelungen treten, oder mit einem Gesamtkonzept erneut Fördermaßnahmen für den Einsatz regenerativer Energien ergreifen will.

(11) Es führt nicht weit genug, wenn die staatliche Energieeinsparpolitik allein auf der bestehenden Basis in Zukunft intensiver und umfassender betrieben würde. Wäre jedoch in der Politik der 80er Jahre die Energieeinsparung genau so intensiv und konsequent wie die Vermeidung von Emissionen verfolgt worden, hätten ganz andere Ergebnisse erzielt werden können. Eine Energieeinsparpolitik aber, die sich nur auf ordnungsrechtliche Grundprinzipien stützt, wird das geforderte Ziel bei weitem nicht erreichen. Es gilt, im Angesicht der Klimagefährdung eine radikal erweiterte Politik der Energieeinsparung zu konzipieren. Sie darf allerdings nicht an nationalen Grenzen haltmachen, sondern muß internationalisiert werden.

Das ökonomische Grundproblem
für eine zukünftige Energieeinsparpolitik:
Gegen den Weltmarkt steuern

(12) Dem Lebensraum Erde droht eine Veränderung des Klimas. Es gibt starke Anzeichen, daß erste Auswirkungen bereits spürbar sind und daß das Verhalten der Menschheit maßgeblich zu der Klimaveränderung beiträgt. Darum wird gefordert, den weltweiten fossilen Energieverbrauch bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts mindestens zu halbieren.

Diese Forderung stellt die Industrienationen vor eine Aufgabe bisher noch nicht gekannter Größenordnung. Vor allem in ökonomischer Hinsicht gebt es um ein Problem von grundsätzlich neuer Art: In der Vergangenheit, wie zum Beispiel nach den beiden Ölpreiskrisen der 70er Jahre, zielten selbst massive energiepolitische Veränderungen auf die Anpassung an technisch-ökonomisch veränderte Marktbedingungen; angesichts der drohenden Klimakatastrophe geht es heute im Gegenteil gerade darum, eine solche marktkonforme Entwicklung des Verbrauchs fossiler Energieträger zu verhindern. Die Möglichkeiten der rationellen Energienutzung und des Einsatzes regenerativer Energien müssen gegen den Weltmarkt verwirklicht werden. Sol1 die notwendige Reduzierung des Verbrauchs fossiler Energien erreicht werden, können bestimmte energiepolitische Maßnahmen nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil sie die Nutzenergie und die Energiedienstleistungen verteuern. Vielmehr kommt es gerade darauf an, auf breiter Basis Verständnis für die notwendige Verteuerung der Energiedienstleistungen zu wecken und die Preisveränderungen in sozial verträglicher Weise vorzunehmen.

(13) Die Möglichkeiten der rationellen Energienutzung und des Einsatzes regenerativer Energien in einem größeren Umfang gegen den Weltmarkt zu verwirklichen heißt nichts anderes, als daß im binnenwirtschaftlichen Bereich auf jeden Fall in den Markt eingegriffen werden muß. Entweder müssen die Marktbedingungen so verändert werden, daß sich die Kosten-relationen zwischen dem Verbrauch fossiler Energieträger und der Anwendung rationeller Energienutzung bzw. regenerativer Energien zugunsten letzterer verschieben. Oder aber der Marktmechanismus muß durch Ge- und Verbote bzw. Fördermaßnahmen in solcher Weise korrigiert werden, daß rationelle Energienutzung und regenerative Energien trotz der damit verbundenen Mehrkosten und trotz des Entwicklungsrückstandes verstärkt zum Einsatz kommen.

Die letztgenannte Alternative bedeutet, daß das Kostenniveau des Energieeinsatzes nur in Teilbereichen berührt wird, generell aber unverändert bleibt. Dort, wo durch Ge- und Verbote die rationelle Energienutzung und der Einsatz regenerativer Energien gegen den Markt durchgesetzt werden, entstehen höhere Kosten. Sie können auferlegt, aber auch individuell subventioniert und also als Gemeinlast getragen werden. Diese Alternative fordert vergleichsweise wenig Verteilungskonflikte heraus.

Die erstgenannte Alternative hingegen verteuert die Energieumsätze und die Energiedienstleistungen generell. Diese Alternative bringt dadurch auch mehr als nur marginale Veränderungen in der Einkommensverteilung mit sich. Die generelle Verteuerung von Energie ist auf zwei verschiedenen Ebenen möglich. Auf nationaler Ebene ist im wesentlichen eine Politik in Form von Energiesteuern und Umweltabgaben denkbar; auch eine auflagenorientierte Umweltpolitik hat entsprechende preisliche Effekte. Auf internationaler Ebene könnte eine direkte oder indirekte Anhebung des Preisniveaus der leitenden Energieträger - Öl und Kohle - erfolgen.

In jedem Fall bedürfen die Verteilungseffekte, die durch preisbeeinflussende Maßnahmen ausgelöst werden, einer genauen Beachtung, damit einer Politik der Priorität für Energieeinsparung ein möglichst breiter Konsens gesichert werden kann. Im nationalen Kontext ist vor allem zu berücksichtigen, daß Energiesteuern nur sinnvoll sind, wenn sie steuer- und abgabenpolitisch in ein umfassendes Konzept der Einkommensverteilung und Zukunftssicherung eingebunden sind. Im internationalen Kontext verstärkt jede nationale Energiesteuer den Verteilungskampf um die "Energierenten": Bei einer erfolgreichen Politik der Steuerung gegen den Weltmarkt müssen diese Erlöse aus der Energievermarktung nämlich noch deutlich größer werden, als sie heute sind. Hier gilt es, neben den Interessen der energiereichen Förderländer und den Interessen der Industrienationen insbesondere die Belange der energiearmen Länder der Dritten Welt zu erkennen und zu wahren.

Konkretionen und Folgerungen

(14) Die beschriebenen Anforderungen an eine zukünftige konsequente Energieeinsparpolitik zielen auf verschiedene Adressaten vor allem im politischen und wirtschaftlichen Bereich. Christen und Kirchen sind angesprochen, für die Realisierung dieser Anforderungen einzutreten und sich im eigenen Verhalten nach ihnen zu richten.

Energieeinsparpolitik ist Querschnittspolitik. Sie reicht in zahlreiche Ressorts des politischen Handelns hinein. Im folgenden wird dazu eine Reihe von Beispielen ausgeführt.

(15) Bau- und Wohnungspolitik: Eine große Herausforderung ist die Sanierung des Gebäudebestandes im Blick auf den Energieverbrauch. Dies ist sicherlich keine Aufgabe, die, auch bei einem erhöhten Niveau der Energieträgerpreise, den Marktkräften allein überlassen werden kann. Hier bedarf es einer koordinierten Anstrengung, vor allem auch der Bauphysik und der Bauwirtschaft. Beispiele anderer Länder zeigen, daß es nationale Bautraditionen - etwa in der Verwendung von Materialien wie Stein oder Holz - mit unterschiedlicher Energieeffizienz gibt. Daraus ist zu schließen, daß bei Neubauten in Bezug auf den Niedertemperaturwärmebedarf nicht so sehr Kosten- und Preisfragen entscheidend sind, sondern daß vielmehr bisher der politische Wille zu durchgreifenden Änderungen gefehlt hat. Dringlich ist der Ausweis der Energiekosten bei den Mieten. Hilfreich könnte es sein, Häuser und Wohnungen nach Energiegesichtspunkten zu klassifizieren.

(16) Wirtschafts- und Industriepolitik: Die industriepolitische Chance einer aktiven bundesdeutschen Pionierrolle auf dem Gebiet der Energieeinsparung kann, vor allem was die langfristige Sicherung der exportorientierten Wirtschaftszweige angeht, kaum überschätzt werden. Produkte zur rationelleren Energienutzung sind einer der Wachstumsmärkte der Zukunft. Gerade für die ausländischen Märkte werden energiesparende Anlagen und Industrieerzeugnisse noch an Bedeutung gewinnen, wenn sich die Industrienationen insgesamt auf eine weitere Erhöhung der Energieproduktivität einstellen müssen. Die Vorreiter in der Herstellung energieschonender Technologien werden auch Wettbewerbsvorteile bei der Harmonisierung des EG-Binnenmarktes haben.

(17) Verkehrspolitik: Jede Politik der Priorität für Energieeinsparung muß durch ein darauf abgestütztes Gesamtkonzept einer Verkehrspolitik begleitet werden. Ein solches Gesamtkonzept existiert bislang nicht. Der Verkehr, insbesondere der Straßenverkehr, ist eine der größten Quellen der Umweltbelastung: 60 % der Stickoxid- und 70 % der CO-Emissionen gehen auf sein Konto. Die Landschafts- und Biotopzerschneidung ist in hohem Maße Folge des Verkehrsbaus. Lärmbelästigungen gehen weit überwiegend auf den Kraftverkehr zurück. Während in vielen anderen Sektoren die Emissionen erfolgreich reduziert werden konnten, hält der Anstieg der Stickoxid-Emissionen im Bereich Verkehr noch an.

Diese Situation ist die Konsequenz dessen, daß der Straßenverkehr gegenüber der umweltfreundlichen Bahn und der Binnenschiffahrt stark zugenommen hat. Dies wurde während der letzten 40 Jahre von einer Verkehrspolitik, die den Straßenverkehr gegenüber dem öffentlichen Bahnverkehr förderte, noch unterstützt. Die Situation kann sich in Zukunft weiter verschärfen, weil die Entscheidung, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft den bereits 1957 ins Auge gefaßten liberalisierten Güterverkehrsmarkt ab 1993 zu verwirklichen, zu einem zusätzlichen Ansteigen der Güterverkehrsströme im Durchgangsland Bundesrepublik Deutschland, und zwar vor allem auf den Straßen, führen dürfte.

Eine Lösung dieses Problems ist nur denkbar, wenn man sich europaweit für eine konsequente und stetige ökologisch begründete Verteuerung der Strassenbenutzang und des Flugverkehrs auf Distanzen unter 300 bis 500 km entscheidet. Erforderlich ist die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips, also die Anlastung aller ökologischen Kosten (rd. 50 Mrd. DM/a) bei der Nutzung der Straßen- und Flugverkehrsmittel. Im Nahverkehrsbereich sind darüber hinaus vielfältige Schritte vorstellbar, um im Blick auf die Verkehrsmittelwahl die relativen Kosten zu Lasten des Individualstrassenverkehrs zu verschieben.

(18) Wettbewerbspolitik: Über allen durch die Klimaproblematik neu entdeckten grundsätzlichen Anforderungen an die Energieeinsparpolitik darf nicht vergessen werden, daß die beim gegenwärtigen Preisniveau der Energieträger bestehenden Hemmnisse, energiesparende Techniken verstärkt durchzusetzen, dringlich abgebaut werden müssen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Organisation, der rechtlichen Gestalt wie auch der Struktur der Preisstellung im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung (Stichworte: Kommunalisierung der Energieversorgung, Eigentumstrage bei den Leitungswegen, Höhe der Vergütung für die Einspeisung von Strom u.a.).

(19) Deutschlandpolitik: Die Situation in der DDR ist auf dem Energiesektor vor allem durch zwei Faktoren gekennzeichnet: Wirtschaftspolitische Fehlorientierung und mangelnde Ausnutzung technischer Möglichkeiten bedingen ein hohes Maß an Energievergeudung; bei der Energieerzeugung treten durch den hohen Anteil an Braunkohlekraftwerken große Umweltbelastungen auf. Die auf jeden Fall unerläßliche Umsteuerung in der DDR bietet die Chance für eine energiepolitische Neukonzeption im Sinne ökologischer Optimierung.

(20) Internationale Politik: In der Europäischen Gemeinschaft sowie innerhalb der Internationalen Energieagentur (IEA) muß auf eine Revitalisierung der Energiesparprogramme gedrängt werden. Die IEA ist in den letzten Jahren immer kritischer gegenüber den nachlassenden Energiesparprogrammen ihrer Mitglieder geworden, hat aber angesichts der Weltenergiepreise keine Resonanz gefunden. Vor allem aber muß die Priorität der Energieeinsparung in den beginnenden Hilfsprogrammen der Europäischen Gemeinschaft sowie einzelner westlicher Industrieländer für Osteuropa realisiert werden. Die osteuropäischen Länder einschließlich der Sowjetunion weisen derzeit eine äußerst ineffiziente Energieverbrauchsstruktur auf. Die Beratung bei der Einführung von marktgemäßen Sparanreizen, der effizienteren Energieerzeugung, der energieeffizienten industriellen Produktion und schließlich bei der Förderung der Energieeinsparung im Hauswärmebereich - zumal im Zusammenhang der Restaurierung der Bausubstanz - wäre von doppeltem Nutzen: Sie würde diesen Ländern helfen, knappe Devisen einzusparen, und sie würde einen Beitrag zur Reduktion der klimagefährdenden Emissionen leisten.

Das Verhältnis zu den erdölreichen, vor allem den arabischen Ländern, von denen der Weltenergiemarkt weitgehend mitbeeinflußt ist, muß auf eine neue Basis des Vertrauens gestellt werden. So ist zum Beispiel das Einsparpotential, das sich aus der Nutzung der bislang abgefackelten Erdölbegleitgase in diesen Ländern ergibt, nur zu realisieren, wenn ein Konsens dahingehend gefunden wird, daß Europa sich für die petrochemischen Produkte dieses Raumes prinzipiell öffnet. Die entscheidenden Entwicklungen der Energiepolitik vollziehen sich allerdings nicht in Europa, sondern in bevölkerungsreichen Ländern wie Brasilien oder Indien. Die internationale Politik steht vor der großen Herausforderung, den Ländern mit dramatisch steigender Bevölkerung bei der klimaverträglichen Bewältigung ihrer Energieprobleme zu helfen.

Zukunft der Kernenergie

(21) Die Frage nach der Zukunft der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist in den Kontext der Energiepolitik insgesamt einzuordnen. Die Diskussion läßt sich zuspitzen auf die Fragen, ob ein kurzfristiger Ausstieg aus der Kernenergie möglich und wünschenswert ist, ob Kernenergie für eine Übergangszeit zu nutzen ist oder ob sie ein dauerhafter Bestandteil der Energieversorgung sein soll. Zu diesen Fragen ist die Meinung im Wissenschaftlichen Beirat gespalten.

Einige Mitglieder des Beirats lehnen die langfristige und dauerhafte Nutzung der Kernenergie unter den gegebenen Umständen ab. Die wichtigsten Argumente hierfür sind:

  1. das hohe mögliche Schadensausmaß bei Unfällen heutiger Reaktoren („Katastrophenfähigkeit");
  2. die ungeklärte Situation der Endlagerung;
  3. das Problem der „Proliferation" (Weiterverbreitung von Kernwaffen bzw. von spaltfähigem Material);
  4. die Schadensträchtigkeit der Kernenergie - und zwar von Reaktoren ebenso wie von anderen Systemelementen - im Zusammenhang mit Gewaltakten, insbesondere (Bürger-)Kriegen;
  5. die störenden und unerwünschten Rückwirkungen der unbegrenzten - bzw. nur durch kurzfristige wirtschaftliche Kriterien eingeschränkten Nutzung der Kernenergie auf die gesellschaftlichen Strukturen und auf kulturelle Verhaltensweisen, die für das Überleben der Menschheit nötig sind; so spricht beispielsweise einiges dafür, daß die unbegrenzte Nutzung der Kernenergie, die mit dem Pathos entwickelt wurde, das Energieproblem der Menschheit, insoweit es ein Knappheitsproblem ist, zu lösen, kulturell einer „Effizienzrevolution" entgegensteht.

(22) Andere Mitglieder des Beirats halten hingegen eine Entwicklung der Reaktortechnik für möglich, mit der die Katastrophenträchtigkeit heutiger Reaktoren überwunden wird. Unter dieser Voraussetzung sehen sie die Kernenergie als prinzipiell verantwortbar an. Sie schätzen des weiteren die energietechnischen Möglichkeiten der anderen Energieträger (einschließlich der rationellen Energienutzung und der erneuerbaren Energien) als so begrenzt ein, daß auch die verstärkte Nutzung der Kernenergie geboten sei, um das Klimaproblem in Grenzen zu halten und einen Beitrag zur Deckung des steigenden Weltenergiebedarfs zu liefern. Übereinstimmung herrscht in der Beurteilung, daß der Beitrag der Kernenergie zur Vermeidung klimaschädigender Spurengase relativ klein ist. Aber diejenigen Mitglieder des Beirats, die eine weitere Nutzung der Kernenergie befürworten, messen dem Risiko der Klimakatastrophe ein so großes Gewicht bei, daß die gegenwärtige Generation es nicht verantworten könne, nicht alle technischen Möglichkeiten zur Minderung der Klimaproblematik zu mobilisieren.

(23) Unbeschadet dieses Dissenses besteht unter den Mitgliedern des Beirats Einigkeit darüber, daß der fehlende prinzipielle Konsens in der Kernenergiefrage nicht zu einer Periode der Nichtentscheidungen im Blick auf eine durchgreifende Energieeinsparpolitik führen darf. An deren Ende wäre ein Fortführung der Kernenergienutzung unter Umständen nur auf der Basis von „vollendeten Tatsachen" möglich. Auch jede Mitglieder des Beirats, die für eine Fortsetzung der friedlichen Nutzung der Kernenergie plädieren, sind der Ansicht, daß für den Fall der Fortführung der Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland die Kernenergiepolitik an folgende Bedingungen geknüpft werden muß:

  1. Lösung des Problems, das in der Differenz der Sicherheit und der Katastrophenträchtigkeit von Reaktoren verschiedener Generationen liegt;
  2. Klärung und Überprüfung von Fragen der Haftung und der Konkurssicherung der Rückstellungen mit dem Ziel der Streichung der rechtlichen und finanziellen Privilegierung der Kernenergie durch das Atomgesetz;
  3. Entschärfung des Problems der Abhängigkeit von der Kernkraft durch Limitierung des Kernkraftanteils am gesamten Kraftwerkspark;
  4. keine Europäisierung der Kernenergiepolitik nach dem „Sankt-Florians-Prinzip";
  5. kein Einstieg in die Brütertechnologie.


Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats
des Beauftragten für Umweltfragen
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

(März 1990)

  • Günter Altner, Professor Dr. Dr., Heidelberg
  • Claus-Benedict von der Decken, Professor Dr., Jülich
  • Hans Diefenbacher, Dr., Heidelberg
  • Gabriele Hundsdörfer, Dr., Bonn
  • Hans Kiemstedt, Professor Dr., Hannover (Vorsitzender)
  • Udo Krolzik, Dr., Hamburg
  • Heinrich Freiherr von Lersner, Dr., Berlin
  • Hans-Joachim Lubmann, Dr., Stuttgart
  • Jürgen Salzwedel, Professor Dr., Bonn
  • Martin Schrenk, Professor Dr., Homburg/Saar
  • Udo Ernst Simonis, Professor Dr., Berlin
  • Gotthard M. Teutsch, Professor Dr., Bayreuth
  • Adelheid von Wahlert, Dr., Ingersheim

Ständiger Gast:

Kurt Oeser, Beauftragter für Umweltfragen des Rates der EKD, Mörfelden

Geschäftsführer:

Hermann Barth, Dr., Hannover

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