Kirche sein in einer globalisierten Welt
Zur Weggemeinschaft in Mission und Entwicklung. EKD-Text 125, Hrg. EKD, Oktober 2015, ISBN: 978-3-87843-040-7
2 Fragen der Partner
Vielfach werden die Kirchen, Missionswerke und kirchlichen Entwicklungsdienste des Globalen Nordens von ihren Partnern aus dem Globalen Süden kritisch befragt. Diese Stimmen sind achtsam wahrzunehmen und selbstkritisch zu reflektieren. Denn Entwicklungswerke und Missionswerke haben sich zu einer partnerorientierten Ausrichtung verpflichtet, deren biblisch-theologische Grundlagen im folgenden Kapitel erläutert werden. Auf der Grundlage ihrer Selbstverpflichtung wollen die Entwicklungswerke und die Missionswerke die Partner ernst nehmen und den Herausforderungen in gemeinsamer und globaler Weggemeinschaft begegnen. Entwicklungs- und Missionskonzeptionen, die ohne die Beteiligung aller Betroffenen entworfen werden, schränken das Recht auf Selbst- und Mitbestimmung ein, verletzen die Menschenwürde, schwächen die lokalen Akteure und unterminieren ihre Handlungsfähigkeit. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine Entwicklungszusammenarbeit, die die Partner vor Ort, ihre Interessen, Bedürfnisse und Ressourcen nicht genügend berücksichtigt, häufig wenig nachhaltig ist.
Gemeinsame Gremien, in denen lokale Partner aus Kirchen und Werken mit internationalen Partnern zusammenarbeiten, versuchen dieser Einsicht Rechnung zu tragen. Gleichwohl fragen die Partner weiterhin: »Wie beteiligt Ihr uns an Euren Entscheidungen, die uns betreffen?« Nehmen die Partner aus dem Globalen Norden die partnerschaftliche Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit ernst, so ist auch die weitergehende Frage der Partner aus dem Globalen Süden erlaubt, in welcher Weise die Partner aus dem Globalen Süden an Entscheidungen beteiligt sind, die in erster Linie die Partner aus dem Globalen Norden betreffen. Wann geben beispielsweise Kirchen im Globalen Norden Partnern aus dem Globalen Süden ein Mitbestimmungsrecht über den Bau eines kirchlichen Kindergartens? Oder wann beteiligen sie die Partner aus dem Globalen Süden an der Entscheidung über die Erweiterung einer Einrichtung für Menschen mit körperlichen Behinderungen?
Hinter solchen Fragen steht das Problem der ungerechten Verteilung der Ressourcen. Diese Ungerechtigkeit schafft und erhält ein Machtgefälle zwischen sogenannten Gebern und sogenannten Nehmern. Ist diese Problematik erkannt, so stellt sich die Frage, in welcher Weise die Geber- und Nehmerstrukturen überwunden werden können, damit sich die Partner auf Augenhöhe begegnen.
Einige Missionswerke versuchen die Problematik in der Weise zu lösen, dass sie die Partner als Mitglieder in Leitungs- und Entscheidungsgremien einbinden. Für andere ist die Etablierung von gemeinsamen Entscheidungsgremien auf lokaler und regionaler Ebene ein zukunftsweisendes Modell. Kirchen laden zu Partnerkonsultationen und zu ökumenischen Visitationen ein und schaffen so Gelegenheiten für gemeinsames Handeln. Die Frage nach dem Fortbestehen ungleicher Machtkonstellationen ist allerdings nicht ausschließlich durch die Etablierung solcher Instrumente zu beantworten.
Ferner hinterfragen die Partner bisweilen die Motivation des von Deutschland ausgehenden kirchlichen diakonischen und entwicklungspolitischen Handelns. Zwar erkennen sie den hohen Grad der Professionalisierung an, doch wollen sie wissen, welcher Geist und welche Hoffnung hinter diesem Handeln stehen. Diakonie und Entwicklungsdienst werden in diesen kritischen Anfragen zwar als kirchliche Einrichtungen wahrgenommen, doch die Verbindung mit dem gottesdienstlichen und geistlichen Leben der Gemeinden ist für die Partner häufig nicht erkennbar.
Kritische Rückfragen der Partner aus dem Globalen Süden rufen auch Appelle aus den Ländern des Globalen Nordens hervor, die die Länder des Globalen Südens dazu anhalten, einen ökologisch nachhaltigen Lebensstil zu pflegen. Hier weisen die Partner aus dem Globalen Süden darauf hin, dass z. B. in Brasilien, Ghana und Indien riesige Anbauflächen zur Kultivierung von Agrotreibstoffen genutzt werden, die den Energiehunger Europas und Nordamerikas stillen sollen. Während die wachsende Mobilität von Menschen in den Industriestaaten gefördert und der Besitz eines Autos für jeden Erwachsenen als Normalität, ja das Autofahren als ein »Recht« betrachtet wird, ruft die Vorstellung, dass dieses Recht beispielsweise auch für alle erwachsenen Bürger Chinas gilt, im Globalen Norden Aufrufe zur Mäßigung aus. »Mit welchem Recht«, so die Frage der Partner, »messt Ihr mit zweierlei Maß? Soll der Wohlstand nur denen zuteilwerden, die bereits an ihn gewöhnt sind?«
Diese Fragen zeigen: Die Lasten der Veränderung dürfen nicht ungleich verteilt werden. Kirchen in einer globalisierten Welt und Partner in verlässlicher Weggemeinschaft müssen die beschriebenen Probleme als eine gemeinsame Herausforderung annehmen.
Kritische Rückfragen der Partner betreffen ferner Modelle der Konvivenz, etwa christlich-muslimische Begegnungsstätten im Raum der Kirchen in Deutschland, die inzwischen mehrheitlich auf Akzeptanz stoßen. Aufgrund der Erfahrung der Einschränkung ihrer Religionsfreiheit üben die Partner zuweilen Kritik an diesen Modellen, die von Christinnen und Christen aus dem Globalen Norden häufig als intoleranter Umgang mit anderen Religionen gewertet wird. Hier gilt es, Anfragen und Zweifel der Partner zuzulassen und einen gemeinsamen interreligiösen Lernweg einzuschlagen.
Klärungsbedarf gibt es schließlich auch im Hinblick auf die Gemeinden anderer Sprache und Herkunft. Sie existieren neben den etablierten Kirchen in Deutschland, und häufig besteht eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Christinnen und Christen dieser Gemeinden beklagen, dass sie als mündige Mitchristen und als selbstständige Gemeinden innerhalb der einheimischen Kirchen nicht ernst genommen werden. Noch immer sehen sie sich schnell dem Bereich diakonischen Handelns zugeordnet. Dabei birgt eine neue Verhältnisbestimmung Chancen für beide Seiten. Sie können theologisch voneinander lernen, eigene kulturelle Einschränkungen wahrnehmen und die grenzüberschreitende Kraft des Evangeliums bezeugen.