Gemeinsam evangelisch!
Erfahrungen, theologische Orientierungen, EKD-Text 119, Hrg. EKD, 2014, ISBN 978-3-87843-033-9
1 Die EKD und christliche Migranten(-gemeinden) -eine ambivalente Geschichte
Die Erfahrungen und Zugangsweisen der EKD und ihrer Gliedkirchen im Umgang mit christlichen Migranten und ihren Gemeinden sind in den vergangenen 60 Jahren von großen Ambivalenzen gekennzeichnet. Zum einen gibt es in der EKD schon seit Langem (1963) Überlegungen dazu, wie etwa „Evangelische Exilkirchen“ in Westdeutschland unterstützt werden können. In den 70er- und 80er-Jahren werden diese konkretisiert und es werden Handreichungen veröffentlicht, die Informationen über „Ausländergemeinden“ bündeln. Zu Beginn des neuen Jahrtausends werden bilaterale Kirchenverträge geschlossen, die sicherstellen sollen, dass Angehörige bestimmter fremdsprachiger Kirchen aus dem Ausland in Deutschland eine gute pastorale Versorgung in ihrer Muttersprache erhalten. Vor allem die Herkunftskirchen in Skandinavien (Finnland, Schweden), den Niederlanden und Korea schließen solche Verträge mit der EKD.
Auffallend ist jedoch, dass über einen relativ langen Zeitraum (z. B. in den seit den 70er- und 80er-Jahren erscheinenden Erklärungen und Veröffentlichungen) christliche Migranten mit ihren Gemeinden selten im Mittelpunkt des Interesses stehen. Vielmehr kommen sie häufig in einem untergeordneten Abschnitt von Texten vor, in denen es generell um Zuwandernde und die damit verbundenen sozialpolitischen Themen wie Asyl, Integration, Menschenrechte und im weitesten Sinne sozialdiakonische Fragen geht. Diese Aspekte standen zunächst auch im Vordergrund bei der Gründung der Konferenz ausländischer Pfarrer (KAP), welche die EKD bereits im Jahr 1972 vorangetrieben hatte. Bis dato erfolgte die Beschäftigung mit und das Engagement für Menschen mit Migrationshintergrund immer aus einer diakonischen Motivation heraus - die Kirche wollte „für die Ausländer“ da sein.
Auch in den Publikationen des EKD-Kirchenamtes kommen Gemeinden anderer Sprache und Herkunft vor allem unter dem Aspekt diakonisch-karitativer Zuwendung in den Blick (1976, 1986), gelegentlich noch verstärkt durch eine seelsorgerliche Dimension. Sie werden damit vor allem als (hilfsbedürftige) Fremde wahrgenommen, denen die in Deutschland beheimateten Kirchen mit Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft begegnen sollen. Dieser für die damalige Zeit fortschrittliche Ansatz hat mit dazu beigetragen, dass Deutschland sich zunehmend der Realität einer Einwanderungsgesellschaft gestellt hat.
Die „ökumenische Zusammenarbeit mit Gemeinden fremder Sprache und Herkunft“ (1996) wird erst seit den 90er-Jahren mit dieser neuen Bezeichnung für die „Ausländergemeinden“ thematisiert und empfiehlt eine Zusammenarbeit auf geschwisterlicher Augenhöhe. Damit werden Gemeinden anderer Sprache und Herkunft erstmals als ökumenische Partnerinnen verstanden, mit denen man kooperieren kann und soll. Bereits hier zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, der von einem diakonisch bestimmten hin zu einem ekklesiologisch begründeten Miteinander von Geschwistern führt. Schließlich wird damit anerkannt, dass die Christenheit in Deutschland sich zu einer christlich-pluralen (und multireligiösen) Gesellschaft hin wandelt. Auch in der Bezeichnung dieser Gemeinden wird ein Schritt vollzogen, der nicht mehr die Fremdheit als wesentliche Charakteristik hervorheben, sondern deren sprachliche und kulturelle Diversität benennen sollte: Aus den „Gemeinden fremder Sprache und Herkunft“ werden die „Gemeinden anderer Sprache und Herkunft“. Dies verdeutlicht noch einmal mehr, dass es sich um eine ökumenische Herausforderung in einem interkulturellen Kontext handelt.
Die seither eingeforderte ökumenische Kooperation stellt sich derzeit in unterschiedlichen Modellen des Miteinanders oder auch Nebeneinanders von Gliedkirchen der EKD bzw. deren Ortsgemeinden und Gemeinden anderer Sprache und Herkunft dar, die im Übrigen auch bei der (Weiter-)Entwicklung der EKD-Auslandsarbeit als handlungsleitend bezeichnet werden können.[1] Im Folgenden sollen diese Modelle kurz beschrieben werden:
Das „Parallel-Modell“
Die Räumlichkeiten einer in Deutschland beheimateten Kirchengemeinde werden auch von einer Gemeinde anderer Sprache und Herkunft genutzt, ohne dass die Gemeinden einander wirklich begegnen und darüber hinaus zusammenarbeiten. Simon nennt dies zutreffend ein „nicht-christliches Nebeneinander von Geschwistern“.[2] Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber auch, dass diese Situation des (anfänglichen) Nebeneinanders dazu genutzt werden kann, schrittweise die gegenseitige Wahrnehmung zu verstärken und gute Beziehungen zwischen den Gemeinden aufzubauen.
Das „Schwesterkirchen-Modell“
Hier stehen beide Gemeinden in regelmäßigem Kontakt, feiern miteinander Gottesdienst. Vertreter der Gemeinden anderer Sprache und Herkunft werden in Dekanats- oder Kirchensynoden eingeladen.
Das „Integrationsmodell“
Gemeinden anderer Sprache und Herkunft werden mit allen Rechten und Pflichten Mitgliedsgemeinden einer Gliedkirche der EKD. Seit über fünf Jahren sind z. B. in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eine koreanische und eine indonesische Gemeinde Teil der Landeskirche. Sie sind auch in der jeweiligen Dekanatskonferenz bzw. -synode und der Kirchensynode vertreten.
Heute wird deutlich, dass alle diese Modelle ihre Berechtigung haben und wichtige Schritte hin zum „Gemeinsam Kirche sein“ von historisch in Deutschland beheimateten Kirchen und Gemeinden anderer Sprache und Herkunft sein können. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass noch viele Herausforderungen zu bewältigen sind, um zu einer wirklichen Kirchengemeinschaft von einheimischen und zugewanderten Christen zu gelangen. Diese Gemeinschaft bietet die Chance, das gemeinsame Zeugnis von Jesus Christus in einer ethnisch und kulturell ständig vielfältiger werdenden Gesellschaft zu stärken.