Gemeinsam evangelisch!
Erfahrungen, theologische Orientierungen, EKD-Text 119, Hrg. EKD, 2014, ISBN 978-3-87843-033-9
Anhang 2: Schritte auf dem Weg zu „Gemeinsam Kirche sein“
Gemeinden anderer Sprache und Herkunft durchlaufen typischerweise die in Anhang 1 genannten Phasen. In der Zusammenarbeit und im Zusammengehen mit diesen Gemeinden ist vonseiten der verfassten evangelischen Kirche eine Sensibilität für die Prozesse angeraten, in denen sich die Partner jeweils befinden. Bestimmte Phasen erfordern spezifische Vorgehensweisen der evangelischen Kirchen in Deutschland. Die nötige Flexibilität hilft, Überforderungen und Enttäuschungen zu vermeiden.
Folgende Schritte strukturieren den Weg zu „Gemeinsam Kirche sein“ von Gemeinden anderer Sprache und Herkunft und evangelischen Kirchengemeinden:
Multikulturalität - kirchliche Schutzräume
Nach ihrer Ankunft in der Fremde organisieren sich Gläubige in muttersprachlichen Gemeinden. Diese Migrationsgemeinden der ersten Generation erfüllen vor allem folgende Funktionen: Sie bieten Heimat und Lebensstärkung in einer oft als bedrohlich erlebten Fremde und sie dienen als Netzwerke zur Lebensorganisation. Als solche existieren diese Gemeinden neben den alteingesessenen Kirchengemeinden.
Auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Gläubigen aus der Fremde können evangelische Kirchengemeinden angemessen insofern reagieren, als sie ihnen Gemeinderäume als Schutzräume zur Verfügung stellen.
Interkulturalität - kirchliche Begegnungsräume
Nach einer gewissen Zeit des Sich-Einfindens in die jetzt weniger fremd erscheinende Kultur des Einwanderungslandes und mit dem Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen, die die hiesige Lebenswelt als ihre Heimat zunehmend erleben, kann sich in den Gemeinden anderer Sprache und Herkunft die Bereitschaft zur punktuellen Zusammenarbeit mit den gastgebenden Gemeinden ergeben, etwa in Form von gelegentlichen gemeinsamen Gottesdienstfeiern, Bibelgesprächskreisen, Veranstaltungen für Jugendliche usw.
Evangelische Kirchengemeinden können in dieser Phase angemessen insofern reagieren, als sie zusammen mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft kirchliche Begegnungsräume kreieren.
Transkulturalität - kirchliche Gemeinschaftsräume
Im Übergang von der ersten zur zweiten Generation in den Gemeinden anderer Sprache und Herkunft vollziehen sich zum Teil tief greifende Transformations-, Ablöse- und Neuorientierungsprozesse. Wie bei Kindern aus interkulturellen Familien und solchen, die früh als Jugendliche migrierten, handelt es sich bei den Repräsentanten der zweiten Generation nicht mehr um Migranten, sondern um Einheimische mit unmittelbarem Migrationshintergrund. Viele haben eine hohe Kompetenz im „Floaten“ zwischen verschiedenen Kulturen erworben. Sie sind Kultur- und Glaubensvermittler. Diese jungen Erwachsenen kreieren mit anderen Gleichaltrigen in der Spannung von lokaler Verortung und globaler Kommunikationsverbundenheit neue Lebens- und Denkwelten. Für viele von ihnen ist der christliche Glaube weiterhin von wesentlicher Bedeutung. Mit ihrem Glauben befinden sie sich in einer Suchbewegung. Ihre kirchliche Beheimatung finden sie zunehmend jenseits der elterlichen Gemeinden wie auch des landeskirchlichen Angebots.
Evangelische Kirchengemeinden können in dieser Phase angemessen insofern reagieren, als sie sich zusammen mit diesen Gläubigen öffnen für die benannte Suchbewegung und sich einlassen auf eine Weggemeinschaft mit ihnen. Kirche wird zum Gemeinschaftraum des Neuen. Der Prozess wird angezeigt und beschleunigt dadurch, dass Mitglieder der vormaligen Migrationsgemeinde evangelische Gemeindeglieder werden und aus ihrem Kreis Presbyter, Pastoren, Diakone usw. gestellt werden.
Dabei zeigt die Erfahrung, dass diese unterschiedlichen Stadien nicht unbedingt in chronologischer Folge durchschritten werden. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass neben einem dominanten Aspekt auch die anderen ebenfalls eine - wenn auch untergeordnete - Rolle spielen.