Gefährdetes Klima
1. Warum besteht konkreter Handlungsbedarf
1.1. Beschlüsse zum Schutz vor Klimaveränderungen und ihre Grundlagen
(3) In mehreren Kabinettsbeschlüssen hat die Bundesregierung ihren Willen dokumentiert, zum Schutz gegen Klimaveränderungen durch den verstärkten Treibhauseffekt Vorsorge zu treffen. Sie hat sich insbesondere als ersten Schritt das Ziel gesetzt - und dies mehrfach bekräftigt -, die CO2-Emissionen im vereinigten Deutschland bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30 % gegenüber dem Niveau von 1987 zu senken.
(4) In internationalen Gremien hat sich die Vertretung der Bundesrepublik zusammen mit anderen Staaten für eine verbindliche Konvention zum Schutz des Erdklimas eingesetzt. Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro wurde eine Klimarahmenkonvention von mehr als 150 Staaten gezeichnet. Die Konvention ist in der Zwischenzeit sowohl von der Bundesrepublik Deutschland als auch von der Europäischen Union ratifiziert worden. Nachdem die erforderliche Zahl von Signatarstaaten erreicht wurde, ist die Konvention in Kraft getreten. Als Ziel wird der Konvention vorangestellt, die Konzentration von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das gefährliche anthropogene Wirkungen auf das Klimasystem ausschließt. Ein solches Niveau soll so erreicht werden, daß sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Welternährung nicht bedroht ist und die wirtschaftliche Entwicklung auf dauerhaft-umweltgerechte Weise fortschreiten kann ("sustainable development") Auf vereinbarten Folgekonferenzen sollten diese Ziele konkretisiert und entsprechend dem Wissensstand fortgeschrieben, vor allem aber Instrumente zur Kontrolle der Einhaltung vereinbart werden.
(5) Mit den genannten Beschlüssen und Vereinbarungen reagierten die Regierungen auf Ergebnisse der Klimaforschung und auf Warnungen der Wissenschaft vor Veränderungen des Erdklimas mit wahrscheinlich katastrophalen Auswirkungen, die selbst bei einem gleichbleibenden Niveau des Ausstoßes von Treibhausgasen in die Erdatmosphäre ausgelöst werden können. In Wirklichkeit aber steigen die Mengen von emittierten Treibhausgasen im weltweiten Durchschnitt weiter an. Die Entscheidungen waren über viele Jahre in intensiven Beratungen von Expertengremien vorbereitet worden. In Deutschland waren dies vor allem die Arbeiten der Enquete-Kommissionen des 11. und 12. Deutschen Bundestages "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bzw. "Schutz der Erdatmosphäre" Ihre Arbeit wurde unterstützt durch ein breitgefächertes Untersuchungsprogramm, an dem eine große Anzahl von Forschungsinstituten beteiligt war. International ist vor allem die Zwischenstaatliche Kommission zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zu nennen, das im Auftrag der Weltmeteorologie-Organisation (World Meteorogical Organization, WMO) und des UN-Umweltprogramms (United Nations Environmental Programme, UNEP) den aktuellen Stand des Wissens zusammengestellt hat. Alle diese Gremien empfohlen langfristig eine drastische Reduktion der weltweiten klimaschädigenden Emissionen; insbesondere die Kohlendioxidemissionen sollen danach bis zur Mitte des kommenden Jahrhunderts auf etwa die Hälfte gesenkt werden. Die reichen Industrieländer müssen ihre Emissionen um 80 % bis zum Jahr 2050 reduzieren, da den Entwicklungsländern gerechterweise noch eine Zunahme ihrer Gesamt-Emission zugestanden werden muß. Heute beträgt ihre Emission pro Kopf nur höchstens ein Siebtel des Wertes in den Industrieländern.
(6) Über die Ziele der Verminderung von Methan-Emissionen, die aus dem Reisanbau und der intensiven Viehwirtschaft herrühren, aber auch aus Mülldeponien durch Leckverluste beim Umgang mit Erdgas und als Grubengas beim Kohlebergbau entstehen, gibt es derzeit noch keine konkreten Beschlüsse. Neben ihrem Beitrag zur Erwärmung der Erdatmosphäre zerstören die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und die Halone zusätzlich den stratosphärischen Ozonschild, wenn sie bis in die Stratosphäre vordringen. In internationalen Abkommen haben sich die Staaten auf ein stufenweises Auslaufen der Produktion von FCKW und Halonen bis spätestens zum Jahr 2000 verpflichtet. Die wichtigsten Kenndaten der Treibhausgase sind der Tabelle 1 im Anhang 8.2. zu entnehmen.
1.2. Die Umsetzung der Beschlüsse
(7) Vergleicht man allerdings die Absichtserklärungen mit den bisher tatsächlich verwirklichten Maßnahmen, verstärken sich die Bedenken, ob die Schutzziele auch nur annähernd erreicht werden können. Zwar sind in Deutschland die CO2-Emissionen seit 1987 um mehr als 14 % gesunken. Doch liegt dies in erster Linie an dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Ostdeutschland und nur zu einem geringen Teil an wirksamen Maßnahmen zur Emissionsminderung. Die durch die bisherige Förderung erneuerbarer Energien und einer effizienteren Energienutzung - zum Beispiel durch Kraft-Wärme-Kopplung - erreichte Reduktion wird vor allem durch die Zuwachsraten in den verkehrsbedingten Emissionen weitgehend wettgemacht. Wenn der 1994 sich abzeichnende wirtschaftliche Aufschwung anhält, muß mit einem Wiederanstieg der CO2-Emissionen gerechnet werden.
(8) In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre gab es einen Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen von 2 % pro Jahr. Seit 1989 stagnieren sie auf dem bis jetzt erreichten hohen Niveau (vgl. Tabelle 2 im Anhang 8.2). Dieses Abflachen ist auf den Zusammenbruch der Industrien der ehemals sozialistischen Länder und die weltweite Rezession zurückzuführen. China und der ostasiatische Raum scheinen mit Wachstumsraten von jährlich rund 4 % - in einigen Ländern sogar bis zu 10 % und mehr - alle Bemühungen um Stabilisierung der CO2-Emissionen jedoch zunichte zu machen. Auch in den westlichen Industrieländern insgesamt ist der Anstieg der verkehrsbedingten Emissionen weit höher als die Reduktionen, die in anderen Bereichen erreicht werden konnten. Die Einführung der geplanten Energie-/CO2-Steuer in der Europäischen Gemeinschaft liegt auf Eis, nachdem der US-Präsident sich nicht mit seiner Energiesteuer hat durchsetzen können und in den USA lediglich eine geringfügig erhöhte Steuer auf Kraftstoffe beschlossen wurde. Der Weltenergierat (WEC) schätzt aufgrund einer detaillierten Bewertung der Entwicklung in den verschiedenen (Weltregionen daß die CO2-Emissionen weltweit bis zum Jahre 2020 zwischen 40 und 90 % steigen könnten und selbst unter Annahme drastischer Maßnahmen zur Erhöhung der Energienutzungseffizienz und des Einsatzes erneuerbarer Energien noch um 7 % zunehmen. Dabei wurde für die Kernenergie, verglichen mit früheren Prognosen, ein sehr schwacher Ausbau zugrundegelegt.
(9) Die Bemühungen um die Reduktion der FCKW-Emissionen sind weiter gediehen. Die Europäische Union und Deutschland im besonderen haben sich sogar einen schnelleren Ausstieg als international vereinbart zum Ziel gesetzt. Als Folge der entsprechenden Verordnungen sind die Produktion und der Verbrauch dieser Stoffe seit Beginn der neunziger Jahre deutlich zurückgegangen. Aber selbst wenn die gesteckten Ziele planmäßig erreicht werden, schädigen die bisher schon emittierten Mengen noch auf lange Zeit - die Wissenschaft geht von einem Zeitraum in der Größenordnung von fünfzig Jahren aus - die vor UV-Strahlung schützende Ozonschicht in der Stratosphäre. Auch die freien, teilhalogenierten Ersatzstoffe wie beispielsweise der Fluorkohlenwasserstoff R134a sind nicht ohne Auswirkungen auf den Treibhauseffekt, jedoch nicht im gleichen Ausmaß wie die FCKWs.
1.3. Zur Bewertung der wissenschaftlichen Grundlagen
(10) Erwiesen ist, daß die Konzentration der Treibhausgase in der Erdatmosphäre seit Beginn der Industrialisierung angestiegen ist und immer noch weiter ansteigt. Unstrittig ist, daß dies von Menschen verursacht ist und daß dadurch zusätzlich Strahlungswärme in der Erdatmosphäre festgehalten wird. Wissenschaftlich ist heute nicht sicher vorhersagbar, welche Rückwirkungen die primäre Erwärmung im Ökosystem Erde auslöst. Man kennt sowohl Effekte, die den Temperaturanstieg abschwächen, als auch solche, die ihn verstärken. Darüber hinaus haben die Ozeane - zum Beispiel durch ihre Fähigkeit, CO2 zu binden und Wärme zu speichern - eine zeitlich verzögernde Wirkung. Der Gesamteffekt ist methodisch schwer zugänglich, weil sich insbesondere die Wolkenbildung kaum abschätzen läßt. Mit noch geringerer Sicherheit und Genauigkeit lassen sich regionale Auswirkungen auf das Wetter und andere Lebensbedingungen vorhersagen. Die derzeitigen Abschätzungen für die globale Erwärmung bis zum Ende des kommenden Jahrhunderts liegen, verglichen mit dem heutigen Temperaturniveau, bei bestmöglicher Berücksichtigung solcher Effekte zwischen 2 und 5,5 Grad. Nach Berechnungen des IPCC aus dem Jahre 1990 gilt dies, wenn die gegenwärtigen Trends der Treibhausgasemissionen anhalten würden. Dabei ist zu bedenken, daß der Unterschied der Jahresdurchschnittstemperaturen heute und während der letzten Eiszeit vor ca. 10 000 Jahren nur 5 Grad beträgt.
(11) Wenn man den Einfluß anderer Ursachen auf das Klima wie Vulkanausbrüche und wechselnde Sonnenaktivität mit statistischen Korrelationen aus den Klimadaten der letzten 150 Jahre herausrechnet, wie dies im Frankfurter statistischen Klimamodell versucht wurde, erhält man in guter Übereinstimmung mit den neueren Klimamodellen eine mittlere Erwärmung von 0,6 bis 0,8 Grad Celsius seit Beginn der Industrialisierung, für die keine andere Ursache als der Treibhauseffekt übrig bleibt. Ob die außergewöhnlich warmen Wetterlagen der achtziger Jahre und in den Jahren 1990 und 1991, das Abschmelzen der Alpengletscher und der leichte Anstieg des Meeresspiegels schon Folgen der bisherigen von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen sind, läßt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit feststellen. Solche Phänomene machen aber anschaulich, womit wir nach Aussagen der Klimaforschung zu rechnen haben. (12) Auf jeden Fall läßt sich sagen: Mit der derzeitigen Emission von Treibhausgasen manipuliert die Menschheit an einem globalen Umweltparameter von ungeheurer Tragweite. Wenn gleich das Ausmaß der Klimaveränderungen und ihre Folgen nicht im einzelnen vorhersagbar sind, so müssen doch verheerende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in weiten Gebieten der Erde als sehr wahrscheinlich angesehen werden, wenn die Emission der Treibhausgase nicht drastisch gesenkt wird. Selbst dann wird ihre Konzentration in der Atmosphäre noch weiter ansteigen. Es ist darauf hinzuarbeiten, dies wenigstens in dem Rahmen zu halten, den sich die Vertragsstaaten mit der internationalen Klimakonvention zum Ziel gesetzt haben.
(13) Die Folgen eines Klimawandels im nächsten Jahrhundert können sehr verschiedene Formen annehmen: Schon heute gehen durch landwirtschaftliche Übernutzung, aber auch durch die Zerstörungswirkung der Luftschadstoffe jährlich viele tausend Quadratkilometer an Landfläche für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung verloren. Ebenso hat die Zahl der Naturkatastrophen in den letzten Dekaden deutlich zugenommen. Zwar sind hierfür in erster Linie andere Ursachen - wie Übernutzung und Luftschadstoffe - zu nennen. Dennoch zeigen diese Entwicklungen die Anfälligkeit des Ökosystems Erde an, das auch auf Klimaveränderungen in ähnlicher Richtung reagiert. Neben den erwarteten Temperaturänderungen, die lokal und jahreszeitlich wesentlich stärker als der Mittelwert ausfallen werden, könnte der Meeresspiegel nach Ansicht von Klimatologen in der Größenordnung von einem halben Meter und mehr ansteigen. Ein Anstieg des Meeresspiegels in dieser Höhe würde in den Küstenbereichen vieler Länder zu vorübergehenden und dauerhaften Überschwemmungen führen; 100 Millionen Menschen würden ihre Heimat verlieren und sieben Küsten- und Inselstaaten würden dann überflutet sein. Regional starke Veränderungen der Niederschlagsmenge in beiden Richtungen sowie häufigere und stärkere Stürme sind weitere, in ihren Auswirkungen kaum kalkulierbare Folgen, wie zunehmende Wetterextreme. Viele Ökosysteme werden Schwierigkeiten haben, sich Klimaveränderungen anzupassen. Solche Anpassungen erfolgen nicht immer kontinuierlich, sondern es muß mit gefährlichen Kippeffekten gerechnet werden. Höchstwahrscheinlich werden unsere standorttypischen Ökosysteme - zusätzlich geschwächt durch den fortdauernden Artenschwund - nicht bestehen können. Es ist sicher, daß mit einem sehr hohen Anpassungsaufwand für die Erhaltung der menschlichen Existenzbedingungen gerechnet werden muß.
(14) Die Auswirkungen der Gefährdung des derzeitigen Erdklimas zeigen sich erst auf lange Sicht. Daher ist es möglich, daß in letzter Zeit in den Medien vermehrt die Auffassungen von Wissenschaftlern zu Wort kommen, die Maßnahmen zum Klimaschutz für verfrüht und sogar für unnötig halten. Als Begründung weisen sie darauf hin, daß die befürchteten Folgen keineswegs schon wissenschaftlich erwiesen sind und die Rechenmodelle, mit denen man die Klimaprognosen erstellt, methodische Ungenauigkeiten enthalten und eine Reihe von Effekten nicht berücksichtigen. Was ist davon zu halten? Jedes Rechenmodell, das derart komplexe Wirkungszusammenhänge abzubilden versucht, um Prognosen daraus abzuleiten, muß notwendigerweise unvollständig sein. Ein Teil der genannten Ungenauigkeiten und Effekte wurde entgegen diesen Vorwürfen in den Modellen berücksichtigt, andere sind in den Unsicherheiten enthalten, auf die die Urheber der Rechenmodelle selbst hinweisen. Auf jeden Fall haben die soeben dargestellten Zusammenhänge verdeutlicht, daß jetzt Vorsorge nötig ist.
1.4. Erste Schlußfolgerungen
(15) Das Prinzip einer vernünftigen Vorsorge verlangt schützende Vorkehrungen auch vor nur möglich erscheinenden Gefahren, besonders dann, wenn viele ernstzunehmende Anzeichen auf sie hinweisen und die Gefahr von nicht umkehrbaren Folgen droht. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und die Größe der Schäden müssen sorgfältig abgewogen werden gegen die Wirksamkeit und die Kosten vorsorgender Maßnahmen und die damit jetzt notwendigen Umorientierungen.
(16) Bei nüchterner Betrachtung all dieser Aspekte kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Senkung der durch Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas verursachte Emission von Treibhausgasen, insbesondere die Verminderung der die stratosphärische Ozonschicht zerstörenden Spurengase, aber auch der Schutz und der Wiederaufbau der Wälder heute dringend gebotene Handlungsziele sind. Sie dürfen durch andere wichtige Probleme unserer Zeit nicht von der Tagesordnung verdrängt werden, obwohl akute Sorgen, zum Beispiel die sehr hohe Arbeitslosigkeit, in der Regel höhere Aufmerksamkeit bekommen als Gefahren, die uns erst später erreichen werden.