Gefährdetes Klima

6. Wie kann die Politik auf die Herausforderung reagieren?

(130) Durch politisches Handeln müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die durch Anreize oder Sanktionen die geschilderten Hemmnisse abbauen. Sie können so die nötigen Verhaltensänderungen in der Breite zuwege bringen, die durch bloße Überzeugung der Individuen nicht zustande kommt. Damit solche politischen Maßnahmen auf demokratische Weise zustande kommen und dann wirksam werden können, müssen mehrere Bemühungen zusammenwirken und mehrere Bedingungen erfüllt sein. Denn hier ist ein weiteres Hemmnis zu überwinden, das Dilemma der Politiker: Sie können das, was sie für notwendig halten, nur umsetzen, wenn sie Wahlen gewinnen; sie fürchten aber, Wähler zu verlieren, wenn sie das umsetzen, was sie für notwendig halten.

(131) Vor allem muß in der Öffentlichkeit ein der Sache angemessenes Problembewußtsein gefördert und der Wille zur Problemlösung geweckt sein. Hierbei haben die Experten für eine zutreffende Information und die Medien für deren Verbreitung eine besondere Verantwortung. Informationen müssen verstanden werden können.

(132) Ein wirksames und beliebtes Mittel, Aufmerksamkeit zu schaffen, ist die Überzeichnung. Sie ist aber mit großer Vorsicht zu gebrauchen. Auf keinen Fall dürfen Aussagen dabei verfälscht werden, selbst wenn dies kurzfristig der guten Sache zu dienen scheint. Auf längere Sicht wird sonst das Vertrauen aufs Spiel gesetzt, das für die öffentliche Urteilsbildung nötig ist. Es ist schwer, die Öffentlichkeit dauerhaft aufmerksam zu machen auf ein Problem, das schleichend daherkommt und sich erst in fernerer Zukunft dramatisch zuspitzen wird. Dennoch muß der Versuchung widerstanden werden, gegenwärtige Naturkatastrophe vorschnell und entgegen dem Expertenrat als Vorboten der Klimaveränderung zu "vermarkten".

(133) Notwendige Maßnahmen werden am ehesten von der Bevölkerung und in der Wirtschaft akzeptiert, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • Die Lasten müssen gerecht verteilt sein. Das entspricht nicht nur den ethischen Grundsätzen unserer Gesellschaft, sondern ist zudem eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Belastungen von Mehrheiten hingenommen werden. Mit der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der weltweiten Staatengemeinschaft kommen zunehmend auch Fragen der internationalen Gerechtigkeit mit in den Blick.
  • Die Lösungen müssen so effektiv wie möglich sein. Das heißt, ihre Kosten müssen im rechten Verhältnis stehen zu dem, was sie für das gesetzte Ziel bewirken. Unter verschiedenen Möglichkeiten ist denjenigen mit der höchsten Effektivität der Vorrang zu geben. Es ist aber wichtig, daß die Suche nach effizienten Lösungen nicht zur Lähmung der Aktivitäten führt. Nur so gibt es bei den begrenzten Handlungsmöglichkeiten eine Chance, die Probleme in tragbarer Weise zu meistern.

(134) Die beschriebene Wechselwirkung zwischen der Öffentlichkeit und der Politik wird nur schrittweise zum Ziel führen können, wobei die zuerst eingeführten Regelungen aufgrund der damit gemachten Erfahrungen und mit der Gewöhnung an die neuen Rahmenbedingungen jeweils zu einer Diskussion weiterer Schritte führen muß. So können sich die einzelnen Maßnahmen ergänzen und gegenseitig unterstützen. Wenn auf diese Weise ein engagiertes und doch nüchternes Bewußtsein für die Probleme in der Bevölkerung, politischer Wille und das sachgemäße Handeln der Entscheidungsträger zusammenkommen, kann aus gewonnenen Einsichten wirksames Handeln werden. Nur so können Lösungen gelingen.

(135) Eine Politik der Klimastabilisierung muß sehr schnell und vermutlich über lange Zeit hinweg eine sehr hohe Priorität bekommen, aufgrund derer bei anderen gesellschaftlichen Zielen Einbußen in Kauf genommen werden müssen. Allerdings ist wie bei jeder Maßnahme von Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch der Europäischen Union darauf zu achten. daß nicht durch eindimensionale Lösungen die Verfolgung anderer wichtiger gesellschaftlicher Ziele unzumutbar beeinträchtigt wird.

(136) Die gewählten Repräsentanten des Volkes sollten angesichts der Gefahren, die die Lebensgrundlagen jetzt lebender Menschen, künftiger Generationen und auch der natürlichen Mitwelt bedrohen, die hergebrachten politischen Prioritäten und Handlungsmaximen in mehrfacher Hinsicht verändern:

  • Die politische Verantwortung für die Lebensgrundlagen künftiger Generationen muß nicht nur verfassungsrechtlich klargestellt, sondern auch im politischen Meinungsbildungsprozeß durch dafür verantwortliche Gremien oder Personen geltend gemacht werden.
         
  • Unsere globale Verantwortung muß nicht nur geweckt und wachgehalten werden, sondern sich auch in konkreten und kontrollierten nationalen und internationalen Verpflichtungen niederschlagen.
         
  • Beides erfordert die Bereitschaft zum Verzicht der derzeitigen Bewohner der reichen Staaten der Erde: nicht nur auf den Zuwachs des Verbrauchs an Energie und Rohstoffen, sondern auch auf den bisherigen Umfang des Verbrauchs. Dies ist ein Anliegen, das zu vertreten von den gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten eines Volkes zwar Mut fordert, ihnen aber auch gesellschaftliche Anerkennung einbringen kann.

(137) Die globale Verantwortung erfordert zunächst die Orientierung der internationalen Außen- und Wirtschaftspolitik auf Marktöffnungen und Hilfen, die in den weniger entwickelten Ländern zu sozialer Sicherung mit nachhaltiger Bewirtschaftung des Bodens bei sparsamem Einsatz nicht erneuerbarer Ressourcen und ausgeglichenen Handelsbilanzen beitragen. Von Bedeutung ist insbesondere die Verbesserung der sozialen Stellung der Frauen, die wesentlich zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums in diesen Ländern beitragen würde.

(138) In der Wirtschaftspolitik sollte die Einfuhr solcher Waren und die Nutzung solcher Dienstleistungen bevorzugt werden, die in den Ursprungsländern zu ökologisch und ökonomisch nachhaltiger Wirtschaft beitragen; so sollte zum Beispiel Holzimport nur aus gekennzeichneten und kontrollierten nachhaltigen Forstbetrieben zugelassen werden. Auch müssen Stoffströme vermieden werden, die den Entwicklungsländern ökologisch nicht verantwortbare Folgen der stofflichen und energetischen Veredelung oder unverträgliche Abfälle aufbürden.

(139) Der mit solchen Maßnahmen und ihrer Kontrolle oft verbundene Eingriff in die territoriale Souveränität anderer Staaten sollte durch Organe der Vereinten Nationen wahrgenommen werden, in denen die weniger entwickelten Staaten nicht von den Industriestaaten überstimmt werden können ("Schwachenschutz").

(140) Die globale Verantwortung erfordert vor allem auch eine spürbare Erhöhung der Entwicklungshilfe von derzeit etwa 0,35 % des Bruttosozialprodukts auf mindestens 0,7 %. Dieses Ziel ist seit Mitte der siebziger Jahre immer wieder für gültig erklärt worden; auch Bundeskanzler Kohl hat es auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wieder zugesagt. Zu dieser Erhöhung sollten sich die gesetzgebenden Körperschaften baldmöglichst bindend verpflichten und sie noch in diesem Jahrzehnt realisieren.

(141) Die politischen Strukturen der Bundesrepublik sollten so verändert oder ergänzt, d.h. modernisiert werden, daß sie sich nicht länger "zu Lasten der Zukunft" (so Richard von Weizsäcker) auswirken. Es muß sichergestellt werden, daß die entscheidenden Fragen der Zukunft unserer Kinder rechtzeitig auf die politische Tagesordnung gelangen. Eine solche Modernisierung kann umfassen: öffentliche Diskurse oder Politikforen (z.B. in den USA), gegebenenfalls auch eine Kommission für die Zukunft (z.B. in Australien) oder eine Kammer aus unabhängigen, angesehenen Persönlichkeiten (elder statesmen) oder einer Ombudsperson (Schweden) für die künftigen Generationen. Solange die politische Vertretung der Belange künftiger Generationen nicht durch dafür zuständige Parlamentsgremien, Beauftragte oder sonstige Institutionen wahrgenommen werden kann, sollten wenigstens die Kirchen ihre Stimme für diese Belange erheben.

(142) Schon aus Gründen der Gerechtigkeit muß sich der Verzicht der Bewohner der reichen Staaten vor allem auf Lebens- und Konsumgewohnheiten beziehen, die zur Emission klimaschädigender Stoffe oder zum unverträglichen Abbau klimaschützender Naturgüter führen. Die gesetzgebenden Organe sollten baldmöglichst Maßnahmen ergreifen, die den immer noch ansteigenden Verbrauch fossiler Energiequellen reduzieren. Dabei sollte sowohl der Weg der Energie-Einsparung als auch der Weg der Substitution CO2-reicher Energieträger beschritten werden. Eine ganze Reihe von Maßnahmen können dabei als Minimalanforderungen bezeichnet werden - Maßnahmen also, die unabdingbar notwendig sind, wenn die selbstgesetzten Zielvorgaben auf dem Weg einer Politik der Klimastabilisierung tatsächlich erreicht werden sollen. Dazu gehören, wie oben dargestellt, zum Beispiel:

  • In den reichen Staaten sollten ordnungsrechtliche und steuerliche Maßnahmen zur Reduktion des Kraftstoffverbrauchs der Fahr- und Flugzeuge erlassen werden.
         
  • Der öffentliche Personen- und Güterverkehr sollte mit dem Ziel ausgebaut werden, daß alle Menschen eine zumutbare Alternative zur Benutzung von individuellen Personen- und Güterfahrzeugen auf der Straße erhalten.     
  • Der Vollzug der Wärmeschutzverordnung sollte kontrolliert und ihre Anforderungen für Neubauten verschärft werden. Zu denken ist auch an finanzielle Anreize für energiesparende Investitionen zur Verringerung des Wärmebedarfs von Altbauten.
         
  • Eine Wärmenutzungsverordnung zur Verbesserung der rationellen Energieverwendung im Gewerbe sollte verabschiedet und die Nutzung von betriebsintern bisher nicht zu nutzender Abwärme gefördert werden.     
  • Die Kommunen - als die den Menschen am nächsten stehenden öffentlichen Körperschaften - sollten durch Klimakonzepte und deren Umsetzung auch in kommunalen Energieversorgungsgesellschaften ihren Bewohnern Anreize und Hilfen zu umweltbewußtem Verhalten geben. Sie sollten dazu in Zukunft allerdings besser als bisher in die Lage versetzt werden.
         
  • Erforderlich sind mittel- und langfristige Konzepte zur Nutzung fossiler Energieträger, auch um zu vermeiden, daß in Jahrhunderten gewachsene Ortschaften nicht wegen einer vielleicht nur kurzfristig notwendigen Rohstoffgewinnung geopfert werden (Beispiel Braunkohle).
         
  • Die Entwicklung und Anwendung von Energiegewinnung aus Sonne, Wind und nachwachsenden Rohstoffen muß gefördert werden, wobei dem Gesichtspunkt der Effizienz Rechnung zu tragen ist. Das heißt, unter allen Möglichkeiten ist derjenigen der Vorzug zu geben, bei der die eingesetzten Mittel den größten ökologischen Nutzen versprechen. Kommt ein Vergleich mit konventionellen Energiequellen zu keinem eindeutigen Vorteil einer Alternative, so ist im Zweifelsfalle den Energiequellen Sonne, Wind oder nachwachsende Rohstoffe der Vorzug zu geben.

(143) Auch die nicht unmittelbar aus dem Verbrauch fossiler Energiequellen herrührenden klimaschädlichen Gase bedürfen der politischen Kontrolle:

  • Hinsichtlich des Methans müssen die Emissionen aus der Viehhaltung und aus Deponien stärker reduziert werden.
         
  • Entwicklungspolitische Abhängigkeiten sind zu berücksichtigen, etwa die Konkurrenz in den Entwicklungsländern zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln für die Menschen und dem zusätzlichen, Ressourcen verbrauchenden Anbau von Viehfutter für den Export in die Industrieländer.
         
  • Die immer noch häufig zu großzügige Ausbringung von Stickstoffdünger, die zu klimaschädigenden Emissionen von Distickstoff (Lachgas) führt, muß verringert werden. Die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen schon 1985 vorgeschlagene Abgabe auf mineralischen Stickstoffdünger scheint ein geeignetes Mittel zu sein, wenn deren Ertrag den Landwirten für ihre natur- und bodenerhaltenden Aufgaben, zum Beispiel flächenbezogen, wieder zugeführt werden kann.

(144) Auch aufgrund der genannten politischen Anliegen sollte unser steuerrechtliches System wegen seiner ökologischen Auswirkungen verändert werden. Ziel müßte sein, daß der Verbrauch von sich nicht erneuernden Gütern und die ihre Regenerationsfähigkeit überfordernde Ausnutzung von Ökosystemen, zu deren Hauptauswirkungen der Treibhauseffekt gehört, steuerlich stärker belastet werden. Gleichzeitig ist es unerläßlich, daß das daraus erwachsende zusätzliche Abgabenaufkommen an die Bürger und Steuerzahler zurückgegeben wird. Für dieses Konzept der aufkommensneutralen Umschichtung des Abgabenaufkommens steht der Ausdruck "ökologische Steuerreform". Sie bietet einen doppelten Gewinn: Sie besteuert den Verbrauch kostbarer Ressourcen sowie die Belastungen der Umwelt und entlastet andere Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital.

(145) Die genaue Bestimmung der Aufkommensseite und der Verwendungsseite wird kontrovers diskutiert. Die einen plädieren zum Beispiel dafür, das Eigentum zu entlasten, wenn es seinen die Umwelt pflegenden treuhänderischen Verpflichtungen gerecht wird. Die anderen plädieren für eine Entlastung der Kosten des Faktors "Arbeit", um damit auch das Problem der Arbeitslosigkeit von der Kostenseite her anzugehen. In jedem Falle aber gilt: Durch eine ökologische Steuerreform können wir nur gewinnen.

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