Gute Schule aus evangelischer Sicht
Impulse für das Leben, Lehren und Lernen in der Schule, EKD-Text 127, Hrg. EKD, April 2016, ISBN: 978-3-87843-043-8
1. Die Schule ist für Kinder und Jugendliche da
Die Schule ist zuerst und vor allem für Kinder und Jugendliche da. Sie hat ihre Existenzberechtigung in erster Linie durch die jungen Menschen. Diese Perspektive auf den Primat der jungen Menschen relativiert Positionen, die versuchen, Schule über die Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen, über politische Programme oder über wirtschaftliche Interessen zu bestimmen.
"Denn dazu insbesondere sind die Menschen erschaffen, dass sie einander über Gott und über das Gute unterweisen. Dafür hat Gott ihnen die Sprache gegeben. Deshalb steht außer Frage, dass dasjenige Leben, das sich in Lehren und Lernen entfaltet, das überhaupt Gott wohlgefälligste ist." [1]
Junge Menschen brauchen die Schule aus folgenden Gründen:
Jugendliche brauchen die Schule als Fenster zur Welt
Die Schule bietet jungen Menschen, egal wo sie herkommen und aufwachsen, die Chance, sich ein Bild von dieser Welt und der umgebenden Gesellschaft zu machen, diese zu erkunden, sich zu erproben und in wichtigen Bereichen des Lebens Schritt um Schritt orientierungs- und handlungsfähig zu werden. Auch die in Umfang und Bedeutung angewachsenen Medien haben der Schule diese Bedeutung nicht nehmen können - im Gegenteil fordern sie die Schule heraus, auf den Umgang und die sinnvolle Nutzung dieser Informationsträger und Kommunikationssysteme vorzubereiten. Am Ende der Schulzeit haben sich junge Menschen in der Regel über die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Weltzugänge - sei es über die Sprache und Literatur, die Naturwissenschaft und Mathematik, die Künste, die Geschichte und Politik, die Religion und Philosophie - erproben können. Unter pädagogischer Anleitung und Begleitung haben sie in sehr unterschiedlichen thematischen Feldern Erfahrungen und Wissen gesammelt. Diese breite Vielfalt - und die damit auch zu erfahrenden Spannungen, Begrenzungen und Widersprüche - sind für die Schule charakteristisch und machen ihre Besonderheit gegenüber den Möglichkeiten des Elternhauses und Freundeskreises aus. Junge Menschen brauchen diese mannigfaltige Angebotsstru tur, damit sie dazu befähigt werden, die Zugänge, die für ihre Weltsicht und ihr späteres Tätigkeitsfeld von Bedeutung sind, verantwortlich wählen und entwickeln zu können. Dies bedeutet auch, dass eine gute Schule diese Viel falt der Fenster zur Welt bereithalten sollte und allen Heranwachsenden, egal aus welchem sozialen Milieu, anbieten muss.
Jugendliche brauchen die Schule als einen sozialen Ort
Die Schule ist ein sozialer Ort, in dem junge Menschen jung sein können und sich in diesem sozialen Arrangement als Kinder und Jugendliche (unterstützt durch Ältere oder Lehrkräfte) Welt aneignen und ihre Gaben entwickeln. Im Unterschied zur Herkunftsfamilie initiiert die Schule - ähnlich wie die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit - eine eigen ständige Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und bedingt, in der Differenz zwischen der Peergroup und den jeweils älteren Generationen, Erfahrungen von Sozialität und intergenerationellem Austausch. Dies regt zur Perspektivenübernahme, zur Abgrenzung und Identifikation, zum sozialen Zusammenhalt, zur Identitätsbildung und zur Ausprägung einer eigenen Persönlichkeit in einem vielseitigen sozialen Umfeld an. Die Schule als Institution drängt auf diese Klärungen; sie riskiert aber, wenn sie die Heranwachsenden überfordert und sozial selegiert, diese zentrale pädagogische Funktion zu verlieren.
"Die Bildungsaufgaben, die der Verständigung in der eigenen Gesellschaft und dem Frieden weltweit dienen, sind neben den zu steigernden kognitiven Schulleistungen gleichgewichtig. Im Brennpunkt steht dabei besonders die Eindämmung von Aggression und Überwindung von Gewalt. Sie machen ein pädagogisches Handeln notwendig, das Regeln kennt und Grenzen setzt." [3]
Jugendliche brauchen die Schule, um Werte, Urteilskraft und soziale Kompetenzen zu entwickeln
Die Schule ist ein normierender und wertesetzender Ort. Durch diese Normierung und Wertsetzung bietet sie dem Einzelnen Gelegenheiten, Werte und Urteilskraft auszubilden. An ihnen können Grundorientierungen und Kompetenzen entwickelt werden, die für die gesellschaftliche Teilhabe und für verantwortungsbewusstes menschliches Handeln notwendig sind. Junge Menschen entwickeln im sozialen Umgang miteinander und in der Auseinandersetzung mit Wissensbeständen, religiösen und kulturellen Traditionen wie Denkmustern sowie Anforderungen soziale Kompetenzen, die für den gesellschaftlichen Diskurs und Konsens wie auch für soziales Engagement erforderlich sind. Sie lernen gesellschaftliche Normen und Werte kennen und setzen sich mit diesen - auch kritisch - auseinander. Damit eröffnet die Schule Heranwachsenden die Anbindung an eine demokratische und offene Gesellschaft und die selbstständige Rückbindung in den gesellschaftlichen Raum.
Die Schule unterstützt den Prozess des Selbstständigwerdens, weil sie Vielseitigkeit garantiert, gesellschaftlichen Normen der Demokratie verpflichtet ist, eine Ablösung aus dem Elternhaus erlaubt und die Identitätsbildung unterstützt. Sie fördert Selbstständigkeit durch die Auseinandersetzung mit Ansprüchen, durch die Übernahme von Verantwortung und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. In der Schule soll sich Individualität entwickeln und sollen Gaben Entfaltung finden.