Gute Schule aus evangelischer Sicht
Impulse für das Leben, Lehren und Lernen in der Schule, EKD-Text 127, Hrg. EKD, April 2016, ISBN: 978-3-87843-043-8
6. Die Schule übt gesellschaftliche Teilhabe ein
Die Schule ist ein Teil der Gesellschaft, bildet diese ab und ist von ihr umgeben. Sie hat die Aufgabe, Gesellschaft wahrzunehmen, sie zu "lesen" und zu interpretieren sowie an sie anschlussfähig zu machen und dadurch Teilhabe einzuüben. Die Teilhabe an der Gesellschaft ist kein selbst verständliches Ergebnis des Schulbesuchs - Voraussetzungen einer Teilhabe müssen pädagogisch geklärt, angestrebt und sichtbar gemacht sowie über Lerngelegenheiten systematisch entwickelt werden.
"Das christliche Verständnis von Teilhabe gründet in der den Menschen geschenkten Teilhabe an der Wirklichkeit Gottes." [9]
"Nur Menschen, die sich ihrer Teilhabe an der Gesellschaft sicher sind, können sie auch in einer demokratischen, solidarischen und nachhaltigen Weise gestalten." [9]
Dazu muss die Schule als eine professionelle Gemeinschaft von Lehrkräften und Schulleitung zunächst die Gesellschaft in ihren Anforderungen zu durchdringen versuchen. Schulleitungen und Lehr kräfte verstehen die Voraussetzungen für Teilhabe, sie analysieren gesellschaftliche Problemlagen und identifizieren Disparitäten, übergeordnete "Mega"-Themen und soziale Herausforderungen.
Sie interpretieren diese Herausforderungen im Blick auf die Schülerschaft und befähigen die Heranwachsenden durch entsprechende Angebote zur gesellschaftlichen Teilhabe. Aufgabe der Gesellschaft ist es, gesellschaftliche Teilhabe von Schülerinnen und Schülern vor zu sehen und ihnen dazu entsprechende Chancen zu eröffnen.
Das Ziel, gesellschaftliche Teilhabe einzuüben, schließt u. a. ein,
- wahrzunehmen, dass für unsere Gesellschaft die Teilhabe bzw. Teilhabemöglichkeit aller am gesellschaftlichen Leben von grundlegender Bedeutung für das individuelle Leben und die Demokratie ist, und sich deshalb um eine Schule zu be mühen, die alle ein bezieht;
- die gesellschaftlichen Herausforderungen von Disparität und Ungerechtigkeit zu erkennen und sich im schulischen Alltag um einen Aus gleich u. a. durch Inklusion zu bemühen;
- die schulische Herausforderung durch weltweite Wanderungsbewegungen (Migration) zu erkennen und aktiv pädagogische Konzepte für den Umgang mit Mehrsprachigkeit, Internationalität, Interreligiosität, Interkulturalität und Differenz zu entwickeln;
- in der Schule nicht nur im unterrichtlichen Bereich für angemessene politische Bildung zu sorgen, sondern auch darüber hinaus Schülerinnen und Schüler an der Gestaltung des Schullebens zu beteiligen und damit einen Beitrag zu einer aktiven Erziehung zur Demokratie zu leisten. Die Arbeit in der Schülermitverantwortung und die Teilhabe von Schülerinnen und Schülern an der Schule ist Ausdruck eines demokratischen Miteinanders, das zum Engagement in der Gesellschaft einlädt.
- in der Schule Gelegenheiten zu ge ben, sich mit Religion, Religionen und Wertepluralismus auseinanderzusetzen und eigene Religiosität und Werteprofile in (kritischer) Auseinandersetzung mit dem Umfeld zu entwickeln;
- die Schule im Sozialraum zu vernetzen und Chancen des zivilgesellschaftlichen Engagements und des Ehrenamts wahrzunehmen und zu fördern;
- die Schule im Hinblick auf den Um gang mit neuen Medien und dem Internet nicht nur bezüglich der Ausstattung und der Kompetenzen der Lehrkräfte auf den aktuellen Stand zu bringen, sondern sich auch den da mit verbundenen pädagogischen Fragen zu stellen.
Gesellschaft "lesen" und interpretieren zu können ist jedoch nicht nur den in der Schule arbeitenden professionellen Kräften vorbehalten, sondern vollzieht sich vielmehr in einem offenen Prozess. Die Schule bildet mit ihren Schülern, Eltern und Lehrkräften sowie neben# und ehrenamtlich Tätigen eine Art "Interpretationswerk statt" der Gesellschaft. Dies kann zu sehr unterschiedlichen Formen von Teilhabe führen - von gesellschaftlich relevanten Aktionen, Teilnahme an öffentlichen Stellungnahmen, medienwirksamen Projekten, sozialem Engagement, besonderen außerunterrichtlichen Angeboten bis hin zu Betriebserkundungen und Schülerfirmen. Die Schule ist in diesem Sinne Teil der Zivilgesellschaft und in den sie umgebenden Sozialraum eingebunden. Dabei ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Elternhaus unverzichtbar.
"Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort." [19]
"Umso wichtiger ist es, die Bildungswege der Kinder mit den Eltern und nicht gegen sie zu gestalten." [10]